Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlöschen der Rechtshängigkeit eines erhobenen Anspruchs. Widerspruchsverfahren nach Wegfall der Rechtshängigkeit. Entbehrlichkeit des Widerspruchsverfahrens. Keine Bindungswirkung nicht ausgewiesener Festsetzungen

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Dynamisierung und zum Dynamisierungsstichtag bzw Anpassungstag des Arbeitsentgelts der Anschluß-Arbeitslosenhilfe (§ 112a AFG), solange diese sich gemäß § 136 Abs 2 S 2 AFG nach einem Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG richtet.

 

Orientierungssatz

1. Grundsätzlich erlischt die Rechtshängigkeit eines erhobenen Anspruchs auch dann, wenn das Urteil ihn übergeht und innerhalb eines Monats ein Antrag, das Urteil zu ergänzen (§ 140 SGG), nicht gestellt wird. Das gilt auch dann, wenn § 96 Abs 1 SGG nicht beachtet worden ist (vgl BSG 15.12.1977 10 RV 35/76 = Breithaupt 1978, 864, 869f).

2. Ist die Rechtshängigkeit entfallen, ohne daß das Gericht eine abschließende Entscheidung getroffen hat, ist ein noch nicht beschiedener Widerspruch zu bescheiden. Das Fehlen einer Widerspruchsentscheidung trotz zwingender Vorverfahrenspflicht (§ 78 Abs 1 S 1 SGG) führt zur Vermeidung einer Prozeßabweisung nach der Spruchpraxis im allgemeinen zwar dazu, den Beteiligten Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben. Dies ist jedoch dann entbehrlich, wenn das Vorverfahren gescheitert ist, dh von vornherein oder aufgrund der Stellungnahme im Prozeß ersichtlich ist, daß das noch mögliche Vorverfahren eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden vermag.

3. Nach der ständigen Rechtsprechung erfaßt die Bindungswirkung eines Bescheides grundsätzlich lediglich dessen Verfügungssatz bzw -sätze; die Gründe dagegen entfalten selbständig keine Bindungswirkung. Dies hat bei der Gewährung von Leistungen grundsätzlich zur Folge, daß nur die Entscheidungen über die Art der Leistung, die Dauer und die Höhe bindend werden, nicht dagegen Berechnungsfaktoren.

4. Sind die Ergebnisse rechtlicher Wertungen, welche die Leistungsgewährung begründen, zusätzlich durch besondere, gesondert anfechtbare Verfügungssätze geregelt worden, können derartige feststellende Aussagen an der Bindungswirkung teilnehmen, wenn sie auch für sich einen bindungsfähigen Verwaltungsakt darstellen könnten (vgl BSG 20.6.1984 7 RAr 91/83 = SozR 4100 § 112 Nr 23 mwN). Der gesonderte Verfügungssatz muß vom Empfänger des Bescheides diesem entnommen werden können. Das aber ist hinsichtlich des Dynamisierungsstichtags bzw der Anpassungstage in den üblichen, nach gleichen Mustern mit Hilfe automatischer Datenverarbeitung erstellten Bescheiden der Beklagten nicht der Fall.

 

Normenkette

AFG § 112a Abs 1 S 3, § 136 Abs 2 S 2, § 112 Abs 7, § 134 Abs 4; SGG §§ 77, 96 Abs 1, § 140 Abs 1, § 78 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 09.12.1983; Aktenzeichen L 6 Ar 50/83)

SG Mainz (Entscheidung vom 17.05.1983; Aktenzeichen S 1 Ar 134/82)

 

Tatbestand

Der Kläger erstrebt die Zahlung höherer Arbeitslosenhilfe (Alhi).

Der 1936 geborene Kläger bezieht nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) seit dem 30. April 1976 Anschluß-Alhi. Das für die Bemessung der Leistung maßgebende gerundete wöchentliche Arbeitsentgelt erhöhte sich bis 1981 gemäß § 112a Arbeitsförderungsgesetz (AFG) jeweils am 1. Januar.

