Entscheidungsstichwort (Thema)

Ruhen des Arbeitslosengeldes. Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe. Abschluss eines Altersteilzeitvertrages im Blockmodell. wichtiger Grund. beabsichtigter nahtloser Übergang in die Altersrente. Prognose. maßgeblicher Zeitpunkt. geänderte Rentenpläne wegen nachträglicher Änderung der Rechtslage. abschlagsfreie Altersrente für langjährig Versicherte ab Vollendung des 63. Lebensjahres. Fortwirken des wichtigen Grundes

 

Leitsatz (amtlich)

Ein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch den Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung, der einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe entgegensteht, entfällt nicht dadurch, dass entgegen der ursprünglichen, anhand objektiver Anhaltspunkte prognostisch belegten Absicht unmittelbar nach der Altersteilzeit keine Altersrente, sondern zunächst Arbeitslosengeld in Anspruch genommen wird.

 

Normenkette

SGB 3 § 159 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1; SGB 6 § 236b; AltTZG Fassung: 2003-12-23; AltTZG 1996 Fassung: 2003-12-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 30.09.2016; Aktenzeichen L 8 AL 1777/16)

SG Ulm (Urteil vom 07.04.2016; Aktenzeichen S 6 AL 137/16)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Streit ist (nur noch) die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 12.1.2016 bis 22.2.2016, nachdem die Beklagte eine Sperrzeit vom 1.12.2015 bis 22.2.2016, verbunden mit einer Minderung der Anspruchsdauer, festgestellt hatte.

Die am 1953 geborene Klägerin war von 1982 bis 30.11.2015 bei der Stadt H als Bürofachkraft versicherungspflichtig beschäftigt. Am 28.11.2006 schloss sie mit der Arbeitgeberin einen Altersteilzeitvertrag, der das bestehende unbefristete Arbeitsverhältnis ab 1.12.2009 in ein bis 30.11.2015 befristetes Arbeitsverhältnis umwandelte. Vereinbart wurde Altersteilzeitarbeit im Blockmodell mit einer Arbeitsphase bis zum 30.11.2012 sowie einer anschließenden dreijährigen Freistellungsphase.

Zum 1.12.2015 meldete sich die Klägerin arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte stellte den Eintritt einer Sperrzeit von zwölf Wochen vom 1.12.2015 bis 22.2.2016, das Ruhen des Alg-Anspruchs während dieser Zeit und eine Minderung der Dauer des Leistungsanspruchs um 180 Tage fest, weil die Klägerin ihr Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund selbst gelöst habe (Bescheid vom 19.11.2015). Alg bewilligte die Beklagte ab 23.2.2016 (Bescheid ebenfalls vom 19.11.2015). Die Widersprüche der Klägerin blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23.12.2015). Ab 1.3.2016 bezog die Klägerin Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschlag.

Das SG hat die auf Aufhebung der Sperrzeit und Zahlung von Alg für die Zeit vom 1.12.2015 bis 22.2.2016 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 7.4.2016). Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG und die Bescheide der Beklagten "insoweit abgeändert, als nur eine Sperrzeit von sechs Wochen ab 1.12.2015 festgestellt wird", und die Beklagte verurteilt, "der Klägerin auch Alg ab 12.1.2016 bis 22.2.2016 zu zahlen"; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 30.9.2016). Mit Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung habe die Klägerin ihre Beschäftigungslosigkeit zum 1.12.2015 bewusst in Kauf genommen. Zwar habe sie bei Abschluss der Vereinbarung einen wichtigen Grund für ihr Verhalten gehabt, weil sie zu diesem Zeitpunkt beabsichtigt habe, im unmittelbaren Anschluss an die Altersteilzeit trotz Abschlägen in den Rentenbezug zu wechseln. Ein versicherungswidriges Verhalten der Klägerin liege jedoch darin, dass sie ihre Absicht geändert und sich arbeitslos gemeldet habe, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Ihre finanziellen Erwägungen, die sich mit Inkrafttreten des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes zum 1.7.2014 bietende Möglichkeit zu nutzen, ab Erreichen eines Lebensalters von 63 Jahren und 2 Monaten abschlagsfrei eine Altersrente für besonders langjährige Versicherte zu beziehen, seien nicht geeignet, den für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses wichtigen Grund aufrechtzuerhalten. Außerdem hätte die Klägerin, sobald sie ein Abweichen von ihrer früheren Absicht ernsthaft ins Auge gefasst habe, alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen müssen, um den Eintritt des Versicherungsfalles zu vermeiden, woran es vorliegend fehle. Die Sperrzeit sei aber wegen einer besonderen Härte auf sechs Wochen (1.12.2015 bis 11.1.2016) zu verkürzen.

