Leitsatz (amtlich)

1. Allgemeine Ungewißheit in der medizinischen Wissenschaft über die Leidensursache iS des § 52 Abs 2 S 2 BSeuchG besteht nicht deshalb, weil sich nicht feststellen läßt, welche von mehreren in Betracht kommenden Umständen im konkreten Fall kausal für die Gesundheitsstörung waren.

2. Bei Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Gesundheitsstörung kehrt sich die Beweislast nicht um.

 

Orientierungssatz

1. Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Ermessenshandeln der Versorgungsbehörde nach § 52 Abs 2 S 2 BSeuchG, nämlich die - allgemeine - Ungewißheit über die Leidensursache, sind gerichtlich nachprüfbar (vgl BSG vom 1976-11-25 9 RV 230/75 = SozR 3100 § 1 Nr 13 mwN). Diese Ungewißheit ist eine solche der medizinischen Wissenschaft; sie ist von medizinischen Sachverständigen zu bekunden. Diese Frage ragt nicht etwa in den Ermessensbereich hinein, fällt also nicht in den der Verwaltung vorbehaltenen Entscheidungsrahmen. Liegen diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen nicht vor, ist die Ablehnung des Versorgungsanspruchs immer rechtmäßig. Für ein Handlungsermessen der Verwaltung ist kein Raum; eine Leistung kann unter keinen Umständen gewährt werden (vgl BSG vom 1969-05-23 10 RV 150/66 = KOV 1970, 73, 75).

2. Das Ermessenshandeln der Verwaltung setzt nicht dann ein, wenn der Schädigungstatbestand im dunkeln bleibt. § 52 Abs 2 S 2 BSeuchG ersetzt nicht die Feststellung der rechtserheblichen Schädigung. Die Frage der Kausalitätsvoraussetzung stellt sich für die Kann-Versorgung ebenso wie für einen Rechtsanspruch. Zwischen beiden bestehen bezüglich der Kausalität lediglich graduelle Unterschiede. Darüber hinaus müssen alle Umstände gegeben sein, die sonst einen Versorgungsanspruch begründen (vgl BSG vom 1978-02-09 9 RV 41/77 = SozR 3100 § 1 Nr 19). Das verdeutlicht Sinn und Zweck der Vorschrift. S 2 des § 52 Abs 2 BSeuchG ist ein Unterfall des S 1. Er findet Anwendung, wenn die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung deswegen scheitert, weil über die Leidensursache allgemein Unkenntnis herrscht. Dann läßt das Gesetz wegen dieser allgemeinen Unsicherheit einen geringeren Überzeugungsgrad als die Wahrscheinlichkeit genügen. Das führt zu einer gegenüber der Wahrscheinlichkeit weniger gesicherten Kausalitätserkenntnis (BSG aaO). Da jedoch die Ermessensleistung wie der Rechtsanspruch von der Kausalitätsbeurteilung abhängig ist, kann nicht auf die konkrete Feststellung des Verursachungsfaktors verzichtet werden. Es genügt nicht die Ungewißheit darüber, welche Umstände und im einzelnen für die Krankheit kausal waren.

3. Um die Gleichbehandlung der Impfgeschädigten mit den Versorgungsberechtigten nach dem BVG zu sichern, sind auch für § 52 Abs 2 Bundes-Seuchengesetz die Rechtsgrundsätze des BVG maßgebend. Daher genügt im Gegensatz zum Zivilrecht die Wahrscheinlichkeit des medizinischen Kausalzusammenhangs. Bei ungeklärter Ätiologie der Gesundheitsstörung kann die Verwaltung im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens Versorgung als Kannleistung gewähren. Eine Beweislastumkehr kennt das soziale Entschädigungsrecht nicht.

 

Normenkette

BSeuchG § 52 Abs. 2 S. 2; BVG § 1 Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.05.1980; Aktenzeichen L 4 Vi 1/79)

SG Koblenz (Entscheidung vom 30.04.1979; Aktenzeichen S 7 Vi 3/77)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt wegen Gesundheitsstörungen nach einer Polio-Schutzimpfung Versorgung als Kann-Leistung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG).