Ab 15. April 1981 legte die Beklagte der Alhi gemäß §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 745,-- DM statt bisher 1.080,-- DM zugrunde; die Bewilligung betraf, wie sich aus den Akten der Beklagten ergibt, auf die das Landessozialgericht (LSG) zur Ergänzung des Tatbestandes seines Urteils Bezug genommen hat, den Bewilligungsabschnitt vom 15. April 1981 bis 14. April 1982 (Bescheid vom 10. April 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 1981). Die Klage, mit der der Kläger die Verurteilung der Beklagten beantragt hatte, die Alhi weiter nach einem gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt von 1.080,-- DM zu gewähren, hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 6. November 1981). Die vom SG nicht zugelassene Berufung hat das LSG durch das dem Kläger am 7. April 1982 zugestellte Urteil vom 19. März 1982 als unzulässig verworfen. Dagegen hat der Kläger ein Rechtsmittel nicht eingelegt. Das gerundete wöchentliche Arbeitsentgelt von 745,-- DM hat die Beklagte auch ihrem während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 7. Januar 1982 zugrunde gelegt, mit dem sie dem Kläger die Alhi ab 19. Dezember 1981 nach zwischenzeitlichen wenige Wochen umfassenden Bezug von Unterhaltsgeld wiederbewilligte. Den am 29. Januar 1982 dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers hat die Beklagte, wie sich aus ihren Akten ergibt, nicht beschieden.

Ab 15. April 1982 gewährte die Beklagte dem Kläger die Alhi durch Bescheid vom 20. April 1982 nach einem gemäß § 112a AFG von 745,-- DM auf 790,-- DM erhöhten gerundeten wöchentlichen Arbeitsentgelt. Der Kläger erhob unter dem 7. Mai 1982 Widerspruch, mit dem er ua geltend machte, es bestehe kein Grund, die Dynamisierung vom 1. Januar auf den 15. April zu verlegen. Die Beklagte verwarf den Widerspruch als unzulässig. Sie machte geltend, der Dynamisierungsstichtag sei schon mit dem Bescheid vom 14. April 1981 auf diesen Tag festgelegt worden; diese Festlegung sei auch sachlich zutreffend (Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1982).

Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 20. April 1982 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1982 abgeändert und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, Alhi nach Maßgabe eines Dynamisierungsstichtages vom 1. Januar 1982 zu zahlen; außerdem hat das SG die im Widerspruchsbescheid liegende Ablehnung eines Zugunstenbescheides aufgehoben und die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. Januar bis 14. April 1982 Alhi nach Maßgabe eines Dynamisierungsstichtages vom 1. Januar 1982 zu zahlen (Urteil vom 17. Mai 1983). Auf die vom SG zugelassene Berufung der Beklagten hat das LSG dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 9. Dezember 1983).

Es hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt, dem Kläger stehe Alhi nach dem gemäß § 112a AFG erhöhten Arbeitsentgelt erst ab 15. April 1982 zu. Arbeitsentgelt sei bei der Anschluß-Alhi, die aufgrund vorhergehenden Alg-Bezuges gewährt werde, grundsätzlich das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet habe (§ 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG). Für dieses Arbeitsentgelt gelte § 112a AFG entsprechend (§ 134 Abs 4 AFG). Danach erhöhe sich das für die Bemessung der Alhi maßgebende Arbeitsentgelt jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraums um den gesetzlich festgelegten Vomhundertsatz. Für die Anschluß-Alhi bleibe somit der für das vorausgehende Alg geltende Dynamisierungsstichtag maßgebend. Das gelte aber nicht, wenn die Alhi nach § 136 Abs 2 Satz 2 AFG herabbemessen worden sei; denn dann handele es sich nicht mehr um Anschluß-Alhi. Abweichend von der Anschluß-Alhi richte sich das Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG und nicht mehr nach dem Arbeitsentgelt, das dem Alg-Bezug zugrunde gelegen habe. Der Neufestsetzung der Alhi nach §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG sei entsprechend § 112a Abs 1 Satz 3 AFG ein neuer Dynamisierungsstichtag zuzuordnen. An die Stelle des Endes des Bemessungszeitraumes trete für die Dynamisierung der Tag, der dem Tag vorausgehe, für den die Alhi bemessen worden sei. Dieser neu festzusetzende Stichtag sei solange maßgebend, bis gegebenenfalls wieder die frühere Bemessungsgrundlage und damit auch der ihr zugeordnete Dynamisierungsstichtag wirksam werde. Dieses Ergebnis sei auch sinnvoll. Die Einstufung nach § 112 Abs 7 AFG richte sich nach dem Lohnniveau in dem Zeitpunkt, zu dem die fiktive Einstufung wirksam werde; deshalb bestehe erst nach einem Jahr Anlaß und Berechtigung für eine Anpassung an weitere Änderungen im Lohnniveau.

