Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch aus § 104 Abs. 1 S. 1 SGB 10. evidente Ermessensgründe

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage des Inhaltes und der Notwendigkeit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme für Drogenabhängige.

 

Orientierungssatz

1. Sofern eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme bejaht und auch deren Erfolg als eingetreten angenommen werden sollte, bleibt zu prüfen, ob dem nachrangigen Leistungsträger entgegengehalten werden kann, daß evidente Gründe vorliegen, wegen welcher eine Ablehnung der Rehabilitation als Kann-Leistung aus Ermessensgründen in Frage gekommen wäre (vgl BSG 14.5.1985 - 4a RJ 21/84 = SozR 1300 § 104 Nr 6).

2. Medizinische Rehabilitationsmaßnahmen zielen darauf ab, den regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand (kurativ) zu heilen, zu bessern oder (präventiv) seinen Eintritt oder seine Verschlimmerung zu verhüten. Sie umfassen auch eine pädagogische auf die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ausgerichtete Maßnahme unter dem Blickpunkt "Stabilisierung der Persönlichkeit" eines Suchtkranken.

3. Die Erfüllung des Erstattungsanspruchs für eine in das Ermessen des Rentenversicherungsträgers gestellte Rehabilitationsleistung gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger kann er nur ablehnen, wenn einleuchtende Gründe vorliegen, aufgrund derer die Ablehnung der Ermessensleistung durch den Rentenversicherungsträger in Frage gekommen wäre; hierfür trifft den Rentenversicherungsträger die Darlegungs- und Beweislast.

4. Der Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB 10 ist ein eigenständiger Anspruch, der unabhängig von einem Anspruch des Berechtigten gegen den erstattungspflichtigen vorrangigen Leistungsträger entsteht.

5. Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung iS des § 75 Abs 2 (erste Alternative) SGG sind erfüllt, wenn eine im Verfahren zu erwartende Entscheidung über einen strittigen Erstattungsanspruch zugleich unmittelbar in Rechte des ursprünglich Leistungsberechtigten eingreifen.

 

Normenkette

RVO § 1236 Abs 1 S 1, § 1236 Abs 4 Fassung: 1981-12-22, § 1237; SGB 10 § 104 Abs 1 S 1 Fassung: 1982-11-04; SGG § 75 Abs 2 Alt 1

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 12.08.1986; Aktenzeichen L 9 J 2863/84)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 09.11.1984; Aktenzeichen S 6 J 4075/83)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) für die (weitere) Langzeitbehandlung ihres Versicherten Wolfgang H. (Versicherter) vom 24. September 1982 bis 31. Januar 1983 im Therapiezentrum Sch. B. der Drogenhilfe T. e.V. (Zentrum) dem klagenden Landeswohlfahrtsverband die entstandenen Kosten zu erstatten hat.

Der 1957 geborene Versicherte trat am 23. September 1981 eine zweite Langzeittherapie zur Beseitigung seiner Drogenabhängigkeit im Zentrum an. Bis zum 23. September 1982 übernahm die Beklagte die Kosten der Entziehungsbehandlung.

Nachdem sich der Versicherte in erhöhtem Maße einer Belastungserprobung gewachsen gezeigt hatte, wurden am 9. September 1982 mit der Meldung beim zuständigen Arbeitsamt Schritte zur beruflichen Wiedereingliederung eingeleitet. Er verblieb aber im Zentrum, weil nach dortiger Auffassung noch weitere therapeutische Maßnahmen zur Bewältigung der alltäglichen Streßsituationen erforderlich waren. Am 22. Oktober 1982 nahm er eine Beschäftigung außerhalb des Zentrums bei einer Firma in Sch. als Verkäufer in einem Jeansladen auf. Am 31. Januar 1983 verließ der Versicherte eigenmächtig das Zentrum.

Der Kläger übernahm im Oktober 1982 die vollen Unterbringungskosten für die restliche Zeit bis zum 31. Januar 1983 und verlangte im Oktober 1983 deren Erstattung von der Beklagten. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, sie könne keine Kosten für eine im Anschluß an eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme beginnende Nachsorge der sozialen Rehabilitation übernehmen.

