Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungsrechtliche Beurteilung von Propagandistinnen. Unternehmerrisiko. Zweifel über Versicherungspflicht

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Sofern die tatsächliche Ausgestaltung einer Tätigkeit in etwa gleichermaßen für eine abhängige Beschäftigung wie für eine selbständige Tätigkeit spricht, ist dem in den vertraglichen Vereinbarungen zum Ausdruck kommenden übereinstimmenden Willen der Vertragspartner eine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen, wobei unerheblich ist, ob es sich um schriftliche, mündliche oder stillschweigende Vereinbarungen handelt; erlaubt auch die Berücksichtigung des Vertragswillens keine abschließende versicherungsrechtliche Beurteilung, dann muß darauf abgestellt werden, von welcher der beiden Arten von Erwerbstätigkeiten das bisherige Berufsleben der in Betracht kommenden Person geprägt ist.

2. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Propagandistin, die von ihrem Auftraggeber hergestellte Waren gegen Provision in einem fremdem Kaufhaus für dessen Rechnung verkauft, abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, kann ua von Bedeutung sein, ob die Propagandistin ihre Arbeitszeit frei bestimmen sowie auf eigene Rechnung Mitarbeiter beschäftigen und sich durch diese vertreten lassen kann und ob sie gleichzeitig auch für andere Fabrikate bzw andere Auftraggeber werben darf und ggf Verkaufsstände in mehreren Kaufhäusern mit eigenen Mitarbeitern betreibt.

3. Das Bestehen eines Unternehmerrisikos enthält nur dann einen Hinweis auf das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit, wenn mit diesem Risiko größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft verbunden sind; solche Freiheiten können aber nur bei entsprechend erhöhten Verdienstchancen real gesichert erscheinen.

4. Zum Unternehmerrisiko rechnet auch ein Einkommensrisiko, wobei allerdings nicht jede Ungewißheit der Einkommenshöhe ein Risiko in diesem Sinne bedeutet. Eine feste Grenze, von der ab ein beachtliches Risiko anzunehmen ist, kann und braucht nicht festgelegt zu werden. Es kommt hier nur auf die Würdigung der Tatsachen im Rahmen des Gesamtbildes an.

 

Orientierungssatz

1. Ein Unternehmerrisiko kann auch darin liegen, daß der Erfolg des Einsatzes der eigenen Arbeitskraft ungewiß ist. Je geringer der Umfang der fest zugesagten Vergütung (Fixum) ist, desto mehr spricht im Rahmen der Würdigung des Gesamtbildes für eine Tätigkeit als Selbständiger.

2. Ist zweifelhaft, ob eine selbständige Tätigkeit ausgeübt wird oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, kann nicht wegen des Schutzzwecks der Sozialversicherung Versicherungspflicht angenommen werden; für eine solche Vermutung bieten die Vorschriften des Gesetzes über die Versicherungspflicht keinen Anhalt.

 

Normenkette

AVG § 2 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AFG § 168 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1969-06-25; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 02.03.1978; Aktenzeichen L 5 K 20/77)

SG Koblenz (Entscheidung vom 11.05.1977; Aktenzeichen S 2 Kr 34/76)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 2. März 1978 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladene zu 3) versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung war.

Die Beigeladene zu 3) war als Propagandistin tätig. Sie verkaufte in der Zeit vom Januar 1971 bis 31. Dezember 1975 in verschiedenen Berliner Kaufhäusern Erzeugnisse der Klägerin im Namen und auf Rechnung des jeweiligen Kaufhauses. Die Provision (mindestens 180,-- DM wöchentlich) zahlte die Klägerin ohne Steuer- und Sozialversicherungsabzüge. Besondere Verträge oder schriftliche Vereinbarungen zwischen der Beigeladenen zu 3) und der Klägerin bestanden nicht.

