Entscheidungsstichwort (Thema)

Entziehung der Kassenzulassung wegen Nichtausübung kassenärztlicher Tätigkeit. Entziehung zur Zulassung der Kassenpraxis

 

Orientierungssatz

1. Von Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit kann dann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Arzt nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung hat; für die Annahme der Ausübung genügt es nicht, wenn der Arzt noch " - wenn auch nur in einem relativ geringen Umfang -" Verordnungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellt.

2. Zur Pflicht des Kassenarztes zur Anmeldung seiner Honorarforderungen oder zur Vorlage der Abrechnungsunterlagen unabhängig von Honorarforderungen.

3. Die Kassenärztliche Vereinigung muß schon im Hinblick auf die Bedarfsplanung die Möglichkeit haben, von einem nicht abrechnenden Arzt eine Meldung seiner Fallzahlen zu verlangen. Der Arzt ist aber nur auf Anforderung der KÄV verpflichtet, entsprechende Angaben zu machen. Aus der Unterlassung von nicht angeforderten Meldungen können ihm keine Vorwürfe gemacht werden.

4. Die Entziehung ist bei Verletzung einer satzungsrechtlichen Pflicht zur Vorlage von Abrechnungsunterlagen oder anderen kassenärztlichen Pflichten nur gerechtfertigt, wenn der Arzt nicht auf andere Weise als durch den letzten und schwersten Eingriff in den Kassenarztstatus zur Aufgabe seines Fehlverhaltens veranlaßt werden kann. Es bedarf daher der Feststellung, daß mildere Maßnahmen nicht ausreichen (vgl BVerfG vom 5.9. 1980 1 BvR 727/80 = SozR 2200 § 368a RVO Nr 6).

 

Normenkette

RVO § 368a Abs 6; BMV-Ä § 4 Abs 2, § 6 Abs 2; ZO-Ärzte § 21

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 21.07.1983; Aktenzeichen L 7 Ka 1241/82)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 13.10.1982; Aktenzeichen S 5 Ka 38/82)

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Zulassung als Kassenarzt.