Das Sozialgericht Stuttgart (SG) hat nach Einholung einer Auskunft vom ärztlichen Dienst des Therapiezentrums die Beklagte verpflichtet, die vom 9. September 1982 bis zum 31. Januar 1983 entstandenen Aufwendungen für die stationäre Langzeitbehandlung des Versicherten zu erstatten (Urteil vom 9. November 1984). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat in der angefochtenen Entscheidung vom 12. August 1986 ausgeführt: Auch eine weite Auslegung des Begriffs der medizinischen Maßnahme zur Rehabilitation im Sinne des § 1237 der Reichsversicherungsordnung (RVO) könne nicht bewirken, daß diese noch in wesentlichem Umfang über den Eintritt der Arbeitsfähigkeit hinaus (hier: Meldung beim Arbeitsamt am 9. September 1982) durchgeführt worden sei. Für die Gewährung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen fehlten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1236 Abs 1a RVO.

Der Kläger rügt mit seiner - vom Senat zugelassenen - Revision eine Verletzung der §§ 1236, 1237 RVO und trägt vor, es sei nicht einleuchtend, weshalb neben bestehender Arbeitsfähigkeit gleichzeitig keine medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen durchgeführt werden könnten. Die Leistungspflicht der Beklagten hänge nicht davon ab, ob eine Maßnahme in stationärer Form durchgeführt werde, da der Leistungskatalog des § 1237 RVO auch ambulante und teilstationäre Maßnahmen umfasse. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 54, 54) falle die Nachsorge eines Drogenabhängigen in einer Wohngemeinschaft während des ganztägigen Besuchs einer Schule für Drogenabhängige noch unter die medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen. Im vorliegenden Fall seien die medizinischen Betreuungsmaßnahmen und die berufliche Tätigkeit des Versicherten klar voneinander getrennt. Die durchgeführte Maßnahme sei allein auf die Stabilisierung der Persönlichkeit des Versicherten ausgerichtet gewesen und damit als medizinische Maßnahme zu qualifizieren. In dem Zeitraum bis zum 21. Oktober 1982 sei der Versicherte zur Belastungserprobung und als Orientierungshilfe in der Lehrwerkstatt für die Schlosser- und Schreinerausbildung des Zentrums untergebracht gewesen. Hierbei habe es sich eindeutig um eine medizinische Maßnahme gehandelt. Eine notwendige Beiladung des Versicherten sei nicht erforderlich.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 9. November 1984 hinsichtlich der Erstattung der Aufwendungen für den Zeitraum vom 24. September 1982 bis 31. Januar 1983 aufhebt, und die Berufung der Beklagten gegen das letztgenannte Urteil zu verwerfen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, das Rehabilitationsziel sei spätestens mit dem Beginn der beruflichen Tätigkeit des Versicherten (22. Oktober 1982) erreicht gewesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus.

Das LSG hat zulässigerweise in der Sache entschieden. Die Berufung der Beklagten gegen das sozialgerichtliche Urteil war nach § 143 SGG zulässig. Der Berufungsausschluß des § 149 SGG greift hier nicht ein, weil der Beschwerdewert deutlich über 1.000,-- DM liegt. Zwar hat der Kläger seinen Erstattungsanspruch nicht beziffert, und das SG hat die Beklagte auch nur dem Grunde nach zur Kostenerstattung verurteilt. Indessen sind vom Kläger die Aufwendungen mit ca 3.000,-- DM monatlich angegeben worden.

Es liegt auch kein von Amts wegen zu beachtender Mangel im Verfahren des Berufungsgerichts in dem Sinne vor, daß der Versicherte nach § 75 Abs 2 Alternative 1 SGG notwendig hätte beigeladen werden müssen. Denn er ist an dem hier streitigen Rechtsverhältnis nicht derartig beteiligt, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Dies wäre der Fall, wenn sie in seine Rechtssphäre unmittelbar eingriffe (BSG SozR 1500 § 75 Nr 49 mwN). Indessen geht es im vorliegenden Rechtsstreit um die Kostenerstattung für eine Sachleistung, die er - der Versicherte - bereits erhalten hat und deshalb unabhängig vom Ausgang dieses Verfahrens nicht nochmals beanspruchen kann. Ob etwas anderes zu gelten hätte, wenn für den Versicherten ein Anspruch auf Übergangsgeld in Betracht kommen könnte, bedarf keiner Erörterung; denn ein solcher Anspruch besteht nicht. Damit weicht der Senat nicht von der Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 12. Juni 1986 (8 RK 61/64 = SozR 1500 § 75 Nr 60) ab; denn dort handelte es sich um einen Erstattungsstreit zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse, und es ging nicht um die Kostenerstattung für eine Sachleistung, sondern um den Anspruch auf Übernahme der Restkosten für zahntechnische Leistungen.

