Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufgelebte, tatsächlich aber nicht gezahlte RVO-Rente nicht anrechenbar

 

Leitsatz (amtlich)

Sind Leistungen nach dem LAG, die eine Witwe anläßlich des Todes ihres 2. Ehemannes erworben hat, auf eine nach der 1. Ehe wiederaufgelebte Witwenrente aus der gesetzlichen RV angerechnet worden mit der Wirkung, daß ein Zahlbetrag der gesetzlichen Rente nicht verbleibt, so kann diese nicht (fiktiv) bei der Feststellung einkommensabhängiger wiederaufgelebter Versorgungsbezüge angerechnet werden.

 

Leitsatz (redaktionell)

Wiederaufgelebte Bezüge aus der 1. Ehe sind gegenüber Ansprüchen nach der 2. Ehe subsidiär; sie stellen nur hilfsweise zu gewährende Leistungen dar und sollen allein eine nach Auflösung der 2. Ehe bestehende Versorgungslücke schließen (ständige Rechtsprechung des BSG). Dieser allgemeine Grundsatz muß auch für (aus der 2. Ehe herrührende) Leistungen nach dem LAG gelten mit der Folge, daß diese vor der Anwendung besonderer Anrechnungsvorschriften des LAG auf die wiederaufgelebten Witwenbezüge anzurechnen sind (Anschluß an BSG vom 1973-01-17 11 RA 149/72 = SGb 1973, 174).

 

Normenkette

BVG § 33 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 44 Abs. 2 Fassung: 1966-12-28, Abs. 5 S. 1 Fassung: 1966-12-28; BVG§33DV § 1 Abs. 1 Fassung: 1967-11-09, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1967-11-09; RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; LAG

 

Verfahrensgang

SG Itzehoe (Entscheidung vom 13.02.1976; Aktenzeichen S 5 V 47/74)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 13. Februar 1976 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte auf den einkommensabhängigen Teil der nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wiederaufgelebten Witwenversorgung der Klägerin eine dem Grunde nach zwar ebenfalls wiederaufgelebte, tatsächlich jedoch nicht gezahlte Witwenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter anrechnen darf.

Die Klägerin war in erster Ehe mit Bruno S (S.) verheiratet. Dieser wurde während des Zweiten Weltkrieges vermißt und mit Wirkung zum 31. Dezember 1945 für tot erklärt. Die Klägerin bezog ab 1. Oktober 1950 Hinterbliebenenversorgung aufgrund des BVG und ab 1. August 1955 Witwenrente aus der Rentenversicherung der Arbeiter (im folgenden: RVO-Rente). Anläßlich ihrer zweiten Eheschließung mit Albert M (M.) am 3. Mai 1961 wurden die Leistungen nach dem BVG und die RVO-Rente abgefunden. M. verstarb am 21. Oktober 1967. Mit Bescheid vom 13. Dezember 1967 bewilligte die Beigeladene zu 1) der Klägerin ab 1. November 1967 wiederaufgelebte Witwenrente. Ebenfalls wurden der Klägerin ab 1. November 1967 wiederaufgelebte Leistungen nach dem BVG in Form von Grund- und Ausgleichsrente (Bescheid des Versorgungsamts - VA - Heide vom 3. Januar 1968) und von Schadensausgleich (Bescheide vom 26. März 1968 und 16. September 1969) gewährt. Dabei wurde bei der Berechnung der einkommensabhängigen Leistungen (Ausgleichsrente, Schadensausgleich) die wiederaufgelebte RVO-Witwenrente als sonstiges Einkommen berücksichtigt.

Durch Bescheid vom 26. November 1968 bewilligte der Beigeladene zu 2) der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des M. Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG); auf die Unterhaltshilfe wurden die wiederaufgelebten Witwenrenten angerechnet. Die Beigeladene zu 1) rechnete daraufhin die - betragsmäßig höheren - LAG-Leistungen auf die wiederaufgelebte RVO-Witwenrente an und stellte diese rückwirkend ab 1. November 1967 ein. Der Beigeladene zu 2) stellte daraufhin ebenfalls rückwirkend ab 1. November 1967 die Unterhaltshilfe neu fest, wobei er nur noch die Versorgungsbezüge, nicht mehr hingegen die RVO-Rente anrechnete.