Der Kläger ist seit 1949 als Internist zur Kassenpraxis zugelassen. Im April 1980 beantragte die Beigeladene zu 1), das Ruhen der Kassenzulassung anzuordnen. Der Zulassungsausschuß stellte mit Beschluß vom 14. Oktober 1980 fest, die Gründe für eine Entziehung reichten nicht aus, empfahl aber dem Kläger, entweder seine Kassenabrechnung in Zukunft ordnungsgemäß zu erstellen und zur Abrechnung einzureichen oder aber auf seine Zulassung zu verzichten. Am 28. Oktober 1980 beantragte die Beigeladene zu 1), die Zulassung des Klägers zur kassenärztlichen Tätigkeit zu entziehen. Sie stützte den Antrag darauf, daß der Kläger seit dem dritten Quartal 1980 keine Abrechnungen über kassenärztliche Leistungen vorgelegt habe und gegenüber allen schriftlichen, telefonischen oder persönlichen Versuchen der Kontaktaufnahme durch ihre Bezirksstelle mit feindseliger Ablehnung reagiere. Die Zulassungsinstanzen entzogen ihm die Zulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung. Zur Begründung führte der Beklagte im Beschluß vom 16. März 1982 aus, eine gewissenhafte, genaue Leistungsabrechnung gehöre zu den Grundpflichten des Kassenarztes. Durch ihre Verletzung werde die Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung gefährdet. Dies müsse um so mehr gelten, wenn ein Kassenarzt einfach keine Abrechnungen mehr einreiche. Alle Versuche der Beigeladenen zu 1), mit ihm über sein pflichtwidriges Verhalten zu sprechen, seien an der ablehnenden Haltung des Klägers gescheitert. Bei der Überprüfung seiner Praxisräume im Jahr 1980 seien gegenüber früheren Praxisbegehungen keine Besserungen festgestellt worden. So sei zum Beispiel das Telefon ausgehängt und in einen Mantel eingewickelt gewesen; die Räume hätten sich in einem sehr unordentlichen Zustand befunden. Ein erneuter Versuch zur Besichtigung und insbesondere zu einem Gespräch sei am 22. April 1980 am körperlichen Widerstand des Klägers gescheitert. Bei dem durch den Türspalt geführten Gespräch habe der Kläger eine solche Erregung gezeigt, daß er in einem derartigen Zustand nicht verantwortungsbewußt ärztlich handeln könnte. Der Kläger sei daraufhin zu einem Gespräch in das Stadtgesundheitsamt gebeten worden, dazu aber nicht erschienen und habe auch von dem Angebot zu fernmündlicher Aufnahme der Verbindung keinen Gebrauch gemacht. Sein Verhalten bestätige die Beurteilung von zwei Psychiatern, die im Auftrag der Beigeladenen zu 1) im Jahr 1977 ein Gespräch mit dem Kläger geführt und dabei eine endogene Psychose festgestellt hätten.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil und die Bescheide des Beklagten und des Zulassungsausschusses aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die über einen längeren Zeitraum unterbliebene Vorlage der Abrechnungsunterlagen stelle, auch wenn dies insoweit den § 5 Abs 4 der Satzung der Beigeladenen zu 1) widerspreche, jedenfalls im Fall des Klägers keine gröbliche Pflichtverletzung dar. Die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) werde allerdings durch die Vorlage der Abrechnungsunterlagen in die Lage versetzt, Umfang und Ausmaß der ärztlichen Tätigkeit des Kassenarztes zu überprüfen. Indessen stehe dieser Zweck nicht im Vordergrund, vielmehr gehe es bei der Vorlage der Abrechnungsunterlagen in erster Linie darum, die Honoraransprüche des Kassenarztes zu ermitteln. Die Folgen einer nicht rechtzeitigen Vorlage seien deshalb in den Grundsätzen der Honorarverteilung der Beigeladenen zu 1) geregelt. Nach § 8 der Grundsätze könne bei nicht rechtzeitiger oder unvollständiger Abrechnung die laufende Vorauszahlung gesperrt und die Abrechnung selbst bis zum nächsten Abrechnungstermin zurückgestellt werden; für jeden Tag der Überschreitung des Einreichungstermins könne ein Honorarabzug von 20,-- DM beschlossen werden; würden die Abrechnungsunterlagen nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem vorgeschriebenen Einreichungstermin vorgelegt, so seien die Honorarforderungen verwirkt. Die gänzliche Unterlassung der Vorlage der Abrechnungsunterlagen könne zwar im Einzelfall auch zur Entziehung der Zulassung führen. Dieser schwerste Eingriff sei aber nur gerechtfertigt, wenn der Arzt nicht auf andere Weise zur Aufgabe seines Fehlverhaltens veranlaßt werden könne. Im Fall des Klägers fehle es an entsprechenden Maßnahmen. Die am 14. Oktober 1980 ausgesprochene Empfehlung stelle keine Maßnahme dar, die ihn zu einer Änderung seines Verhaltens hätte veranlassen können. Soweit der Beklagte die Auffassung vertreten habe, der Kläger sei auch aus gesundheitlichen Gründen ungeeignet, könne der Senat nicht erkennen, worauf diese Annahme beruhen solle, so daß insoweit auch kein Anlaß für eine weitere Sachaufklärung bestehe. Es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß sich der Gesundheitszustand des Klägers seit dem die Entziehung ablehnenden Beschluß vom 14. Oktober 1980 verschlechtert habe. Zur Untersuchung seines Gesundheitszustandes sei der Kläger bisher nicht aufgefordert worden. Der Kläger sei tatsächlich noch - wenn auch nur in relativ geringem Umfang - kassenärztlich tätig; er stelle Arzneimittelverordnungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus.

Die Beigeladene zu 1) hat Revision eingelegt und macht geltend, die Zulassung könne auch entzogen werden, wenn der Kassenarzt die kassenärztliche Tätigkeit nicht mehr ausübt. So liege aber der Fall des Klägers, da er seit mehr als sechs Jahren keine Abrechnungen mehr vorlege, auf die Kontaktbemühungen der KÄV feindselig reagiere und noch nicht einmal der Anordnung des persönlichen Erscheinens beim Gericht Folge geleistet habe. Nach dem Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) sei der Kassenarzt verpflichtet, im Rahmen einer ausreichenden und zweckmäßigen Sprechstunden- und Besuchsbehandlung der Patienten tätig zu werden, Aufzeichnungen über die Tätigkeit zu führen sowie gegenüber der KÄV Auskünfte zu erteilen und Rechnung zu legen. Der Kläger komme diesen Pflichten nicht nach.