Der Kläger rügt mit der Revision sinngemäß eine Verletzung der §§ 134 Abs 4, 112a AFG. Er trägt vor, nach § 139a AFG seien auch während des Laufs der Bewilligungsfrist stets neue Voraussetzungen zu prüfen, wenn es zB zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage komme. Das könne sich innerhalb einer Bewilligungsfrist beliebig oft wiederholen. Neue Voraussetzungen ergäben einen neuen Bewilligungszeitraum, der sich vom ersten Dynamisierungsstichtag immer weiter entferne. Die Dynamisierung, die eine Anpassung an die Lebenshaltungskosten sein solle, werde hierdurch ausgehöhlt, weil sie nicht mehr stattfinde.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie macht geltend, die Revision nehme zu Unrecht an, daß eine Fortzahlungsbewilligung nach § 139a AFG einen neuen Dynamisierungsstichtag zur Folge habe. Die Termine für die Fortzahlungsbewilligung und die Dynamisierung stünden in keinem rechtlichen Zusammenhang; nur aus praktischen Erwägungen würden sie zusammengelegt. Insbesondere könnten Bewilligungsabschnitte und Dynamisierungstermin voneinander abweichen, wenn ein kürzerer Bewilligungsabschnitt als ein Jahr gewählt werde. Durch die Festlegung eines Dynamisierungsstichtages anläßlich einer Herabbemessung werde die Dynamisierung nicht ausgehöhlt. Zutreffend habe das LSG darauf hingewiesen, daß durch die Neubemessung eine Aktualisierung der Bemessungsgrundlage hinsichtlich des Lohn- und Gehaltsniveaus in gleicher Weise stattfinde wie durch die Dynamisierung.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Bedenken gegen das Verfahren der Vorinstanzen, das das Revisionsgericht hinsichtlich etwaiger Verstöße gegen solche Verfahrensgrundsätze von Amts wegen zu prüfen hat, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt, greifen nicht durch. Das gilt auch, soweit die Klage darauf abzielt, daß der Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis 14. April 1982 die Alhi nach Maßgabe eines Anpassungstages vom 1. Januar 1982 erhält.

Allerdings wäre die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 und 4 SGG, wie sie der Kläger erhoben hat, insoweit nicht die geeignete Klageart, träfe zu, daß der Kläger höhere Alhi für die Zeit bis zum 14. April 1982 nur im Wege einer Zugunstenregelung nach dem durch das Gesetz vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) eingeführten § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) erreichen kann, wovon SG und LSG übereinstimmend ausgegangen sind. Dem stünde nämlich die Vorschrift des § 152 Abs 1 AFG in der seit Inkrafttreten des SGB 10 geltenden Fassung des Art II § 2 Nr 18 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469) entgegen. Diese Vorschrift sieht vor, daß dann, wenn die Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vorliegen, der Verwaltungsakt abweichend von § 44 Abs 1 SGB 10 mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob damit jegliche Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit ausgeschlossen ist, soweit sie Sozialleistungen oder Beiträge nach dem AFG betreffen, wie dies Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, § 152 Rdz 6 im Gegensatz zu der im Schrifttum vorherrschenden Ansicht meinen (vgl Eckert ua, Gemeinschaftskommentar zum AFG, § 152 Rdz 4, September 1982; Gagel ua, Komm zum AFG, § 152 Rdz 30; Hennig/Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand Oktober 1985, § 152 Anm 2 b; Krebs, Komm zum AFG, Stand April 1985, § 152 Rdz 4; in diesem Sinne auch Dienstanweisung der Beklagten 1.1 zu § 44 SGB 10 und § 152 AFG im Runderlaß vom 4. Dezember 1980, DBl BA 295/80, ergänzt durch Runderlaß vom 13. September 1984, DBl BA 147/84). Jedenfalls hat der Gesetzgeber mit § 152 Abs 1 AFG den in § 44 Abs 1 SGB 10 vorgesehenen Rechtsanspruch auf Rücknahme rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakte ausgeschlossen, soweit Sozialleistungen nach dem AFG aufgrund des rechtswidrigen Verwaltungsaktes für die Vergangenheit nicht erbracht worden sind. Die Rücknahme eines nach § 77 SGG bindend gewordenen Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit kommt daher allenfalls im Wege des Ermessens gemäß § 44 Abs 2 Satz 2 SGB 10 in Betracht. Dies hat zur Folge, daß die Beklagte in Fällen dieser Art, wenn überhaupt, in der Regel nur zur Ausübung ihres Ermessens, nicht aber zur Rücknahme des Verwaltungsaktes verpflichtet werden kann. Damit entfällt erst recht die Möglichkeit einer Verurteilung zur Zahlung der Sozialleistung; denn ihr steht bis zur Rücknahme des Verwaltungsaktes dessen Bindungswirkung entgegen.

