Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Berufung. Verfahrensrüge. Verletzung der Denkgesetze

 

Orientierungssatz

1. Nach § 66 SGG kommt es nur darauf an, ob die Rechtsmittelbelehrung richtig erteilt ist. Der Mangel der Belehrung muß hiernach nicht ursächlich für die verspätete Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels sein (vgl BSG 14.10. 1955 2 RU 16/54 = BSGE 1, 254, 255f); es genügt jedenfalls, wenn die abstrakte Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Unrichtigkeit der Belehrung und einem Rechtsbehelfsverlust besteht (vgl BSG 2.4.1971 11 RA 214/70 = SozR Nr 33 zu § 66 SGG).

2. Stets können nur gerügte Verfahrensmängel bei der Prüfung der Statthaftigkeit einer an sich ausgeschlossenen Berufung berücksichtigt werden (vgl BSG 21.3.1978 7/12/7 RAr 41/76 = SozR 1500 § 150 Nr 11). Wenn die Verfahrensrüge nach § 150 Nr 2 SGG auch nicht den besonderen Formen zu entsprechen braucht, die für Verfahrensrügen vor dem Revisionsgericht vorgesehen sind (§ 160a Abs 2, § 164 Abs 2 SGG), muß sich doch, da das Gesetz die Rüge dem Berufungskläger zuweist, aus dessen Vorbringen schlüssig ergeben, welcher Mangel gemeint ist und worin er bestehen soll (vgl BSG vom 21.3.1978 aaO). Nur solche Mängel können zur Zulässigkeit der Berufung führen, die das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Wege zum Urteil betreffen; Rügen, die sich auf den sachlichen Inhalt des Urteils selbst beziehen, begründen die Zulässigkeit der Berufung dagegen nicht. Da das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat (§ 128 Abs 1 S 1 SGG), ein Fehler in der Beweiswürdigung somit keinen Verfahrensfehler darstellt, sofern nicht die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten worden sind, rügt der Berufungskläger noch nicht einen Verfahrensmangel, wenn er geltend macht, daß das SG zu einem unrichtigen Beweisergebnis gekommen ist. Nur wenn dem Berufungsvorbringen entnommen werden kann, daß und warum sich das SG von seiner Rechtsauffassung her hätte gedrängt fühlen müsen, (weitere) Ermittlungen anzustellen bzw, daß und warum das SG die ihm gezogenen Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht beachtet hat, sind die Ermittlung des Sachverhalts betreffende Mängel des Verfahrens (§§ 103, 128 Abs 1 S 1 SGG) gerügt. Die Rüge des Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) erfordert zudem, daß ersichtlich ist, welche Ermittlungen sich dem Gericht aufdrängen mußten.

3. Von einem Verstoß gegen Denkgesetze kann nur gesprochen werden, wenn aus den Gegebenheiten nur eine Folgerung gezogen werden kann, jede andere nicht "denkbar" ist und das Gericht die allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat; sind dagegen verschiedene Schlußfolgerungen denkbar und hält das Gericht eine davon für die richtige oder auch nur wahrscheinlich richtige, so liegt kein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, sondern eine denkgesetzlich zulässige Beweiswürdigung, mag diese auch wenig überzeugen (vgl BSG vom 28.1.1959 11/10 RV 1305/56 = KOV 1959, 115).

 

Normenkette

SGG § 66 Abs 1 Fassung: 1953-09-03, § 66 Abs 2 S 1 Fassung: 1953-09-03, § 147 Fassung: 1974-07-30, § 150 Nr 2 Fassung: 1974-07-30, § 151 Fassung: 1974-07-30, § 128 Abs 1 S 1 Fassung: 1953-09-03, § 103 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 27.01.1984; Aktenzeichen L 1 Ar 58/83)

SG Schleswig (Entscheidung vom 26.04.1983; Aktenzeichen S 2 Ar 28/83)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe von Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1937 geborene Kläger, ein Bauingenieur, ist - abgesehen von einer dreimonatigen Dozententätigkeit im Jahre 1979 - seit Ende 1975 ohne Beschäftigung. Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) und Alhi erhielt er vom 26. Januar bis 30. November 1981 während der Teilnahme an einer Fortbildungsmaßnahme ("Bauwirtschaftliches Fach- und Führungswissen für Architekten, Bauingenieure und Städteplaner") Unterhaltsgeld (Uhg). Dieser Leistung lag - bei einer Leistungsbemessungsgrenze von 1.025,-- DM - ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 1.265,--DM zugrunde. Auf diesen Betrag hatte sich gemäß § 112a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) das wöchentliche Arbeitsentgelt von 725,-- DM erhöht, nach dem die Beklagte zunächst das Alg bemessen hatte; diese 725,-- DM waren aus den 3.141,40 DM entwickelt worden, die der Kläger im Dezember 1975 erzielt hatte.