Bei dem Klageanspruch handelt es sich um einen Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 102 ff des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10). Diese Vorschriften sind anwendbar, obwohl der geltend gemachte Anspruch vor ihrem Inkrafttreten (1. Juli 1983) entstanden ist, weil nach Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften des SGB 10 zu Ende zu führen sind. Dies gilt auch für noch nicht abgeschlossene Rechtsstreite (ständige Rechtsprechung, vgl zB Urteil des erkennenden Senats vom 14. Mai 1985 - 4a RJ 13/84 = SozR 1300 § 105 Nr 1 und zuletzt BSG SozR 1300 § 104 Nr 11 mwN).

Anspruchsgrundlage ist, wie auch das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, § 104 SGB 10. Nach Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist der Leistungsträger, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Leistungsanspruch hat oder hatte, dem nachrangigen Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn dieser dem Berechtigten Sozialleistungen erbracht hat, ohne daß - wie hier - die Voraussetzungen des § 103 Abs 1 aaO (nachträgliches Entfallen eines Anspruchs) vorliegen. Die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung sind nach § 2 Abs 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gegenüber Leistungen aus der Sozialhilfe vorrangig. An dieser sog Systemnachrangigkeit der Sozialhilfe ändert nach § 2 Abs 2 Satz 2 BSHG auch der Umstand nichts, daß ein Entwöhnungs-Heilverfahren des Klägers der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO keine Pflicht-, sondern eine Kannleistung ist, die im pflichtgemäßen Ermessen dieses Trägers steht (vgl BSG SozR 1300 § 104 Nrn 6, 11).

Der auf § 104 SGB 10 gestützte Anspruch ist zwar selbständig und originär, er entsteht unabhängig vom etwaigen Anspruch des Berechtigten (Versicherten) gegen den vorrangig verpflichteten Träger; dennoch sind die Ansprüche des nachrangig verpflichteten Trägers gegen den vorrangig verpflichteten einerseits und des Versicherten gegen den vorrangig verpflichteten Träger auf der anderen Seite eng verknüpft. Mit dem Kostenerstattungsanspruch sollen Sozialleistungen, die einem Berechtigten gewährt worden sind, kostenmäßig auf die leistungspflichtig in Betracht kommenden Träger angemessen verteilt und zugleich Doppelleistungen vermieden werden. Deshalb müssen in der Person des Berechtigten (Versicherten) alle wesentlichen Voraussetzungen für den - ihm gegenüber bereits erfüllten - Anspruch gegen den beklagten Träger hinsichtlich einer gleichartigen und zeitgleichen Leistung gegeben sein (vgl BSG SozR 1300 § 104 Nr 6 S 14).