Mit Bescheid vom 26. September 1975 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 3) fest und forderte die Klägerin auf, ab 1. Dezember 1972 für die Beigeladene zu 3) Beiträge zur Rentenversicherung und zur Arbeitslosenversicherung zu entrichten. Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. März 1976; Urteil des Sozialgerichts -SG- Koblenz vom 11. Mai 1977; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Rheinland-Pfalz vom 2. März 1978). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die Beigeladene zu 3) in den Jahren 1971 bis 1975 für die Klägerin abhängig gegen Entgelt beschäftigt gewesen sei und daß bei der Überlegung, ob eine Tätigkeit als abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit verrichtet werde, die Gesamtheit aller dafür und dagegen sprechenden Umstände zu würdigen, in Zweifels- oder Grenzfällen jedoch eher eine abhängige als eine unternehmerische Tätigkeit anzunehmen sei. Diese Überlegung führe im vorliegenden Fall dazu, die Beigeladene zu 3) als abhängig Beschäftigte anzusehen. Die Möglichkeit, die Arbeit verhältnismäßig frei zu gestalten und die Höhe ihres Einkommens durch ihren persönlichen Einsatz zu beeinflussen, enthalte noch keine unternehmerische Freiheit. Die Propagandisten der Klägerin seien vielmehr an das Unternehmen als übergeordnete und ihren Arbeitseinsatz steuernde Organisation gebunden, indem sie ihre gesamte oder jedenfalls den überwiegenden Teil ihrer Arbeitskraft in den Dienst der Klägerin stellten und von dieser dafür bezahlt würden. Wenn die Propagandisten auch berechtigt gewesen seien, zusätzlich für andere Firmen zu arbeiten, so sei doch die Praxis, daß von diesem Recht allenfalls einige besonders erfahrene und erfolgreiche Propagandisten Gebrauch gemacht hätten. Regelmäßig ständen aber die tatsächlichen Verhältnisse, auf die es allein ankomme, einer anderweitigen Erwerbstätigkeit entgegen. Je mehr sich ein Propagandist um den Verkauf einer bestimmten Ware bemühe, desto günstiger sei auch die Aussicht auf einen guten Verdienst. Wenn, wie hier, die Ware in besonderen Ständen der Herstellerfirma angeboten werde, sei der konzentrierte Einsatz für den Verkauf der Ware und eine möglichst häufige und lange Anwesenheit im Verkaufsstand erforderlich. Auch die Beigeladene zu 3) habe in dieser Weise gearbeitet. Der Umstand, daß die Propagandisten gelegentlich eigene Mitarbeiter einstellten, führe zu keiner anderen Beurteilung. Dies geschehe nämlich regelmäßig nicht zu dem Zweck, daß der Propagandist während seiner Anwesenheit noch eine zusätzliche Hilfe habe. Der Grund liege darin, daß der Propagandist sich nicht stets persönlich am Verkaufsstand aufhalten wolle und durch den Einsatz eines Helfers eine Entlastung erreiche.

Die Propagandisten trügen auch kein unternehmerisches Risiko. Ein solches Risiko liege nicht schon darin, daß die Propagandisten möglicherweise über eine gewisse Zeit ihre Arbeitskraft vergeblich aufwendeten. Dabei handele es sich nur um ein Einkommensrisiko. Ein Unternehmerrisiko bestehe nur dort, wo wirtschaftliche Verluste zu tragen seien. Das sei bei den Propagandisten der Klägerin aber nicht der Fall. Sie hätten nicht einmal ein volles Einnahmerisiko, weil eine Mindestprovision garantiert sei. Aus alledem ergebe sich die Abhängigkeit gegenüber der Klägerin.

Die Tatsache, daß das Finanzgericht Rheinland-Pfalz entschieden habe, daß Propagandisten der Klägerin keine Arbeitnehmer und deshalb nicht lohnsteuerpflichtig seien, stehe dieser Feststellung nicht im Wege. Die Beiträge zur Sozialversicherung seien zwar grundsätzlich nach dem Betrag zu berechnen, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgeblich sei. Diese Koppelung bedeute jedoch keine Bindung an die Entscheidungen der Steuerbehörden und Finanzgerichte. Die Sozialgerichte hätten insoweit unabhängig zu entscheiden.

Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Ansicht des LSG, in Zweifelsfällen sei wegen des Schutzzwecks der Sozialversicherung eher eine abhängige als eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, finde im Gesetz keine Stütze. Auch habe das LSG verkannt, daß es nicht nur auf die tatsächlichen Verhältnisse ankomme, sondern daß auch der Parteiwille eine Berücksichtigung finden müsse. Die Klägerin rügt auch, daß das LSG die Freiheit, die die Beigeladene zu 3) hinsichtlich des Umfanges ihres Einsatzes und auch der Einstellung von Mitarbeitern gehabt habe, sowie das Einkommensrisiko nicht als Hinweise für eine selbständige Tätigkeit gewertet habe. Dabei sei es unerheblich, ob die Beschäftigung für einen oder mehrere Betriebe stattfinde. Gerade die Ausführungen des LSG zeigten, daß insoweit kein bestimmter Zwang vorliege, sondern ein erheblich breiter Entscheidungsspielraum für Umfang und Gestaltung der Tätigkeit. Das LSG gehe auch zu Unrecht von der Vorstellung aus, daß die Klägerin die Propagandisten "einsetze", denn der Propagandist gestalte seine Arbeit selbst. Verkannt werde auch der Begriff des unternehmerischen Risikos; denn nicht nur Kapitaleinsatz, sondern auch ein Einsatz der Arbeitskraft könne ein Risiko bedeuten. Hinsichtlich des unternehmerischen Risikos wird außerdem gerügt, daß das LSG es unterlassen habe, sich die Steuerunterlagen der Beigeladenen zu 3) vorlegen zu lassen, um daraus entnehmen zu können, welche Werbungs- und Investitionskosten die Beigeladene zu 3) selbst hat aufwenden müssen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland- Pfalz vom 2. März 1978 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. Mai 1977 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 1976 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1) und 2) beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene zu 3) hat keinen Antrag gestellt.

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die streitige Frage, ob die Beigeladene zu 3) als Propagandistin für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses oder als Selbständige tätig war, muß - davon ist auch das LSG zutreffend ausgegangen - nach dem Gesamtbild des beruflichen Einsatzes beantwortet werden. Alle Umstände des Falles sind zu berücksichtigen. Hierbei ist auch die vertragliche Ausgestaltung des Verhältnisses zu beachten. Weicht diese jedoch von den tatsächlichen Verhältnissen ab, haben diese ausschlaggebende Bedeutung (BSGE 35, 20, 21; 38, 53, 57; BSG SozR 2200 § 1227 Nrn 4 S 2 und 8 S 16 mwN).

Nicht gefolgt werden kann indes der Auffassung des LSG, dass "im Zweifel" eine versicherungspflichtige Tätigkeit anzunehmen sei (vgl Urteil des Senats vom 24. Oktober 1978 - 12 RK 58/76 -, dem ein ähnlicher Fall zugrunde lag). Diese Auffassung kann auch nicht damit begründet werden, der Zweck der Sozialversicherung bestehe darin, grundsätzlich jeden gegen Entgelt Beschäftigten gegenüber gesundheitlichen und gesellschaftlichen Risiken zu schützen; der Schutzgedanke brauche ausnahmsweise nur dann nicht verwirklicht zu werden, wenn der Beschäftigte durch seine Arbeit (wirtschaftlich) unabhängig sei und eigenverantwortlich für seinen wirtschaftlichen und sozialen Stand sorge (so Urteil des LSG, S. 7). Die soziale Schutzbedürftigkeit ist kein für die Abgrenzung zwischen Beschäftigten und selbständigen Erwerbstätigen geeignetes Merkmal, weil sie gleichermaßen bei Angehörigen beider Personengruppen vorliegen kann. Dies hat seinen Ausdruck auch darin gefunden, daß zB die Rentenversicherungspflicht auf bestimmte Gruppen von Selbständigen ausgedehnt worden ist. Im übrigen erstreckt sich die Sozialversicherung aber nur auf Beschäftigte; deshalb kann Versicherungspflicht erst und nur dort entstehen, wo die Merkmale der Erwerbstätigkeit den Schluß auf eine abhängige Beschäftigung rechtfertigen. Wenn die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit in etwa gleichermaßen für eine Selbständigkeit oder für eine Abhängigkeit spricht, ist dem in den vertraglichen Vereinbarungen zum Ausdruck kommenden übereinstimmenden Willen der Vertragsschließenden eine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen, wobei unerheblich ist, ob es sich um schriftliche, mündliche oder stillschweigende Vereinbarungen handelt (BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17).

Sollte auch die Berücksichtigung des Vertragswillens noch keine hinreichend sichere Entscheidung erlauben (was möglicherweise dann der Fall sein könnte, wenn sich ein übereinstimmender Wille über den Status des Erwerbstätigen dem Vertrag nicht entnehmen läßt), dann wird letztlich darauf abzustellen sein, von welcher der beiden Arten von Erwerbstätigkeiten das bisherige Berufsleben der Beigeladenen zu 3) geprägt worden ist (Urteil des erkennenden Senats vom 25. November 1976 - 12/3 RJ 1/75 - USK 76178-; BSG Urteil vom 31. Juli 1958 - 3 RK 46/55 - SozR Nr 8 zu § 165 RVO -; BSG Urteil vom 24. Oktober 1978 - 12 RK 58/76 - SozR 2200 § 1227 Nr 19 mwN; Verbandskomm, Stand Januar 1975, RVO § 1227 Anm 8 S 10). Denn in Fällen, in denen weder die tatsächliche Ausgestaltung der Beschäftigung noch die vertraglichen Vereinbarungen ausreichen, um entweder eine abhängige Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit anzunehmen, kann aus dem bisherigen Status im Erwerbsleben eher auf den Willen geschlossen werden, diesen Status nicht zu verändern. Das bisherige Berufsleben dient dann also als Indiz dafür, was die Vertragspartner gewollt haben.

