Entscheidungsstichwort (Thema)

Revisionsrichterliche Prüfung. Revisibilität von Landesrecht

 

Leitsatz (amtlich)

Die Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt ein Behinderter mit einer MdE von wenigstens 80 vH bloß, wenn er wegen seiner Leiden nicht nur ständig, sondern auch allgemein an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann. Es genügt nicht, daß er von einzelnen, besonders von Massenveranstaltungen ausgeschlossen ist.

 

Orientierungssatz

Die Hamburgische Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht ist Landesrecht; ihre Geltung beschränkt sich auf das Land Hamburg. Für die anderen Bundesländer sind aber inhaltlich übereinstimmende Vorschriften, insbesondere über die Gebührenbefreiung, geschaffen worden: das ist bewußt und gewollt um der Rechtseinheit willen geschehen. Bei einer solchen Rechtsvereinheitlichung ist eine landesrechtliche Vorschrift als im Sinn des § 162 SGG über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus geltend anzusehen (vgl BSG vom 1960-12-13 2 RU 67/58 = BSGE 13, 189, 191f).

 

Normenkette

SchwbG § 3 Abs. 4 Fassung: 1976-06-14; RdFunkGebBefrV HA § 1 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1980-02-05; RdFunkGebBefrV HA 1980 § 1 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1980-02-05; SGG § 162 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 04.02.1981; Aktenzeichen IV VSBf 3/80)

SG Hamburg (Entscheidung vom 21.01.1980; Aktenzeichen 31 VS 105/79)

 

Tatbestand

Der 1912 geborene Kläger war von Oktober 1975 bis September 1978 aufgrund von Feststellungen der Fürsorgestelle für Schwerbeschädigte von der Rundfunkgebührenpflicht befreit. Das Versorgungsamt stellte neurologische Störungen nach Kinderlähmung und Folgen eines Herzinfarktes bei Fettstoffwechselstörung als Behinderungen im Sinn des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v.H. fest (Bescheid vom 27. August 1975) und bescheinigte eine erhebliche, später auch eine außergewöhnliche Gehbehinderung (Bescheid vom 31. Dezember 1976), verneinte jedoch u.a. die gesundheitlichen Voraussetzungen für Erleichterungen bei den Rundfunk- und bei den Fernsprechgebühren -"RF"- (Bescheid vom 31. Januar 1978). Bei der zusätzlichen Anerkennung eines sklerotischen Herz- und Gefäßleidens mit Zucker- und Fettstoffwechselstörung wiederholte das Versorgungsamt die bezeichneten Entscheidungen über sonstige Behinderungsmerkmale (Bescheid vom 28. Juni 1978, Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1979). Das Sozialgericht (SG) stellte unter Änderung der letzten Verwaltungsakte fest, daß die Voraussetzungen des gesundheitlichen Merkmals "RF" erfüllt seien (Urteil vom 21. Januar 1980). Das Landessozialgericht (LSG) wies die Klage ab (Urteil vom 4. Februar 1981). Die rechtsverbindliche Verneinung der gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht (§ 3 Abs 4 SchwbG) sei nicht - durch einen Zugunstenbescheid - zu berichtigen; denn sie sei nicht unrichtig. Außer der MdE um 80 v.H. müsse der Behinderte für diese Vergünstigung wegen seines Leidens ständig ausserstande sein, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen (§ 3 Abs 1 Nr 3 der Hamburgischen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht -RGVO-). Der Kläger könne sich aber noch in einem wesentlichen Umfang, abgesehen von Großveranstaltungen, am öffentlichen und kulturellen Leben beteiligen.

Der Kläger hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO sowie des § 44 Abs 1 des 10. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB). Das Berufungsgericht habe zu Unrecht die bezeichneten Voraussetzung für die Gebührenbefreiung für den Fall verneint, daß der Schwerbehinderte noch einen Teil der öffentlichen Veranstaltungen besuchen könne. Die Vorschrift verlange nicht einen Ausschluß von allen öffentlichen Versammlungen. Der Kläger könne aber an Großveranstaltungen wegen seiner Leiden nicht teilnehmen.