Ob für den Versicherten während der strittigen Zeit "vorrangig" ein "Anspruch" gegen die Beklagte bestand, bestimmt sich nach §§ 1236, 1237 RVO. Das LSG hat diese Vorschriften in der Fassung vor dem 1. Januar 1982 angewandt. Der Senat hält dagegen die durch das Zweite Gesetz zur Verbesserung der Haushaltsstruktur (2. HStruktG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1523) geänderte Fassung für anwendbar. Das Gesetz selbst, nämlich der durch das 2. HStruktG eingeführte Abs 4 des § 1236 RVO enthält hierfür die Übergangsvorschrift und bestimmt, daß Abs 1 in der bis zum 31. Dezember 1981 geltenden Fassung anzuwenden ist, wenn die Leistungen vor dem 1. Januar 1982 bewilligt oder in Anspruch genommen worden sind. Weder das eine noch das andere trifft hier zu. Die Beklagte hatte zwar mit Bescheid vom 14. Juli 1981 eine sechsmonatige stationäre Behandlung im Zentrum bewilligt und dann mit Bescheid vom 30. Juni 1982 die Kosten der stationären Langzeitbehandlung für weitere sechs Monate bis zum 23. September 1982 übernommen; die streitige Anschlußzeit bis zum 31. Januar 1983 wird aber von keinem Bescheid der Beklagten erfaßt, und ein Bescheid hierüber wäre auch erst nach dem Stichtag ergangen. Die dem Erstattungsanspruch zugrundeliegende Leistung ist auch nicht vor dem 1. Januar 1982 "in Anspruch genommen worden". Der Senat übersieht nicht, daß sich nach der Rechtsprechung des BSG die Voraussetzungen für Rehabilitationsmaßnahmen grundsätzlich nach dem Recht des Zeitpunktes richten, zu dem die Maßnahmen notwendig wurden, bei längerdauernden Maßnahmen spätestens nach dem Recht zum Zeitpunkt ihres Beginns (vgl zB BSG SozR 2200 § 1236 Nr 16 S 37 f mwN; in letzter Zeit: BSGE 58, 263, 267 = SozR 2200 § 1237 Nr 20). Indessen müssen - abgesehen davon, daß sich die vorgenannte Rechtsprechung nicht auf § 1236 Abs 4 RVO nF oder eine ähnliche ausdrückliche Übergangsvorschrift stützen konnte - die besonderen Umstände des vorliegenden Sachverhalts beachtet werden. Die Beklagte hatte die Kosten der stationären Behandlung (in zwei Zeitabschnitten, zuletzt mit Bescheid vom 30. Juni 1982) für insgesamt ein Jahr bis zum 23. September 1982 übernommen, dann aber, nachdem die "vornehmlich medizinisch-psychische Rehabilitationsphase abgeschlossen war", weitere Zahlungen gegenüber dem Zentrum abgelehnt, woraufhin im Oktober 1982 der klagende Landeswohlfahrtsverband für die in der Anschlußzeit durch den stationären Aufenthalt entstandenen Kosten eintrat. Damit war zu Beginn des streitigen Zeitabschnittes nicht nur eine veränderte Konstellation entstanden, sondern es stellte sich auch aus der Sicht des Versicherten die Frage nach einer weiteren Rehabilitation neu. Deshalb ist es jedenfalls im Hinblick auf das Zusammenwirken veränderter Umstände gerechtfertigt, auf die seit dem 1. Januar 1982 bestehende Rechtslage abzustellen.

Nach § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO in der seit 1982 geltenden Fassung kann der Rentenversicherungsträger einem Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist, Leistungen zur Rehabilitation erbringen, wenn die Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden kann oder wenn bei einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen der Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann. Als Leistungen kommen hier, da der Versicherte die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für berufsfördernde Maßnahmen zur Rehabilitation durch den Rentenversicherungsträger (Bezug einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente oder Zurücklegung einer Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten) nicht erfüllt, nur medizinische Leistungen iS des § 1237 RVO in Betracht.

Ob die Tatbestandsmerkmale des § 1236 Abs 1 Satz 1 iVm § 1237 RVO während der streitigen Zeit oder eines Teiles dieser Zeit in der Person des Versicherten vorlagen, läßt sich unter Berücksichtigung der bisher getroffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts weder bejahen noch verneinen.

Bei Anwendung der §§ 1236, 1237 RVO ist das "Ob" vom "Wie" zu unterscheiden. Ob die - hier dem Versicherten bereits erbrachte - Leistung eine solche der medizinischen Rehabilitation war und die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Durchführung vorlagen, unterliegt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht der uneingeschränkten Überprüfung durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (vgl BSGE 50, 156 f = SozR 2200 § 1237 Nr 15). Wie aber - beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen - der Rentenversicherungsträger entscheidet, liegt in seinem pflichtgemäßem Ermessen; auch im Kostenerstattungsverfahren der §§ 102 ff SGB 10 kann er hierfür Gründe vorbringen, und er muß es, um seiner Darlegungslast zu genügen (im einzelnen vgl Urteile des Senats vom 14. Mai 1985 - 4a RJ 13/84 = SozR 1300 § 105 Nr 1 S 6 f und 4a RJ 21/84 = SozR aaO § 104 Nr 6 : Ablehnung der Kann-Leistung, weil "evidente Gründe" vorliegen).