Die Beigeladenen beantragen übereinstimmend, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Juli 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 13. Oktober 1982 zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Insbesondere enthält die Revisionsbegründung eine Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm (§ 164 Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Die Beigeladene zu 1) hat dargelegt, daß und warum eine revisible Rechtsnorm auf den vom LSG festgestellten Sachverhalt zu Unrecht nicht angewendet worden sei. Dazu hat sie ausgeführt, das LSG habe die festgestellten Tatsachen der langjährig fehlenden Abrechnungen und der ablehnenden Reaktion auf ihre Kontaktbemühungen nicht als Nichtausübung der kassenärztlichen Tätigkeit gewertet; die gelegentliche Ausstellung von Arzneiverordnungen könne nicht als fortlaufende und berufsmäßige Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung bewertet werden. Die Beklagte hat sich damit hinreichend mit dem angefochtenen Urteil auseinandergesetzt, das die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit ohne weitere Begründung allein aus den gelegentlichen kassenärztlichen Verrichtungen hergeleitet hat. Unter diesen Umständen genügt es, daß die Beklagte der Begründung des LSG das nach ihrer Auffassung notwendige Merkmal der fortlaufenden und berufsmäßigen Verrichtung und als Indiz für die Nichtausübung das Unterlassen einzelner kassenärztlicher Maßnahmen entgegenhält.

Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend beurteilen, ob die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind.

Gemäß § 368a Abs 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) kann die Zulassung zur kassenärztlichen Versorgung entzogen werden, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Kassenarzt die kassenärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder der Kassenarzt seine kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt.

Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus für die Entscheidung, ob der Kläger die kassenärztliche Tätigkeit noch ausübt. Für die Annahme der Ausübung genügt es nicht, daß der Kläger noch "- wenn auch nur in einem relativ geringem Umfang -" Verordnungen und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellt. Beides gehört zwar zur ärztlichen Behandlung im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung (§ 368 Abs 2 RVO); der Kläger hat damit aber nur einen Teil der umfangreichen kassenärztlichen Pflichten erfüllt. Insbesondere hat der Kassenarzt den Berechtigten die ärztliche Versorgung zuteil werden zu lassen, die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig und ausreichend ist (§ 4 Abs 2 BMV-Ä); er darf die Behandlung des Berechtigten nur in begründeten Fällen ablehnen (§ 4 Abs 6 BMV-Ä); der Kassenarzt ist gehalten, seine Sprechstunde entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen kassenärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereichs festzusetzen und die Sprechstunden auf einem Praxisschild bekanntzugeben (§ 6 Abs 2 BMV-Ä), und zwar grundsätzlich mit festen Uhrzeiten (§ 6 Abs 4 BMV-Ä); er muß bei Verhinderung von mehr als einer Woche dies der im Gesamtvertrag zu bestimmenden Stelle unter Benennung des Vertreters mitteilen (§ 6 Abs 7 BMV-Ä); nach § 7 Abs 5 aaO ist auch der Arzt mit einer Gebietsbezeichnung zu Besuchsbehandlungen verpflichtet. Weitere Pflichten können sich aus den für den Kassenarzt verbindlichen gesamtvertraglichen Bestimmungen über die kassenärztliche Versorgung und aus der Satzung der KÄV ergeben (§ 368a Abs 4, § 368m Abs 1 Nr 3 RVO); insbesondere kann der Arzt auch zur Teilnahme am Notfalldienst verpflichtet sein.

Mit einzelnen Maßnahmen der Versorgung von Berechtigten ist noch nicht nachgewiesen, daß der Arzt "die kassenärztliche Tätigkeit" in diesem Sinn ausübt. Wenn nur noch in geringem Umfang Verrichtungen vorgenommen werden, beweist dies andererseits nicht schon, daß der Arzt keine kassenärztliche Tätigkeit mehr ausübt. Es ist vielmehr zu prüfen, ob er die Gesamtheit seiner Pflichten noch im wesentlichen erfüllt. Die Verletzung einzelner Pflichten wird regelmäßig von dem letzten Tatbestandsmerkmal des § 368a Abs 4 RVO (Entziehung wegen gröblicher Pflichtverletzung) erfaßt. Von Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit kann aber dann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Arzt nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung hat.