Ab 1. Dezember 1981 erhielt der Kläger Alg für 156 Tage und im Anschluß daran Alhi; beiden Leistungen lag - bei einer Leistungsbemessungsgrenze von 1.095,-- DM ab 1. Januar 1982 - ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 1.265,-- DM zugrunde (§ 112 Abs 5 Nr 4 b AFG).

Ab 1. Dezember 1982 bemaß die Beklagte die Alhi nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 765,-- DM. Sie begründete dies damit, daß der Kläger das bisherige Arbeitsentgelt, das sich ab 1. Dezember 1982 gemäß § 112a AFG auf 1.340,-- DM erhöhen würde, auf dem für ihn erreichbaren Arbeitsmarkt nicht erzielen könne (Bescheide vom 15. und 22. Dezember 1982, Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1983). Diese Entscheidung beruhte auf der Stellungnahme des Fachvermittlungsdienstes des zuständigen Arbeitsamtes, derzufolge der Kläger wegen der langfristigen Arbeitslosigkeit nur noch in die Gruppe T 4 des Tarifvertrages für Angestellte im Baugewerbe in Schleswig-Holstein vom 1. Oktober 1982 eingestuft werden und dabei einen Monatslohn von 3.316,-- DM erzielen könne. Zuvor war dem Kläger ein Arbeitsangebot der Firma T K, F, zu einem Monatsgehalt von 3.317,-- DM unterbreitet worden, das der Kläger jedoch abgelehnt hatte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen (Urteil vom 26. April 1983). Es hat die Herabsetzung des wöchentlichen Arbeitsentgeltes nach § 136 Abs 2 Satz 2 AFG für gerechtfertigt gehalten. Nach dieser Vorschrift richte sich die Alhi nach dem Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG, wenn der Arbeitslose nicht mehr das nach § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG maßgebliche Arbeitsentgelt erzielen könne. Es sei abzuwägen, ob sich die Vermittlungssituation des Klägers durch seine siebenjährige Arbeitslosigkeit in Richtung auf den Marktwert seiner Arbeitskraft entscheidend verringert habe oder die Leistungsfähigkeit durch das Absolvieren von Fortbildungskursen in vollem Umfange erhalten geblieben sei. Zwar habe sich der Kläger in seinem Fachgebiet erfolgreich fortgebildet. Der Arbeitsmarkt frage auch nach Arbeitnehmern mit umfassender theoretischer Bildung, verlange aber, abgesehen von Berufsanfängern, vor allem nach praktischen Kenntnissen auf dem jeweiligen Arbeitsgebiet. Nachdem der Kläger rund sieben Jahre aus der praktischen Tätigkeit ausgeschieden sei, fehlten ihm nun die erforderlichen Berufserfahrungen. Unter Beachtung der derzeitigen Arbeitsmarktlage und des Angebots an qualifizierten Kräften könne der Kläger nicht mehr damit rechnen, daß er von einer Firma so behandelt werde, als ob er durchgehend bis heute berufsspezifisch gearbeitet habe. Dementsprechend sei dem Kläger von der Firma K im August 1982 auch nur eine Stellung als Bauingenieur mit einem Gehalt von monatlich 3.317,-- DM gemäß der Gruppe T 5 angeboten worden.

Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) als unbegründet zurückgewiesen (Urteil vom 27. Januar 1984). Das LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Berufung sei zwar statthaft, obwohl sie die Höhe der Alhi betreffe (§ 147 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Es liege nämlich ein Verfahrensmangel vor, den der Kläger gerügt habe (§ 150 Nr 2 SGG). Das SG habe die Grenzen seines Beweiswürdigungsrechts aus § 128 Abs 1 SGG überschritten, indem es die Verdienstmöglichkeiten des Klägers ausschließlich auf das Angebot der Firma K gestützt habe; andere Erkenntnisquellen seien dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Das verstoße gegen die Denkgesetze. Die Beweisführung des SG wäre nur dann folgerichtig, wenn das SG ausgeführt hätte, inwiefern das Arbeitsangebot repräsentativ für die Verdienstmöglichkeiten gewesen sei. Die Berufung sei jedoch unbegründet. Gemäß § 139a Abs 2 AFG habe die Beklagte die Voraussetzungen der Alhi für den Bewilligungsabschnitt ab 1. Dezember 1982 erneut zu prüfen gehabt. Dabei habe sie zutreffend festgestellt, daß der Kläger das nach § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG für seinen Leistungsbezug maßgebende Arbeitsentgelt nicht mehr erzielen könne. Da der Kläger Alhi im Anschluß an Alg beziehe, sei das Arbeitsentgelt maßgebend, nach dem sich zuletzt das Alg des Klägers gerichtet habe, dh das gerundete Wochenarbeitsentgelt von 1.265,-- DM. Aufgrund seiner langjährigen Arbeitslosigkeit habe der Kläger seit Dezember 1982 ein solches Arbeitsentgelt (= 5.481,67 DM monatlich) nicht mehr erzielen können, sondern lediglich ein Tarifgehalt der Stufe T 4 in Höhe von 3.316,-- DM im Monat. Das ergebe sich aus der Stellungnahme des Fachvermittlungsdienstes des zuständigen Arbeitsamtes. Diese Stellungnahme überzeuge, weil es sich um die Äußerung einer dafür zuständigen Stelle der Beklagten handele, die über besondere Arbeitsmarktsachkunde verfüge. Gegenteilige Anhaltspunkte seien nicht ersichtlich; sie ergäben sich insbesondere nicht aus den theoretischen Fachkenntnissen des Klägers. Das ab 1. Oktober 1982 im Bereich Flensburg geltende Tarifgehalt sei zugleich gemäß § 112 Abs 7 AFG das Bemessungsentgelt für die Alhi des Klägers. Das LSG hat die Revision gegen sein Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung ausdrücklich zugelassen, die Rechtsmittelbelehrung jedoch dahin erteilt, daß den Beteiligten die Revision nicht zustehe und lediglich die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten werden könne.

Der Kläger rügt mit der innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteil eingelegten und innerhalb eines Jahres, aber nach mehr als zwei Monaten nach Zustellung des Urteils begründeten Revision eine Verletzung von § 136 AFG, §§ 62, 128 SGG.

Die Revision macht geltend, das LSG habe darauf abgestellt, ob der Kläger noch die 1.265,-- DM erzielen könne, die der Unterhaltsgeldbewilligung zugrunde gelegt worden sei. Das sei unrichtig. Das Uhg sei kein Arbeitsentgelt iS des § 136 Abs 2 AFG und könne dem Arbeitsentgelt auch nicht gleichgestellt werden, was des näheren ausgeführt wird. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sei vielmehr maßgebend (SozR 4100 § 136 Nr 2), ob noch die 725,-- DM erzielt werden könnten, die der Kläger 1975 erzielt habe. Die Herabsetzung der Alhi verstoße gegen Treu und Glauben. Erst die Fortbildungsmaßnahme habe es der Beklagten ermöglicht, die Herabsetzung vorzunehmen. Die Beklagte habe den Kläger daher auf diese Möglichkeit vor der Fortbildungsmaßnahme hinweisen müssen. Das sei nicht geschehen. Es treffe ferner nicht zu, daß der Kläger auf der Grundlage der Tarifgruppe 7 nicht vermittelbar sei, was die Revision unter Darstellung des beruflichen Werdeganges des Klägers und der Tätigkeitsmerkmale der Tarifgruppe 7 zu untermauern sucht. Die Revision rügt ferner, daß das LSG sich auf die Stellungnahme des Fachvermittlungsdienstes gestützt habe, ohne diese mit dem Kläger zu erörtern. Schließlich sei das Urteil des LSG widersprüchlich und verstoße gegen die Denkgesetze, wenn es annehme, daß das SG die Grenzen des § 128 SGG überschritten habe, indem es sich nur auf das Angebot der Firma K gestützt habe, seinerseits aber die Stellungnahme des Fachvermittlungsdienstes für überzeugend halte, das ebenfalls allein auf diesem Angebot beruhe.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 1. Dezember 1982 Alhi nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 1.340,-- DM (Dynamisierungsstichtag: 30. November 1983) unter Berücksichtigung nachfolgender Dynamisierungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Es entspreche der Rechtsprechung des Senats (BSG SozR 4100 § 136 Nr 2).