Sie war 1961 mit Salk-Impfstoff geimpft worden. Etwa fünf Wochen danach war eine schwache Lähmung am rechten Bein festgestellt worden. Die in einem vorausgegangenen Streitverfahren gehörten Sachverständigen hatten unterschiedliche Meinungen vertreten. Die einen machten für die fragliche Gesundheitsstörung allein einen Polio-Wild-Virus verantwortlich, während andere von einer durch die Polio-Schutzimpfung hervorgerufenen Resistenzminderung ausgingen, die - möglicherweise - die Voraussetzung zum Ausbruch der Krankheit geschaffen habe. Die Versorgungsverwaltung hatte sich daraufhin vergleichsweise verpflichtet zu prüfen, ob die Versorgung als Kann-Leistung deshalb verlangt werden könne, weil medizinische Ungewißheit über die Entstehung des Leidens bestehe.

Nach weiterer Prüfung lehnte die Verwaltung eine Kann-Leistung ab. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Der in dieser Instanz gehörte Sachverständige hat die Ungewißheit über die Ursache des festgestellten Leidens verneint. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: An einer - allgemeinen - Ungewißheit fehle es im Streitfall; es gehe hier allein um Bestimmung und Gewichtung der im Einzelfall mitwirkenden Faktoren.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine fehlerhafte Auslegung des § 52 Abs 2 Satz 2 BSeuchG. Nach dieser Gesetzesvorschrift - so trägt die Klägerin vor - genüge eine allgemeine medizinische Ungewißheit, welche Bedeutung den Viren für die Auslösung sowie für Art, Schwere und Dauer der Erkrankung zukomme.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des SG und LSG sowie die dem

Streitverfahren zugrunde liegenden Verwaltungsbescheide

aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, im Wege

der Kann-Versorgung "Lähmung des rechten Beins"

als Impfschaden anzuerkennen und ab 1. Dezember 1971

entsprechende Kann-Leistungen zu gewähren;

hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und die

Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung

an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Die Versagung der in das Ermessen der Verwaltung gestellten Leistung ist nicht rechtswidrig.

Nach § 51 Abs 1 Ziffern 1 und 3 das Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bei Menschen (Bundesseuchengesetz -BSeuchG-) idF des Zweiten Änderungsgesetzes vom 25. August 1971 (BGBl I 1401) sowie der Bekanntmachung vom 18. Dezember 1979 (BGBl I 2262) erhält derjenige, der durch eine gesetzlich vorgeschriebene oder von einer zuständigen Behörde öffentlich empfohlenen und in ihrem Bereich vorgenommenen Impfung einen Impfschaden erleidet, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Der Anwendung dieses Gesetzes steht nicht entgegen, daß nach früheren gesetzlichen Vorschriften ein Impfschaden wegen des mangelnden Nachweises eines ursächlichen Zusammenhanges abgelehnt worden ist (Art 2 Abs 3 des 2. Änderungsgesetzes zum BSeuchG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Impfung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 52 Abs 2 Satz 1 BSeuchG). Ist jedoch die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Impfung und Gesundheitsstörung nur deshalb nicht gegeben, weil über die Ursachen des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann ebenfalls Versorgung wegen des Impfschadens gewährt werden (§ 52 Abs 2 Satz 2 BSeuchG, zuletzt mit Wirkung vom 1. Januar 1981 an geändert durch Art II § 21 des 10. Buchs des Sozialgesetzbuches vom 18. August 1980 - BGBl I 1469 -). Letzteres betrifft den Fall der Klägerin nicht.

Die Klägerin meint, die Poliomyelitis sei nicht allein durch den Polio-Wild-Virus verursacht. Vielmehr komme für die Entstehung dieses Leidens die Impfung mit dem inaktivierten Salk-Impfstoff als wesentliche Mitbedingung, dh als mindestens gleichwertige Ursache neben anderen Umständen in Betracht. Jedoch sei in den weitaus überwiegenden Fällen der auslösende Faktor der Kinderlähmung unbekannt. Daher bleibe die Bedeutung der Schutzimpfung als Schädigungstatbestand ungewiß. Dies rechtfertige eine Kann-Versorgung. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.

