Leitsatz (amtlich)

Ein auf einer bindenden Bewilligung begründeter Leistungsbezug, hier: Arbeitslosengeld, ist rechtmäßig, solange der Bewilligungsbescheid besteht (Fortführung von BSG vom 5.12.1978 - 7 RAr 34/78 = BSGE 47, 241 = SozR 4100 § 134 Nr 11).

 

Normenkette

AFG § 134 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst a; AFG § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst a; SGG § 77

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 22.03.1985; Aktenzeichen L 1 Ar 149/83)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 31.10.1983; Aktenzeichen S 2 Ar 139/82)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Arbeitslosenhilfe (Alhi) im Anschluß an den Bezug von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 11. Dezember 1981 bis 1. Oktober 1983.

Die Ehefrau des Klägers betreibt eine Gaststätte. Sie bescheinigte ihm, daß er bei ihr vom 1. März bis 31. Juli 1981 als Kellner und im Monat August 1981 als Geschäftsführer beschäftigt gewesen sei. In dieser Zeit waren ihm für die Monate März bis Juli 1981 jeweils ein Bruttogehalt von 1.000,-- DM und für August von 4.400,-- DM gezahlt worden. Auf seinen Antrag und die Arbeitslosmeldung bezog der Kläger dann bis zum 10. Dezember 1981 Alg nach einem Bemessungsentgelt von 4.400,-- DM (Verfügungen vom 20. Oktober und 8. Dezember 1981).

Den Antrag auf Alhi für die Zeit ab 11. Dezember 1981 lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht bedürftig. Gemäß § 10 der Arbeitslosenhilfeverordnung sei anzunehmen, daß er seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Alhi bestreite oder bestreiten könne. Es bestehe die begründete Vermutung, daß er den Betrieb der Ehefrau weiterhin verantwortlich leite, wie dies schon vor dem Antrag auf Alg der Fall gewesen sei (Bescheid vom 23. März 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 1982).

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 31. Oktober 1983 abgewiesen. Es ist zu der Überzeugung gelangt, der Kläger könne im selben Umfange wie bis August 1981 im Betriebe seiner Ehefrau tätig sein. Er sei zwar im Jahre 1981 mehrfach arbeitsunfähig krank gewesen. Die längste Arbeitsunfähigkeit habe vom 31. März bis 20. April 1981 gedauert. Danach sei er noch viermal zwei Tage bis höchstens zwei Wochen arbeitsunfähig gewesen. Zu Unrecht berufe er sich darauf, auch jetzt noch nicht schwer heben und tragen zu können.

Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, bis 2. Oktober 1983 - seitdem helfe er wieder im Betriebe seiner Ehefrau - habe er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Gaststätte seiner Ehefrau tätig sein können. Im übrigen könne er wegen der schlechten Ertragslage des Betriebes von der Ehefrau nicht angemessen unterhalten werden.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit Urteil vom 22. März 1985 zurückgewiesen. Zuvor hatte es in dem Beschluß vom 30. November 1984 die Beteiligten darauf hingewiesen, daß der Bezug des Alg durch den Kläger möglicherweise rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung seines Urteils hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt: Der Kläger habe von den Anspruchsvoraussetzungen der Alhi die des Vorbezugs von Alg oder der Ausübung einer entlohnten Beschäftigung von mindestens 70 Kalendertagen auf jeden Fall nicht erfüllt. Wie das Bundessozialgericht (BSG) in BSGE 47, 241, 244 ff überzeugend ausgeführt habe, müsse der Vorbezug von Alg rechtmäßig gewesen sein. Dem Kläger sei das Alg demgegenüber zu Unrecht gewährt worden. Um die dafür nach § 104 Abs 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) idF des Fünften Änderungsgesetzes erforderliche Anwartschaftszeit zu erfüllen, hätte er in der dreijährigen Rahmenfrist des § 104 Abs 3 AFG unmittelbar vor Eintritt der sonstigen Voraussetzungen des Alg-Anspruchs 180 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden haben müssen. In den dafür allein in Betracht kommenden sechs Monaten vom 1. März bis 31. August 1981 sei er jedoch bei seiner Ehefrau allenfalls bis zum 20. April beschäftigt gewesen. Er habe, nachdem er am 31. März 1981 verletzt worden sei, die der Ehefrau vertraglich geschuldete Arbeit nicht mehr geleistet. Der Kläger habe diesen Sachverhalt auch nicht bestritten, nachdem er über die daran womöglich geknüpften Rechtsfolgen durch den Vertagungsbeschluß des Senats vom 30. November 1984 ausdrücklich hingewiesen worden sei. Unter diesen Umständen könne, jedenfalls für die Zeit ab 21. April 1981, von einem Beschäftigungsverhältnis keine Rede mehr sein. Der Kläger habe seine Tätigkeit nicht wieder aufgenommen, obwohl ihm ärztlich Arbeitsunfähigkeit nur vom 31. März bis 20. April 1981 bescheinigt war und obwohl er danach nur noch viermal kurzfristig arbeitsunfähig erkrankte. Indem die Ehefrau dies hinnahm und dem Kläger darüber hinaus noch das Gehalt fortgezahlt habe, habe sie nicht mehr aus arbeitgeberischer Fürsorge gehandelt, wie sie ein Beschäftigungsverhältnis kennzeichne. Vielmehr habe der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau ab 21. April 1981 lediglich den Schein eines Beschäftigungsverhältnisses gewahrt, um Leistungen der Beklagten zu erhalten. Er sei in Wirklichkeit nur 51 Kalendertage, nämlich vom 1. März bis 20. April 1981, bei seiner Ehefrau als Kellner beschäftigt gewesen. Diese Zeit habe weder ausgereicht, um die Anwartschaft für das gezahlte Alg zu begründen, noch für die erforderliche Zeit einer entlohnten Beschäftigung, wenn kein Vorbezug von Alg vorliege.

