Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslandsversorgung. Vollversorgung/ Teilversorgung. Ermessen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Richtlinien Ost 1980 und 1988 sind gesetzwidrig, soweit sie die Auslandsversorgung der Kriegsopfer regeln, die das Gesetz (§ 64 Abs 1 BVG) den im Inland lebenden Kriegsopfern grundsätzlich gleichstellt.

2. Die Versorgung dieser Kriegsopfer darf nur in dem Umfang gekürzt werden, wie das durch die besonderen Verhältnisse im jeweiligen ausländischen Staat geboten ist.

 

Orientierungssatz

1. Ein in Polen lebender Kriegsbeschädigter mit Anspruch auf Versorgung nach dem BVG darf nur dann auf eine Teilversorgung verwiesen werden, wenn feststeht, daß ihn eine Vollversorgung im Vergleich zu durch den polnischen Staat versorgten Kriegsopfern mit ähnlichen Schädigungsleiden erheblich besserstellen würde.

2. Das Gesetz gibt dem Land die Ermächtigung, die Versorgung, die auch den im Ausland lebenden Kriegsopfern deutscher Volkszugehörigkeit in vollem Umfang zusteht (§ 64 Abs 1 BVG), auf das Niveau herabzusetzen, das ausländischen Kriegsopfern von ihrem Heimatstaat gewährt wird (§ 64e Abs 1 S 4 Buchst a BVG). Ob und in welchem Umfang von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht wird, steht im Ermessen der Verwaltung. Die Zustimmung des Bundes ist nur zur Kürzung, nicht zur Unterlassung der Kürzung erforderlich.

3. Die Versorgung der von § 64 Abs 1 BVG umfaßten Kriegsopfer ist nicht generell von der Zustimmung des BMA abhängig, sondern lediglich die Gewährung von Teilversorgung.

4. Die Richtlinien Ost überschreiten den dem BMA eingeräumten Ermessensspielraum. Es besteht daher keine Bindung der Versorgungsverwaltung an diese Richtlinien mit den dort ausgewiesenen Beträgen für eine Teilversorgung.

5. Die Kürzung der Vollversorgung nach Ermessen erlaubt § 64e BVG nicht. Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64e Abs 1 S 4 Buchst a BVG kann die Leistung nur soweit gekürzt werden, als wegen des im betreffenden fremden Staat bestehenden Versorgungssystems eine Überversorgung zu besorgen ist.

 

Normenkette

BVG § 64 Abs 1, § 64e Abs 1 S 4 Buchst a, § 64e Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Entscheidung vom 26.03.1987; Aktenzeichen S 15 V 2579/86)

 

Tatbestand

Streitig ist die Höhe einer Auslandsversorgung.

Der in Polen wohnhafte Kläger ist deutscher Volkszugehöriger. Er wurde als Angehöriger der ehemaligen Deutschen Wehrmacht im Jahre 1944 verwundet. Von der polnischen Sozialversicherungsanstalt bezieht er seit dem 1. Januar 1983 eine Invalidenrente nach der Stufe II. Eine Kriegsinvalidenrente erhält er nicht.

Auf Antrag des Klägers von Februar 1983 erkannte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 24. April 1985 den Verlust des rechten Auges sowie Narben nach Splitterverletzung als Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH an und bewilligte deswegen eine sogenannte Teilversorgung in Höhe von 50,-- DM monatlich ab 1. Februar 1983. Den Widerspruch des Klägers, mit dem er eine höhere Versorgung begehrt hatte, wies der Beklagte als verspätet zurück (Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 1986).

Mit der Klage hatte der Kläger Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten verpflichtet, die dem Kläger zu gewährende Teilversorgung über den Betrag von 50,-- DM hinaus zu erhöhen und den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des SG neu zu bescheiden. Es sei ermessensfehlerhaft, daß der Beklagte die Teilversorgung seit 1980 nicht erhöht habe. Es müsse sich auf die Höhe der Teilversorgung auswirken, daß einerseits die Vollversorgung in diesem Zeitraum erheblich angehoben worden sei, während andererseits die Teilversorgung auch unter Berücksichtigung des Wechselkurses in Polen erheblich an Kaufkraft eingebüßt habe (Urteil vom 26. März 1987).

Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision macht der Beklagte geltend, daß die Höhe der Teilversorgung nicht von der Entwicklung der Rentenleistungen und der Lebenshaltungskosten im jeweiligen Wohnsitzstaat abhängig gemacht werden dürfe. Aus übergeordneten außerpolitischen Gründen sei die deutsche Versorgung von Kriegsopfern in den ost- und südosteuropäischen Staaten als Einheit zu betrachten. Wenn die Leistungen für Kriegsopfer in der Sowjetunion geringfügig höher seien, so beruhe dies auf der Tatsache, daß mit der Sowjetunion als erstem osteuropäischen Staat diplomatische Beziehungen aufgenommen worden seien. Der Unterschied werde allmählich verringert. Hinsichtlich der Versorgung in Polen lägen die in § 64e Abs 1 Satz 4 Buchst a Bundesversorgungsgesetz (BVG) genannten Voraussetzungen für eine Teilversorgung vor; am 1. Januar 1972, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des 3. Anpassungsgesetzes-KOV (3. AnpG-KOV) vom 16. Dezember 1971 (BGBl I S 1985), hätten die Leistungen des polnischen Staates für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene die Leistungen nach dem BVG unterschritten. Das sei auch heute noch der Fall.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. März 1987 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene schließt sich dem Beklagten an und verweist darauf, daß im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel die Teilversorgung mit Wirkung vom 1. Januar 1988 an erhöht worden sei und nunmehr für den Kläger monatlich 53,-- DM betrage.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat ihn unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu Recht verurteilt, dem Kläger über die Höhe der Versorgung einen neuen Bescheid zu erteilen. Allerdings hat der Beklagte dabei nunmehr nicht die Rechtsauffassung des SG, sondern die des BSG zu beachten.

Der angefochtene Bescheid vom 24. April 1985 ist schon deshalb rechtswidrig und aufzuheben, weil die nach § 35 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) erforderliche hinreichende Begründung fehlt. Nach Satz 3 dieser Vorschrift muß die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Die Ausnahme, daß die Sach- und Rechtslage für den Betroffenen ohne weiteres erkennbar war (§ 35 Abs 2 Nr 2 SGB X), gilt hier nicht.

Das Versorgungsamt hat die bewilligte Teilversorgung von 50,-- DM lediglich mit einem Hinweis auf § 64 Abs 1 iVm § 64e Abs 1 Satz 1 BVG zuerkannt. Nach § 64 Abs 1 BVG erhalten Deutsche und deutsche Volkszugehörige, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Staaten haben, mit denen die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Beziehungen unterhält, Versorgung wie Berechtigte im Geltungsbereich des BVG, soweit die §§ 64a bis 64f nichts Abweichendes bestimmen. Der Kläger ist deutscher Volkszugehöriger mit Wohnsitz in Polen, einem Staat, mit dem seit 1972 diplomatische Beziehungen bestehen. Er hätte deshalb bei einer MdE um 30 vH einen Anspruch auf eine monatliche Grundrente von zur Zeit 171,-- DM, soweit sich aus § 64e Abs 1 BVG nichts anderes ergibt. Diese Vorschrift ermächtigt die Versorgungsverwaltung, mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung (BMA) Teilversorgung zu gewähren, wenn einer Versorgung in dem in § 64 Abs 1 BVG bezeichneten Umfang "besondere Gründe" entgegenstehen. Solche Gründe hat der Beklagte angenommen und sich deshalb für berechtigt gehalten, dem Kläger lediglich eine monatliche Rente von 50,-- DM zu gewähren. Worin diese besonderen Gründe zu sehen sind und weshalb sie eine Kürzung der Rente auf diesen Betrag rechtfertigen, läßt der angefochtene Bescheid aber nicht erkennen. Der Beklagte sieht sich insoweit durch die vom BMA erlassenen Regelungen für die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa (Richtlinien Ost 1980) gebunden, was er aber erst im gerichtlichen Verfahren klargestellt hat. Da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, können die Gründe, die die Ausübung des Ermessens bestimmt haben, im gerichtlichen Verfahren aber nicht wirksam nachgeholt werden (§§ 41 Abs 1 Nr 2, Abs 2; 42 Satz 1 SGB X; vgl dazu BSG SozR 1300 § 35 Nrn 3 und 4); der formale Mangel führt bereits zur Aufhebung der Verwaltungsakte soweit sie den Kläger belasten.

Die angefochtenen Bescheide wären aber auch dann rechtswidrig und aufzuheben, wenn der Beklagte zwar rechtzeitig aber mit den im Gerichtsverfahren dargelegten Gründen die Teilversorgung der Höhe nach festgelegt hätte. Die bisher erkennbare Ermessensausübung ist fehlerhaft (§ 54 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Der Beklagte hat den ihm eingeräumten Ermessensspielraum bereits dadurch verkannt, daß er sich verpflichtet fühlte, die Rente des Klägers entsprechend den Richtlinien Ost festzusetzen. Diese Richtlinien haben die bereits ab 1960 erlassenen, nicht veröffentlichten Richtlinien über die Versorgung von Kriegsopfern in Ost- und Südosteuropa ersetzt; der BMA hatte insoweit früher seine allgemeine Zustimmung für eine im einzelnen geregelte Versorgung erteilt. Damals regelten die Richtlinien Ost aber - außer für Leistungen in die Sowjetunion - Ermessensleistungen nach § 64 Abs 2 BVG; der Versorgungsanspruch in Polen wohnhafter Kriegsopfer ruhte. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist aber die Versorgung der unter § 64 Abs 1 BVG fallenden Kriegsopfer nicht generell von der Zustimmung des BMA abhängig, sondern lediglich die Gewährung von Teilversorgung. Das ergibt sich aus dem Wortlaut und der Systematik der §§ 64 und 64e BVG. Danach ist die Vollversorgung der Regelfall, die Teilversorgung die Ausnahme. Die Versorgungsverwaltung muß zunächst vorab feststellen, daß die rechtlichen Voraussetzungen für die Kürzung der Vollversorgung vorliegen, sodann muß sie sich entscheiden, ob und in welchem Umfang sie von einer Vollversorgung absehen will. Erst bei einer beabsichtigten Teilversorgung ist die Zustimmung des BMA einzuholen, wobei allerdings keine rechtlichen Bedenken dagegen bestehen, daß diese Zustimmung für bestimmte Fälle durch Verwaltungsrichtlinien schon vorab erteilt wird.