Die nach dem Impfschadensrecht vorgesehene Kann-Leistung entspricht, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, der für das Kriegsopferrecht in § 1 Abs 3 Satz 2 BVG enthaltenen Regelung. Die Übereinstimmung mit der genannten Vorschrift des BVG ist beabsichtigt, um den Rechtsmaßstab durch bewährte, sachgemäße Kriterien einheitlich festzulegen und so die Gleichbehandlung aller Impfgeschädigten und Versorgungsberechtigten zu sichern. Übereinstimmend mit dieser gesetzgeberischen Absicht sind auch die Leistungen im Falle eines Impfschadens entsprechend den Vorschriften des BVG normiert worden. Für das Impfschadensrecht sind sonach Rechtsgrundsätze des BVG maßgebend, soweit nicht Besonderheiten ausdrücklich angeordnet worden sind (BT-Drucks VI/1528, Begründung II S 6; III zu Art 1 Nr 1 § 52 S 9). Überdies ist nunmehr das Impfschadensrecht dem Recht der sozialen Entschädigung eingegliedert. Dieses soziale Entschädigungsrecht richtet sich nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen (Art II § 1 Nr 11 Buchst b Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil -SGB 1-). Infolgedessen ist die gleichlautende Rechtsnorm über die Kann-Leistung hier nicht anders als im Recht der Kriegsopferversorgung auszulegen. Eine solche Anlehnung an das BVG, das "als das Grundgesetz der Versorgung in allen Fällen, in denen ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch gegen den Staat wegen der Folgen gesundheitlicher Schädigung gegeben ist, angesehen wird" (BT-Drucks VI/1568, Begründung II S 6) erweist sich als zweckmäßig, weil im Impfschadensrecht die Aufklärungsschwierigkeiten nicht typischerweise größer als in den verschiedenen Fallbereichen der Kriegsopferversorgung sind.

Demzufolge vermag der Senat der Meinung von W Bogs (vgl SGb 1981 Heft 6 S 197 f) nicht zu teilen, im Impfschadensrecht sei bei unaufgeklärtem ursächlichem Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden eine Beweislastumkehr geboten. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 28. Oktober 1980 (9 RVi 1/80) ausgeführt hat, sind die vom Reichsgericht und Bundesgerichtshof für den Arzthaftpflichtprozeß entwickelten Grundsätze über die Umkehr der Beweislast bei streitigem ursächlichem Zusammenhang zwischen grobschuldhaftem Behandlungsfehler und eingetretenem Gesundheitsschaden (ua RGZ 171, 171; BGHZ 71, 131; Baumgärtel in Festschrift für Karl Schäfer, S 15 f) im Impfschadenrecht nicht entsprechend anwendbar. Die Frage der Beweislastverteilung im Zivilrecht, die sich an dem verfassungsrechtlichen Erfordernis eines gehörigen und fairen Gerichtsverfahrens, insbesondere an dem Gebot der Waffengleichheit im Prozeß und der Notwendigkeit der Rechtsanwendungsgleichheit zu orientieren hat (BVerfG in NJW 1979 S 1925, 1926), stellt sich immer dann, wenn von der typischen Art der Fallkonstellation her eine Seite in der Regel nicht in der Lage sein kann, den erforderlichen Beweis zu erbringen. Dies hat die Zivilrechtsprechung im Bereich des haftungsbegründenden Ursachenzusammenhangs durch Beweiserleichterung bis hin zur Beweisumkehr auszugleichen versucht, um damit eine gerechte Interessenabwägung zu ermöglichen (BVerfG aaO; vgl ua auch BGHZ 18, 186, 286; 72, 132). Jedoch kann sich dieses Problem der Beweislastverteilung im Impfschadensrecht - wie überdies im gesamten sozialen Entschädigungsrecht (§ 5 SGB 1) jedenfalls bei der Kausalität nicht stellen. Im Gegensatz zum Zivilrecht läßt das Impfschadensrecht (§ 52 Abs 2 Satz 1 BSeuchG) die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügen. Damit ist eindeutig normiert, nach welchem Rechtsmaßstab die Anerkennung eines Impfschadens zu erfolgen hat. Lediglich dann, wenn sich dieser anspruchsbegründende Umstand auch unter der erleichterten Bedingung der Wahrscheinlichkeit nicht ermitteln läßt, geht es zu Lasten desjenigen, der daraus eine ihm günstige Rechtsfolge geltend macht (vgl ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-, BSGE 19, 53; 24, 27; 30, 123; 37, 117, SGb 1976, 490).