Indessen bedarf es keines Zugunstenverfahrens, weil der Kläger die für die hier streitige Zeit maßgebende Wiederbewilligung vom 7. Januar 1982 unmittelbar anfechten kann und nach dem von ihm verfolgten Klageziel auch angefochten hat. Dieser verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage steht nicht entgegen, daß der Bescheid gemäß §§ 96 Abs 1, 153 Abs 1 SGG Gegenstand des seinerzeit aufgrund der Berufung des Klägers beim LSG anhängig gewesenen und durch dessen Urteil vom 19. März 1982 abgeschlossenen Verfahrens geworden sein dürfte. Die Rechtshängigkeit wäre nämlich erloschen. Grundsätzlich erlischt die Rechtshängigkeit eines erhobenen Anspruchs auch dann, wenn das Urteil ihn übergeht und innerhalb eines Monats ein Antrag, das Urteil zu ergänzen (§ 140 Abs 1 SGG), nicht gestellt wird (Peters/Sautter/Wolff, Komm zum SGG, Stand April 1985, § 140 Anm 1; Rohwer-Kahlmann, Komm zum SGG, Stand Oktober 1984, § 140 Rdz 6). Das gilt auch dann, wenn § 96 Abs 1 SGG nicht beachtet worden ist (BSG Breithaupt 1978, 864, 869 f; Peters/Sautter/Wolff aaO). Ein solcher Fall ist hier gegeben; denn das LSG hat nur die Berufung als unzulässig verworfen und damit über den neuen, erst nach Berufungseinlegung ergangenen, dem LSG entgegen § 96 Abs 2 SGG nicht mitgeteilten Bescheid, über den das Berufungsgericht in der Sache hätte entscheiden müssen, keine Entscheidung getroffen.