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg.

Die rechtzeitig innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des LSG eingelegte Revision ist zulässig, auch wenn sie nicht, wie das § 164 Abs 2 Satz 1 SGG vorsieht, innerhalb von zwei Monaten nach der am 6. März 1984 erfolgten Zustellung des Berufungsurteils, sondern erst im Juni 1984 und, nachdem dem Kläger der seinen Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe ablehnende Beschluß des Senats vom 30. August 1984 zugestellt worden war, weiter im Oktober 1984 begründet worden ist. Das ist hier unschädlich; denn die Fristen für die Revision haben gemäß § 66 Abs 1 SGG nicht zu laufen begonnen, weil die Rechtsmittelbelehrung, die das LSG in dem angefochtenen Urteil zu erteilen hatte (§§ 153, 136 Abs 1 Nr 7 SGG), unrichtig ist. Das LSG hat die Revision zugelassen. Der erteilten Rechtsmittelbelehrung zufolge stand den Beteiligten dagegen die Revision mangels Zulassung nicht zu; vielmehr konnte lediglich Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt werden. Entsprechend ist der Rechtsmittelbelehrung nicht zu entnehmen, daß die Revision beim Bundessozialgericht (BSG) anzubringen ist und dies mit Rücksicht darauf, daß das Rechtsmittel der Revision aus zwei Teilen besteht (vgl BVerwGE 5, 178), dadurch zu geschehen hat, daß die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich eingelegt und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils begründet wird. Die unrichtige Rechtsmittelbelehrung erscheint nicht nur in der Urschrift, sondern folgerichtig auch in der dem Kläger zugestellten Ausfertigung des Urteils. Es fehlen somit diejenigen Angaben, die nach § 66 Abs 1 SGG zumindest geboten sind, um den rechtsunkundigen Beteiligten in die Lage zu versetzen, die ersten Schritte zur Durchführung der zugelassenen Revision zu unternehmen. Daß der Kläger dennoch innerhalb eines Monats Revision eingelegt und die Versäumung der Begründungsfrist, wäre sie in Lauf gesetzt worden, nicht auf die unrichtige Rechtsmittelbelehrung, sondern nach den Angaben des Prozeßbevollmächtigten des Klägers darauf zurückzuführen ist, daß die Verlängerung der Begründungsfrist unterblieb, weil der rechtzeitig zur Post gegebene Verlängerungsantrag bei dieser verlorengegangen ist, ist unerheblich. Nach § 66 SGG kommt es nur darauf an, ob die Rechtsmittelbelehrung richtig erteilt ist. Der Mangel der Belehrung muß hiernach nicht ursächlich für die verspätete Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels sein (BSGE 1, 254, 255 f); es genügt jedenfalls, wenn die abstrakte Möglichkeit eines Kausalzusammenhangs zwischen der Unrichtigkeit der Belehrung und einem Rechtsbehelfsverlust besteht (BSG SozR Nr 31 und 33 zu § 66 SGG; vgl zu § 58 VwGO: BVerwGE 25, 191, 193 f; 37, 85, 86f; 57, 188, 191), wie das hier der Fall ist. An die Stelle der einmonatigen Revisions- und der zweimonatigen Revisionsbegründungsfrist ist nach § 66 Abs 2 SGG somit die Ausschlußfrist von einem Jahr getreten. Diese Frist ist eingehalten worden, und zwar auch noch durch die im Oktober 1984 erfolgte weitere Revisionsbegründung. Einer Entscheidung über den vorsorglich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es daher nicht.