Das LSG hat sich mit der Feststellung begnügt, daß der Kläger einzelne kassenärztliche Verrichtungen ausgeübt habe. Damit hat es die Rechtsnorm des § 368a Abs 6 RVO verletzt, denn es geht von einer unrichtigen Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit aus. Daraus folgt die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen. Diese Ermittlungen müssen sich auf den gesamten Komplex der Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit erstrecken. Er ist Gegenstand des angefochtenen Verwaltungsakts gewesen. Zu dem - den angefochtenen Verwaltungsakt rechtfertigenden - Sachverhalt gehört das gesamte bei der Einleitung des Entziehungsverfahrens und in seinem späteren Verlauf dem Kläger zum Vorwurf gemachte Verhalten (vgl BSGE 9, 277, 281). Der Bescheid des Beklagten ist zwar nicht auf die Nichtausübung der kassenärztlichen Tätigkeit gestützt, wohl aber auf das Unterlassen der Abrechnungen und auf anderes Verhalten, das auf die Nichtausübung hindeuten könnte; schließlich ist im Bescheid die "stark eingeschränkte Berufstätigkeit" erwähnt. Der Begründung der Entziehung mit der Nichtausübung der kassenärztlichen Tätigkeit steht auch nicht entgegen, daß der Beklagte im Entziehungsbescheid gerade von der Ausübung kassenärztlicher Verrichtungen ausgegangen ist. Er wirft dem Kläger vor, er habe jahrelang seine Leistungen nicht abgerechnet. Indessen handelt es sich bei der Vornahme einzelner Verrichtungen und der Nichtausübung der kassenärztlichen Tätigkeit nicht um sich widersprechende Sachverhalte, deren Berücksichtigung ausgeschlossen sein könnte (vgl BSG SGb 1965, 61). Das LSG wird auch zu erwägen haben, ob es sich darauf beschränken darf, die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids allein nach der Sachlage zur Zeit des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsakts zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung des Senats sind Änderungen des Sachverhalts bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht, die einen Anspruch auf Wiederbeteiligung des Arztes begründen können, zu berücksichtigen (BSGE 33, 161, 163, 164). Nicht entschieden ist bisher allerdings, ob das gleiche auch gilt, wenn nachträglich Umstände eintreten, die die Entziehung begründen.

Wenn sich nach den weiteren Ermittlungen des LSG nicht nachweisen läßt, daß der Kläger keine kassenärztliche Tätigkeit mehr ausübt, wird weiter folgendes zu beachten sein:

Die Zulassung kann ferner entzogen werden, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen oder der Kassenarzt seine kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Diese Tatbestandsmerkmale decken sich teilweise. Nach § 368c Abs 2 Nr 10 RV0 iVm § 21 der Zulassungsordnung für Kassenärzte (ZO-Ärzte) idF der Verordnung vom 20. Juli 1977 (BGBl I, 1332) gehört zu den Voraussetzungen für die Zulassung die Eignung zur Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit. Ungeeignet ist ein Arzt mit geistigen oder sonstigen in der Person liegenden schwerwiegenden Mängeln. Dabei muß es sich um Eigenschaften körperlicher, geistiger oder sonstiger Art handeln, die den Arzt für dauernd oder für längere Zeit unfähig machen, die Kassenpraxis so zu versehen, wie es im Interesse der Versicherten notwendig ist (BSG KVRS 6000/13). Als sonstige Mängel kommen alle nur denkbaren Mängel in Betracht; die Mängel müssen aber so geartet sein, daß dadurch eine reibungslose kassenärztliche Versorgung der Versicherten gefährdet werden kann (BSG KVRS A - 6000/5, vgl auch BSG KVRS A - 6000/10 jeweils mwN; Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht § 21 ZO-Ärzte Anm 1 = RdNr E 124). Wenn die Eignung in diesem Sinne fehlt, ist die Zulassung zu entziehen. Aber auch die Entziehung wegen gröblicher Verletzung kassenärztlicher Pflichten setzt voraus, daß der Arzt zur Fortführung der kassenärztlichen Tätigkeit nicht geeignet ist (BSGE 43, 250, 252 = SozR 2200 § 368a RVO Nr 3). Die Ungeeignetheit kann darin liegen, daß der Arzt nicht in der Lage oder nicht willens ist, die Versicherten sachgemäß zu behandeln. Ungeeignet ist ein Arzt aber auch, wenn er durch sein Verhalten das zur reibungslosen Durchführung der kassenärztlichen Versorgung als Verwaltungsaufgabe notwendige Vertrauensverhältnis gegenüber den Organen der kassenärztlichen Selbstverwaltung so grob gestört hat, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Arzt nicht zugemutet werden kann (BSG KVRS A - 6000/5). Die Entziehung ist nur zulässig, wenn sie erforderlich ist, um das System der kassenärztlichen Versorgung funktionsfähig zu erhalten. Deshalb setzt die Entziehung wegen grober Pflichtverletzung als letzter und schwerster Eingriff in den Kassenarztstatus voraus, daß der Arzt nicht auf andere Weise, zB durch Honorarkürzungen, Belehrungen, Disziplinarmaßnahmen zur Aufgabe seines Fehlverhaltens veranlaßt werden kann (BSGE 34, 252, 253; BSG KVRS A - 6000/10). Die Ungeeignetheit ist vom Gericht uneingeschränkt zu prüfen. Das gilt auch für die Frage, ob der Arzt nicht auf andere Weise zur Aufgabe seines Fehlverhaltens veranlaßt werden kann, denn solange diese Möglichkeit offen ist, läßt sich die mangelnde Eignung nicht nachweisen.