Die Zulässigkeit der verbundenen Anfechtungs- und Leistungsklage hinsichtlich der Leistung bis zum 14. April 1982 scheitert ferner nicht daran, daß die Beklagte bislang über den noch im Januar 1982 eingelegten Widerspruch nicht entschieden hat. Es kann dahingestellt bleiben, was mit einem Widerspruch zu geschehen hat, solange das mit dem Widerspruch verfolgte Begehren rechtshängig ist, weil der mit dem Widerspruch angefochtene Verwaltungsakt gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens geworden ist. Jedenfalls dann, wenn die Rechtshängigkeit entfallen ist, ohne daß das Gericht eine abschließende Entscheidung getroffen hat, ist ein noch nicht beschiedener Widerspruch zu bescheiden. Das Fehlen einer Widerspruchsentscheidung trotz zwingender Vorverfahrenspflicht (§ 78 Abs 1 Satz 1 SGG) führt zur Vermeidung einer Prozeßabweisung nach der Spruchpraxis im allgemeinen zwar dazu, den Beteiligten Gelegenheit zur Nachholung des Vorverfahrens zu geben. Dies ist jedoch dann entbehrlich, wenn das Vorverfahren gescheitert ist, dh von vornherein oder aufgrund der Stellungnahmen im Prozeß ersichtlich ist, daß das noch mögliche Vorverfahren eine gerichtliche Auseinandersetzung nicht zu vermeiden vermag. Dann wäre es eine reine Förmelei, würde auf der Durchführung des Vorverfahrens bestanden, insbesondere, wenn der Rechtsstreit sich im Revisionsverfahren befindet und zur Nachholung des Vorverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden müßte. So liegt der Fall hier. Was die Alhi für die Zeit vom 1. Januar bis zum 14. April 1982 angeht, ist zwischen den Beteiligten nur noch umstritten, ob der Leistung ein wöchentliches Arbeitsentgelt von 745,-- DM oder das gleiche Arbeitsentgelt, aber erhöht um den Vomhundertsatz, um den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zuletzt vor dem 1. Januar 1982 angepaßt worden sind, zugrundezulegen ist. Zu dieser Frage hat das Arbeitsamt, das zum Erlaß des Widerspruchsbescheides zuständig gewesen wäre, unmißverständlich und klar in dem Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1982 dahin Stellung genommen, daß infolge der Neueinstufung nach §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG der Dynamisierungsstichtag gemäß § 112a AFG auf den 14. April 1981 falle. Nicht anders würde ein in dieser Sache ergehender Widerspruchsbescheid lauten; denn dies entspricht der Rechtsauffassung der Beklagten, wie sie sie auch in der Berufung und in der Revision vertritt. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist daher nicht nur für den Bewilligungsabschnitt ab 15. April 1982 zulässig, sondern auch für die Zeit vom 1. Januar bis 14. April 1982.

In der Sache hat das LSG zutreffend entschieden. Entgegen der von der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1982 vertretenen Ansicht ist der Dynamisierungsstichtag nicht schon mit dem Bescheid vom 14. April 1981 auf diesen Tag bindend festgelegt worden. Nach der ständigen Rechtsprechung erfaßt die Bindungswirkung eines Bescheides grundsätzlich lediglich dessen Verfügungssatz bzw -sätze; die Gründe dagegen, also die tatsächlichen Annahmen und die rechtlichen Erwägungen, die zu der Regelung geführt haben, entfalten selbständig keine Bindungswirkung. Dies hat bei der Gewährung von Leistungen grundsätzlich zur Folge, daß nur die Entscheidungen über die Art der Leistung, die Dauer und die Höhe bindend werden, nicht dagegen Berechnungsfaktoren, wie zB das wöchentliche Arbeitsentgelt, das der Alg- bzw Alhi-Bewilligung zugrunde liegt. Etwas anderes gilt, wenn die Ergebnisse rechtlicher Wertungen, welche die Leistungsgewährung begründen, zusätzlich durch besondere, gesondert anfechtbare Verfügungssätze geregelt worden sind. Derartige feststellende Aussagen können an der Bindungswirkung teilnehmen, wenn sie auch für sich einen bindungsfähigen Verwaltungsakt darstellen könnten (vgl zum Vorstehenden das Urteil des Senats vom 20. Juni 1984 - 7 RAr 91/83 - SozR 4100 § 112 Nr 23 mwN). Das setzt nicht nur voraus, daß allgemein ein entsprechender Verfügungswille der Beklagten vorhanden ist, der gesonderte Verfügungssatz muß vielmehr vom Empfänger des Bescheides diesem entnommen werden können. Das aber ist hinsichtlich des Dynamisierungsstichtages bzw der Anpassungstage in den üblichen, nach gleichen Mustern mit Hilfe automatischer Datenverarbeitung erstellten Bescheiden der Beklagten nicht der Fall. Mit dem vom Gesetz nicht verwendeten Begriff des Dynamisierungsstichtages wird der letzte Tag des Bemessungszeitraums bzw in den Fällen des § 112 Abs 7 AFG der Tag bezeichnet, der dem Zeitraum vorausgeht, für den Alg oder Alhi bemessen worden ist; der erste Tag, für den die Leistung nach dem erhöhten ("dynamisierten") Arbeitsentgelt zu zahlen ist, ist dagegen der Anpassungstag (vgl Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, § 112a Rdz 3). Ein Dynamisierungsstichtag oder ein Anpassungstag ist in dem Bescheid vom 10. April 1981 und in dem Widerspruchsbescheid vom 10. August 1981 nicht erwähnt. Dem Begehren des Klägers kann daher für Bezugszeiten, die der Bescheid vom 10. April 1981 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 1981 nicht bzw wegen zwischenzeitlicher Aufhebung nicht mehr erfaßt hat, nicht entgegengehalten werden, daß der Dynamisierungsstichtag auf den 14. April 1981 festgesetzt und diese Festsetzung bindend sei.