Im Gegensatz zur Beigeladenen zu 1) sah das VA Heide die Leistungen des Beigeladenen zu 2) als absolut subsidiär und deren Anrechnung auf die RVO-Rente als unzulässig an. Es berücksichtigte daher bei der Neufeststellung der vom Einkommen abhängigen Versorgungsleistungen aufgrund des Dritten Anpassungsgesetzes-KOV (3. AnpG-KOV) (Bezugszeit ab 1. Januar 1972; Bescheid vom 30. Dezember 1971), aufgrund des 1. und 2. AnpG-KOV (Bezugszeit vom 1. Januar 1970 bis 31. Dezember 1971; Bescheid vom 21. März 1973) und aufgrund des 4. AnpG-KOV (Bezugszeit ab 1. Januar 1973; Bescheid vom 22. März 1973) die (tatsächlich nicht gezahlte) RVO-Rente fiktiv als übriges Einkommen.

Den Widerspruch der Klägerin gegen die in den Bescheiden vom 21. und 22. März 1973 vorgenommene Anrechnung fiktiver RVO-Rentenbezüge wies das Landesversorgungsamt -LVersorgA-Schleswig-Holstein mit der Begründung zurück, die LAG-Leistungen seien nachrangig und die Beigeladene zu 1) sei deshalb nicht befugt, die RVO-Rente unter Anrechnung der höheren LAG-Leistungen einzustellen, so daß eine Anrechnung der vollen RVO-Rente auf die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen geboten sei, auch wenn tatsächlich keine RVO-Rente zur Auszahlung gelange. Ansprüche auf Leistungen stünden Einkünften gleich, so daß eine fiktive Anrechnung zulässig sei (Widerspruchsbescheid vom 7. Mai 1974).

Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin weiterhin gegen die Anrechnung einer fiktiven RVO-Rente auf ihre vom Einkommen abhängigen Versorgungsbezüge gewandt. Im Verlaufe des Klageverfahrens hat das VA Heide unter Beibehaltung der von der Klägerin beanstandeten Berechnungsweise durch die Bescheide vom 7. Januar und 6. November 1975 die Versorgungsbezüge aufgrund des 5. bis 7. AnpG-KOV neu festgestellt.

Das Sozialgericht (SG) Itzehoe hat nach Beiladung der Landesversicherungsanstalt (LVA) Schleswig-Holstein, des Kreises Steinburg (Ausgleichsamt) und der Bundesrepublik Deutschland der Klage mit Urteil vom 13. Februar 1976 stattgegeben und den Beklagten unter Abänderung der Bescheide vom 21. und 22. März 1973 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 7. Mai 1974 verurteilt, der Klägerin ab 1. Januar 1970 Ausgleichsrente und Schadensausgleich zu gewähren, ohne darauf die wiederaufgelebte Witwenrente von der LVA Schleswig-Holstein mit fiktiven Beträgen anzurechnen. Es hat die Berufung und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Nach den maßgebenden Vorschriften, insbesondere der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG (im folgenden: DVO § 33) seien auf den Schadensausgleich und die Ausgleichsrente Rentenversicherungsansprüche nur anrechenbar, soweit sie sich verwirklichen ließen. Der Rentenversicherungsanspruch gegen die LVA lasse sich jedoch nicht verwirklichen. Die LVA sei vielmehr nach § 1291 Abs 2 RVO befugt, die LAG-Leistungen auf die wiederaufgelebte RVO-Rente anzurechnen. Hingegen lasse § 44 Abs 5 BVG eine Anrechnung der fiktiven RVO-Rente auf die Versorgungsbezüge nicht zu. Im Rangverhältnis zwischen LAG-Leistungen und BVG-Renten seien erstere wegen der begrenzten Mittel des Ausgleichsfonds auch gegenüber wiederaufgelebten Witwenrenten stets nachrangig. Die Ausgleichsverwaltung sei deswegen zwar befugt, die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge auf die LAG-Leistungen anzurechnen. Hingegen könnten nicht LAG-Leistungen unmittelbar oder mittelbar auf die Versorgungsbezüge der Klägerin angerechnet werden. Die Anrechnung einer fiktiven RVO-Rente würde aber eine mittelbare Anrechnung von LAG-Leistungen bedeuten, weil diese gleichsam an die Stelle der wiederaufgelebten RVO-Rente getreten seien (§ 1291 Abs 2 RVO). Bei der nunmehr gebotenen wechselseitigen Berücksichtigung der jeweils anderen Leistung bestehe nicht die Gefahr einer sinnlosen "umlaufenden Anrechnung".