Der Kläger beantragt,

das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten

zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Staatskanzlei des Landes Rheinland-Pfalz hat als für alle Bundesländer federführende Behörde über die Entwicklung der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht berichtet.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Die mit Bescheid vom 31. Januar 1978 von der Beklagten getroffene Feststellung, daß die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht, gekennzeichnet durch die Bezeichnung "RF", beim Kläger nicht gegeben sind, ist unanfechtbar geworden (§ 3 Abs 1 Satz 2, Abs 4 und Abs 6 Satz 1 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft - Schwerbehindertengesetz -SchwbG- idF vom 28. April 1974 - BGBl I 1005 -/14. Juni 1976 - BGBl I 1481 -; § 24 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung -KOVVfG-, § 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Für diese Entscheidung über andere gesundheitliche Merkmale als die MdE, die für die Inanspruchnahme einer solchen Vergünstigung vorausgesetzt werden, war die Versorgungsbehörde nach § 3 Abs 4 iVm Abs 1 Satz 1 SchwbG zuständig (Urteile des erkennenden Senats vom 6. Oktober 1981 - 9 RVs 3/81 und 9 RFs 4/81 -). Wenn das Versorgungsamt im nunmehr angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 1978 idF des Widerspruchsbescheides von jener Feststellung nicht abgewichen ist, sondern sie wiederholt hat, so war das nicht rechtswidrig. Die Versorgungsverwaltung hatte keinen Zugunstenbescheid nach § 40 Abs 1 KOVVfG (in der damals geltenden Fassung) vom Amts wegen zu erteilen; denn die frühere Entscheidung hat sich nicht nachträglich als unrichtig erwiesen (BSGE 45, 1, 5ff = SozR 3900 § 40 Nr 9). Ob die während des Gerichtsverfahrens am 1. Januar 1981 in Kraft getretene Vorschrift des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I 1469, 1980) über die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes hier anzuwenden ist (Art II § 40 Abs 2 SGB X), kann dahingestellt bleiben. Nach ihr besteht keine andere Rechtslage. Diese Bestimmung macht eine solche Berichtigung von derselben Voraussetzung wie ein Zugunstenbescheid, dh von einer Unrichtigkeit der rechtsverbindlichen Entscheidung, abhängig (BSGE 51, 139, 140 = SozR 3900 § 40 Nr 15).

Die zusätzliche Anerkennung weiterer Behinderungen bedeutete auch keine derartige nachträgliche Veränderung der maßgebend gewesenen Verhältnisse, daß deshalb für den Kläger nunmehr die Voraussetzungen für das Merkmal "RF" nach § 62 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (in der damals geltenden Fassung) oder nach § 46 Abs 1 oder nach § 48 Abs 1 SGB X festgestellt werden müßten.

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß die im Verfahren umstrittene Voraussetzung für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht beim Kläger nicht gegeben ist.