Die Alhi beträgt nach § 136 Abs 1 AFG in der zuletzt durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) geänderten Fassung, die 1982 und 1983 galt, 58 vH des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts. Arbeitsentgelt ist bei der Alhi, die nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst a AFG aufgrund vorhergehenden Alg-Bezuges gewährt wird (sog Anschluß-Alhi), um die es nach wie vor geht, nach § 136 Abs 2 Satz 1 Nr 1 AFG grundsätzlich das Arbeitsentgelt, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat oder ohne die Vorschrift des § 112 Abs 8 AFG gerichtet hätte. Kann der Arbeitslose dieses Arbeitsentgelt nicht mehr erzielen, richtet sich die Alhi gemäß § 136 Abs 2 Satz 2 AFG nach dem Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG.

Für die Alhi gelten nach § 134 Abs 4 Satz 1 AFG die Vorschriften des Ersten Unterabschnitts über Alg, also die §§ 100 bis 133 AFG entsprechend, soweit die Besonderheiten der Alhi nicht entgegenstehen. Entsprechend gilt somit auch § 112a AFG.

Nach § 112a Abs 1 Satz 1 und 3 AFG erhöht sich das für die Bemessung des Alg maßgebende Arbeitsentgelt jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende des Bemessungszeitraums (Anpassungstag) oder wenn von einem Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG ausgegangen worden ist, seit dem Tag, der dem Zeitraum vorausgeht, für den das Alg bemessen worden ist, um den Vomhundertsatz, um den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zuletzt vor diesem Zeitpunkt nach dem jeweiligen Rentenanpassungsgesetz angepaßt worden sind. Nicht das Alg, sondern das seiner Bemessung zugrunde liegende Arbeitsentgelt wird der Lohnentwicklung angepaßt; erst infolge des höheren Arbeitsentgeltes ergibt sich im allgemeinen, wenn auch nicht in jedem Falle, eine höhere Leistung. Der Anpassungstag ist dabei unterschiedlich zu bestimmen, je nachdem, ob sich das anfängliche Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 2 bis 6 oder Abs 7 AFG gerichtet hat. Der Anpassungstag ist daher nicht mit dem Anspruch auf Alg, dem Stammrecht, sondern mit dem für die Leistung maßgeblichen Arbeitsentgelt verknüpft. Für die entsprechende Anwendung ergibt sich hieraus, daß der Anpassungstag solange unverändert bleibt, als der Leistung ein Arbeitsentgelt zugrundezulegen ist, das letztlich auf das Arbeitsentgelt zurückgeht, nach dem sich anfangs der Anspruch auf Alg gerichtet hat. Solange der Anschluß-Alhi das Arbeitsentgelt zugrundezulegen ist, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat, bleibt daher der Tag im Jahr, zu dem die Anpassung zu erfolgen hat, der gleiche.