Die zulässige Revision ist jedoch unbegründet. Das ist schon deshalb der Fall, weil die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG sich als unzulässig erweist. Die Unzulässigkeit der Berufung ist zwar von keiner Seite gerügt worden. Die Zulässigkeit der Berufung ist jedoch eine unverzichtbare Prozeßvoraussetzung, von der das gesamte weitere Verfahren nach Einlegung der Berufung, also auch das Revisionsverfahren, in seiner Rechtswirksamkeit abhängt. Sie ist in jedem der Berufungseinlegung folgenden Stadium des Verfahrens und daher auch im Rahmen einer zulässigen Revision von Amts wegen zu prüfen; einer diesbezüglichen Rüge des Revisionsklägers oder, was hier in Betracht gekommen wäre, einer Gegenrüge des Revisionsbeklagten bedarf es nicht (BSGE 2, 225, 226 f; 2, 245, 246; 3, 124, 126; 4, 70, 72; 21, 292, 294; BSG SozR 1500 § 147 Nr 2 und § 150 Nr 18).

Der Kläger verfolgte mit der Berufung seine Klage auf höhere Alhi für den einjährigen Bewilligungsabschnitt vom 1. Dezember 1982 an weiter. Die Berufung betraf daher die Höhe der Leistung, so daß sie gemäß § 147 SGG grundsätzlich ausgeschlossen war. Sie wäre nur unter den Voraussetzungen des § 150 SGG zulässig gewesen; ein solcher Fall lag jedoch nicht vor. In Betracht kommt insoweit nur § 150 Nr 2 SGG. Wie der Senat schon in seinem den Antrag auf Prozeßkostenhilfe ablehnenden Beschluß vom 30. August 1984 angedeutet hat, sind die Voraussetzungen des § 150 Nr 2 SGG entgegen der Ansicht des LSG nicht gegeben. Das hat der Senat mit Rücksicht darauf, daß von der Zulässigkeit der Berufung die Rechtswirksamkeit des gesamten weiteren Verfahrens, insbesondere die Befugnis zu einer weiteren Sachentscheidung über den geltend gemachten Klaganspruch abhängt, selbst zu prüfen, ohne an die Rechtsauffassung des LSG oder dessen diesbezüglichen Feststellungen gebunden zu sein (BSG SozR 1500 § 150 Nr 18).

Nach § 150 Nr 2 SGG ist die Berufung ungeachtet der §§ 144 bis 149 SGG zulässig, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird. Stets können nur gerügte Verfahrensmängel bei der Prüfung der Statthaftigkeit einer an sich ausgeschlossenen Berufung berücksichtigt werden (BSG SozR 1500 § 150 Nr 11). Wenn die Verfahrensrüge nach § 150 Nr 2 SGG auch nicht den besonderen Formen zu entsprechen braucht, die für Verfahrensrügen vor dem Revisionsgericht vorgesehen sind (§ 160a Abs 2, § 164 Abs 2 SGG), muß sich doch, da das Gesetz die Rüge dem Berufungskläger zuweist, aus dessen Vorbringen schlüssig ergeben, welcher Mangel gemeint ist und worin er bestehen soll (BSG aaO; ferner SozR 1500 § 150 Nr 18 mwN). Nur solche Mängel können zur Zulässigkeit der Berufung führen, die das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Wege zum Urteil betreffen; Rügen, die sich auf den sachlichen Inhalt des Urteils selbst beziehen, begründen die Zulässigkeit der Berufung dagegen nicht. Da das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), ein Fehler in der Beweiswürdigung somit keinen Verfahrensfehler darstellt, sofern nicht die Grenzen der Beweiswürdigung überschritten worden sind, rügt der Berufungskläger noch nicht einen Verfahrensmangel, wenn er geltend macht, daß das SG zu einem unrichtigen Beweisergebnis gekommen ist. Nur wenn dem Berufungsvorbringen entnommen werden kann, daß und warum sich das SG von seiner Rechtsauffassung her hätte gedrängt fühlen müssen, (weitere) Ermittlungen anzustellen bzw, daß und warum das SG die ihm gezogenen Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht beachtet hat, sind die Ermittlung des Sachverhalts betreffende Mängel des Verfahrens (§§ 103, 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gerügt. Die Rüge des Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) erfordert zudem, daß ersichtlich ist, welche Ermittlungen sich dem Gericht aufdrängen mußten (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 2. Aufl. 1981, § 150 RdZiff 19; Hennig/Danckwerts/König, Kommentar zum SGG, § 150 Erl 5, S 168i). Danach erscheint zweifelhaft, ob der Kläger mit der Beanstandung, daß das SG allein aus dem - nach Auffassung des Klägers unseriösen - Arbeitsangebot der Firma K den Schluß gezogen habe, daß er ein höheres Arbeitsentgelt als 3.316,-- DM nicht erzielen könne, einen Verfahrensmangel gerügt hat; jedoch kann das hier offenbleiben. Nach ständiger Rechtsprechung genügt nämlich die Rüge des Verfahrensmangels nicht; nur wenn der gerügte wesentliche Mangel des Verfahrens tatsächlich vorliegt, ist eine Überprüfung des sozialgerichtlichen Urteils in der Sache durch das Berufungsgericht möglich. Ein die Ermittlung des Sachverhalts betreffender Verfahrensfehler des SG ist hier jedoch nicht ersichtlich.