Diese Entscheidung hat das Revisionsgericht zu überprüfen, wiewohl es um die Anwendung einer landesrechtlichen Vorschrift geht. Die Revision kann entsprechend § 162 SGG darauf gestützt werden, daß das Berufungsurteil auf einer Verletzung einer im Bezirk des Berufungsgerichts, dh der Hansestadt Hamburg (§ 28 SGG § 1 des Hamburgischen Ausführungsgesetzes zum SGG vom 16. Oktober 1953 -GVBl 295 -), geltenden Bestimmung beruht, die aber über diesen Bereich hinaus gilt. Die Hamburgische RGVO vom 30. September 1975 (GVBl 171), neuerdings in der Fassung vom 5. Februar 1980 (GVBl 25) ist Landesrecht (Urteile vom 6. Oktober 1981). Ihre Geltung beschränkt sich auf das Bundesland Hamburg. Für die anderen Bundesländer sind aber inhaltlich übereinstimmende Vorschriften, insbesondere über die Gebührenbefreiung, geschaffen worden: das ist bewußt und gewollt um der Rechtseinheit willen geschehen (vgl z.B. Bayerisches RGVO vom 30. September 1975 -GVBl 341 -/21. Juli 1978 - GVBl 505 -/24. März 1981 -GVBl 74-). Der erstgenannten Fassung lag der Staatsvertrag über die Regelung des Rundfunkgebührenwesens vom 31. Oktober 1968/7. bis 16. August 1969 zugrunde, dem für Hamburg durch Gesetz vom 30. Dezember 1969 (GVBl 315) zugestimmt worden ist (Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 30. Dezember 1969 -GVBl 321-). Die zweitgenannte Fassung beruht auf dem Staatsvertrag vom 5. Dezember 1974 (Zustimmungsgesetz vom 17. Februar 1975 -GVBl 23 - mit Anlage; Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 7. November 1975 -GVBl 194). Nach diesen Verträgen sollen die dazu erlassenen Verordnungen der einzelnen Länder übereinstimmen (§ 5 Abs 2 des Vertrages vom 31. Oktober 1968, Art 7 Abs 2 des Vertrages vom 5. Dezember 1975). Bei einer solchen Rechtsvereinheitlichung ist eine landesrechtliche Vorschrift als im Sinn des § 162 SGG über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus geltend anzusehen (BSGE 13, 189, 191f = SozR Nr 156 zu § 162 SGG). Wenn für eine Revisibilität von derartigem Landesrecht in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit dagegen nicht genügt, daß inhaltsgleiche Vorschriften wenigstens in einem anderen Land gelten (z.B. Bundesverwaltungsgericht, Deutsches Verwaltungsblatt 1956, 832; Buchholz 418.000 Ärzte Nr 13; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977, 513), dann ist das in einem abweichenden Revisionsrecht begründet. Nach § 137 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung (idF des § 97 Nr 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vom 25. Mai 1976 - BGBl I 1253 -) kann die Revision zum Bundesverwaltungsgericht nur darauf gestützt werden, daß das Berufungsgericht auf einer Verletzung von Bundesrecht (Nr 1) oder von verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen eines Landes beruht, die mit entsprechendem Bundesrecht übereinstimmen (Nr 2). Bei der Überprüfung der Verwaltungsentscheidungen nach § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO in drei Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit - gegenüber bloß zwei Rechtszügen im allgemeinen Verwaltungsgerichtsverfahren - wirkt sich somit für die Rechtseinheit vorteilhaft aus, daß die Versorgungsbehörden über die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Gebührenbefreiung zu befinden haben (Urteile des erkennenden Senats vom 6. Oktober 1981).

Die frühere Befreiung des Klägers von der Rundfunkgebührenpflicht wirkt nicht über den 30. September 1978 hinaus. Abgesehen davon, daß die gesundheitlichen Merkmale, die eine solche Vergünstigung rechtfertigen, nicht mehr - wie damals - von einer Sozialhilfebehörde, sondern ausschließlich von den Versorgungsbehörden festzustellen sind (§ 3 Abs 4 und 5 SchwbG idF des 8. AnpG-KOV vom 14. Juni 1976 - BGBl I 1481 -), war jene Freistellung zeitlich begrenzt.

Das LSG hat § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO zutreffend ausgelegt und auf den verbindlich festgestellten Sachverhalt richtig angewandt. Nach seinen tatsächlichen Feststellungen, die auf das Ergebnis der Beweiserhebung im ersten Rechtszug gestützt wurden und die für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), kann der Kläger, dessen MdE 80 v.H. beträgt, wegen seiner Behinderungen lediglich nicht an Massenveranstaltungen mit großen Menschenmengen teilnehmen, während er sich trotz seiner Gesundheitsstörungen unter zumutbaren Anstrengungen an den übrigen öffentlichen Veranstaltungen beteiligen kann. Damit ist, wie das Berufungsgericht zu Recht entschieden hat, die für ihn in Betracht kommende Befreiungsvoraussetzung nicht gegeben, nämlich daß er wegen seiner Leiden "an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann" (§ 1 Abs 1 Nr 3 Buchstabe b RGVO 1975, § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO 1980).