Die Rechtmäßigkeit des Alg-Vorbezuges folge schließlich nicht etwa daraus, daß die dem zugrunde liegenden Bewilligungsbescheide beide Beteiligten bislang gemäß § 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG- in der Sache binden. Die bindende Wirkung (materielle Bestandskraft) beschränke sich nämlich auf die im Bewilligungsbescheid geregelte Leistung selbst und erstrecke sich nicht auf daran etwa anknüpfende weitere Leistungen. Die dem Kläger erteilten Alg-Bewilligungen hätten nur als Rechtsgrund für das Behaltendürfen der darauf gezahlten Leistungen Bestand. Die Fortsetzung der materiell rechtsfehlerhaften Alg-Bewilligungen durch Bewilligung von daran anknüpfenden Alhi-Leistungen wäre von dieser Bestandskraft nicht gedeckt.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 134 Abs 1 Satz 1 Nr 4 AFG. Er trägt vor, entgegen der Auffassung des LSG müsse der Vorbezug von Alg als rechtmäßig angesehen werden, da die seinerzeitige Leistungsbewilligung immer noch Bestandskraft habe. Wenn das LSG ausführe, die bindende Wirkung beschränke sich auf die im Bewilligungsbescheid geregelte Leistung selbst und nicht etwa an daran anknüpfende weitere Leistungen, so könne dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Solange keine Aufhebung des das Alg bewilligenden Bescheides vorliege, müsse die Fortsetzung der möglicherweise materiell rechtsfehlerhaften Alg-Bewilligung durch Bewilligung daran anknüpfender Alhi denkbar sein. Der von der Beklagten geschaffene Vertrauenstatbestand müsse dann auch Grundlage der Gewährung von Alhi werden.

Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen und den Bescheid der Beklagten vom 23. März 1982 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 1982 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 11. Dezember 1981 Arbeitslosenhilfe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Entgegen der Auffassung des LSG hat der Kläger von den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Alhi gemäß § 134 AFG die Anwartschaft nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst a AFG erfüllt. Hiernach genügt zur Begründung einer Anwartschaft auf Alhi, daß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, Alg bezogen hat, ohne daß der Anspruch nach § 119 Abs 3 AFG erloschen ist. Hier hat der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG bis zum 10. Oktober 1981 Alg bezogen. Wann sich der Kläger arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt hat, ist den tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. In Anbetracht dessen, daß der den Antrag auf Alhi ablehnende Bescheid das Datum des 23. März 1982 trägt, kann jedoch davon ausgegangen werden, daß der Alg-Bezug innerhalb der Jahresfrist des § 134 Abs 1 Nr 4 AFG erfolgt ist. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Anspruch auf Alg nach § 119 Abs 3 AFG erloschen ist.

