Entscheidungsstichwort (Thema)

Beweisantrag. Gutachter

 

Orientierungssatz

Die Vorschrift des § 109 SGG ist in jedem Falle dann verletzt, wenn die Tatsacheninstanz weder durch besonderen Beschluß noch in den Urteilsgründen über den Antrag nach dieser Vorschrift entschieden hat; dies gilt auch dann, wenn das Gericht einen solchen Antrag zwar abgelehnt, aber die Ablehnung nicht begründet hat (vgl BSG 1958-06-24 10 RV 1131/56 = BSGE 7, 240).

 

Normenkette

SGG § 109

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.10.1966)

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 1966 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Nach ihrer Übersiedlung aus der sowjetisch besetzten Zone in die Bundesrepublik stellten die Kläger im September 1957 Antrag auf Gewährung der Witwen- und Waisenrente nach ihrem am 29. September 1949 gestorbenen Ehemann und Vater, Herbert M (M.). Zur Begründung gaben sie an, M. sei am 15. Januar 1940 zur Wehrmacht einberufen und Anfang April 1940 beim Verladen von Militärgut auf dem Bahnhof K. gestürzt; dabei habe er sich einen Lungenriß zugezogen. Anschließend sei eine Kur in einer Lungenheilstätte durchgeführt und ihm im Herbst 1940 Rente gewährt worden. Im März 1945 sei M. von den Russen verschleppt worden und habe schwere Arbeiten in der Landwirtschaft verrichten müssen. Seit der Rückkehr aus der Internierung im Dezember 1945 habe er bis zum April 1949 in der Landwirtschaft gearbeitet, sich aber immer matt und krank gefühlt. Durch Bescheid vom 17. April 1958 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) den Antrag der Kläger auf Gewährung von Hinterbliebenenrente mit der Begründung ab, daß das Unfallereignis im Wehrdienst "Lungenriß" keine wesentliche Teilursache für das Zustandekommen einer Lungentuberkulose (Lungen-Tbc) gewesen sei, an der M. nach den Aktenunterlagen höchstwahrscheinlich gestorben sei. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des LVersorgA Bremen vom 16. Oktober 1958). Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat die Zeuginnen K, M und S sowie den Zeugen M vernommen bzw. durch das Amtsgericht vernehmen lassen und durch Urteil vom 19. Januar 1962 die Klage abgewiesen, weil es sich bei den Angaben der Klägerin zu 1) und der Zeugen um die Beobachtungen von Laien handle, die für eine überzeugende Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Leiden, das zum Tode des M. geführt habe, und schädigenden Einwirkungen i. S. des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) nicht verwertbar seien.

Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) das Gutachten des Lungenfacharztes Dr. K vom 19. August 1963 eingeholt, der die Auffassung vertreten hat, daß bereits vor der Einberufung des M. zur Wehrmacht eine Tbc bestanden habe, die erst anläßlich des Unfalls (Lungenriß) aufgedeckt worden sei. Da M. nach der Angabe der Zeugin M eine Versorgungsrente erhalten habe, müsse damals die Verschlimmerung eines bereits bestehenden Leidens anerkannt worden sein, das mit Wahrscheinlichkeit eine weitere wesentliche Verschlimmerung durch die Internierung von neun Monaten erfahren habe. Es könne daher angenommen werden, daß aus diesem Grunde der Tod des M. um mindestens ein Jahr früher eingetreten sei. Diesem Gutachten des Dr. K ist der Beklagte mit Stellungnahmen des Dr. O vom 29. November 1963 und 21. April 1964 entgegengetreten.

Durch Urteil vom 15. Juli 1964 hat das LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Es ist davon ausgegangen, daß M. an einer Lungen-Tbc gestorben ist, eine Entstehung oder Verschlimmerung dieses Leidens durch den von M. geleisteten Wehrdienst hat es aber verneint. Daß M. im Herbst 1940 nach der Entlassung aus der Wehrmacht eine Versorgungsrente erhalten habe, sei nicht hinreichend nachgewiesen, vermutlich habe es sich dabei um eine Invalidenrente gehandelt. Schädigende Einflüsse der Verschleppung durch die Russen in der Zeit von März bis Dezember 1945 seien zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich, weil M. nach seiner Rückkehr aus der Internierung noch fast vier Jahre in der Landwirtschaft gearbeitet habe und eine so lange dauernde, körperlich anstrengende Tätigkeit von ihm nicht ausgehalten worden wäre, wenn die ungünstigen Verhältnisse der Internierung tatsächlich einen wesentlichen Einfluß auf die Reaktivierung der Lungen-Tbc ausgeübt hätten. Daß M. nach seiner Rückkehr aus der Internierung durch die polnische Verwaltung tatsächlich zu einer schweren, seine Leistungsfähigkeit übersteigende Tätigkeit gezwungen wurde, sei nicht erwiesen.