Gegen das Urteil hat nur die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt das Vorliegen eines Verfahrensfehlers, weil das LSG gegen seine Pflicht zur vollständigen Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch verstoßen habe. Der Tenor des Urteils erstrecke sich nicht auf eine Verringerung der Anspruchsminderung gemäß § 148 Abs 1 Nr 4 SGB III. Die Beklagte rügt zudem eine Verletzung von § 159 Abs 3 Satz 2 Nr 2 Buchst b SGB III. Eine Sperrzeit von zwölf Wochen bedeute keine besondere Härte und sei daher nicht auf sechs Wochen zu verkürzen, denn die Klägerin sei nicht von Anfang an rechtsirrig davon ausgegangen, nach der Altersteilzeit eine Altersrente ohne Abschläge zu erhalten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 2016 teilweise aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 7. April 2016 insgesamt zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG). Das LSG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Klägerin für den (nur noch) streitbefangenen Zeitraum vom 12.1.2016 bis 22.2.2016 Alg zusteht, was auch die Minderung der Anspruchsdauer entsprechend verkürzt.

Gegenstand des Revisionsverfahrens sind das Berufungsurteil des LSG vom 30.9.2016, das Urteil des SG vom 7.4.2016 und der Sperrzeitbescheid vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2015. Mit diesem hat die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Alg vom 1.12.2015 bis 22.2.2016 wegen des Eintritts einer Sperrzeit festgestellt sowie eine Minderung des Alg-Anspruchs um 180 Tage verfügt. Weiter einbezogen ist auch der Bescheid vom 19.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.12.2015, mit dem die Beklagte für den Zeitraum (erst) ab 23.2.2016 Alg bewilligt hat. Beide Bescheide bilden insoweit eine einheitliche rechtliche Regelung (vgl BSG vom 16.9.1999 - B 7 AL 32/98 R - BSGE 84, 270, 271 = SozR 3-4100 § 119 Nr 19 S 93; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 6/11 R - BSGE 111, 1 = SozR 4-4300 § 144 Nr 23, RdNr 12; zuletzt BSG vom 4.4.2017 - B 11 AL 5/16 R - RdNr 10, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Hiergegen wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG).

Da nur die Beklagte Revision eingelegt hat, ist der Gegenstand des Revisionsverfahrens in zeitlicher Hinsicht auf den Anspruchszeitraum vom 12.1.2016 bis 22.2.2016 beschränkt. Für den davor liegenden Zeitraum vom 1.12.2015 bis 11.1.2016 hat das LSG rechtskräftig entschieden, dass der Alg-Anspruch der Klägerin zum Ruhen gekommen ist.

Das Berufungsurteil leidet nicht an einem Verfahrensmangel, insbesondere verletzt es nicht - wie von der Beklagten geltend gemacht - § 123 SGG. Nach § 123 SGG hat das Gericht über die von dem jeweiligen Rechtsmittelführer erhobenen Ansprüche umfassend zu entscheiden, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Zwar hat das LSG den Umfang der Minderung des Alg-Anspruchs im Tenor nicht ausgesprochen. Indes ist die Urteilsformel durch Heranziehung der Entscheidungsgründe auszulegen, wenn sie zu Zweifeln über ihren Inhalt Anlass gibt (vgl BSG vom 21.6.2001 - B 7 AL 6/00 R - juris, RdNr 14; BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - juris, RdNr 14). In der Begründung des Berufungsurteils hat das LSG aber eine Verkürzung des Minderungszeitraums entsprechend der auf sechs Wochen verkürzten Sperrzeit (vgl § 148 Abs 1 Nr 4 SGB III) unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Aus der gebotenen Zusammenschau von Tenor und Entscheidungsgründen ergibt sich danach hinreichend deutlich, dass ein Ausspruch über die Minderung der Anspruchsdauer um 42 Tage beabsichtigt war und dieser nur versehentlich unterblieb (vgl auch BSG vom 6.5.2009 - B 11 AL 10/08 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 19 RdNr 11). Entsprechend ist der Tenor des Berufungsurteils auszulegen.

Entgegen der Rechtsauffassung des LSG bedurfte es vor Erlass der streitbefangenen Bescheide keiner Anhörung der Klägerin wegen der beabsichtigten Entscheidung und daher auch keiner Prüfung, ob diese nachgeholt wurde. § 24 SGB X sieht eine Anhörungspflicht nur vor, wenn ein Verwaltungsakt erlassen werden soll, der in bereits bestehende Rechte des Betroffenen eingreift. Hieran fehlt es, weil der Klägerin Alg noch nicht zuerkannt war, die streitige Verwaltungsentscheidung also in der teilweisen Ablehnung eines Leistungsantrags bestand (vgl nur Karmanski in Brand, SGB III, 7. Aufl 2015, § 159 RdNr 178 mwN; Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III, § 159 RdNr 597, Stand September 2013).