Dem Wortlaut dieser Regelungen allein ist nicht in aller Klarheit zu entnehmen, ob die Möglichkeit der Beteiligung schlechthin an allen öffentlichen Versammlungen ausgeschlossen sein muß oder ob es genügt, daß dem Schwerbehinderten der Zugang zu einer einzigen Art oder von einigen oder mehreren oder den meisten Arten von Veranstaltungen verschlossen ist. Die Präposition (= Verhältniswort) "an" ist dem Hauptbegriff ("öffentliche Veranstaltung") ohne eine derart klarstellende Mengenbezeichnung vorangestellt, die ein Indefinitpronomen (= Fürwort) oder ein bestimmter oder ein unbestimmter Artikel sein könnte. Dasselbe Leiden kann aber nach allgemeiner Erfahrung einen Behinderten von mancher Art öffentlicher Zusammenkünfte ausschließen, von anderen dagegen nicht. Das ist zudem für die Fülle aller in Betracht kommenden körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen (§ 1 SchwbG) verschiedenartig. Diese Regelungen beziehen sich indes lediglich auf Beteiligte als Zuschauer oder Zuhörer, die allenfalls wie jedermann an einem gemeinschaftlichen Tun, zB bei gemeinsamen Gesang, mitwirken. Außer Betracht bleiben Vorführende, die zusätzlich besondere künstlerische, sportliche oder ähnliche Leistungen zu erbringen haben. Die finanziell erleichterte Benutzung des Rundfunks, dh eines Hörfunks- oder eines Fernsehgeräts, soll nämlich die persönliche und unmittelbare Beteiligung am Gemeinschaftsleben ersetzen, die wegen einer schweren Behinderung ausgeschlossen ist. Der Rundfunk kann durch Darbietungen in Wort, Ton und Bild solche Veranstaltungen übertragen oder über sie berichten (Art 1 des Rundfunkgebührenstaatsvertrags; § 3 Abs 1 Satz 1 des Staatsvertrages über den Norddeutschen Rundfunk vom 16. Februar 1953 in: Herrmann, Rundfunkgesetze, 2. Aufl 1977, S 45; Richtlinien für das Zweite Deutsche Fernsehen vom 11. Juli 1963, aaO, S 268). Versammlungen, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind, gibt es unter den verschiedenartigsten Bedingungen, die mit Rücksicht auf gesundheitliche Störungen der Beteiligten und der Interessenten hinderlich wirken können; in Betracht kommen vielerlei politische, künstlerische, wissenschaftliche, religiöse, sportliche unterhaltende und wirtschaftliche Veranstaltungen. Von der Vielgestaltigkeit der Beziehungen zwischen dem öffentlichen Gemeinschaftsleben und den Behinderungen mußten die Verfasser der RGVO ausgehen. Wenn sie ohne einen einschränkenden Zusatz den Ausschluß von öffentlichen Veranstaltungen zur Voraussetzung erhoben haben, so liegt die Annahme am nächsten, daß sie damit allgemein die Unfähigkeit zur Beteiligung an öffentlichen Zusammenkünften meinen (aA Bayer. Verwaltungsgerichtshof, BVGHE 27, 1). Bei der Sachlage dieses Falles braucht nicht darüber entschieden zu werden, ob diese Voraussetzung auch dann noch erfüllt ist, wenn ein Schwerbehinderter allein an einer einzigen Art von Veranstaltungen nicht teilnehmen kann.