Da der Anpassungstag mit dem für die Bemessung der Leistung maßgebenden Arbeitsentgelt verknüpft ist, entfällt die Anpassung zu dem bisherigen Zeitpunkt, wenn für die Bemessung der Leistung ein anderes Arbeitsentgelt maßgebend wird. Richtet sich die Alhi deshalb gemäß § 136 Abs 2 Satz 2 1. Halbsatz AFG nach dem neu zu bestimmenden Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG, kann der bisherige Anpassungstag für das neue Arbeitsentgelt keine Anwendung finden. Da nach § 112a Abs 1 Satz 3 AFG das nach § 112 Abs 7 AFG bestimmte Arbeitsentgelt nach Ablauf eines Jahres seit dem Tag angepaßt wird, der dem Zeitraum vorausgeht, für den das Alg bemessen worden ist, kann die durch § 134 Abs 4 Satz 1 AFG gebotene entsprechende Anwendung im Falle des § 136 Abs 2 Satz 2 AFG nur bedeuten, daß das neue Arbeitsentgelt erst nach Ablauf eines Jahres seit dem Tag, der dem Zeitraum vorausgeht, für den die Alhi neu bemessen worden ist, anzupassen ist. Da dem Arbeitsentgelt nach § 112 Abs 7 AFG das Lohn- und Gehaltsniveau zu Beginn des Zeitraums zugrunde liegt, für das die Alhi neu bemessen wird, widerspräche ein früherer Anpassungszeitpunkt der Regelung des § 112a AFG.

Der Einwand der Revision, die Praxis der Beklagten führe zur Aushöhlung der Dynamisierung, geht fehl. Die Revision beachtet zunächst nicht, daß sich nach § 136 Abs 2 Satz 2 Halbsatz 1 AFG die Alhi nach dem Arbeitsentgelt iS des § 112 Abs 7 AFG nur richtet, wenn der Arbeitslose nicht mehr das Arbeitsentgelt erzielen kann, nach dem sich zuletzt das Alg gerichtet hat oder ohne die Vorschrift des § 112 Abs 8 AFG gerichtet hätte. Daher ist dieses Arbeitsentgelt, und zwar gegebenenfalls gemäß § 112a Abs 1 AFG nach den für dieses Arbeitsentgelt geltenden Anpassungstagen dynamisiert, für die Alhi wieder maßgebend, wenn die zur Alhi-Bemessung führenden Gründe entfallen sind (vgl Hennig/ Kühl/Heuer, Komm zum AFG, Stand Oktober 1985, § 136 Anm 4 a; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wittrock, Komm zum AFG, § 136 Rdz 12). Aber auch dann, wenn bei der Wieder- oder Weiterbewilligung von Alhi keine Veranlassung besteht, die sich schon nach dem Arbeitsentgelt iS der §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG richtende Alhi neu zu bemessen, ist der Arbeitslose von der Dynamisierung nicht ausgeschlossen; denn in einem solchen Falle wird das neue, nach §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG bestimmte Arbeitsentgelt nach einem Jahr gemäß § 112a AFG angepaßt, wie das im Falle des Klägers zum 15. April 1982 geschehen ist. Ergibt sich die Notwendigkeit, die sich schon nach dem Arbeitsentgelt iS der §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG richtende Alhi wiederholt nach diesen Vorschriften neu zu bemessen, kann allerdings die Folge sein, daß das Arbeitsentgelt sich über längere Zeit nicht nach § 112a AFG erhöht. In diesen Fällen bedarf es aber der jährlichen Anpassung an die Lohn- und Gehaltserhöhungen nach einem pauschalen Maßstab, wie ihn § 112a AFG vorsieht, nicht, weil jede Neubestimmung des Arbeitsentgelts die aktuellen Lohn- und Gehaltsverhältnisse berücksichtigt.

Hiernach ist das Arbeitsentgelt, das der Alhi des Klägers ab 15. April 1981 gemäß §§ 136 Abs 2 Satz 2, 112 Abs 7 AFG zugrundegelegt wird, somit nicht jeweils am 1. Januar, sondern jeweils erst am 15. April um den Vomhundertsatz, um den die Renten der gesetzlichen Rentenversicherung zuletzt angepaßt worden sind, zu erhöhen. Nach Maßgabe der §§ 134 Abs 4, 112a Abs 1 AFG ist es daher zutreffend, wenn für die Zeit vom 1. Januar bis 14. April 1982 der Alhi des Klägers ein Arbeitsentgelt von 745,-- DM und für die Zeit vom 15. April 1982 bis 14. April 1983 das (um 5,76 %) auf 790,-- DM erhöhte Arbeitsentgelt zugrunde gelegt worden ist. Daß dem Kläger aus anderen Gründen für die hier streitigen Zeiten zu wenig Alhi gewährt worden ist, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht geltend gemacht. Sie muß daher ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1661795

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge