Leitsatz (amtlich)

Nach AnVNG Art 2 § 1 Buchst b ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Befreiung nur davon abhängig, daß "für diese Versicherung mindestens ebensoviel aufgewendet wird, wie für sie Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen wären"; weitere Einschränkungen sind dem Gesetz nicht zu entnehmen; es kommt nicht darauf an, daß die Leistungen aus der "Befreiungsversicherung" im wesentlichen das Fehlen der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ersetzen. Auch die besonderen Versicherungsverhältnisse, die im Rahmen des VVG § 189 (bei Werkspensionskassen mit Zwangsbeitritt und bei "kleineren Vereinen" iS von VAG § 53) abgeschlossen werden, begründen den Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und das Bundesaufsichtsamt sind nach dem Gesetz nicht ermächtigt, verbindlich zu bestimmen, bei welcher Werkspensionskasse und "kleineren Vereinen" Versicherungsverträge iS des AnVNG Art 2 § 1 abgeschlossen werden dürfen.

 

Orientierungssatz

Zur Frage des Widerrufs von Befreiungsbescheiden nach AnVNG Art 2 § 1.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 1 Buchst. b Fassung: 1957-02-23; VVG §§ 159-160, 173-176, 169-172, 165-168, 161-164, 177-178, 189; VAG § 53

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 1962 wird aufgehoben; die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 28. April 1961 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger wurde als Angestellter der Dynamit-AG T am 15. März 1955 Mitglied der Pensionskasse der Angestellten vereinigter Sprengstoff- und Celluloid-Gesellschaften, Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, in T (im folgenden Pensionskasse genannt). Er bezog am 28. Februar 1957 ein Gehalt von 925,- DM monatlich ohne Zuschläge für Ehefrau und Kinder. Im September 1957 beantragte er die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG). Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Februar 1958 ab; der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 9. April 1958). Auf die Klage hob das Sozialgericht (SG) Köln die Bescheide der Beklagten auf und verurteilte die Beklagte, "den Kläger mit Wirkung vom Inkrafttreten des AnVNG an von der Versicherungspflicht zu befreien" (Urteil vom 28. April 1961). Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG auf und wies die Klage ab (Urteil vom 16. Mai 1962): Art. 2 § 1 AnVNG beziehe sich auf "Versicherungsunternehmungen" und "Versicherungsverträge", die unter das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und unter das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) fallen, und grundsätzlich nur auf Lebensversicherungsverträge im Sinne der §§ 159 bis 178 VVG; ob auch die besonderen Versicherungsverhältnisse mit den Erleichterungen des § 189 VVG und mit Satzungsbestimmungen, in denen von den §§ 159 bis 178 VVG teilweise abgewichen sei - Versicherungen bei Werkspensionskassen mit Zwangsbeitritt und bei kleineren Vereinen im Sinne des § 53 VAG -, unter Art. 2 § 1 AnVNG fallen, müsse von Fall zu Fall nach den Besonderheiten des Art. 2 § 1 AnVNG in Verbindung mit der jeweiligen Satzung bestimmt werden; Art. 2 § 1 AnVNG sei nur anwendbar auf Versicherungsverträge, die im wesentlichen das Fehlen der gesetzlichen Rentenversicherung für den Versicherungsfall des Alters und des Todes ersetzen und eine wirkliche Vorsorge für das Alter darstellen; das Versicherungsverhältnis des Klägers bei der Pensionskasse erfülle diese Voraussetzungen nicht, weil die Alterssicherung nach § 9 der Satzung der Pensionskasse grundsätzlich mit dem Ausscheiden des Versicherten aus dem Arbeitsverhältnis erlösche; zwar könne der Versicherte nach § 8 der Satzung auf Antrag außerordentliches Mitglied der Pensionskasse bleiben, wenn er besondere Voraussetzungen erfülle, er könne aber keine Beträge mehr entrichten, der Versicherungsschutz sei damit nicht mehr ausreichend. Das LSG ließ die Revision zu. Das Urteil wurde dem Kläger am 16. Juni 1962 zugestellt.

Der Kläger legte am 22. Juni 1962 Revision ein und begründete sie. Er beantragte,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 1962 aufzuheben und das Urteil des SG Köln vom 28. April 1961 wiederherzustellen, d. h. die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 10. Februar 1958 und 9. April 1958 zu verurteilen, den Kläger mit Wirkung vom Inkrafttreten des AnVNG von der Versicherungspflicht zu befreien.

Er trug im wesentlichen vor: Das LSG sei zu Unrecht der Meinung, daß Versicherungsverträge mit Versicherungsunternehmungen, die unter § 189 VVG fallen, nicht die Voraussetzungen des Art. 2 § 1 AnVNG erfüllen. Das LSG habe Art. 2 § 1 AnVNG enger ausgelegt, als dies der Wortlaut zulasse; es habe zur Begründung Erwägungen herangezogen, die im Gesetz nicht zum Ausdruck gekommen seien; es komme nicht darauf an, ob die "Befreiungsversicherung" in etwa mit der gesetzlichen Rentenversicherung verglichen werden könne, dies ergebe sich schon daraus, daß einerseits auch Kapitalversicherungen unter Art. 2 § 1 AnVNG fallen und andererseits auch die übrigen Lebensversicherungen in der Regel eine Vorsorge gegen Invalidität nicht vorsehen; es komme auch nicht darauf an, ob die "Befreiungsversicherung" eine wirkliche Vorsorge für das Alter darstelle; dies sei auch bei Kapitalversicherungen häufig nicht der Fall; es gebe auch zahlreiche andere Möglichkeiten, die bei Lebensversicherungen, die unter Art. 2 § 1 AnVNG fallen, den Versorgungszweck vereiteln könnten; das LSG habe auch zu Unrecht die entsprechenden Vorschriften des - aufgehobenen - Gesetzes über die Altersversorgung für das deutsche Handwerk (HVG) und des Gesetzes über die Altershilfe für Landwirte herangezogen; Art. 2 § 1 AnVNG sei ausschließlich eine Übergangsvorschrift, die nicht die Versorgung der bis dahin nicht versicherungspflichtigen Angestellten sicherstellen, sondern lediglich Doppelbelastungen habe vermeiden wollen; die Beklagte und das beigeladene Bundesaufsichtsamt seien auch nicht befugt, nach ihrem Ermessen Versicherungen bei Werkspensionskassen als Grund für eine Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG anzuerkennen oder nicht anzuerkennen.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trug vor, den Anforderungen des Art. 2 § 1 AnVNG genüge auch nach der Ansicht des beigeladenen Bundesaufsichtsamts nur ein Lebensversicherungsvertrag im Sinne der §§ 159 ff VVG, der - ebenso wie dies nach den Verordnungen zur Durchführung des HVG erforderlich gewesen sei - wenigstens in großen Zügen ein Äquivalent aus der Privatversicherung zum Ausgleich für den entgangenen Schutz in der sozialen Rentenversicherung darstelle; diesen Anforderungen genüge der Versicherungsschutz des Klägers bei der Werkspensionskasse vor allem deshalb nicht, weil er nicht eine der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechende Begünstigung der Waisen und die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis enthalte; Art. 2 § 1 AnVNG habe nicht eine Doppelbelastung der bisher versicherungsfrei Beschäftigten ausgleichen, sondern für eine Übergangszeit auch Äquivalente aus der Privatversicherung genügen lassen und diesem Personenkreis damit einen Dispositionsspielraum belassen wollen. Das Bundesaufsichtsamt habe in eingehenden Besprechungen mit allen Beteiligten geklärt, welchen Mindesterfordernissen demnach ein Lebensversicherungsvertrag genügen müsse; das Ergebnis sei in dem Rundschreiben des Bundesaufsichtsamts Nr. 6/57 festgehalten und es sei eine Liste der "befreiungsgeeigneten Werkspensionskassen" bekanntgegeben worden, diese Liste habe für die Beklagte "konstitutive Wirkung", der Beklagten sei jede eigene Nachprüfung der Satzungen der Werkspensionskassen - entgegen der nunmehr vom Bundesaufsichtsamt vertretenen Ansicht - untersagt; in dieser Liste sei die Pensionskasse des Klägers nicht enthalten.

Das beigeladene Bundesaufsichtsamt äußerte sich im Revisionsverfahren nicht.

II.

Die Revision ist zulässig (§§ 161 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der Kläger, der als Rechtsanwalt zugelassen ist, kann sich vor dem Bundessozialgericht (BSG) selbst vertreten (vgl. BSG 5, 13 ff). Die Revision ist auch begründet. Der Kläger rügt mit Recht, das LSG habe Art. 2 § 1 AnVNG unrichtig angewendet; das LSG ist zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, die Mitgliedschaft des Klägers bei der Pensionskasse rechtfertige die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht nicht. Diese Auffassung entspricht weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Art. 2 § 1 AnVNG.

1) Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, eine "private Versicherungsunternehmung" im Sinne von Art. 2 § 1 (Buchst. b) AnVNG sei eine Privatunternehmung, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand habe und damit nach § 1 Abs. 1 VAG der Aufsicht nach diesem Gesetz unterliege. Das LSG hat festgestellt, die Pensionskasse sei nach § 1 ihrer Satzung ein "kleinerer (Versicherungs-) Verein" im Sinne von § 53 VAG, sie unterliege der Aufsicht des Bundesaufsichtsamts; es hat zutreffend die Pensionskasse deshalb als eine "private Versicherungsunternehmung" im Sinne von Art. 2 § 1 AnVNG angesehen. Hierüber sind sich auch die Beteiligten einig.

2) Streitig ist, ob zwischen dem Kläger und der Pensionskasse ein "Versicherungsvertrag für den Fall des Todes oder des Erlebens" eines bestimmten Alters im Sinne von Art. 2 § 1 AnVNG besteht. Das LSG hat zutreffend dargelegt, daß hierunter ein "Lebensversicherungsvertrag" im Sinne der §§ 159 bis 178 VVG zu verstehen ist und daß auch Versicherungen, die unter den Voraussetzungen des § 189 VVG bei Werkspensionskassen mit Zwangsbeitritt und bei "kleineren Vereinen" im Sinne von § 53 VAG genommen werden, Versicherungsverträge im Sinne von Art. 2 § 1 AnVNG sein können. Es hat aber zu Unrecht bei den besonderen Versicherungsverhältnissen, die im Rahmen des § 189 VVG noch von den §§ 159 bis 178 VVG teilweise abweichenden Satzungsbestimmungen abgeschlossen werden, die Befreiung davon abhängig gemacht, ob die Leistungen aus solchen Versicherungsverträgen im wesentlichen die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung für den Versicherungsfall des Alters und des Todes ersetzen. Diese Voraussetzung ist in dem Begriff des Versicherungsvertrags für den Fall des Todes oder des Erlebens eines bestimmten Alters im Sinne von Art. 2 § 1 AnVNG nicht enthalten.

a) Dies ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut des Art. 2 § 1 (Buchst. b) AnVNG. Nach dieser Vorschrift ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Befreiung davon abhängig gemacht, daß "für diese Versicherung mindestens ebensoviel aufgewendet wird, wie für sie Beiträge zur Rentenversicherung zu zahlen wären". Es mag zutreffen, daß dieser Fassung die Erwägung zugrunde liegt, bei mindestens gleich hohen Beiträgen würden auch die Leistungen der Privatversicherung eine im wesentlichen den Leistungen der Rentenversicherung gleichwertige Sicherung darstellen; im Gesetz ist aber nicht zum Ausdruck gekommen, daß diese Sicherung durch den Versicherungsvertrag gewährleistet sein muß. Auch Lebensversicherungsverträge, die unter die §§ 159 bis 178 VVG fallen, gewährleisten eine solche im wesentlichen der Rentenversicherung der Angestellten entsprechende Vorsorge nur, wenn diese Versicherungsverträge den Anspruch auf laufende Renten zahlungen begründen, nicht aber bei Kapital versicherungen, die, sofern für sie mindestens ebensoviel aufgewendet wird wie für die Rentenversicherung der Angestellten, die Voraussetzungen der Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG ebenfalls zu begründen vermögen. Das Versicherungskapital wird bei Eintritt des Versicherungsfalls Eigentum des Versicherten; er kann darüber frei verfügen, es ist nicht gewährleistet und kann auch nicht gewährleistet werden, daß er es zur Sicherung für den Fall des Alters oder des Todes verwendet. Dem Versicherungsnehmer steht es ferner im Falle des Abschlusses einer "Erlebensversicherung" frei, den Zeitpunkt der Fälligkeit der Kapitalversicherung zu bestimmen, dieser Zeitpunkt kann so lange vor dem Eintritt des 65. Lebensjahres liegen, daß auch deshalb von einer Vorsorge für das Alter nicht gesprochen werden kann. Insbesondere besteht aber auch bei Lebensversicherungsverträgen, die unter die §§ 159 bis 178 VVG fallen, die Möglichkeit einer späteren Verringerung oder des Wegfalls des Versicherungsschutzes. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Recht des Versicherers zur fristlosen Kündigung nach § 39 Abs. 3 VVG (bei Nichtzahlung einer Folgeprämie), aus der Befreiung des Versicherers von der Leistungspflicht unter den Voraussetzungen der §§ 38 Abs. 2, 39 Abs. 2 VVG, aus dem Kündigungsrecht des Versicherungsnehmers nach § 165 VVG, aus der Befugnis des Versicherungsnehmers, ohne Zustimmung des Versicherers an die Stelle des bezugsberechtigten Hinterbliebenen einen anderen zu setzen (§ 166 VVG), aus der grundsätzlich für alle Geldleistungen aus dem Versicherungsvertrag gegebenen Möglichkeit der Abtretung, der Pfändung und der Verpfändung. Es trifft zwar zu, daß es, wie das LSG dargelegt hat, in diesen Fällen nur vom Verhalten des Versicherungsnehmers im Rahmen des Versicherungsvertrages abhängt, ob ihm der Versicherungsschutz gewahrt bleibt. Entscheidend ist aber nicht, daß das rechtserhebliche Verhalten des Versicherungsnehmers, das auch bei Versicherungsverträgen nach den §§ 159 bis 178 VVG zur Verringerung oder zum Wegfall des Versicherungsschutzes führen kann, im Rahmen des Versicherungsvertrages liegt, sondern daß ihm auch bei diesen Versicherungsverträgen die Möglichkeit belassen ist, das Ausmaß seiner Sicherung für den Fall des Alters oder des Todes durch sein Verhalten zu beeinflussen. Hätte diese Möglichkeit ausgeschlossen werden sollen, so hätte dies (vgl. zutreffend Urteil des BGH vom 25. September 1959 - BGHZ 30, 330 ff, 33/334) als Eingriff in die Vertragsfreiheit einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedurft. Eine solche Regelung ist im AnVNG nicht enthalten. Die damit dem Versicherungsnehmer zugestandene Eigenverantwortung hinsichtlich des Ausmaßes seiner Sicherung für das Alter und der Sicherung seiner Hinterbliebenen für den Fall seines Todes hat aber das gleiche Gewicht wie die in seiner Eigenverantwortung liegende Entscheidung, ob er den Versicherungsschutz, der ihm während seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Firma durch eine Werkspensionskasse oder einen kleineren Verein gewährt wird, durch sein Verbleiben bei der Firma erhalten will oder ob er sich darauf einläßt, daß dieser Versicherungsschutz sich bei Ausscheiden aus der Firma verringert oder möglicherweise wegfällt. Jedenfalls rechtfertigt die Möglichkeit , daß bei Versicherungsverhältnissen, die unter § 189 VVG fallen, nach den Satzungsbestimmungen der Versicherungsunternehmung der Versicherungsschutz bei Ausscheiden aus der Firma sich verringern oder auch ganz wegfallen kann, es nicht, an den Begriff des Versicherungsvertrags strengere Anforderungen zu stellen als an Versicherungsverträge nach den §§ 159 bis 178 VVG, weil auch bei diesen Versicherungsverträgen nicht gewährleistet ist, daß der im Zeitpunkt der Befreiung bestehende Versicherungsschutz unverändert aufrechterhalten bleibt.

b) Der Sinn und Zweck der "Befreiungsversicherung" nach Art. 2 § 1 AnVNG kann allein darin gefunden werden, daß Angestellte, die infolge der Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze erstmals oder wieder versicherungspflichtig werden, für eine Übergangszeit die Möglichkeit erhalten sollen, die Vorsorge für den Fall des Alters und des Todes in eigener Verantwortung zu gestalten; sie sind dabei nach dem AnVNG nur insofern nicht frei, als sie die Vorsorge durch Abschluß eines Versicherungsvertrages für den Fall des Todes und des Erlebens eines bestimmten Alters treffen und dafür bestimmte Mindestbeträge aufwenden müssen. Weitere Einschränkungen ihrer Gestaltungsfreiheit sind dem Gesetz nicht zu entnehmen; es kommt insbesondere nicht darauf an, ob die Leistungen aus der Befreiungsversicherung im wesentlichen das Fehlen der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung ersetzen. Einem solchen Erfordernis hätte zunächst nur entsprochen werden können, wenn der Wegfall der Voraussetzungen für die Befreiung zu einem Widerruf der Befreiung durch den Versicherungsträger führen könnte. Die Befreiung von der Versicherungspflicht ist aber im Gesetz allein von dem Vorliegen ihrer Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Befreiungsantrag abhängig gemacht, der Befreiungsbescheid ist als ein den Angestellten, der die Befreiung beantragt hat, und auch seinen jeweiligen Arbeitgeber begünstigender rechtsgestaltender Verwaltungsakt nicht widerruflich, sofern die Voraussetzungen für die Befreiung bei Erlaß des Bescheides vorgelegen haben, der Befreiungsbescheid also rechtmäßig ist (vgl. Haueisen NJW 1960, 1497 ff; im Ergebnis ebenso Gaber, Sozialer Fortschritt, 1957, 226 ff). Die Befreiung bleibt somit auch dann wirksam, wenn ihre Voraussetzungen später wegfallen, insbesondere auch, wenn das Einkommen des Angestellten unter die Jahresarbeitsverdienstgrenze, auf deren Überschreitung Art. 2 § 1 AnVNG abhebt - damals 9.000 DM -, also unter 750 DM monatlich sinkt. Ein solches Absinken des Einkommens kann aber auch ein Grund dafür sein, daß der Versicherungsnehmer seine Pflicht aus dem Versicherungsvertrag nicht mehr, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erfüllen kann und sein Versicherungsschutz durch die Befreiungsversicherung damit in Frage gestellt ist. Trotzdem besteht rechtlich keine Möglichkeit, den Versicherungsnehmer deshalb wieder in den Schutz der Rentenversicherung einzubeziehen, sei es dadurch, daß der Versicherungsnehmer auf die Befreiung verzichtet, sei es dadurch, daß der Versicherungsträger die Befreiung widerruft. Auf die "Gleichwertigkeit" der Befreiungsversicherung gegenüber den Leistungen aus der Pflichtversicherung der Angestellten kann bei der Auslegung des Art. 2 § 1 AnVNG schon deshalb nicht abgehoben werden, weil es von einer Vielzahl von rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten abhängig ist, ob die Befreiungsversicherung, auch wenn sie im Zeitpunkt der Befreiung eine im wesentlichen "adäquate" Vorsorge gewährleistet hat, im konkreten Fall auch im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls zu einer im wesentlichen der Rentenversicherung gleichwertigen Leistung führt. Die Höhe der Leistungen aus der Rentenversicherung wird wesentlich beeinflußt durch die allgemeine Bemessungsgrundlage, die von der Höhe der durchschnittlichen Bruttojahresarbeitsentgelte aller Versicherten in einem bestimmten Zeitraum und damit praktisch vom Volkseinkommen abhängig ist und von der auch die persönliche Bemessungsgrundlage beeinflußt wird, durch die Zahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre und damit auch durch die Berücksichtigung von Ersatz- und Ausfallzeiten und einer etwaigen Zurechnungszeit, durch die Höhe der freiwilligen Beiträge und der Höherversicherungsbeiträge, durch die Beitragsbemessungsgrenze und die Begrenzung der persönlichen Bemessungsgrundlage, durch die Rentenanpassungsgesetze, aber auch durch die Höhe der staatlichen Zuschüsse an die Versicherungsträger; alle diese Umstände sind im Zeitpunkt des Abschlusses der Befreiungsversicherung nicht vorhersehbar, sie können also auch bei Lebensversicherungsverträgen nach den §§ 159 bis 178 VVG dazu führen, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles die Leistungen aus solchen Lebensversicherungsverträgen wesentlich hinter den Leistungen der Rentenversicherung der Angestellten zurückbleiben. Andererseits sind die Altersrenten der Rentenversicherung von gesetzlich festgelegten Altersgrenzen und von der Erfüllung der "großen Wartezeit" (180 Beitragsmonate) abhängig, während bei Lebensversicherungsverträgen der Eintritt des Versicherungsfalles des Alters und damit der Zeitpunkt, in dem Ansprüche auf Leistungen der Altersvorsorge fällig werden, frei vereinbart werden kann; die Höhe der Ansprüche aus der Lebensversicherung wird durch die ihr zufließenden Gewinnanteile und durch die Höhe des Kapitalstocks beeinflußt, der Wert der Alters- und Hinterbliebenenversorgung in der Privatversicherung kann aber auch durch Geldentwertung gemindert werden. Es handelt sich also letztlich bei der Gegenüberstellung der Sicherung aus Lebensversicherungsverträgen und aus der Pflichtversicherung in der Rentenversicherung um kaum vergleichbare Tatbestände. Auch aus diesem Grunde ist es sinnvoll, daß in Art. 2 § 1 AnVNG nicht auf die "Adäquatheit" der Leistungen aus der Befreiungsversicherung mit den Leistungen aus der Rentenversicherung der Angestellten bei Eintritt des Versicherungsfalles, sondern nur auf den mindestens gleich hohen Aufwand an Beiträgen im Zeitpunkt der Befreiung abgestellt worden ist.

c) Zu einem anderen Ergebnis kann auch nicht der Vergleich mit anderen gesetzlichen Regelungen führen, die für die Befreiung von der Versicherungspflicht auf Grund des Abschlusses eines Lebensversicherungsvertrages strengere Anforderungen gestellt haben als Art. 2 § 1 AnVNG. Sowohl in § 4 des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk (HVG) vom 21. Dezember 1938 (RGBl I 1900) als auch in § 18 des Gesetzes über die Erhöhung der Einkommensgrenzen in der Sozialversicherung (EEG) vom 13. August 1952 (BGBl I 437) war bestimmt, daß Versicherungsfreiheit besteht bzw. die Versicherungsfreiheit geltend gemacht werden kann, "wenn und solange " der Handwerker bzw. der Angestellte für die Lebensversicherung mindestens ebensoviel aufwendet, wie für ihn zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen wäre. Der Gesetzgeber des AnVNG hat nicht nur die durch die Formulierung "und solange" vorgeschriebene Abhängigkeit der Befreiung von dem Fortbestehen des individuellen Versicherungsverhältnisses bewußt fallen lassen (vgl. Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. III zu Art. 2 § 1 AnVNG, 434), er hat darüber hinaus auch davon abgesehen, die Vorschriften zu übernehmen, die eine bestimmte Versicherungssumme vorschrieben, wenn der Lebensversicherungsvertrag auf Zahlung eines Kapitals gerichtet war (vgl. § 4 Abs. 2 HVG = 5000 DM, § 18 Abs. 3 EEG = 15000 DM). Auch die weiteren Bedingungen für die Versicherungsfreiheit auf Grund eines Lebensversicherungsvertrages, die in den Verordnungen zur Durchführung und Ergänzung des HVG vom 13. Juli 1939 (RGBl I 1255) und vom 28. Oktober 1939 (RGBl I 2113) aufgestellt waren, sind nicht übernommen worden; sie betrafen u. a. die Zusicherung der Gewährung der Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, die Fälligkeit des Kapitals - außer bei Tod des Versicherten oder bei Eintritt der Berufsunfähigkeit - frühestens bei Vollendung des 60. Lebensjahres, die Gleichheit der Anteile der bezugsberechtigten Hinterbliebenen, wenn der Lebensversicherungsvertrag auf die Zahlung eines Kapitals gerichtet ist (vgl. §§ 19, 21 der 1. DVO, § 4 Abs. 4 der 2. DVO). Daraus erhellt, daß der Gesetzgeber mit der Vorschrift des Art. 2 § 1 AnVNG bewußt einem bestimmten Personenkreis die Verantwortung für seine Alters- und Hinterbliebenenversorgung und die nähere Ausgestaltung dieser Versorgung selbst überlassen wollte.

d) Mit dieser Wahlmöglichkeit hat sich das Gesetz zu dem in der Angestelltenversicherung von jeher berücksichtigten Grundsatz bekannt, daß sich die Pflichtversicherung für diesen Personenkreis nur auf diejenigen Angestellten erstrecken soll, die wegen ihrer wirtschaftlich und sozialen Lage eines Schutzes gegen die Wechselfälle des Lebens bedürfen (so schon die Begründung zur Beschränkung des Versicherungszwangs in dem Entwurf eines Versicherungsgesetzes für Angestellte vom 20. Mai 1911 - Reichstags-Drucksache Nr. 1035, 12. Legislaturperiode II, Session 1909/11 S. 69 -). An diesem Grundsatz, mit dem zugleich entsprechend dem freiheitlichen Charakter des sozialen Rechtsstaats die individuelle Eigenverantwortung einer bestimmten Gruppe von Angestellten und ein Spielraum für private Initiative anerkannt worden sind, ist trotz der dabei zur Sprache gekommenen erheblichen Bedenken und Widerstände auch bei den Beratungen zu den §§ 4 Abs. 1, 5 AVG, zu Art. 2 § 1 AnVNG (beide in der Fassung des Gesetzes vom 23. Februar 1957) und zu Art. 1 des Ersten Änderungsgesetzes vom 27. Juli 1957 festgehalten worden. Dies ist auch noch in jüngster Zeit bei den Beratungen zu Art. 1 § 2 Nr. 3 und 4 (Erhöhung der Jahresarbeitsverdienstgrenze) des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I 473 ff, 483) geschehen. Dementsprechend hat auch Art. 2 § 2 Nr. 1 RVÄndG bei der Neufassung des Art. 2 § 1 AnVNG die Befreiung von keinen weitergehenden Voraussetzungen abhängig gemacht als von den Voraussetzungen, die nach der bisher maßgebenden Fassung des Art. 2 § 1 AnVNG erheblich sind.

3) Damit kommt es aber auch nicht darauf an, ob im vorliegenden Fall die Pensionskasse in der Liste des Bundesaufsichtsamts über die "befreiungsgeeigneten Werkspensionskassen" aufgeführt ist und ob diese Liste für die Beklagte - wie sie meint - "konstitutive Wirkung" hat. Dem Gesetz ist nicht zu entnehmen, daß die Beklagte oder das Bundesaufsichtsamt ermächtigt sind, verbindlich zu bestimmen, bei welchen Werkspensionskassen und "kleineren Vereinen" Versicherungsverträge im Sinne des Art. 2 § 1 AnVNG abgeschlossen werden dürfen. Die Befreiung kann nicht, wie dies durch die vom Bundesaufsichtsamt im Einvernehmen mit der Beklagten aufgestellten Liste geschehen ist, von weitergehenden Voraussetzungen abhängig gemacht werden als von den Voraussetzungen, die sich aus Art. 2 § 1 AnVNG ergeben. Einschränkungen der Voraussetzungen für eine Befreiung nach Art. 2 § 1 AnVNG könnten nur durch Gesetz erfolgen.

Der Versicherungsvertrag des Klägers mit der Pensionskasse ist sonach ein Versicherungsvertrag für den Fall des Todes oder des Erlebens im Sinne des Art. 2 § 1 (Buchst. b) AnVNG; er ist nach § 19 der Satzung der Pensionskasse für den Fall des Ausscheidens des Klägers aus den Diensten seiner Firma nach Vollendung des 60. Lebensjahres, im Ergebnis also für den Fall des Alters, und im Falle des Todes des Klägers für seine Hinterbliebenen (Witwe, Waisen, bedürftige Eltern, vgl. §§ 23, 24 ff, 26 der Satzung) abgeschlossen. Es ist unstreitig, daß die Aufwendungen des Klägers für diesen Versicherungsvertrag, die in dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt nach den Feststellungen des LSG monatlich 127,32 DM betragen haben, höher sind als die Beiträge, die der Kläger damals als Pflichtversicherter hätte aufbringen müssen, nämlich höher als der für das Jahr 1957 geltende Höchstbeitragssatz zur Angestelltenversicherung von 105,- DM monatlich (vgl. § 114 Abs. 1 AnVNG). Die Beklagte hat deshalb den Antrag des Klägers auf Befreiung nach Art. 2 § 1 (Buchst. b) AnVNG zu Unrecht abgelehnt. Das LSG hat zu Unrecht das Urteil des SG aufgehoben.

Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 241

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