Für die Auslegung, daß der Behinderte allgemein von öffentlichen Zusammenkünften ausgeschlossen sein muß, spricht auch die Kennzeichnung des Tatbestandes durch das Adverb "ständig". Im Satzgefüge ist es auf "nicht teilnehmen können", dh auf die speziellen Funktionseinbuße bezogen, die die Behinderung unmittelbar bedingt. Sie beschreibt diese als einen Dauerzustand im Unterschied zu einer gelegentlichen oder vorübergehenden Einengung der Betätigungsmöglichkeiten (RGVO 1975 und 1980; so auch für Baden-Württemberg -BV-: Verordnung -VO- vom 30. September 1975 -GesBl 682 - und VO vom 12. Februar 1980 - GesBl 125 -; für Bayern -BY-: VO vom 8. April 1970 -GVBl 115 -, VO vom 18. Januar 1973 - GVBl 31 -, VO 1975 und 1981; für Berlin -BE-: VO vom 23. September 1975 - GVBl 2370 -, VO vom 19. Februar 1980 - GVBl 429 -; für Bremen -BR-: VO vpm 23. September 1975 - GBl 335 -, VO vom 5. Mai 1980 - GBl 113 -; für Hessen -HE-: VO vom 25. September 1975 - GVBl 219 -, VO vom 18. Dezember 1979 - GVBl 263 -; für Niedersachsen -ND-: VO vom 26. September 1975 -GVBl 323 -, VO vom 27. Januar 1980 - GVBl 33 -; für Nordrhein-Westfalen -NW-: VO vom 23. September 1975 - GV.NW 551-, VO vom 24. Januar 1980 - GV.NW 88, 134 -; für Rheinland-Pfalz -RP-: VO vom 29. September 1975 - GVBl 378 -, VO vom 31. Januar 1980 -GVBl 30-; für Saarland -SL-: VO vom 26. September 1975 -Amtsblatt 1057 -, 26. März 1977 - Amtsblatt 378 -, VO vom 21. Dezember1979 - Amtsblatt 1980, 118 -; für Schleswig-Holstein -SH-: VO vom 24. September 1975 - GVOBl 260 -, VO vom 13. Februar 1980 -GVOBl 71 -). Wenn diese Unfähigkeit anhaltend bestehen muß, drängt es sich auf, diese zeitliche Bestimmung der Funktionsstörung auch auf das Objekt, die öffentlichen Veranstaltungen, rundweg und damit auf alle Arten zu beziehen; mithin genügt jedenfalls nicht, daß sich die Teilnahme an einzelnen, nur gelegentlich stattfindenden Veranstaltungen - bestimmter Art - verbietet. Allerdings fehlte dieser Zusatz in der Hamburgischen RGVO vom 12. Dezember 1972 (GVBl 245; ebenso damals in den meisten anderen einschlägigen Vorschriften der Bundesländer: für BW: VO vom 28. November 1972 - GesBl 627 -; für BE: VO vom 25. Januar 1973 - GVBl 340 -; für BR: VO vom 19. Dezember 1972 -GBl 262 -; für HE: VO vom 19. Dezember 1972 - GVBl 437 -; für NW: VO vom 28. November 1972 - GV, NW 398 -; für RP: VO vom 24. November 1972 - GVBl 368 -; für SL: VO vom 12. Dezember 1972 -Amtsblatt 719 -/5. Dezember 1973 - Amtsblatt 1974, 33-; für SH: VO vom 21. Dezember 1972 - GOVBl 260 -). Gleiches gilt für den in der vorausgegangenen Fassung (RGVO vom 13. Januar 1970 -GVBl 7-) weniger präzise formulierten, aber inhaltsgleichen Tatbestand, daß der Behinderte wegen seines Leidens "am öffentlichen Leben und kulturellen Geschehen nicht teilnehmen kann" (so auch für BE: VO vom 20. März 1970 - GVBl 518 -; für ND: VO vom 13. Januar 1970 -GVBl 11 -; für NW: VO vom 23. Dezember 1969 -GV.NW 986-; für SH: VO vom 14. Januar 1970 - GVOBl 15 -). Doch klingt auch dies ebenso wie ein allgemeiner Ausschluß. Dagegen spricht nicht die weitere geschichtliche Entwicklung. Der spätere Zusatz "ständig" läßt sich zwanglos als eine Verdeutlichung verstehen, dh nicht als Ausdruck einer Rechtsänderung.

Falls für die Gebührenbefreiung genügen sollte, daß der Schwerbehinderte bloß an einem Teil von öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen könnte, hätte sich aufgedrängt, dies ebenso wie für die Hilflosigkeit ausdrücklich zu erklären. Als Hilfe zur Pflege, die nach § 1 Abs 1 Nr 4 RGVO zur selben Vergünstigung führt, wird ua Pflegegeld gewährt, wenn der Behinderte "in erheblichem Umfange" pflege- und wartungsbedürftig ist (§ 69 Abs 3 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz -BSHG- vom 13. Februar 1976 -BGBl 289 -). Ein solcher oder ähnlicher Zustand hätte veranschaulicht, daß der Behinderte nicht völlig vom öffentlichen Gemeinschaftsleben ausgeschlossen zu sein braucht (vgl zu der entsprechenden Vorschrift des § 35 Abs 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz -BVG-: BSG SozR Nr 7 zu § 35 BVG).