Mit der Revision rügt der Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 1 Abs 2 DVO § 33 sowie des § 44 Abs 2 bis 5 BVG in Verbindung mit dieser Vorschrift. Das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Anrechnung der LAG-Leistungen auf die wiederaufgelebte RVO-Rente unabänderlich sei. Die Klägerin hätte vielmehr alles Zumutbare unternehmen müssen, um ihren Rentenanspruch gegenüber der LVA durchzusetzen, weil ihr anderenfalls diese Rente als fiktives Einkommen anzurechnen sei. § 1 Abs 2 DVO § 33 sei demnach nicht die entscheidende gesetzliche Grundlage zur Lösung des hier anstehenden Problems. Eine Lösung könne nur unter Rückbesinnung auf Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelung gefunden werden. Diese solle eine Besitzstandswahrung der Unterhalts-, Renten- und Versorgungsleistungen aus der ersten Ehe garantieren. Der Gesichtspunkt der Besitzstandswahrung sei sowohl in § 1291 Abs 2 RVO als auch in § 44 Abs 5 BVG enthalten. Er gebiete die Berücksichtigung der wiederaufgelebten Witwenrente aus der Arbeiterrentenversicherung als Einkommen bei der Feststellung der Ausgleichsrente und des Schadensausgleichs. Zwar führe dies im vorliegenden Fall zur Berücksichtigung eines fiktiven Einkommens. Sie finde jedoch für den atypischen Fall des Zusammentreffens von zwei wiederaufgelebten Ansprüchen und eines aus der neuen Ehe hergeleiteten Anspruchs ihre Rechtfertigung in Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelung. Hiernach müsse der ohne eine Anrechnung nach § 1291 Abs 2 RVO ermittelte Betrag der RVO-Rente bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichsrente und Schadensausgleich berücksichtigt werden, weil nur in diesem Umfange ein Besitzstand bestehe und zu wahren sei. Anderenfalls würden die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge den ohne Eingehung der zweiten Ehe zustehenden Betrag übersteigen. Zu einer Besserstellung dürften die Wiederauflebensregelungen aber nicht führen. Ob darüber hinaus auch noch derjenige Teil der LAG-Rente, der nicht zur Anrechnung nach § 1291 Abs 2 RVO in Anspruch genommen worden sei, nach § 44 Abs 5 BVG auf die wiederaufgelebten Versorgungsbezüge anzurechnen wäre, könne hier dahingestellt bleiben, weil die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen eine solche Regelung nicht vorgenommen hätten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 13. Februar 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den Inhalt des erstinstanzlichen Urteils.

Die Beigeladene zu 1) hat keinen Antrag gestellt; der Beigeladene zu 2) hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Der Beigeladene zu 3) schließt sich dem Revisionsantrag des Beklagten an und weist ergänzend zu seinen Ausführungen gegenüber dem SG ua darauf hin, daß auch im Verhältnis der wiederaufgelebten Witwenrente nach dem BVG zu den aus der neuen Ehe hergeleiteten Ansprüchen nach dem LAG der Grundsatz gelte, daß Vorteile aus der neuen Ehe auf die wiederaufgelebten Rentenleistungen anzurechnen seien. Die Übereinstimmung von Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelungen des § 44 Abs 2 bis 5 BVG und des § 1291 Abs 2 RVO führe dazu, daß beide wiederaufgelebten Leistungen als "Einheit" den Leistungen gegenüberzustellen seien, die sich aus der neuen Ehe herleiteten. Nur hierdurch lasse sich exakt der Betrag ermitteln, den die Klägerin zur Wahrung des Besitzstandes beanspruchen könne, den sie vor Eingehung der neuen Ehe gehabt habe. Außerdem werde damit das Problem der "umlaufenden Anrechnung" vermieden, während dies bei einer Rechtsanwendung im Sinne des angefochtenen Urteils nicht der Fall sei und der Klägerin eine höhere Witwenrente zu zahlen wäre, als ihr ohne die Wiederheirat zugestanden hätte.