Der Senat vermag nicht zu beurteilen, ob der Versicherte im streitigen Zeitraum oder während eines Teiles dieser Zeit einer medizinischen Rehabilitation unterzogen worden ist. In dem bereits erwähnten Urteil des BSG vom 24. Juni 1980 (BSGE 50, 156 = SozR 2200 § 1237 Nr 15) hat das BSG - dort in Abgrenzung von berufsfördernden Rehabilitationsmaßnahmen - ausgeführt, medizinische Leistungen seien nach ihrer beispielhaften Aufzählung in § 1237 RVO auf die Erhaltung oder Besserung des Gesundheitszustandes des Versicherten gerichtet und erforderten vorwiegend die Durchführung medizinischer Maßnahmen. Weitergehend heißt es im Urteil des 11. Senats des BSG vom 12. August 1982 - 11 RA 62/81 - (= BSGE 54, 54, 59 = SozR 2200 § 1237 Nr 18), es gelte bei Drogenabhängigen, neben der "Entgiftung" vor allem die Persönlichkeit soweit zu festigen, daß der Gefahr des Rückfalls in die Sucht vorgebeugt werde; hierzu könnten auch Mittel gehören, die auf den ersten Blick nicht "vorwiegend medizinische Maßnahmen" zu sein scheinen. Der 11. Senat hat es dort in einem Fall, in dem sich der Versicherte in einer "sozialtherapeutischen Wohngemeinschaft" befunden hatte und in der ersten Stufe durch Gruppengespräche, Sport, Freizeitaktivitäten, Hausdienste und Erledigung sonstiger Aufgaben im Rahmen der Wohngemeinschaft an den normalen Tagesrhythmus gewöhnt worden war, in der zweiten Stufe eine Schule für Drogenabhängige besucht hatte, genügen lassen, daß das wesentliche Ziel stets die Behebung der psychischen Fehlhaltung und die Stabilisierung der Persönlichkeit gewesen sei. Der erkennende Senat braucht - schon deswegen, weil es ihm als Revisionsinstanz nicht zusteht, einzelne Tatsachen zu würdigen - auf die Gegebenheiten jener Fallgestaltung nicht näher einzugehen. Soweit aber jenes Urteil auf die finale Auswirkung der Rehabilitation abhebt und auch eine pädagogische auf die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit ausgerichtete Maßnahme unter dem Blickpunkt "Stabilisierung der Persönlichkeit" als medizinische Leistung zur Rehabilitation ausreichen läßt, schließt er sich ihm im Grundsatz an.

Hiernach ist eine Maßnahme dann eine medizinische, wenn sie darauf abzielt, eine Krankheit iS eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes (kurativ) zu heilen, zu bessern, oder (präventiv) ihren Eintritt oder eine Verschlimmerung zu verhüten.

Das LSG hat die geschilderte Problematik erkannt, jedoch - im verständlichen Bestreben, eine praktikable Abgrenzung zu gewinnen - gemeint, über den Eintritt der Arbeitsfähigkeit hinaus (hier: Meldung beim Arbeitsamt am 9. September 1982) könnten auch bei einer weiten Begriffsauslegung nicht mehr "im wesentlichen Umfang medizinische Maßnahmen vorliegen". Eine solche Abgrenzung, die sich schon im Hinblick auf die in § 1237 RVO genannten Maßnahmen nicht verallgemeinern ließe, erscheint auch in Fällen wie dem vorliegenden zu eng. Gerade bei Suchtkranken kann auch nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit die Stabilisierung der Persönlichkeit noch zu wenig gesichert sein, um eine "erhebliche Gefährdung", hier iS des Rückfalls, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verneinen zu können, selbst wenn man mit der Beklagten in Rechnung stellt, daß sich bei Suchtkranken ein Rückfall ohnehin nie völlig ausschließen läßt. Im übrigen hat das Berufungsgericht die Erforderlichkeit medizinischer Maßnahmen über den 9. September 1982 hinaus in den Gründen seines Urteils nicht schlechthin verneint, sondern nur deren Vorliegen in wesentlichem Umfang. Hierzu werden noch tatsächliche Feststellungen (möglicherweise nach weiteren Ermittlungen) zu treffen sein, die der Senat als Revisionsinstanz nicht vornehmen kann. Das LSG wird deshalb zu prüfen haben, ob die Unterbringung in erster Linie krankheitsbedingt war oder der Eingliederung in das Erwerbsleben (berufliche Rehabilitation) oder in die Gesellschaft (soziale Rehabilitation) diente. Bereits in diesem Zusammenhang und mehr noch bei der Prüfung der weiteren Voraussetzungen wird die Zeitspanne vom 24. September bis zum 21. Oktober 1982 und gesondert die Zeit danach (als sich der Versicherte in einer Vollzeitbeschäftigung außerhalb des Zentrums befand) zu beurteilen sein. Träfe die vom Kläger in der Revisionsschrift gegebene Sachdarstellung zu (die der Senat nicht überprüfen kann, vgl § 163 SGG), daß nämlich der Versicherte im Zeitraum bis zum 21. Oktober 1982 zur Belastungserprobung und als Orientierungshilfe in der Lehrwerkstatt für die Schlosser- und Schreinerausbildung der Drogeneinrichtung untergebracht gewesen sei, dann spräche allerdings vieles für eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme (vgl § 1237 Nr 5 RVO).