Die geschichtliche Entwicklung bestätigt die hier vertretene Rechtsauffassung. Das Erste Änderungsgesetz vom 23. Juni 1963 (BGBl I 57) hatte im § 51 Abs 4 BSeuchG bei einer Polio-Impfung mit lebenden Erregern eine Beweislastumkehr vorgesehen. Danach galt der Gesundheitsschaden eines nicht poliogeimpften Dritten als durch die Erreger des Geimpften ausgelöst, wenn diese Krankheit möglicherweise durch diese Erreger verursacht sein konnte. Ein Entschädigungsanspruch entfiel nur dann, wenn der Schaden nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht durch ausgeschiedene Erreger hervorgerufen sein konnte. Diese ausschließlich auf eine gefährliche Art der Impfung abgestellte Beweisanordnung wurde seit der Neuregelung des BSeuchG im Jahre 1971 als nicht mehr gerechtfertigt angesehen und deshalb beseitigt, "weil sich dieser Gesundheitsschaden medizinisch nicht von einem Schaden unterscheidet, den der Geimpfte selbst infolge der Impfung erleidet" (BT-Drucks VI, 1568, Begründung III zu Art 1 Nr 1, § 52 Abs 2 S 8 f). Der Gesetzgeber ging dabei von der Überlegung aus, daß die in § 52 Abs 2 Satz 1 BSeuchG gegenüber dem bisherigen Recht enthaltene Beweiserleichterung, die deshalb geschaffen wurde, weil ein exakter Kausalitätsnachweis nur schwer zu führen war (BT-Drucks aaO), sich gleichmäßig auf alle Impfschäden erstrecken sollte. Er hielt mithin für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs für ausreichend, aber auch erforderlich. Eine Ausnahme hiervon mit der Folge einer weiteren Beweisabschwächung ist dann vorgesehen, wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht (§ 52 Abs 2 Satz 2 BSeuchG). Dann ist die Leistung jedoch dem Ermessen der Verwaltung überantwortet. Ein Rechtsanspruch ist für diesen Fall nicht zugestanden.

Zutreffend ist das Berufungsgericht - ohne dies allerdings zu erörtern - davon ausgegangen, daß die materiell-rechtlichen Leistungsvoraussetzungen für das Ermessenshandeln der Versorgungsbehörde, nämlich die - allgemeine - Ungewißheit über die Leidensursache, gerichtlich nachprüfbar sind (BSG SozR 3100 § 1 Nr 13 mwN). Diese Ungewißheit ist eine solche der medizinischen Wissenschaft; sie ist von medizinischen Sachverständigen zu bekunden.

Diese Frage ragt nicht etwa in den Ermessensbereich hinein, fällt also nicht in den der Verwaltung vorbehaltenen Entscheidungsrahmen (BSGE 34, 269, 271 = SozR Nr 1 zu § 602 RVO; s auch BSGE 36, 143 f = SozR Nr 9 zu § 89 BVG). Liegen diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen - wie das LSG hier annimmt - nicht vor, ist die Ablehnung des Versorgungsanspruches immer rechtmäßig. Für ein Handlungsermessen der Verwaltung ist kein Raum; eine Leistung kann unter keinen Umständen gewährt werden (BSG SozEntsch IX/III § 1 (b 1) Nr 2 = KOV 1970, 73, 75).

Das Ermessenshandeln der Verwaltung setzt nicht, wie die Klägerin meint, dann ein, wenn der Schädigungstatbestand im dunkeln bleibt. § 52 Abs 2 Satz 2 BSeuchG ersetzt nicht die Feststellung der rechtserheblichen Schädigung. Die Frage der Kausalitätsvoraussetzung stellt sich für die Kann-Versorgung ebenso wie für einen Rechtsanspruch. Zwischen beiden bestehen bezüglich der Kausalität lediglich graduelle Unterschiede. Darüber hinaus müssen alle Umstände gegeben sein, die sonst einen Versorgungsanspruch begründen (BSG SozR 3100 § 1 Nr 19 S 39). Das verdeutlicht Sinn und Zweck der Vorschrift. Satz 2 des § 52 Abs 2 BSeuchG ist ein Unterfall des Satzes 1. Er findet Anwendung, wenn die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung deswegen scheitert, weil über die Leidensursache allgemein Unkenntnis herrscht. Dann läßt das Gesetz wegen dieser allgemeinen Unsicherheit einen geringeren Überzeugungsgrad als die Wahrscheinlichkeit genügen. Das führt zu einer gegenüber der Wahrscheinlichkeit weniger gesicherten Kausalitätserkenntnis (BSG aaO). Da jedoch die Ermessensleistung wie der Rechtsanspruch von der Kausalitätsbeurteilung abhängig ist, kann nicht auf die konkrete Feststellung des Verursachungsfaktors verzichtet werden. Es genügt nicht die Ungewißheit darüber, welche Umstände konkret und im einzelnen für die Krankheit kausal waren. Sonst würde es an der Bestimmung der haftungsausfüllenden Kausalität und somit an der Grundvoraussetzung für den Versorgungsanspruch selbst fehlen.