Diese Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO wird durch die Entwicklung des gesamten Tatbestandes bestätigt. In den Verordnungen von 1970, 1972 und 1975 war neben dem Ausschluß von den öffentlichen Veranstaltungen in erster Linie alternativ als Befreiungsvoraussetzung festgelegt, daß der Behinderte "ständig an die Wohnung gebunden" sein mußte (so auch für BW: VO 1972 und 1975; für BY: VO 1970, 1973 und 1975; für BE: VO 1970, 1973, 1975; für BR: VO 1972 und 1975; für HE: VO 1972 und 1975 -, VO vom 16. Dezember 1969 -GVBl 359 - ohne den Veranstaltungstatbestand; für ND: VO 1970 und 1975; für NW: VO 1969, 1972 und 1975; für RP: VO 1972 und 1975; für SL: VO 1972 und 1975; für SH: VO 1970, 1972 und 1975). Wenn ihr die Unmöglichkeit, sich an öffentlichen Versammlungen zu beteiligen, gleichgeachtet wurde, dann mußte diese als allgemeiner Ausschluß verstanden werden. Der Behinderte mit einer MdE um mindestens 80 v.H., der seine Wohnung überhaupt nicht verlassen kann, ist damit zugleich gehindert, irgendeine Art von öffentlicher Zusammenkunft zu suchen. Eine solche umfassende Abkapselung von der Öffentlichkeit mußte dann ebenfalls in dem alternativen Fall gegeben sein, um den es hier geht. Die vollständige Bindung an die Wohnung hat sich bei dieser Gleichsetzung als überflüssiger Tatbestand erwiesen. Dadurch ist die neue Fassung zu erklären, die diese Anspruchsvoraussetzung nicht mehr als selbständige gesondert enthält.

Der in den früheren Verordnungen von 1970 und 1972 außerdem aufgeführte Befreiungstatbestand des § 39 Abs 1 Satz 2 BSGH (RGVO 1970 später in vollem Wortlaut wiedergegeben (RGVO 1972), ist nur scheinbar mit dieser Auslegung unvereinbar. Danach genügte eine Körperbehinderung iSd Vorschrift als eine der Voraussetzungen für die Eingliederungshilfe im Rahmen der Sozialhilfe, dh die begünstigten Person mußte "in ihrer Bewegungsfähigkeit durch eine Beeinträchtigung ihres Stütz- oder Bewegungssystems nicht nur vorübergehend wesentlich behindert" sein oder an "wesentlichen Spaltbildungen des Gesichts oder des Rumpfes" leiden (ebenso zT ohne die anderen Tatbestände -: für BW: VO 1970 und 1972; für BY: VO 1973; für BE: VO 1970 und 1973; für BR: VO vom 3. Februar 1970 - GBl 21 -, VO 1972; für HE: VO 1969 und 1972; für ND: VO 1970; für NW: VO 1969 und 1972; für RP: VO vom 23. Dezember 1969 - GVBl 1970, 29 -, VO 1972; für SL: VO vom 24. Dezember 1969 - Amtsblatt 858 -, VO 1972; für SH: VO 1970 und 1972). Dies war eine Sondervorschrift mit geringeren Anforderungen im Verhältnis zu den beiden anderen Regelungen. Solche Behinderungen im Sinne des BSHG werden im Unterschied zu diesen nicht stets das Verlassen der Wohnung verhindern und den Zugang zu allen Arten von öffentlichen Veranstaltungen verwehren, wie das Beispiel des Klägers zeigt, der sogar noch stärker in der Gesundheit beeinträchtigt ist. An jene geringere Leistungseinbuße iSd BSHG haben die Verordnungsgeber allgemein im Laufe der siebziger Jahre die Gebührenbefreiung nicht mehr geknüpft. Damit haben sie die Anforderungen strenger gestaltet. Diese Veränderung kann indes nicht zureichend damit erklärt werden, daß die Körperbehinderten, denen Eingliederungshilfe zu gewähren ist, nicht mehr derart wie früher in § 39 BSHG auch in Zukunft in irgendeiner Vorschrift beschrieben wären, auf die sich die RGVO beziehen könnte. Die entsprechende Definition ist nämlich keineswegs völlig entfallen, sondern in § 1 Satz 2 Nr 1 und 2 Eingliederungshilfe-Verordnung (idF seit der Änderungsverordnung vom 15. Januar 1975 -BGBl I 267 -) übernommen worden. Das verdeutlicht die Rechtsänderung.

Erst am Ende dieser Rechtsentwicklung ist diejenige Voraussetzung für eine Gebührenbefreiung als ausschließlich maßgebend festgelegt worden, über deren Umfang nunmehr gestritten wird. Auch das läßt erkennen, daß die bisherige Auslegung des § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO zutreffend ist. Während sich bestimmte, im BSHG und später in der Eingliederungs-VO beschriebene Behinderungen allein nicht als dem Zweck angemessen erwiesen haben, hat sich inzwischen andererseits geklärt, daß eine völlige Bindung an die Wohnung des Behinderten der Gebührenbefreiung in besonderer Weise gerecht wird, sie braucht jedoch als gesteigerte Form der speziell erforderlichen Leistungseinbuße nicht mehr gesondert genannt zu werden. Allerdings gilt dies nur, wenn der Ausschluß von öffentlichen Veranstaltungen als allgemein und umfassend verstanden wird.