Wie dem angefochtenen Urteil des LSG entnommen werden muß, besteht allerdings nach der Satzung der Beigeladenen zu 1) eine Pflicht zur Vorlage der Abrechnungsunterlagen. Das LSG hat dazu ausgeführt, durch die Vorlage solle die KÄV in die Lage versetzt werden, Umfang und Ausmaß der ärztlichen Tätigkeit des Kassenarztes zu überprüfen. In erster Linie gehe es bei der Verpflichtung aber darum, die Honoraransprüche des Arztes zu ermitteln. Die Folgen einer verspäteten Vorlage der Abrechnungsunterlagen seien deshalb in den Grundsätzen der Honorarverteilung der Beigeladenen zu 1) dahin geregelt, daß Vorauszahlungen gesperrt, Abrechnungen zurückgestellt und Honorarabzüge beschlossen werden können und schließlich bei einer Verspätung um sechs Monate die Honoraranforderungen verwirkt seien. Mit allen diesen Ausführungen hat das LSG Landesrecht ausgelegt; die Verletzung einer Vorschrift des Bundesrechts ist nicht gerügt, und eine Erstreckung des Geltungsbereichs der Satzungsbestimmung und der Grundsätze der Honorarverteilung über den Bezirk des Hessischen LSG hinaus ist nicht erkennbar. In keiner bundesrechtlichen Vorschrift ist eine Pflicht des Kassenarztes zur Anmeldung seiner Honorarforderungen oder zur Vorlage der Abrechnungsunterlagen unabhängig von Honorarforderungen festgelegt. Ein Einsichtsrecht der KÄV'en und der Krankenkassen jeweils gegenüber dem anderen Träger ist nur hinsichtlich der Unterlagen geregelt, die Grundlage für die Vergütungsregelung waren oder zur Abrechnung der Gesamtvergütung gehörten (§ 40 BMV-Ä). "Abrechnungs"-unterlagen, die nichts mit einer Abrechnung zu tun haben, sind in keiner Vorschrift des BMV-Ä erwähnt.

Eine Verpflichtung der Kassenärzte zur Abrechnung ergibt sich auch nicht aus den Regeln über die Bedarfsplanung. Nach § 12 Abs 3 ZO-Ärzte hat der von der KÄV aufzustellende Bedarfsplan Feststellungen zu enthalten über die ärztliche Versorgung. Dazu gehören auch Angaben über die Zahl der Abrechnungsfälle jedes Arztes (Planungsblatt D gemäß Anlage 1 zu den Bedarfsplanungsrichtlinien, abgedruckt in BMV-Ä, herausgegeben vom Bundesverband der Ortskrankenkassen, Stand Oktober 1977 S A 236). Diese Angaben sind von der KÄV zu machen und können aus den ihr vorliegenden Abrechnungen zusammengestellt werden; irgendwelche Mitteilungspflichten des Arztes sind dazu nicht vorgesehen. Allerdings kann insoweit eine Auskunftspflicht des Klägers angenommen werden. Seine Verhaltensweise fällt aus dem Rahmen dessen, was bei den Regelungen über die Bedarfsplanung als selbstverständlich vorausgesetzt worden ist, daß nämlich der Kassenarzt seine Fälle abrechnet. Deshalb muß die KÄV schon im Hinblick auf die Bedarfsplanung die Möglichkeit haben, von einem nicht abrechnenden Arzt eine Meldung seiner Fallzahlen zu verlangen. Der Kläger ist aber nur auf Anforderung der KÄV verpflichtet, entsprechende Angaben zu machen. Aus der Unterlassung von nicht angeforderten Meldungen können ihm keine Vorwürfe gemacht werden.