Die somit notwendige Würdigung des Gesamtbildes der Tätigkeit kann der Senat jedoch nicht abschließend vornehmen, weil das LSG nicht alle für diese Würdigung erforderlichen Umstände ermittelt hat und die fehlenden Ermittlungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die der Beigeladenen zu 3) eingeräumte Möglichkeit, "ihre Arbeit verhältnismäßig frei zu gestalten und die Höhe ihres Einkommens durch ihren persönlichen Einsatz zu beeinflussen", dh konkret, das Fehlen einer vertraglichen Verpflichtung, den Verkaufsstand zu bestimmten Zeiten oder in bestimmtem Umfang während der üblichen Öffnungszeiten zu besetzen, nicht ohne weiteres schon die Selbständigkeit der Beigeladenen zu 3) belegt. Gleiches gilt für die Möglichkeit, auf eigene Rechnung Mitarbeiter zu beschäftigen und sich durch diese vertreten zu lassen. Diese Umstände sprechen zwar im Rahmen der Würdigung des Gesamtbildes für die Selbständigkeit. Der erkennende Senat hat aber bereits entschieden, daß dem Fehlen vertraglicher Bindungen dann kein Indizwert zukommt, wenn bestimmte Sachzwänge solche Bindungen überflüssig machen (BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17 S 37); aus dem gleichen Grunde sprechen die genannten Gestaltungsmöglichkeiten dann nicht ohne weiteres für Selbständigkeit, wenn sie (oder umgekehrt die Notwendigkeit, in bestimmtem Umfang und zu bestimmten Zeiten tätig zu werden) sich aus sonstigen Vertragsbedingungen oder sachlichen Notwendigkeiten ergeben.

In dem zitierten Urteil hat der Senat auch schon entschieden, daß das Bestehen eines Unternehmerrisikos nur dann einen Hinweis auf das Vorliegen seiner selbständigen Tätigkeit enthält, wenn mit diesem Risiko größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft verbunden sind, daß solche Freiheiten aber nur bei entsprechend erhöhten Verdienstchancen real gesichert erscheinen. Um diese Fragen entscheiden zu können, ist es aber erforderlich, zu ermitteln, in welchem Umfang Angestellte (der Firma I…) für derartige Verkaufsstände eingesetzt werden und welche Freiheiten ihnen dabei zugebilligt werden. Ferner ist festzustellen, inwieweit - auch wenn der Stand nur einen Teil des Tages oder der Woche besetzt wurde oder bei Beschäftigung von eigenen Angestellten durch den Propagandisten - noch ein ausreichender Verdienst möglich erschien, welche Aufwendungen (Werbungskosten, Investitionen) die Beigeladene zu 3) zu tragen hatte, welche Kündigungsfristen (für Kündigungen des Vertragsverhältnisses durch die Klägerin) hier in Betracht kamen, falls die Beigeladene zu 3) nicht in einem Umfang tätig wurde, der den Vorstellungen der Klägerin entsprach, und welche Risiken sonst eventuell hiermit verbunden waren.