Das Tatsachengericht überschreitet die Grenzen der freien Beweiswürdigung, wenn es das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt, gegen allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstößt. Zu Unrecht meint das LSG, das SG habe gegen die Denkgesetze verstoßen. Von einem solchen Verstoß kann nämlich nur gesprochen werden, wenn aus den Gegebenheiten nur eine Folgerung gezogen werden kann, jede andere nicht "denkbar" ist und das Gericht die allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat; sind dagegen verschiedene Schlußfolgerungen denkbar und hält das Gericht eine davon für die richtige oder auch nur wahrscheinlich richtige, so liegt kein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, sondern eine denkgesetzlich zulässige Beweiswürdigung, mag diese auch wenig überzeugen (BSG KOV 1959, 115, 116; BVerwG DVBl 1973, 373; BVerwG Buchholz 234 § 7 G 131 Nr 51 und 310 § 108 VwGO Nr 70; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 2. Aufl 1981, § 128 RdZiff 12). Es ist aber aufgrund der Gegebenheiten nicht denkgesetzlich unmöglich, daß der Kläger im Herbst 1982 nicht mehr als 3.316,-- DM im Monat erzielen konnte. Das wird vom LSG selbst nicht angenommen, das aufgrund unveränderten Sachverhalts zur gleichen Überzeugung wie das SG gekommen ist. Wenn das LSG im Urteil des SG Ausführungen darüber vermißt, inwiefern das Arbeitsangebot der Firma K für die Verdienstmöglichkeiten des Klägers repräsentativ gewesen sei, beanstandet es nicht die Verletzung der Denkgesetze, sondern mangelnde Überzeugungskraft des Urteils. Daß ein Schluß nicht zwingend ist oder nicht zwingend begründet worden ist, stellt aber einen Verfahrensfehler noch nicht dar. Im übrigen hat das LSG das Urteil des SG mißverstanden. Das SG hat nämlich seine Überzeugung nicht allein auf das Arbeitsangebot der Firma K gestützt. Es hat vielmehr vor allem darauf abgestellt, daß der Kläger nach der Lage des Arbeitsmarkts (in der Bauwirtschaft) und nach sieben Jahren ohne praktische Tätigkeit nicht erwarten könne, bei einer Einstellung so behandelt zu werden, als ob er durchgehend berufsspezifisch gearbeitet hätte. In dieser Überzeugung hat es sich durch das Arbeitsangebot der Firma K bestätigt gesehen, wie dies auch der Fachvermittlungsdienst des zuständigen Arbeitsamtes getan haben dürfte, auf den sich das LSG berufen hat. Das SG hat das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend berücksichtigt. Es brauchte sich insbesondere nicht gedrängt zu fühlen, wegen der Seriosität des Angebots der Firma K Ermittlungen durchzuführen; denn der Kläger hat vor dem SG weder geltend gemacht noch dargelegt, daß oder warum das Angebot dieser Firma unseriös gewesen sei.

Hat der Kläger aber keinen Verfahrensfehler des SG rügen können, der auch tatsächlich gegeben ist, bleibt es dabei, daß die Berufung nach § 147 SGG unzulässig ist. Das LSG hätte sie daher ohne Prüfung, ob das Urteil des SG in der Sache zutrifft, als unzulässig verwerfen müssen. Dies nachzuholen, ist der Senat durch das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelführers nicht gehindert. Durch die Verwerfung der Berufung als unzulässig wird der Kläger nicht in eine ungünstigere Lage versetzt als durch das angegriffene Berufungsurteil, das seine Berufung als unbegründet zurückgewiesen hat (BSGE 2, 225, 228).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656709

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