Auf die nicht zugelassene Revision der Kläger hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 22. April 1965 die Entscheidung des LSG aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz wegen Verletzung des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zurückverwiesen. Es hat einen Verfahrensmangel i. S. dieser Vorschrift darin gesehen, daß das LSG sich mit der Aussage der Zeugin M vom 14. Oktober 1960 überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, in der diese Zeugin angegeben hat, M. habe eine Versorgungsrente vom VersorgA Kolberg bezogen und sie habe den Bescheid, in dem etwas von einem Lungenleiden gestanden habe, selbst gesehen. Das BSG hat ferner Bedenken gegen die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung des Gutachtens von Dr. K und der versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. O geäußert.

Nach der Zurückverweisung hat das LSG die Zeuginnen K, S und H durch den ersuchten Richter zu der Frage vernehmen lassen, welche Arbeiten im einzelnen M. nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst bzw. der Lungenheilstätte im Straßenbau und nach seiner Heimkehr aus der russischen Internierung in der Landwirtschaft bei polnischen Bauern geleistet hat. Das LSG hat sodann von dem Chefarzt der Ruhrlandklinik Dr. L noch das Gutachten vom 7. Mai 1966 eingeholt. Der Sachverständige ist zu der Beurteilung gelangt, daß sich nicht einwandfrei feststellen lasse, an welcher Erkrankung M. nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst gelitten hat und woran er verstorben ist. Wahrscheinlich sei, daß während des Wehrdienstes aus dem Anlaß des mitgemachten Brustkorbtraumas eine behandlungsbedürftige Lungen-Tbc festgestellt worden sei, die aber weder i. S. der Entstehung noch der wesentlichen Verschlimmerung mit schädigenden Einwirkungen in Zusammenhang gebracht werden könne; wahrscheinlich sei M. auch an einer Lungen-Tbc gestorben. Insbesondere sei der Tod nicht um ein Jahr früher eingetreten, als dies ohne die Einwirkungen des Wehrdienstes oder der Internierung der Fall gewesen wäre.

Mit Schriftsatz vom 8. Juni 1966 haben die Kläger gegen das Gutachten des Dr. L eingewendet, es scheine diesem nicht bekannt zu sein, daß unter den nach 1945 entlassenen Kriegsgefangenen, die sich in den Ostblockstaaten oder in Internierungslagern befunden haben, die Lungen-Tbc stark verbreitet gewesen sei. Es handle sich insoweit um eine bloße Behauptung des Sachverständigen, für die aus ärztlicher Sicht keine Beweise erbracht worden seien. Die allgemeinen Lebensbedingungen, denen M. nach der Internierung unterworfen war, seien gegenüber den Verhältnissen im Internierungslager, durch die eine richtunggebende Verschlimmerung der Lungen-Tbc verursacht worden sei, doch wohl unbedeutend. Unter diesen Umständen sei das Gutachten des Dr. L nicht überzeugend, so daß eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen unbedingt erforderlich erscheine. In der mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 1966 haben die Kläger in erster Linie Abänderung des Urteils des SG und Verurteilung des Beklagten zur Gewährung von Witwen- und Waisenrente ab Antragstellung begehrt und ferner hilfsweise beantragt, "ein weiteres Gutachten gemäß § 109 SGG ohne Einzahlung eines Kostenvorschusses von Obermedizinaldirektor Dr. H in D einzuholen".