Während des Revisionsverfahrens hat der Beigeladene zu 2) durch Bescheid vom 20. März 1977 die Unterhaltshilfe nach dem LAG rückwirkend ab 1. November 1967 nunmehr auch ohne Anrechnung der wiederaufgelebten einkommensabhängigen BVG-Bezüge neu berechnet und mit weiterem Bescheid vom 20. Juni 1977 angepaßt (erhöht). Daraufhin hat das VA Heide durch die Bescheide vom 29. Juni und 4. August 1977 die Versorgungsbezüge der Klägerin für die Zeit ab 1. Januar 1972 ebenfalls neu berechnet. Dabei sind die einkommensabhängigen Leistungen wie bisher unter Anrechnung der vollen (fiktiven) RVO-Rente festgestellt worden. Darüber hinaus ist der überschießende Teilbetrag der LAG-Leistungen - soweit diese nicht bereits auf die wiederaufgelebte RVO-Rente angerechnet worden sind - nunmehr auch zur Kürzung der BVG-Bezüge herangezogen worden. Die Bescheide enthalten den Hinweis, daß sie gemäß § 171 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als mitangefochten gelten.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist zulässig (§ 161 Abs 1 Satz 1 SGG). Die schriftliche Zustimmungserklärung der Klägerin ist der Revisionsschrift beigefügt worden (§ 161 Abs 1 Sätze 1 und 3 SGG). Zustimmungserklärungen der Beigeladenen sind nicht erforderlich gewesen (vgl Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 16. März 1976 - GmS-OGB 1/75 - = Buchholz BVerwG 451.731 KHG Nr 1).

Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Der Senat hat ausschließlich darüber zu entscheiden, ob der Beklagte berechtigt ist, bei der Berechnung der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge der Klägerin die zwar wiederaufgelebte, tatsächlich aber nicht gezahlte RVO-Rente als Einkommen zu berücksichtigen. Gegenstand der revisionsgerichtlichen Nachprüfung ist hingegen nicht die Frage, ob der Beklagte die LAG-Leistungen insgesamt oder jedenfalls insoweit, als sie nicht bereits auf die RVO-Rente angerechnet worden sind, gemäß § 44 Abs 5 BVG auf die Versorgungsbezüge anrechnen darf. Eine Anrechnung des überschießenden Betrages der LAG-Leistungen ist erstmals in den während des Revisionsverfahrens ergangenen Bescheiden vom 29. Juni und 4. August 1977 vorgenommen worden. Wegen dieser Bescheide ist, da sie auch die von der Klägerin beanstandete Berechnungsweise beibehalten und die Klägerin somit nicht klaglos gestellt haben, bis zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung des Senats zunächst eine Klage beim SG rechtshängig gewesen (§ 171 Abs 2 SGG). Diese Rechtshängigkeit ist jedoch, nachdem die vorliegende Entscheidung dem Klagebegehren zum ersten Verwaltungsakt in vollem Umfange entspricht, rückwirkend wieder beseitigt worden. Sofern sich die Klägerin daher auch gegen die in den Bescheiden vom 29. Juni und 4. August 1977 vorgenommene Anrechnung der überschießenden LAG-Leistungen auf die Versorgungsbezüge wenden will, bleibt ihr nur die Möglichkeit, wahlweise Widerspruch einzulegen oder unmittelbar Klage zu erheben (§ 78 Abs 1 und 2 SGG) (vgl Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, § 172, Anm 10), wobei im Falle der Klageerhebung das SG darüber zu befinden haben wird, ob der Klägerin wegen einer Versäumung der einmonatigen Klagefrist (§ 87 Abs 1 SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (§ 67 Abs 1 SGG) oder ob die einmonatige Klagefrist gar nicht zu laufen begonnen hat, weil der den neuen Bescheiden angefügte Hinweis, sie gelten gemäß § 171 Abs 2 SGG als "mitangefochten", den Erfordernissen des § 66 Abs 1 SGG nicht entspricht. Der Senat kann somit über die Zulässigkeit der Anrechnung der überschießenden LAG-Leistungen auf die Versorgungsbezüge der Klägerin nicht sachlich entscheiden.

Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Beklagte nicht befugt ist, auf die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge der Klägerin eine (fiktive) RVO-Rente anzurechnen.

Nach § 44 Abs 2 BVG (in der hier maßgeblichen, seither unveränderten Fassung der Bekanntmachung vom 20. Januar 1967, BGBl I S. 141) lebt der Anspruch auf Witwenversorgung wieder auf, wenn die neue Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird. Art und Höhe der wiederaufgelebten Witwenversorgung bestimmen sich nach den Vorschriften über die Witwenversorgung (§§ 38 bis 41 BVG). Danach erhalten Witwen eine Grundrente (§ 40 BVG), Schadensausgleich (§ 40 a BVG) und Ausgleichsrente (§ 41 BVG). Die volle Ausgleichsrente ist um das anzurechnende Einkommen zu mindern (§ 41 Abs 3 iVm § 33 Abs 1 Satz 1 BVG). Dieses ist, ausgehend vom Bruttoeinkommen, nach näherer Maßgabe einer vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zu erlassenden Rechtsverordnung zu ermitteln (§ 33 Abs 1 Satz 2, Abs 6 BVG). Ebenso ist zur Feststellung des Schadensausgleichs das von der Witwe erzielte Bruttoeinkommen heranzuziehen (§ 40 a Abs 2 Satz 1 BVG = § 40 a Abs 2 BVG idF des 8. AnpG-KOV vom 14. Juni 1976, BGBl I S. 1481). Die Ermittlung des auf die Ausgleichsrente anzurechnenden Bruttoeinkommens erfolgt im einzelnen nach der aufgrund der Ermächtigung des § 33 Abs 5 BVG erlassenen DVO § 33 (hier maßgebend idF vom 9. November 1967, BGBl I S. 1140, mit den seither erfolgten Änderungen). Dasselbe gilt hinsichtlich des bei der Feststellung des Schadensausgleichs zu berücksichtigenden Bruttoeinkommens (§ 40 a Abs 4 iVm § 30 Abs 7 BVG und § 12 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 28. Februar 1968, BGBl I S. 194; nunmehr § 30 Abs 8 BVG idF des 3. AnpG-KOV vom 16. Dezember 1971, BGBl I S. 1985, und § 12 der Verordnung zur Durchführung des § 30 Abs 3 bis 5 BVG vom 18. Januar 1977, BGBl I S. 162).

Nach § 1 Abs 1 DVO § 33 sind bei der Berechnung der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge grundsätzlich alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert als Einkommen zu berücksichtigen. Den Einkünften stehen ua Ansprüche auf Leistungen in Geld oder Geldeswert gleich; das gilt nicht, soweit sie nicht zu verwirklichen sind oder aus Unkenntnis oder aus einem verständigen Grund nicht geltend gemacht worden sind oder nicht geltend gemacht werden (§ 1 Abs 2 Satz 1 DVO § 33). Eine Anrechnung der RVO-Rente auf die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge der Klägerin nach § 1 Abs 1 DVO § 33 scheidet von vornherein aus. Denn unstreitig wird die RVO-Rente der Klägerin nicht ausgezahlt. Ebenso wenig aber kommt eine Anrechnung nach § 1 Abs 2 Satz 1 DVO § 33 in Betracht.