Die Besonderheit einer Viruserkrankung mag zwar darin liegen, daß der Virus die Infektionskrankheit nicht allein auszulösen vermag. Vielmehr geschieht dies in kausaler Verbindung mit sonstigen Umständen, die von der Konstitution und Disposition des Infizierten, aber auch von weiteren äußeren Einwirkungen (etwa sonstigen Infektionskrankheiten wie Masern, Scharlach, Halsentzündung) abhängig sind. Diese Vorgänge, die über eine sogenannte Resistenzminderung das Angehen der Infektion im Sinne einer wesentlichen Mitursache (BSGE 11, 50, 52 f; 37, 282, 287 = SozR 3200 § 81 Nr 1) bewirken, sind in der medizinischen Wissenschaft hinreichend bekannt. Jedoch lassen sich im Einzelfall die mitwirkenden Umstände, die zum Ausbruch der Krankheit führen, nicht bestimmen. Dies beruht nicht auf der allgemeinen Ungewißheit der Ätiologie einer bestimmten Krankheit. Es besteht insoweit lediglich Unklarheit über den Krankheitsablauf im konkreten Fall sowie über Bestimmung und Gewichtung der mitwirkenden Faktoren. Dieser Sachverhalt ist aber nicht dem Merkmal der allgemeinen Ungewißheit über eine Leidensursache unterzuordnen. Vielmehr ist dann eine in das Ermessen der Verwaltung gestellte Leistung schlechthin ausgeschlossen (BSG KOV 1970, 73, 75 f; 106, 109).

Da im Falle der Klägerin lediglich eine Ermessensleistung im Streit steht, mußte es das LSG bei der Feststellung bewenden lassen, die Ätiologie der Viruskrankheit sei in der medizinischen Wissenschaft erforscht. Insoweit ergaben die Sachverständigengutachten eine ausreichende Entscheidungsgrundlage. Dagegen war, die das Berufungsgericht richtig erkannt hat, nicht darüber zu befinden, welche ursächliche Bedeutung der Schutzimpfung zukommt. Die insoweit anzustellende Wahrscheinlichkeitsprüfung (§ 52 Abs 2 Satz 1 BSeuchG) ist auf den Rechtsanspruch auf Versorgung beschränkt. Eine solche abschließende gerichtliche Überprüfung ist allerdings in einem vorangegangenen Streitverfahren unterblieben, weil man eine Ermessensleistung für möglich hielt. Demgegenüber wäre es richtig gewesen, im einzelnen festzustellen, ob die Schutzimpfung für die Auslösung der Infektionskrankheit mit Wahrscheinlichkeit mitursächlich war, dh bei Abwägung der sonst noch in Betracht kommenden Möglichkeiten dies mehr für als gegen den Zusammenhang spricht (BSGE 32, 203, 206 f, 209 = SozR Nr 15 zu § 1263 RVO aF; BSGE 45, 1, 9 f = SozR 3900 § 40 Nr 9).

Aufgrund dessen entbindet diese Entscheidung des Senats die Verwaltungsbehörde nicht, über den Rechtsanspruch auf Impfentschädigung erneut von Amts wegen zu entscheiden. Die Klägerin hatte der seinerzeitigen vergleichsweisen Erledigung des Rechtsstreites über den Rechtsanspruch auf Versorgung zugestimmt, weil sie wie auch der Beklagte von einer - wie sich nunmehr ergibt - rechtlich unzutreffenden Sach- und Rechtslage ausgegangen waren. Mithin ist die Grundlage des Vergleichs in Frage gestellt. Der Beklagte hatte dahin mitgewirkt, daß die Klägerin sich eines Rechts auf weitere gerichtliche Überprüfung begeben hatte. Sie ist deshalb gehalten, die der Klägerin daraus sich ergebenden nachteiligen Folgen zu beseitigen. Insoweit bietet sich der Weg an, den Rechtsweg erneut zu eröffnen. Damit wird dem im Sozialgesetzbuch enthaltenen Leitgedanken Rechnung getragen, wonach dafür Sorge zu tragen ist, daß dem Einzelnen die Geltendmachung sozialer Rechte nicht erschwert wird (vgl § 2 Abs 2 Satz 2 SGB 1).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654978

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