Die Entziehung ist bei Verletzung einer satzungsrechtlichen Pflicht zur Vorlage von Abrechnungsunterlagen oder anderer kassenärztlichen Pflichten nur gerechtfertigt, wenn der Arzt nicht auf andere Weise als durch den letzten und schwersten Eingriff in den Kassenarztstatus zur Aufgabe seines Fehlverhaltens veranlaßt werden kann. Es bedarf daher der Feststellung, daß mildere Maßnahmen nicht ausreichen (BVerfG in SozR 2200 § 368a RVO Nr 6). Durch die am 14.Oktober 1980 ausgesprochene Empfehlung des Zulassungsausschusses an den Kläger, in Zukunft seine Kassenabrechnung ordnungsgemäß zu erstellen, sind weitere Maßnahmen zur Aufgabe des Fehlverhaltens vor der Entziehung nicht überflüssig geworden. Die bloße Empfehlung zu einem Verhalten führt dem Empfänger nicht vor Augen, daß sein Unterlassen eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt. Möglicherweise konnte der Kläger aus der Beschränkung auf eine Empfehlung entnehmen, daß die Abrechnungen nur erwünscht, aber nicht zwingend geboten wären. Die vor der Entziehung zu ergreifenden Maßnahmen müssen jedenfalls konkret auf eine Änderung des Verhaltens ausgerichtet sein. Auch aus dem Nichterscheinen des Klägers zu den Sitzungen der Zulassungsinstanzen und des Gerichts können solche Folgerungen nicht gezogen werden. Der Entziehung müssen allerdings nicht in jedem Fall, etwa im Sinn eines notwendigerweise vorgeschalteten Verfahrens, Maßnahmen mit geringerem Gewicht für den Arzt vorausgegangen sein. Aus der begangenen Pflichtverletzung kann sich im Einzelfall schon eine so nachhaltige und fortwirkende Störung des Systems der kassenärztlichen Versorgung ergeben, daß die Entziehung der Zulassung ohne weiteres geboten ist. Insbesondere können in der Pflichtverletzung zutage tretende Mängel in der Person des Arztes alle Maßnahmen, die ihn zur Aufgabe seines Fehlverhaltens veranlassen sollen, als aussichtslos erscheinen lassen. Deshalb ist eine Entziehung nur dann wegen Fehlens milderer Maßnahmen rechtswidrig, wenn die Möglichkeit, daß die Maßnahmen in dieser Weise verändernd wirken, zumindest nicht ausgeschlossen werden kann.

Die mangelnde Eignung des Klägers für die Ausübung der kassenärztlichen Tätigkeit kann sich auch aus gesundheitlichen Gründen ergeben. Insoweit ist Gegenstand des Verfahrens die geäußerte Vermutung, daß der Kläger an einer endogenen Psychose leidet. Darüber müßte das LSG Beweis erheben, wenn die Entziehung nicht schon aus anderen Gründen gerechtfertigt wäre. Der Auffassung des Beklagten, daß die Überzeugung vom Vorliegen einer endogenen Psychose jedenfalls solange Gültigkeit haben müsse, bis der Kläger sich zu einem Gespräch oder einer Untersuchung bereit erkläre und daß deshalb weitere Ermittlungen solange nicht erforderlich seien, kann nicht gefolgt werden. Wenn auf die Entziehung der Zulassung als Kassenarzt überhaupt die Bestimmung des § 66 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) über die Mitwirkung des Betroffenen angewendet werden kann, dann würde die Entziehung wegen fehlender Mitwirkung jedenfalls nach § 66 Abs 3 SGB I voraussetzen, daß der Arzt vorher auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663174

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