Die ursprüngliche Auffassung des Beklagten, daß die fiktive Anrechnung der RVO-Rente deswegen zulässig sei, weil Ansprüche auf Leistungen tatsächlich erzielten Einkünften gleichzustellen seien und die Klägerin alles hätte unternehmen müssen, um ihren Anspruch gegen die Beigeladene zu 1) durchzusetzen, ist unzutreffend. Dieser Auffassung steht schon entgegen, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Rentenleistungen gegen die Beigeladene zu 1) hat. Denn diese hat - wie der Beklagte (S. 7 der Revisionsbegründung vom 19. Mai 1976) nunmehr selbst einräumt - zu Recht auf die wiederaufgelebte RVO-Rente die LAG-Leistungen aus der zweiten Ehe angerechnet (§ 1291 Abs 2 RVO), so daß kein Zahlbetrag mehr verblieben ist. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits mehrfach entschieden hat (vgl BSGE 19, 153, 155; 21, 279, 281; 30, 220, 222), sind wiederaufgelebte Bezüge aus der ersten Ehe gegenüber Ansprüchen nach der zweiten Ehe subsidiär. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Anrechnung von Ansprüchen nach der zweiten Ehe auf die wiederaufgelebten Bezüge (vgl § 1291 Abs 2 RVO, § 68 Abs 2 AVG, § 83 Abs 3 RKG, § 44 Abs 5 BVG). Diese stellen nur hilfsweise zu gewährende Leistungen dar und sollen allein eine nach Auflösung der zweiten Ehe bestehende Versorgungslücke schließen (vgl BSGE 21, 279, 281; 42, 110, 111 mwN). Dieser allgemeine Grundsatz muß nach dem Urteil des 11. Senats des BSG vom 17. Januar 1973 - 11 RA 149/72 - (SGb 1973, S. 174, Nr 16) auch für Leistungen nach dem LAG gelten mit der Folge, daß diese vor der Anwendung besonderer Anrechnungsvorschriften des LAG (vgl §§ 267, 279 LAG) auf die wiederaufgelebten Witwenbezüge anzurechnen sind; die Besonderheiten dieses Rechtsbereichs rechtfertigen insoweit keine Ausnahme. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an; sie entspricht dem Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelung. Die LAG-Leistungen sind demnach zu Recht auf die wiederaufgelebte RVO-Rente angerechnet worden. Da die LAG-Leistungen während des hier maßgebenden Zeitraums ab 1. Januar 1970 die wiederaufgelebte RVO-Rente der Klägerin betragsmäßig überstiegen haben, ist letztere in vollem Umfang weggefallen. Der Klägerin hat somit ein Anspruch gegen die Beigeladene zu 1) nicht zugestanden, so daß sich die vom Beklagten aufgeworfene Frage, ob sie diesen Anspruch gegenüber der Beigeladenen zu 1) hätte durchsetzen müssen, nicht mehr stellt.

Besteht somit ein Anspruch auf RVO-Rente nicht, so kommt auch die Anrechnung eines entsprechenden (fiktiven) Betrages auf die einkommensabhängigen Versorgungsleistungen der Klägerin nicht in Betracht. Das Vorbringen des Beklagten und des Beigeladenen zu 3), eine fiktive RVO-Rente müsse deswegen angerechnet werden, weil nur dadurch erreicht werden könne, daß einerseits der Besitzstand, den die Klägerin ohne Eingehung der zweiten Ehe innegehabt hätte, erhalten und andererseits eine Besserstellung gegenüber diesem Besitzstand vermieden werde, vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen.

Allerdings kann nicht übersehen werden, daß die Klägerin ohne die zweite Ehe nur eine geringere Ausgleichsrente und einen geringeren Schadensausgleich erhalten würde, weil die RVO-Rente als Einkommen zu berücksichtigen wäre. Demgegenüber führt die Versorgung aus der zweiten Ehe infolge der gesetzlich normierten Abhängigkeit der Höhe der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge von sonstigen Einkünften der Berechtigten mittelbar - nämlich durch Anrechnung der LAG-Leistungen auf die RVO-Rente - zu einer Erhöhung der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge. Diese Besserstellung in der Gesamtversorgung der Witwe könnte nur dadurch vermieden werden, daß auf die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge fiktiv auch diejenigen Einkünfte angerechnet werden, welche infolge einer Anrechnung der Ansprüche aus der zweiten Ehe weggefallen sind.