Hinsichtlich des Unternehmerrisikos kann dem LSG allerdings nicht gefolgt werden, wenn es annimmt, daß ein Einkommensrisiko hierzu nicht zu rechnen sei. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß ein Unternehmerrisiko schon darin liegen kann, daß der Erfolg des Einsatzes der Arbeitskraft ungewiß ist (BSG Urt vom 16. Dezember 1976 - 12/3 RK 4/75 USK 76196; BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17 S 37). Allerdings bedeutet nicht jede Ungewißheit der Einkommenshöhe ein Risiko in diesem Sinne, Vergütungsregelungen sind auch in der Form denkbar, daß neben einem angemessenen Gehalt oder Lohn eine Erfolgsprovision gezahlt wird oder Gewinnanteile zugesagt werden. Auch in diesen Fällen ist die genaue Höhe des Verdienstes ungewiß. Die angemessene Vergütung der Tätigkeit bleibt aber gesichert; der am Erfolg orientierte Mehrverdienst ist eher eine Chance als ein Risiko. Zwischen einer solchen Verdienstregelung und einer (ohne Fixum) allein am Erfolg orientierten Verdienstregelung (die dazu führen kann, daß über längere Zeit die Arbeitskraft ohne jeden Erfolg oder Verdienst bereitgehalten wird) gibt es die vielfältigsten Abstufungen sowohl nach der Höhe des Fixums als auch nach dem tatsächlichen Umfang des Risikos. Eine feste Grenze, von der ab ein beachtliches Risiko anzunehmen ist, kann und braucht dabei nicht festgelegt zu werden. Vielmehr kommt es auch hier nur auf die Würdigung dieser Tatsachen im Rahmen des Gesamtbildes an. Je geringer das Fixum und je größer das tatsächliche Risiko ist (vgl zur Bedeutung des tatsächlichen Risikos: Urteil des erkennenden Senats vom 7. Juni 1979 - 12 RK 12/77 -), desto mehr spricht für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit; umgekehrt spricht mehr für eine abhängige Beschäftigung, je größer das Fixum und je geringer das tatsächliche Risiko von Verdienstschwankungen ist. Insoweit ist noch näher zu klären, in welchem Verhältnis die Mindestprovision der Beigeladenen zu 3) (unter Abzug der für die Tätigkeit erforderlichen Aufwendungen) zu den darüber hinausgehenden Verdienstchancen stand und ob und in welchem Umfang die Beigeladene zu 3) tatsächlich Gefahr lief, nicht mehr als das Fixum zu verdienen.

Schließlich wird auch noch näher zu prüfen sein, inwiefern der Beigeladenen zu 3) freigestanden hat, an ihrem Verkaufsstand auch für andere Fabrikate zu werben oder weitere Verkaufsstände für andere Fabrikate zu betreiben oder sogar Verkaufsstände in mehreren Kaufhäusern für dasselbe oder andere Fabrikate zu übernehmen und diese verschiedenen Verkaufsstände durch Mitarbeiter betreiben zu lassen; wenn dies nach Vertragsbedingungen, die die Klägerin möglicherweise mit den Kaufhäusern ausgehandelt hatte, statthaft gewesen wäre, so würde dies das Gesamtbild im Sinne einer selbständigen Tätigkeit beeinflussen. Das LSG muß auch noch aufklären, ob nicht weitere, bisher nicht festgestellte vertragliche Abmachungen über Umfang, Ablauf und zeitliche Lage der Tätigkeit vorgelegen haben. Dazu gehört die nähere Aufklärung etwaiger mündlicher oder stillschweigender vertraglicher Abreden und der tatsächlichen Beziehungen zwischen den Kaufhäusern und der Klägerin sowie der Beigeladenen (zB in Gestalt einer Hausordnung). Es ist denkbar, daß die Beigeladene durch diese Vertragsbeziehungen mittelbar von Weisungen der Klägerin abhängig war.

Darüber hinaus haben diese Vertragsbeziehungen auch Bedeutung für die Frage, wer als Arbeitgeber der Klägerin anzusehen ist. Arbeitgeber ist derjenige, der in erster Linie zu Weisungen befugt und zur Lohnzahlung verpflichtet ist (BSGE 34, 111, 113, LSG Niedersachsen RSp Dienst 1200 § 393 RVO 7-9; Marburger BB 77, 449). Es ist denkbar, daß bei genauerer Betrachtung der gegenseitigen Vertragsbeziehungen nicht bei der Klägerin, sondern bei dem betreffenden Kaufhaus das Schwergewicht der Weisungsbefugnisse lag und deshalb dieses als Arbeitgeber erscheint. Es ist allerdings auch denkbar, daß die Klägerin als Verleiher von Arbeitskräften anzusehen ist. Zwar spricht zunächst das eigene Interesse der Klägerin, ihre Waren bekanntzumachen, dafür, daß das Schwergewicht der Beziehungen im Verhältnis der Beigeladenen zu 3) zur Klägerin lag. Eine andere Gestaltung ist aber nicht völlig ausgeschlossen, so daß noch geprüft werden muß, ob die Beigeladene nicht bei der Klägerin, sondern bei einem anderen Arbeitgeber beschäftigt war.

Wegen dieser noch erforderlichen Feststellungen ist der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil Vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653877

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