Zutreffend hat das LSG erkannt, daß der Vorbezug des Alg rechtmäßig gewesen sein muß. Das hat der Senat bereits in BSGE 47, 241, 244 = SozR 4100 § 134 Nr 11 entschieden. Das bedeutet allerdings nicht, daß den Bewilligungsbescheiden, mit denen die Beklagte dem Kläger das Alg bis zum 10. Dezember 1981 gewährt hat, keine Bedeutung zukommt. Diese Bescheide sind nämlich gemäß § 77 SGG sowohl für den Kläger als auch für die Beklagte bindend geworden. Diese Bindungswirkung beschränkt sich nicht nur, wie das LSG meint, auf die im Bewilligungsbescheid geregelte Leistung selbst und hat nicht nur als Rechtsgrund für das Behaltendürfen der darauf gezahlten Leistungen Bestand. Vielmehr hat die materielle Bindungswirkung eines Bescheides zur Folge, daß die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung unabhängig von seinen rechtlichen Voraussetzungen und einem ihm anhaftenden Rechtsmangel grundsätzlich Bestand hat und ihrem materiellen Gehalt nach verbindlich ist. Die Bindungswirkung, die der eines gerichtlichen Urteils entspricht, reicht so weit, wie über den Anspruch entschieden ist. Ein Verwaltungsakt, der einen geltend gemachten Anspruch bewilligt, besagt somit, daß der Anspruch aufgrund bestimmter Tatsachen von Rechts wegen begründet ist (BSG SozR 1500 § 77 Nr 20). Die Beklagte ist daher, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, an die Aussage in den Bewilligungsbescheiden gebunden, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Alg begründet war. Dies bedeutet, wie der Senat schon in BSGE 47, 241, 246 = SozR 4100 § 134 Nr 11 zum Ausdruck gebracht hat, daß ein auf einer bindenden Bewilligung begründeter Leistungsbezug rechtmäßig ist, solange der Bewilligungsbescheid Bestand hat. Die fehlende Übereinstimmung des Bezugs mit dem materiellen Leistungsrecht kann also nicht vor der Aufhebung des Bescheides geltend gemacht werden. Die Beklagte kann sich daher nicht ungeachtet der für sie geltenden Vorschriften über die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte darauf berufen, daß dem Kläger zu Unrecht Alg bewilligt worden war. Sie hat die Bewilligungsbescheide nicht aufgehoben.

Allerdings ist nicht zu verkennen, daß durch die Regelungen des seit dem 1. Januar 1981 geltenden Sozialgesetzbuches -Verwaltungsverfahren- (SGB 10) das Erfordernis der Aufhebung des das Alg bewilligenden Bescheides anders als bisher zur Folge haben kann, daß Alhi im Anschluß an Alg erhält, wer dieses nicht in Übereinstimmung mit dem materiellen Leistungsrecht bezogen hat. Nach dem bis zum 31. Dezember 1980 geltenden, durch Art II § 2 Nr 1a des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) gestrichenen § 151 Abs 1 AFG wurden Entscheidungen, durch die Leistungen nach dem AFG bewilligt worden waren, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für die Leistungen nicht vorgelegen hatten oder weggefallen waren. Diese Vorschrift berechtigte die Beklagte, jederzeit eine von Anfang an rechtswidrige bzw rechtswidrig gewordene Bewilligung aufzuheben, und zwar gegebenenfalls rückwirkend und unabhängig von der Frage, worauf die Nichtübereinstimmung des Bescheides mit der wahren Rechtslage zurückzuführen war. Erwägungen des Vertrauensschutzes standen der Aufhebung nicht entgegen; maßgebend war allein, ab wann die Leistungsvoraussetzungen nicht vorlagen. Die Beklagte konnte daher zusammen mit der Ablehnung der Alhi ausdrücklich oder gegebenenfalls konkludent die rechtswidrige Alg-Bewilligung mit der Folge aufheben, daß eine Anwartschaft auf Anschluß-Alhi entfiel; selbst während des Gerichtsverfahrens über den Anspruch auf Alhi kam, wie der Fall BSGE 47, 241 = SozR 4100 § 134 Nr 11 zeigt, noch die Aufhebung der rechtswidrigen Alg-Bewilligung in Betracht.