Die Klägerin hat am 1.12.2015 ein Stammrecht auf Alg erworben, weil sie die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Alg erfüllt (§ 137 Abs 1 SGB III). Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat sich die Klägerin bei der Agentur für Arbeit am 18.8.2015 zum 1.12.2015 arbeitslos gemeldet (§§ 137 Abs 1 Nr 2, 141 SGB III), die Anwartschaftszeit erfüllt (§§ 137 Abs 1 Nr 3, 142 SGB III) und sie war auch arbeitslos (§§ 137 Abs 1 Nr 1, 138 SGB III).

Zu Unrecht hat das Berufungsgericht indes angenommen, dass der Zahlungsanspruch auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit ruhte. Nach § 159 Abs 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Halbsatz 1 Alt 1 SGB III vor - nur dieser Tatbestand kommt hier in Betracht -, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Die Sperrzeit beginnt nach § 159 Abs 2 Satz 1 SGB III mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet, also in Anwendung des Abs 1 Satz 2 Nr 1 mit dem ersten Tag der Beschäftigungslosigkeit.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass die Klägerin das Beschäftigungsverhältnis dadurch gelöst hat, dass sie mit ihrer Arbeitgeberin im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung das unbefristete Arbeitsverhältnis in ein befristetes umgewandelt hat. Dadurch ist sie nach dem Ende der Freistellungsphase zum 1.12.2015 - wegen der bis dahin bestehenden Bindungen nicht aber schon vorher - beschäftigungslos geworden (vgl BSG vom 21.7.2009 - B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 § 144 Nr 18, RdNr 16 ff). Die Klägerin hat ihre Arbeitslosigkeit auch zumindest grob fahrlässig herbeigeführt. Löst ein Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis, führt er seine Arbeitslosigkeit jedenfalls dann grob fahrlässig herbei, wenn er nicht mindestens konkrete Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hat (vgl BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 49/04 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 10 RdNr 14; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 6/11 R - BSGE 111, 1 = SozR 4-4300 § 144 Nr 23, RdNr 15). Solche konkreten Aussichten bestanden nach den bindenden Feststellungen des LSG nicht.

Doch kann sich die Klägerin für ihr Verhalten auf einen wichtigen Grund berufen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist über das Vorliegen eines wichtigen Grundes unter Berücksichtigung des Ziels der Sperrzeitregelung zu entscheiden. Diese soll die Versichertengemeinschaft vor Risikofällen schützen, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat; eine Sperrzeit soll nur eintreten, wenn dem Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Dies ist nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Arbeitslosen zu beurteilen, ein wichtiger Grund im Sinne des Sperrzeitrechts muss vielmehr objektiv gegeben sein (BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 33/09 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 21 RdNr 12; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 6/11 R - BSGE 111, 1 = SozR 4-4300 § 144 Nr 23, RdNr 17; Voelzke, NZS 2005, 281, 285; Eicher, SGb 2005, 553, 555). Dabei hat der wichtige Grund nicht nur die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern gerade auch den konkreten Zeitpunkt der Beendigung zu umfassen (BSG vom 17.10.2002 - B 7 AL 136/01 R - SozR 3-4300 § 144 Nr 12 S 34; BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 49/04 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 10 RdNr 17).

Im Falle der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch Altersteilzeitvertrag hat der 7. Senat des BSG mit Urteil vom 21.7.2009 (B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 § 144 Nr 18) diese Rechtsprechung konkretisiert. Ein Arbeitnehmer kann sich auf einen wichtigen Grund berufen, wenn er bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt, nahtlos von der Freistellungsphase der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln, und eine entsprechende Annahme prognostisch gerechtfertigt ist. Die Beurteilung des künftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist dabei abhängig von der rentenrechtlichen Situation und davon, ob bzw wie er diese unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse und Nachfragen bei sachkundigen Stellen eingeschätzt hat. Dieser Rechtsauffassung, die in der Literatur einhellige Zustimmung erfahren hat (vgl zB Gagel, jurisPR-SozR 26/2009 Anm 2; Rolfs/Heikel, SGb 2010, 307, 307 f; Schlegel in Küttner, Personalbuch, 24. Aufl 2017, Stichwort "Altersteilzeit" RdNr 42; Vogelsang in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 16. Aufl 2015, § 84 RdNr 2), tritt der erkennende Senat bei.