Aber auch wenn der Beklagte bei der erneuten Entscheidung aufgrund eigener Ermessensausübung von einer Vollversorgung des Klägers absehen will, ist er an die Richtlinien Ost des BMA mit den dort ausgewiesenen Beträgen für eine Teilversorgung nicht gebunden. Denn soweit darin die Zustimmung nur für die dem Kläger zuerkannte Teilversorgung erklärt wird, sind diese Richtlinien ebenfalls rechtswidrig, weil sie den dem BMA gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum überschreiten. Mit den Richtlinien hat der BMA die unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzungen für die Versorgung von im Ausland lebenden Kriegsopfern nicht hinreichend berücksichtigt. § 64 Abs 1 BVG macht die Versorgung Deutscher und deutscher Volkszugehöriger im Ausland davon abhängig, daß die Bundesrepublik mit ihren Wohnsitzstaaten diplomatische Beziehungen unterhält. In diesem Fall besteht ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Versorgung; sonst ruht der Anspruch kraft Gesetzes (§ 64 Abs 2 BVG). Während im ersten Fall § 64e BVG die Eingriffsermächtigung gibt, bei Vorliegen besonderer Gründe den Rechtsanspruch zu kürzen oder ganz zu versagen, räumt im zweiten Fall das Gesetz der Versorgungsverwaltung die Möglichkeit ein, mit der Zustimmung des BMA von der Ruhensfolge abzusehen und Leistungen "in angemessenem Umfang" zu gewähren (sog Kannversorgung). Die Richtlinien Ost gehen aber gleichermaßen und allgemein davon aus, daß der Gesetzgeber die Versorgung der Kriegsopfer im Ausland in das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltung gestellt und an die Zustimmung des BMA gebunden habe. Das ergibt sich insbesondere aus der Einleitung der Richtlinien und der zusammenfassenden Regelung der Leistungen unter Abschnitt B. Zwar räumt die Beigeladene ein, daß gegenüber der früheren Rechtslage, wie sie bei Erlaß der ersten Richtlinien noch bestanden hat, durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu den ost- und südosteuropäischen Staaten in den 70er Jahren eine Änderung eingetreten ist. Daraus sind aber für die Ermessensausübung keine Konsequenzen gezogen worden, wenn sie meint, im Ergebnis verbleibe es deshalb bei einer Ermessensleistung, weil einer Vollversorgung der Kriegsopfer in diesen Staaten nach wie vor besondere Gründe entgegenstünden.

Richtig ist allerdings, daß einer Vollversorgung in Polen jedenfalls die in § 64e Abs 1 Satz 4 Buchst a BVG angeführten besonderen Gründe entgegenstehen: Die Leistungen in Polen für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene unterschritten bei Inkrafttreten des 3. AnpG-KOV am 1. Januar 1972 die Leistungen nach dem BVG nicht unerheblich. Dasselbe gilt für das Durchschnittseinkommen der gewerblichen Arbeitnehmer in Polen im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland. Der Unterschied hat sich seit Beginn der 80er Jahre insgesamt noch vergrößert, wie das SG unangefochten festgestellt hat. Das SG hat daraus gefolgert, die Versorgungsverwaltung müsse diesen Veränderungen mit einer angemessenen Erhöhung der Teilversorgung Rechnung tragen. Dem hat der BMA mit den während des Revisionsverfahrens erlassenen Richtlinien 1988 nachzukommen versucht, die für den Kläger die Leistung um 3,-- DM monatlich erhöht haben. Ob darin eine angemessene Erhöhung zu sehen ist, hat der Senat nicht zu entscheiden; es geht vorrangig nicht um eine Anpassung der Leistungen an veränderte tatsächliche Verhältnisse, sondern darum, ob und in welchem Umfange die Versorgungsverwaltung von einer Vollversorgung des Klägers überhaupt absehen darf.

Diese Frage ist mit der Feststellung besonderer Gründe nicht beantwortet, auch wenn § 64e Abs 1 Satz 1 BVG, auf den § 64 Abs 1 BVG verweist, sagt, daß die Teilversorgung nach Maßgabe des § 64 Abs 2 Satz 2 bis 4 gewährt wird, worin die sog Kannversorgung geregelt ist. Wäre die Verweisung wörtlich zu nehmen, läge eine "Versorgung in angemessenem Umfang" allerdings ebenso im Ermessen der Verwaltung wie bei Kriegsopfern in Ländern ohne diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland. Das ist aber nicht der Sinn der oben genannten Verweisung. Die Pflichtleistung des § 64 Abs 1 BVG wird nicht durch die Verweisung auf § 64e Abs 1 Satz 1 und die hier ausgesprochene Rückverweisung auf § 64 Abs 2 BVG zur Ermessensleistung. Die Vorschrift, die den Anspruch auf Vollversorgung begründet (§ 64 Abs 1 BVG), regelt lediglich, daß die Verwaltung unter bestimmten Voraussetzungen ermächtigt ist, den Anspruch zu kürzen. Die Rückverweisung auf § 64 Abs 2 BVG ermöglicht die Anwendung der dort genannten Vorschriften, die im wesentlichen Verfahrensvorschriften sind, ändert aber die Rechtsnatur der Leistung nicht. Der erkennende Senat hat allerdings in den nicht tragenden Gründen seines Urteils vom 14. März 1978 (SozR 3100 § 64 Nr 3, S 4) ausgeführt, daß die Ansprüche nach § 64 Abs 1 und nach § 64 Abs 2 unter bestimmten Umständen gleichzubehandeln seien. Diese Auffassung hat der Senat aber schon in seinem Urteil vom 24. August 1982 - 9a/9 RV 36/81 -, auf das sich das SG stützt, im Anschluß an den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Januar 1981 (BVerfGE 56, 1 = SozR 3100 § 64e Nr 3) aufgegeben.