Hierfür fehlt jedoch eine Rechtsgrundlage. Allein aus Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelungen läßt sich die Anrechnung fiktiver Leistungen nicht rechtfertigen. Nach gesicherter Rechtsprechung des BSG soll zwar durch das Wiederaufleben der Rentenansprüche aus der ersten Ehe und die Anrechnung der infolge Auflösung der zweiten Ehe erworbenen neuen Ansprüche die frühere Witwe nach Auflösung der zweiten Ehe finanziell nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als vor ihrer Wiederverheiratung (vgl BSG SozR 2200 § 1291 Nr 8 und SozR 3100 § 44 Nr 3, jeweils mit weiteren Nachweisen). Aus diesem Sinn und Zweck der Wiederauflebensregelungen folgt jedoch zunächst nur, daß die Versorgung aus der zweiten Ehe in vollem Umfange auf die wiederaufgelebten Renten anzurechnen ist. Dies führt dazu, daß sich, sofern die Versorgung aus der zweiten Ehe höher ist als die aus der ersten Ehe, kein Zahlbetrag aus wiederaufgelebten Renten ergibt. Ist hingegen die Versorgung aus der zweiten Ehe niedriger, so sind die wiederaufgelebten Renten lediglich in Höhe des überschießenden Differenzbetrages auszuzahlen. Bei einem solchen Verfahren wird der Besitzstand aus der ersten Ehe garantiert und eine Besserstellung durch die zweite Ehe grundsätzlich vermieden.

Eine darüber hinausgehende Anrechnung ist in den genannten Wiederauflebensregelungen auch nicht ausnahmsweise vorgesehen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Fälle des Zusammentreffens von zwei wiederaufgelebten Rentenansprüchen und eines aus der neuen Ehe hergeleiteten Anspruchs atypisch, daher von der gesetzlichen Regelung nicht erfaßt und allein unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks der Wiederauflebensregelung zu lösen seien. Vielmehr hat der Gesetzgeber solche Fallgestaltungen sehr wohl im Auge gehabt. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des § 44 Abs 5 BVG, in dem eine ausdrückliche Regelung auch für die Fälle getroffen worden ist, in denen neben der BVG-Rente noch weitere öffentlich-rechtliche Leistungen wiederaufleben, die vorrangig ("nicht schon zur Kürzung anderer ... geführt haben") zu kürzen sind und damit zwangsläufig zu einer Erhöhung der einkommensabhängigen Witwenversorgung führen müssen. Wenn darüber hinaus in § 14 Abs 3 DVO § 33 lediglich für bestimmte Fälle des Zusammentreffens von wiederaufgelebten Versorgungsbezügen mit Ansprüchen aus der zweiten Ehe eine Regelung getroffen worden ist, die DVO § 33 aber eine weitergehende Regelung über die Berücksichtigung der Einkünfte bei der Feststellung wiederaufgelebter einkommensabhängiger Versorgungsbezüge nicht enthält und diese somit im allgemeinen gemäß § 14 Abs 1 DVO § 33 nach denselben Grundsätzen vorzunehmen ist wie die Berechnung der entsprechenden originären Versorgungsbezüge, so widerspricht auch dies der Annahme, der Gesetzgeber habe übersehen, daß dadurch eine Erhöhung der wiederaufgelebten einkommensabhängigen Leistungen eintreten könnte.

Aus demselben Grund kann auch nicht der Auffassung des Beigeladenen zu 3) gefolgt werden, wonach vor Anrechnung der LAG-Leistungen auf die wiederaufgelebten Renten eine interne Vorausberechnung dieser Renten durchzuführen sei mit dem Ziel, die Rente nach § 44 Abs 2 BVG nur in ihrer ursprünglichen - gekürzten - Höhe wiederaufleben zu lassen. Diese Auffassung läßt außer Betracht, daß die Witwenversorgung dem Grunde nach zunächst allein aufgrund des § 44 Abs 2 BVG als selbständige Versorgungsleistung wiederauflebt und erst danach unter Zugrundelegung der Bestimmungen der DVO § 33 ihrer Höhe nach festzustellen ist.