Die angestrebte finanzielle Vergünstigung ist dagegen nach ihrem Zweck nicht schon für alle jene Behinderten mit einer MdE um mindestens 80 vH gerechtfertigt, die noch an einem nennenswerten Teil von öffentlichen Versammlungen teilnehmen können. Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht dient der Eingliederung in die Gesellschaft, dem obersten Ziel des Schwerbehindertenrechts nach dem SchwbG und dem BSHG als Teil der Sozialhilfe; sie soll die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglichen (§ 10 und 29 Abs 1 Nr 3 Buchstabe i, Art II S 1 Nr 15 SGB I vom 11. Dezember 1975 - BGBl 315-, § 39 Abs 1 Satz 1 und Abs 3, § 40 Abs 1 Nr 8 BSHG, § 19 Nrn 2 und 3 Eingliederungs- VO). In diesem Sinn ist der hier umstrittene Konkretisierung von "sozialen Gründen", aus denen von der Rundfunkgebührenpflicht befreit werden kann, auszulegen; dabei geht es nicht um wirtschaftliche Bedrängnisse, die ebenfalls diese Vergünstigung rechtfertigen können (§ 1 Abs 1 Nrn 6, 7 und 8 RGVO). Den Tatbestand des § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO auf den allgemeinen Ausschluß von öffentlichen Veranstaltungen zu beschränken und allein davon die Gebührenbefreiung als Eingliederungsmittel abhängig zu machen, ist deshalb geboten, weil dies für eine eindeutige Abgrenzung notwendig ist und weil alle anderen Voraussetzungen für die Freistellung von der Gebührenpflicht klar bestimmt sind. Die begünstigten Personen müssen in den übrigen gleichwertigen Fällen entweder bestimmte außergewöhnliche Behinderungen haben (Nr 1 und 2: Blinde usw) oder bestimmte Sozialhilfeleistungen beziehen (Nrn 4 bis 6 : Pflegegeld usw) oder über nicht mehr als ein bestimmtes niedriges Einkommen verfügen (Nrn 7 und 8). Diese Grenzziehungen rechtfertigen es, bei mehreren möglichen Auslegungen des "offenen" Tatbestandes des § 1 Abs 1 Nr 3 RGVO die klarere und leichter feststellbare vorzuziehen. Zwar ist nicht sämtlichen verschiedenartigen Behindertengruppen, die im übrigen in den Genuß dieser Vergünstigung kommen, jegliche Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen schlechthin unmöglich. Jedoch kann und muß ein Tatbestand wie der hier umstrittene, der nicht an Indizien für eine bestimmte Voraussetzung anknüpft, genauer nach den zweckbestimmten Anforderungen ausgelegt werden als andere, bei denen kraft ausdrücklicher Vorschrift das Vorliegen bestimmter typisierter Merkmale als Anspruchsvoraussetzung ausreicht. Eine solche Interpretation, die im Ergebnis strenger ist als diejenige derart typisierter Tatbestände, ist allgemein vertretbar. So wird zB den Kriegs-, Wehrdienst-, Impf- und Gewaltverbrechensopfern, die blind oder infolge einer Hirnverletzung erwerbsunfähig sind, ohne Bedacht darauf, ob sie im konkreten Fall nach allgemeinem gesetzlichen Maßstab überhaupt oder gesteigert "hilflos" sind (§ 35 Abs 1 Satz 1 und 2 BVG), die Pflegezulage gewährt (§ 35 Abs 1 Satz 3 und 4 BVG; BSG SozR 3100 § 35 Nrn 6 und 12). Außerdem erhalten Hilfe für ein Kraftfahrzeug, auf dessen Benutzung ein Beschädigter zwecks Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Geschehen angewiesen ist, im Rahmen der Kriegsopferfürsorge einzelne Personengruppen allein wegen der Art der Beschädigung (§ 28 Abs 2 der Verordnung über die Kriegsopferfürsorge vom 16. Januar 1979 - BGBl I 80), während bei anderen Betroffenen jene Voraussetzung im einzelnen voll nachgewiesen sein muß.

Nach alledem erweist sich die Revision des Klägers als unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1655121

BSGE, 175

Breith. 1983, 340

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