Durch Urteil vom 12. Oktober 1966 hat das LSG Nordrhein-Westfalen die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Dortmund vom 19. Januar 1962 erneut zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß M. an einer Lungen-Tbc gestorben ist und daß er nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst eine Versorgungsrente bezogen hat. Das LSG hat aber nicht feststellen können, daß M. an einem anerkannt gewesenen Leiden i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 2 BVG gestorben ist, für das er bis zu seinem Tode Rente bezogen hat, weil die Angaben der Klägerin zu 1) und der gehörten Zeugen über den Bezug einer Rente so wenig konkret seien, daß sie eine Feststellung des anerkannt gewesenen Leidens nicht gestatten. Es ließen sich ferner keine Hinweise dafür finden, daß die zum Tode führende Lungenerkrankung des M. eine Folge seines Wehrdienstes sei oder durch diesen wenigstens in erheblicher Weise verschlimmert worden sei. Auch habe die Verschleppung durch die Russen in der Zeit von März bis Dezember 1945 nach den überzeugenden Gutachten der Dres. O und L keinen wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung der Lungen-Tbc ausgeübt, weil nicht anzunehmen sei, daß M. die von ihm abverlangte schwere Tätigkeit mehrere Jahre hindurch hätte ausführen können, wenn die Lungenerkrankung durch die Internierung einen wesentlichen und richtunggebenden Knick erhalten hätte. Der relativ lange zeitliche Abstand zwischen dem Ende der Internierung und dem Tode des M. mache es wahrscheinlich, daß durch die Internierung selbst keine entscheidende Verschlechterung herbeigeführt worden sei, zumal sich eine wesentliche Verschlimmerung des Leidens erst im Jahre 1948 erkennen lasse. Es sei daher nicht wahrscheinlich, daß der Tod des M. durch schädigende Einwirkungen der Internierung um mindestens ein Jahr früher eingetreten sei. Endlich kämen auch nicht kriegerische Vorgänge i. S. des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG, die infolge einer mit der militärischen Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängenden besonderen Gefahr aufgetreten sind, als Todesursache in Betracht. Die noch lange Jahre nach dem Zusammenbruch Deutschlands in den unter polnischer Verwaltung stehenden Gebieten anhaltenden Mangelerscheinungen an Nahrungsmitteln und Medikamenten sowie eine körperliche Überbelastung könnten nur unmittelbar nach Kriegsende eine Folge kriegsbedingter Maßnahmen der Besatzungsmacht und damit eine besondere Gefahr i. S. des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG gewesen sein. In den Jahren 1946 bis 1948 seien diese Zustände nicht mehr als Folge von "Maßnahmen der Besatzungsmacht" anzusehen, weil für sie die von den Polen eingesetzte Zivilverwaltung verantwortlich gewesen sei. Die Einwirkungen dieser Verhältnisse auf die Ausweitung des Leidens des M. und schließlich auf seinen Tod seien damit versorgungsrechtlich ohne Belang.

Gegen dieses am 4. November 1966 zugestellte Urteil haben die Kläger mit Schriftsatz vom 28. November 1966, der am 29. November 1966 beim BSG eingegangen ist, Revision eingelegt und beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 12. Oktober 1966 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 4. Februar 1967 haben die Kläger die Revision mit Schriftsatz vom 22. Dezember 1966, auf den Bezug genommen wird, begründet. Sie rügen eine Verletzung des § 109 SGG mit dem Vorbringen, daß das LSG über den von ihnen in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 12. Oktober 1966 hilfsweise gestellten Antrag, den Obermedizinaldirektor Dr. H ohne Einzahlung eines Kostenvorschusses nach § 109 SGG zu hören, zu Unrecht nicht entschieden habe. Es habe diesen Antrag, der vollständig übergangen worden sei, nicht geprüft und in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eine Stellungnahme hierzu überhaupt nicht abgegeben. Wenn das LSG in der mündlichen Verhandlung durch Beschluß über den Antrag nach § 109 SGG entschieden hätte, wäre dies als wesentlicher Vorgang nach § 122 Abs. 1 Satz 2 SGG in die Verhandlungsniederschrift aufzunehmen gewesen. Diese Handlungsweise des LSG, auf der das angefochtene Urteil beruhe, stelle einen wesentlichen Mangel im Verfahren dar, der die Revision statthaft mache.

Der Beklagte hat keinen Gegenantrag gestellt.