§ 64e BVG erlaubt nicht die Kürzung der Vollversorgung nach Ermessen. Das würde, wie das BVerfG aaO ausgeführt hat, dem Rechtsstaatsprinzip widersprechen. Da es sich um Eingriffe in Ansprüche handelt, die für die Beteiligten von existentieller Bedeutung sein können, müssen die Voraussetzungen für den Eingriff und das Ausmaß des Eingriffes sogar vom Gesetz selbst im wesentlichen bestimmt werden. Die Zweifel, ob § 64e BVG diesen Anforderungen entspricht, hat das BVerfG nicht für durchgreifend erachtet, weil die Norm an Umstände anknüpft, die dem Einfluß der deutschen Staatsgewalt weitgehend entzogen sind. Auch an die Feststellung der tatsächlichen Voraussetzungen durch die Verwaltung werden nicht so strenge Anforderungen zu stellen sein, wie bei einem Sachverhalt, der sich im Inland vollzieht (vgl dazu schon Urteil des Senats vom 29. März 1977 - 9 RV 174/75 -, SozR 3100 § 64f Nr 1). Versorgung ist danach jedenfalls in dem Umfang zu gewähren, wie sie ohne Hinderung durch entgegenstehende "besondere Gründe" geleistet werden kann. Nur mit dieser Maßgabe hat das BVerfG die Kürzungsermächtigung als hinreichend bestimmt und verfassungsgemäß angesehen. Die "besonderen Gründe" bestimmen damit nicht nur das "Ob" einer Teilversorgung, sondern auch den Umfang, in dem Teilversorgung zu gewähren ist.