Die weitere gesetzliche Voraussetzung für die Durchführung der Rehabilitation, daß durch die Rehabilitationsmaßnahme die Erwerbsfähigkeit wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder der Eintritt von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann, dürfte, da dies in erster Linie Kriterien für die Erfolgsaussicht sind, im vorliegenden Fall von geringerer Bedeutung sein. Dieselben Kriterien sind indessen aber auch in bezug auf die Frage zu prüfen, ob und wann das Rehabilitationsziel bereits erreicht und der Rehabilitationserfolg eingetreten war. Da die Rehabilitationsleistung der Prototyp einer final ausgerichteten Sozialleistung ist, muß jedoch dieser Erfolg - besonders bei Suchtkrankheiten - vom Ziel der Eingliederung (Wiedereingliederung), und nicht allein von der Beseitigung der Behinderung im streng medizinischen Sinn her beurteilt werden (BSGE 50, 51, 53 = SozR 2200 § 1237a Nr 12). In diesem Zusammenhang ist das Hauptargument der Beklagten zu sehen, das Rehabilitationsziel sei spätestens mit dem Beginn der beruflichen Tätigkeit am 22. Oktober 1982 erreicht gewesen. Um feststellen zu können, ob diese Behauptung zutrifft, sind vom LSG zunächst die bereits vorhandenen Auskünfte und Berichte zu prüfen; es könnten aber auch ergänzende Ermittlungen angestellt werden, ob über den genannten Zeitpunkt hinaus in einem nicht zu eng gefaßten Sinn noch eine medizinische Maßnahme erforderlich war.

Sofern aufgrund weiterer Sachaufklärung eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme bejaht und auch deren Erfolg als noch nicht vor dem 31. Januar 1983 eingetreten angenommen werden sollte, bleibt noch zu prüfen, ob die Beklagte dem Kläger als nachrangigen Träger entgegenhalten kann, daß evidente Gründe vorliegen, wegen welcher eine Ablehnung der Rehabilitation als Kann-Leistung aus Ermessensgründen in Frage gekommen wäre (BSG SozR 1300 § 104 Nr 6 S 16 und Leitsatz Nr 2). In diesem Zusammenhang hat die Beklagte während des gesamten Verfahrens und auch in der Revisionserwiderung vorgetragen, die Maßnahmen (die sich nach den insoweit vom Kläger unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des LSG während der Zeit ab dem 22. Oktober 1982 in therapeutischen Gesprächsgruppen zweimal wöchentlich erschöpft haben sollen) hätten auch ambulant stattfinden können, der Aufenthalt im Zentrum sei hierzu nicht erforderlich gewesen. Hierfür gewinnt der Vortrag des Klägers in der Revisionsschrift an Bedeutung, für den Versicherten seien pro Pflegetag 91,20 DM aufgewendet worden. Mit dem Argument, eine ambulante Maßnahme wäre möglich und ausreichend gewesen, wendet die Beklagte ersichtlich nicht ein, daß sie aus Ermessensgründen eine Maßnahme versagt, wohl aber, daß sie diese anders und mit wesentlich geringerem Kostenaufwand erbracht hätte. Ein solches Vorbringen ist im Rahmen des § 1236 RVO relevant, nach dessen Abs 1 Satz 5 der Rentenversicherungsträger ua Art und Umfang der Rehabilitationsleistung nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmt und dabei die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten hat.

In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, ob die ambulante Behandlung als Krankenpflege (§ 182 Abs 1 Nr 1 RVO) im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 27. Januar 1976 -BABl S 237-) hätte durchgeführt werden können, weil die Beklagte in diesem Fall bei Ausübung ihres Ermessens den Versicherten auf diese Leistungen hätte verweisen dürfen.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663668

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