Die Kläger haben die Revision form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet (§§ 164, 166 SGG). Da die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen ist und die Kläger eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht geltend gemacht haben, findet die Revision nur statt, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG gerügt wird und vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150). Die Kläger rügen in der Revisionsbegründung lediglich eine Verletzung des § 109 SGG, weil das Berufungsgericht auf ihren in der mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 1966 gestellten Antrag auf Anhörung des Obermedizinaldirektors Dr. H in D überhaupt nicht eingegangen sei. Diese Rüge greift durch.

Nach § 109 SGG muß auf Antrag des Versorgungsberechtigten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Nach Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift kann die Anhörung davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. § 109 SGG gibt den dort genannten Prozeßbeteiligten das Recht, zusätzlich zu den Ermittlungen des Gerichts die gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes zu verlangen, der ihr besonderes Vertrauen genießt. Das Gericht muß den benannten Arzt als Gutachter i. S. der §§ 118 Abs. 1 SGG, 402 ff der Zivilprozeßordnung (ZPO) hören. Insoweit bedeutet § 109 SGG eine Einschränkung des Gerichts in der freien Auswahl der ärztlichen Sachverständigen. Er enthält eine zwingende Verfahrensvorschrift, die aus rechtsstaatlichen Gründen ergangen ist; sie dient der Gleichbehandlung der Beteiligten vor Gericht bei der Beschaffung von Beweismitteln. Ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 109 SGG, der das darin niedergelegte Recht beeinträchtigt, stellt somit einen wesentlichen Verfahrensmangel i. S. des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar (BSG 2, 255).

Der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 12. Oktober 1966 gestellte Antrag, hilfsweise ein weiteres Gutachten von Obermedizinaldirektor Dr. H in D einzuholen, ist ein Antrag i. S. dieser Vorschrift. Der Arzt, der gehört werden soll, ist in dem Antrag namentlich bezeichnet und i. V. m. der Angabe des Wohnorts individuell bestimmbar (vgl. BSG in SozR SGG § 109 Nr. 5). Daß die Kläger die Anhörung des benannten Arztes auf § 109 SGG stützen wollten, ergibt sich eindeutig aus der Bezugnahme auf diese Vorschrift in dem Antrag. Hieran ändert sich nichts dadurch, daß die Kläger um Einholung eines Gutachtens von Dr. H "ohne Einzahlung eines Kostenvorschusses" gebeten haben. Aus § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG ergibt sich, daß die Anhörung davon abhängig gemacht werden "kann", daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt. Es liegt somit im freien richterlichen Ermessen des Gerichts, ob es dem Antragsteller die Kosten für das Gutachten auferlegen will oder nicht. Damit steht es aber auch dem Antragsteller frei, zunächst die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG "ohne Einzahlung eines Kostenvorschusses" zu beantragen und die Entscheidung des Gerichts darüber abzuwarten, ob die Anhörung des benannten Sachverständigen von der Zahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht wird; denn der Versorgungsberechtigte hat ein Recht darauf, die Höhe des Kostenvorschusses zu erfahren, bevor er eine Erklärung über die Kostenübernahme abgibt (vgl. hierzu auch BSG 2, 258; SozR SGG § 109 Nr. 21). Wie das BSG bereits in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, konnten die Kläger den Antrag nach § 109 SGG auch hilfsweise für den Fall stellen, daß dem Klageantrag nicht oder nicht in vollem Umfang entsprochen wird (BSG in SozR SGG § 109 Nr. 17). Die Voraussetzungen für einen Antrag auf Anhörung eines bestimmten Arztes, die nach § 109 Abs. 1 SGG gegeben sein müssen, sind somit erfüllt.

Eine weitere Voraussetzung dafür, daß das Gericht einem Antrag nach § 109 SGG stattgeben muß, ist allerdings, daß die Beweisfrage für die Entscheidung rechtserheblich ist; hierbei kommt es auf die sachlich-rechtliche Auffassung des Berufungsgerichts an (vgl. BSG in SozR SGG § 109 Nr. 25 und 26). In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 12. Oktober 1966 ist zwar bei dem Hilfsantrag der Kläger, noch ein Gutachten nach § 109 SGG einzuholen, das Beweisthema nicht ausdrücklich angegeben worden. Insoweit genügt es jedoch, wenn sich aus den erkennbaren Umständen des Einzelfalles ergibt, welche Beweisfragen an den benannten Sachverständigen gestellt werden sollen. Dies trifft hier zu, weil das LSG das Gutachten des Dr. L vom 7. Mai 1966 zu folgenden im Beweisbeschluß vom 2. September 1965 genannten Fragen eingeholt hat:

"a) Läßt sich medizinischerseits auf Grund der vorliegenden Aussagen feststellen, an welcher Erkrankung der Ehemann der Klägerin zu 1) nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst gelitten hat und woran er verstorben ist?

b) Ist es wahrscheinlich, daß dieses Leiden durch den Wehrdienst

1. entstanden ist,

2. durch den Wehrdienst bzw. durch die Internierung wesentlich verschlimmert wurde,

3. daß der Tod dadurch eingetreten bzw. um mindestens ein Jahr verfrüht eingetreten ist?"

In ihrem Schriftsatz vom 8. Juni 1966 haben die Kläger gegen das Gutachten des Dr. L Einwendungen erhoben und zunächst eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen für unbedingt erforderlich gehalten. Den Hilfsantrag auf Anhörung des Obermedizinaldirektors Dr. H nach § 109 SGG haben sie dann in der mündlichen Verhandlung am 12. Oktober 1966 gestellt, nachdem das LSG eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen nicht vorgenommen hatte. Den Umständen nach konnte sich somit die beantragte Beweiserhebung nach § 109 SGG nur auf die dem Sachverständigen Dr. L im Beweisbeschluß vom 2. September 1965 gestellten Beweisfragen beziehen. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, in dem das LSG seine Entscheidung insbesondere auch auf die Ausführungen des Dr. L gestützt hat, handelte es sich somit um für die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtserhebliche Beweisfragen, so daß auch diese Voraussetzung für die Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG erfüllt ist.

Ob das LSG den Antrag der Kläger auf Anhörung des Obermedizinaldirektors Dr. H etwa nach § 109 Abs. 2 SGG hätte ablehnen können, kann im vorliegenden Falle nicht geprüft werden, weil es in dem angefochtenen Urteil hierzu und zu dem Antrag überhaupt keine Ausführungen gemacht hat. Die Vorschrift des § 109 SGG ist in jedem Falle dann verletzt, wenn die Tatsacheninstanz weder durch besonderen Beschluß noch in den Urteilsgründen über den Antrag nach dieser Vorschrift entschieden hat; dies gilt auch dann, wenn das Gericht einen solchen Antrag zwar abgelehnt, aber die Ablehnung nicht begründet hat (vgl. BSG 7, 240; SozR SGG § 109 Nr. 26). Im vorliegenden Fall hat das LSG den Antrag nach § 109 SGG überhaupt übergangen; es hat ihn weder geprüft noch über ihn - sei es in einem besonderen Beschluß, sei es im Urteil - entschieden. Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 12. Oktober 1966 und aus den Urteilsgründen läßt sich eine Stellungnahme zu dem von den Klägern gestellten Antrag nicht erkennen. Ein in der mündlichen Verhandlung verkündeter Beschluß über den Antrag nach § 109 SGG wäre nach § 122 Abs. 1 Satz 2 SGG als wesentlicher Vorgang in die Niederschrift aufzunehmen gewesen. Da dies nicht geschehen ist, gegen die Richtigkeit des Protokollinhalts aber nur der Nachweis der Fälschung möglich ist (vgl. § 122 Abs. 3 SGG i. V. m. § 164 ZPO), liegt auch ein Beschluß des LSG über den Antrag nicht vor. Auch bei der Sachentscheidung hat sich das LSG nach dem Inhalt der Urteilsgründe nicht mit dem Antrag nach § 109 SGG befaßt. Es hat somit § 109 SGG verletzt, so daß die Revision der Kläger statthaft ist.

Die Revision ist auch begründet, weil die Möglichkeit besteht, daß das LSG bei einem ordnungsgemäßen Verfahren und der Anhörung des von den Klägern benannten Arztes Dr. H nach § 109 SGG zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre (BSG 2, 197). Da das von den Klägern nach dieser Vorschrift beantragte Gutachten nur in der Tatsacheninstanz eingeholt werden kann, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2149335

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