Für die im Gesetz einzeln aufgeführten "besonderen Gründe" kann der Umfang der erlaubten Kürzung prinzipiell ohne Schwierigkeit bestimmt werden. In den Fällen, in denen der fremde Staat Leistungen nach dem BVG ganz oder teilweise auf eigene Renten anrechnet oder in denen zu besorgen ist, daß Kriegsopfern aus vom Berechtigten nicht zu vertretenden Gründen auf Dauer keine Versorgung in vollem Umfang gewährt werden kann (§ 64e Abs 1 Satz 4 Buchst b und c BVG), kann die Leistung insoweit gekürzt werden, als der fremde Staat die Leistung anrechnet oder eine Versorgung nicht möglich erscheint. Folgerichtig kann auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 64e Abs 1 Satz 4 Buchst a BVG, auf die sich die Versorgungsverwaltung hier allein beruft, die Leistung nur soweit auf eine Teilversorgung gekürzt werden, als wegen des im fremden Staat bestehenden Versorgungssystems eine Überversorgung und damit eine unerwünschte Störung des dortigen allgemeinen Einkommens- und Versorgungsgefüges zu besorgen ist. Ob und inwieweit das der Fall ist, ist von der Versorgungsverwaltung im Rahmen des Möglichen zu ermitteln und darf jedenfalls nicht so pauschal unterstellt werden, wie es die Richtlinien Ost tun. Die Tatsache, daß in allen ost- und südosteuropäischen Staaten die Leistungen für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene das deutsche Versorgungsniveau und die Durchschnittseinkommen der gewerblichen Arbeitnehmer dieser Staaten die Durchschnittseinkommen deutscher Arbeitnehmer erheblich unterschreiten, rechtfertigt nicht für alle diese Länder (mit Ausnahme der Sowjetunion) in gleicher Weise von einer Vollversorgung abzusehen und dieselbe Teilversorgung zu gewähren, denn das Einkommens- und Versorgungsniveau dieser Länder ist - wie Beklagter und Beigeladene einräumen - durchaus unterschiedlich. Das Gesetz spricht jeweils von den Leistungen "des fremden Staates" für Kriegsbeschädigte, die hinter den vergleichbaren deutschen Leistungen zurückbleiben, also nicht von Staatengruppen. Auch Gründe der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigen nicht die vom BMA getroffene Regelung. Zwar sind nach § 64e Abs 1 Satz 2 BVG bei der Gestaltung der Versorgung die gegebenen Besonderheiten, zu denen auch die Möglichkeiten der Aufklärung des Sachverhalts gehören, zu berücksichtigen. Es ist einzuräumen, daß eine Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts in allen betroffenen Staaten mit größeren Schwierigkeiten verbunden ist als im Inland. Das entbindet aber nicht von der Verpflichtung, den Sachverhalt jedenfalls soweit aufzuklären, wie dies ohne unzumutbaren Aufwand möglich ist. Gerade nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen ist es möglich, sich über die wesentlichen Besonderheiten und Daten des jeweiligen Staates zu unterrichten und danach zu beurteilen, inwieweit deutsche Versorgungsleistungen im Ausland zu einer Störung des dortigen Versorgungs- und Einkommensgefüges führen können oder aus welchen sonstigen Gründen das Ziel einer Versorgung der Kriegsopfer im Ausland nicht erreicht werden kann. Ob notfalls die Teilversorgung auch durch die aus dem Vergleich des ausländischen Einkommens- und Versorgungsniveaus mit dem inländischen gewonnene Verhältniszahl bestimmt werden könnte - wie das BVerfG aaO erwogen hat - braucht bei dem jetzigen Sachstand nicht entschieden zu werden.

Ob sonstige, nicht im Gesetz aufgeführte "besondere Gründe" eine Teilversorgung rechtfertigen können, die Aufzählung also nicht als abschließende anzusehen ist (so wohl das BVerfG aaO), kann ebenfalls offenbleiben. Solche Gründe, die von ähnlichem Gewicht sein müßten, liegen nämlich nicht vor.

Selbst ein Zwang, Haushaltsmittel zu sparen, wäre kein Grund, die Vollversorgung zu kürzen. Der Gesetzgeber hat sich durch § 64 Abs 1 BVG entschlossen, einen Teil der im Ausland lebenden Kriegsopfer, zu dem der Kläger gehört, mit den in der Bundesrepublik lebenden Kriegsopfern gleichzubehandeln. Mit diesem Gleichbehandlungsentschluß ist es in Einklang zu bringen, die Vollversorgung dann zu kürzen oder sogar zu versagen, wenn die besonderen Verhältnisse im Ausland zeigen, daß die Überweisung der vollen Versorgungsleistungen zu Unzuträglichkeiten führen würden, die es im Inland nicht gibt. Die in § 64e BVG im einzelnen aufgeführten besonderen Gründe sind Gründe dieser Art. Der Gleichbehandlungsentschluß gebietet es sogar, die Auslandsversorgung nach den im Ausland herrschenden Verhältnissen auszurichten. Denn Gleichbehandlung im Kriegsopferrecht besagt nicht, daß für die im Ausland lebenden Berechtigten dasselbe ausgezahlt werden müsse wie für die im Inland lebenden Berechtigten. Bei den Leistungen der Kriegsopferversorgung kommt es vielmehr darauf an, die schädigungsbedingten Nachteile der einzelnen Kriegsopfer in ihrem sozialen Umfeld angemessen auszugleichen. Die Rentenerhöhungsgesetze, die auf Veränderungen im Inland reagieren, zwingen deshalb entgegen der Meinung des Sozialgerichts nicht ohne weiteres, auch die Auslandsversorgung zu überprüfen. Wesentliche Änderungen der gesamtwirtschaftlichen Lage im jeweiligen Ausland sind hingegen - bis zur Obergrenze der Vollversorgung - durchaus eine wesentliche Veränderung der für die Auslandsversorgung maßgebenden Umstände. Falls tatsächlich die gesamtwirtschaftliche Lage in der Bundesrepublik die Finanzierbarkeit der Kriegsopferversorgung gefährden sollte, dürften nach der derzeitigen Gesetzeslage die im Ausland lebenden Kriegsopfer nicht besonders belastet werden. Eine nach den Verhältnissen im Ausland an sich gebotene Erhöhung der Teilversorgung kann nicht mit der Begründung versagt werden, die Haushaltsmittel reichten nur für die Leistungserhöhungen im Inland aus.

Die Beigeladene hat den Senat auch nicht davon überzeugen können, daß außenpolitische Rücksichtnahme eine Gleichbehandlung der Kriegsopfer ohne Rücksicht auf die im einzelnen unterschiedlichen Verhältnisse in den betroffenen Staaten erfordert oder zumindest rechtfertigt. Wenn die Beigeladene befürchtet, daß durch unterschiedliche Versorgungsleistungen sich einzelne Staaten "diskriminiert" fühlen könnten, weil ihr Einkommens- und Versorgungsniveau gegenüber anderen abgewertet würde, so hat sie dies nicht näher konkretisiert. Dieser Gefahr wäre auch vornehmlich dadurch zu begegnen, daß von allgemeinen Richtlinien abgesehen würde. Die Einzelfallentscheidung, nicht aber das Absehen von der Vollversorgung und eine einheitliche Teilversorgung Ost, wäre dann geboten. Das Gesetz selbst läßt die Notwendigkeit von Richtlinien nicht erkennen, ist von seiner Wortfassung her vielmehr auf eine Zustimmung des BMA für eine Teilversorgung im Einzelfall ausgerichtet. Es ist zwar einzuräumen, daß bei der Vielzahl der zu versorgenden Kriegsopfer zur Vereinfachung des Verfahrens und zur Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung auch allgemeine Richtlinien angemessen sein mögen, obwohl die jeweiligen Wohnsitzstaaten bestimmten Versorgungsämtern zugewiesen sind (vgl VO vom 9. Juni 1964, BGBl I 342 idF vom 22. Dezember 1966, BGBl I 772). Eine staatenbezogene Aufteilung führt nicht zu unvermeidbaren außenpolitischen Konflikten.

Da sonstige Gründe, die zu einem Abweichen von dem Grundsatz der Vollversorgung führen könnten, von dem Beklagten und der Beigeladenen nicht vorgetragen werden und auch nicht ersichtlich sind, darf der Kläger nur dann auf eine Teilversorgung verwiesen werden, wenn feststeht, daß ihn eine Vollversorgung im Vergleich zu durch den polnischen Staat versorgten Kriegsopfern mit ähnlichen Schädigungsleiden erheblich besserstellen würde. Es kommt also zunächst auf die Feststellung an, wie der Kläger versorgt würde, wenn er Anspruch auf polnische Versorgungsleistungen hätte. Nur wenn diese erheblich geringer wären als die Vollversorgung nach dem BVG, darf Teilversorgung (zumindest in Höhe der vergleichbaren polnischen Leistungen) gewährt werden. Falls die von der Versorgungsverwaltung noch durchzuführenden Ermittlungen ergeben, daß dem Kläger wegen der bei ihm vorhandenen Schädigungsfolgen überhaupt keine polnischen Versorgungsleistungen zustehen würden, ist allerdings die Bestandskraft des nur vom Kläger angefochtenen Verwaltungsakts zu beachten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 276

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