Das vom Beigeladenen zu 3) vorgeschlagene Berechnungsverfahren (vgl hierzu auch Düsseldorf "Der wiederaufgelebte Anspruch auf Witwenbezüge" in SGb 1976, 485 ff, 488) würde zudem im Ergebnis zu einer doppelten Anrechnung der LAG-Leistungen führen, weil diese nicht nur zu der gesetzlich vorgesehenen Kürzung der RVO-Rente, sondern in Höhe desselben Betrages - gleichsam als Surrogat - ein weiteres Mal bei der Feststellung der Ausgleichsrente und des Schadensausgleichs herangezogen würden. Die Versorgung aus der zweiten Ehe darf jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des BSG nur auf eine von mehreren wiederaufgelebten Renten angerechnet werden (vgl BSGE 24, 293, 295 f; 42, 110, 112). Das muß selbst unter Berücksichtigung dessen gelten, daß angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falls die (mittelbare) Anrechnung der LAG-Leistungen auf die einkommensabhängigen Versorgungsbezüge nicht zu einer Schmälerung des Besitzstandes aus der ersten Ehe führen würde.

Nach alledem ist eine Berücksichtigung der dem Grunde nach wiederaufgelebten, tatsächlich aber nicht gezahlten RVO-Rente unrechtmäßig und der Beklagte verpflichtet, bei der Berechnung der einkommensabhängigen Versorgungsbezüge die fiktive RVO-Rente außer acht zu lassen. Die Revision des Beklagten ist daher zurückzuweisen.

Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs 1, Abs 2 Satz 1 SGG). Zwar hat das SG unter Nichtbeachtung des § 96 Abs 1 SGG und damit verfahrensfehlerhaft über die während des Klageverfahrens ergangenen und ihm gemäß § 96 Abs 2 SGG abschriftlich mitgeteilten Bescheide vom 7. Januar und 6. November 1975 nicht mitentschieden. Eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das SG zwecks Nachholung dieser Entscheidung (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) kommt jedoch - ungeachtet der Frage, ob nicht hierdurch der Beklagte jedenfalls im Ergebnis zusätzlich beschwert und damit gegen das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers (reformatio in peius) verstoßen würde - nicht in Betracht. Denn die Bescheide vom 7. Januar und 6. November 1975 sind zwischenzeitlich für die Beteiligten bindend geworden (§ 77 SGG; § 24 Abs 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - VfG-KOV -). Da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, daß das SG über diese Bescheide, die im Wege einer gesetzlichen Klageänderung Gegenstand des Verfahrens geworden sind (BSGE 11, 146, 147 f; 18, 231, 234), bewußt - etwa in der Absicht, ein Teilurteil zu erlassen, oder in der irrtümlichen Meinung, die Bescheide seien nicht Gegenstand des Verfahrens geworden (wie im Falle BSGE 4, 24) - nicht mitentschieden hat, bleibt nur die Möglichkeit, daß es einen Teil des von der Klägerin erhobenen Anspruchs versehentlich übergangen hat. In einem solchen Fall ist auf Antrag das Urteil nachträglich zu ergänzen (§ 140 Abs 1 SGG). Das gilt auch dann, wenn § 96 Abs 1 SGG nicht beachtet worden ist (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 1977, § 140, Anm 2 unter Hinweis auf LSG Rheinland-Pfalz, SGb 1976, 385). Über die nachträgliche Urteilsergänzung hat allein das Gericht zu entscheiden, welches das Urteil erlassen hat; mangels einer anfechtbaren Entscheidung ist das Rechtsmittelgericht hierzu nicht befugt und allenfalls aufgrund einer Klageänderung zur Entscheidung über den gemäß § 96 Abs 1 SGG mitangefochtenen Bescheid berechtigt (Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl 1977, § 120, Anm 4; vgl auch BSGE 27, 146, 149). In der Revisionsinstanz ist jedoch eine Klageänderung unzulässig (§ 168 SGG). Die Klägerin hätte daher binnen eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Urteils dessen Ergänzung beantragen müssen (§ 140 Abs 1 Satz 2 SGG). Dies ist nicht geschehen. Damit ist die Rechtshängigkeit des übergangenen Teiles des Klageanspruchs erloschen (Eyermann-Fröhler, aaO, Anm 6; Hartmann in Baumbach-Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 34. Aufl 1976, § 321, Anm 3 A) und eine Entscheidung hierüber nicht mehr zulässig, so daß auch eine Zurückverweisung des Rechtsstreits zwecks Nachholung dieser Entscheidung nicht ausgesprochen werden kann. Ob sich der Beklagte unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art 20 Abs 3 des Grundgesetzes) auf die ihm dadurch erwachsene formale Rechtsposition berufen darf, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650817

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