Der seit dem 1. Januar 1981 maßgebende § 45 SGB 10 gestattet dem Leistungsträger die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nicht mehr jederzeit und nicht immer mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn die Voraussetzungen für die Leistung nicht vorgelegen haben. Die Rücknahme ist ausgeschlossen, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen schutzwürdig ist (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB 10). Unabhängig hiervon wird grundsätzlich, wie sich im Umkehrschluß aus § 45 Abs 4 Satz 1 SGB 10 ergibt, der rechtswidrige Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen; nur in Ausnahmefällen ist eine Rücknahme für die Vergangenheit möglich. Die Beklagte kann daher in den Fällen, in denen Vertrauensschutz zu gewähren ist, nicht nur das Alg, das sie zu Unrecht gewährt hat, vom Arbeitslosen nicht zurückfordern, wie das schon bisher nach § 152 AFG aF der Fall war; sie ist vielmehr nach neuem Recht in Fällen dieser Art auch gehindert, den rechtswidrigen Bewilligungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Dies ist jedoch letztlich die Folge der Einschränkung der Rücknehmbarkeit rechtswidriger Verwaltungsakte, wie sie bisher das AFG vorsah, durch das SGB 10. Muß die Alhi nur deshalb gewährt werden, weil die rechtswidrige Bewilligung von Alg nicht zurückgenommen werden kann, ist dies letztlich auf fehlerhaftes Verwaltungshandeln zurückzuführen. Diese Rechtsfolge hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Es wäre seine Sache gewesen, ausdrückliche Regelungen zu treffen, wenn er mit Rücksicht auf die eingeschränkte Rücknehmbarkeit rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte die Beklagte bei der Anschluß-Alhi von der Bindung an rechtswidrige Alg-Bewilligungsbescheide hätte freistellen wollen. Das ist jedoch weder anläßlich der Einführung des SGB 10 durch das Gesetz vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) geschehen, noch mit der ein Jahr später durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) eingeführten Vorschrift des § 134 Abs 4 Satz 1 Halbs 2 AFG. Nach dieser gelten der Anspruch auf Alg und der Anspruch auf Alhi als ein einheitlicher Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist. Diese Vorschrift sollte lediglich unterstreichen, daß Alg und Alhi ein einheitliches System gestufter Leistungen bei Arbeitslosigkeit bilden und bewirken, daß Tatbestände, die wie der Eintritt einer Sperrzeit für den Anspruch auf Alg rechtserheblich waren, auch für den sich anschließenden Anspruch auf Alhi rechtserheblich bleiben (vgl Begründung zum AFKG-Entwurf, BT-Drucks 9/846, S 47).

Die Beklagte hätte nach allem die auf den Verfügungen vom 20. Oktober und 8. Dezember 1981 beruhenden Bewilligungsbescheide zurücknehmen müssen. Nur dann wäre der Alg-Bezug des Klägers bis 10. Dezember 1981 rechtswidrig und nicht geeignet, den Anspruch auf Alhi zu begründen. Das ist jedoch nicht geschehen.

Wenn sich der Kläger unter diesen Umständen auf die Verbindlichkeit der Bewilligungsbescheide beruft, so ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden; insbesondere steht dem der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nicht entgegen. Auch im öffentlichen Recht gilt der Grundsatz von Treu und Glauben (vgl BSGE 7, 199, 200; 34, 211, 213; 47, 194, 196; 54, 257, 258; Urteil des Senats vom 21. Juli 1981 - 7 RAr 37/80 - BVerfGE 55, 337, 339; 59, 242, 246; 60, 162, 203), weshalb auch sittenwidriges Handeln im Sozialrecht unzulässig ist (vgl BSG Urteil vom 26. September 1986 - 2 RU 45/85). Dem hat der Gesetzgeber für den Fall, daß ein begünstigender Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig ist, durch die Regelung des § 45 SGB 10 Rechnung getragen und bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine Durchbrechung der Bindungswirkung dieser Bescheide eintritt. Ob daneben noch im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze von Treu und Glauben der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gegeben ist, erscheint zweifelhaft. Insbesondere die Regelung des § 45 Abs 4 SGB 10, wonach die Behörde innerhalb eines Jahres nach Kenntnis eines Aufhebungsgrundes für die Vergangenheit tätig werden muß, deutet darauf hin, daß im Interesse des Rechtsfriedens eine umfassende Regelung getroffen werden sollte, die die Anwendung allgemeiner Grundsätze ausschließt. Das kann indes dahinstehen. Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung würde im vorliegenden Falle nicht greifen. Macht, wie hier, die Verwaltung von dem ihr eingeräumten Recht, den Bewilligungsbescheid für die Vergangenheit zurückzunehmen, keinen Gebrauch, obwohl die Beteiligten vom Gericht ausdrücklich auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind, dann verstößt es nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn der Begünstigte auf seiner Rechtsposition beharrt.

Entgegen der Auffassung des LSG ist hiernach der Alg-Bezug des Klägers geeignet, einen Anspruch auf Alhi zu begründen. Der Senat kann jedoch in der Sache keine abschließende Entscheidung treffen. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG lassen eine Entscheidung darüber, ob die übrigen Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi - insbesondere die Bedürftigkeit des Klägers - vorliegen nicht zu. Die Sache ist daher gemäß § 170 Abs 2 Satz 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.

 

Fundstellen

BSGE, 286

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