Für sie spricht - wie bereits der 7. Senat in dem vorbezeichneten Urteil eingehend dargetan hat - der Sinn und Zweck des Altersteilzeitgesetzes (hier in der bis zum 28.12.2007 gültigen Fassung vom 23.12.2003, BGBl I 2848). Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Altersteilzeit das Ziel verfolgt, die Praxis der Frühverrentung durch eine neue, sozialverträgliche Möglichkeit eines gleitenden Übergangs vom Erwerbsleben in den Ruhestand (Altersteilzeitarbeit) abzulösen. Es war das erklärte Ziel des Gesetzgebers, der Frühverrentungspraxis unter Nutzung des damals rechtlich möglichen vorgezogenen Altersruhegeldes wegen Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken und die Sozialversicherung - insbesondere die Arbeitslosenversicherung - durch die Einführung der Altersteilzeit zu entlasten (vgl BR-Drucks 208/96, S 1, 22 f). Vor diesem Hintergrund kann einem Arbeitnehmer, der sich dieser Gesetzesintention entsprechend verhält und nach der Altersteilzeit nahtlos in den Rentenbezug wechseln will, der Abschluss eines Altersteilzeitvertrages nicht vorgeworfen werden, wenn prognostisch, gestützt auf objektive Umstände, von einem solchen Willen zum direkten Übergang auszugehen war.

So liegt der Fall hier. Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat sich die Klägerin bereits vor Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung bei einer Rentenstelle über die Möglichkeit des Rentenbezugs ab 1.12.2015 mit einem Rentenabschlag von 7,5 % informiert, der objektiv rentenrechtlich möglich war (vgl § 36 SGB VI idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754), und auch darüber, welche Rentenhöhe sie zu erwarten hatte (vgl § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2a SGB VI idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754). Außerdem hatte die Klägerin verschiedene Informationsgespräche mit der Arbeitgeberin, dem Personalrat und Kollegen geführt. Der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung ist von ihrer Arbeitgeberin unterstützt worden. Durch diese Umstände ist, wie vom Berufungsgericht zutreffend erkannt, die Absicht der Klägerin bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages nach dem Ende der Altersteilzeit aus dem Arbeitsleben auszuscheiden und sich nicht erneut dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen, objektiv ausreichend belegt.

Hingegen beruhte nach den Feststellungen des LSG die Entscheidung der Klägerin, sich entgegen dieser Absicht dennoch arbeitslos zu melden, den Rentenbeginn hinauszuschieben und (erst) ab 1.3.2016 eine (abschlagsfreie) Rente in Anspruch zu nehmen auf einem nachträglichen, im Jahre 2014 gefassten Entschluss, dessen Grund die erst durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-LeistungsverbesserungsG idF der Bekanntmachung vom 23.6.2014, BGBl I 787) mit Wirkung zum 1.7.2014 neu eingeführte abschlagsfreie Rente für besonders langjährige Versicherte war. Dieser Änderung des ursprünglichen Planes kommt im vorliegenden Kontext aber keine maßgebliche Bedeutung zu, denn es bedarf bezüglich des wichtigen Grundes keiner retrospektiven Prüfung, sondern allein einer in die Zukunft gerichteten Prognose und damit einer ex-ante-Betrachtung ausgehend vom Zeitpunkt des Lösungstatbestandes. Ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Aussicht auf eine abschlagsfreie Rente für besonders langjährige Versicherte für die Klägerin im Jahre 2006 nicht ansatzweise erkennbar gewesen ist.

Entgegen der Rechtsansicht des LSG entfällt der wichtige Grund auch nicht dadurch, dass die Klägerin entgegen ihrer ursprünglichen Absicht keine Altersrente mit Abschlägen beantragt hat, obwohl ihr dies nach Maßgabe des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl § 36 iVm § 236 Abs 3 SGB VI - jeweils idF der Bekanntmachung vom 20.4.2007, BGBl I 554) weiterhin möglich gewesen wäre. Für die Annahme des Berufungsgerichts, die Änderung ihrer Absicht bedürfe ihrerseits eines wichtigen Grundes, um den für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses wichtigen Grund aufrechtzuerhalten, fehlt es an einer rechtlichen Grundlage (vgl auch Coseriu in Eicher/Schlegel, SGB III, § 159 RdNr 186c, Stand August 2016; Karmanski in Brand, SGB III, 7. Aufl 2015, § 159 RdNr 8 und 139).

Tatbestandlich knüpft § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 1 Halbsatz 1 Alt 1 SGB III allein an das (versicherungswidrige) Verhalten des Arbeitnehmers an, das zur Lösung des Beschäftigungsverhältnisses geführt hat. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist deshalb nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich bezogen auf diesen das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt zu prüfen. Maßgeblich sind allein die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Sperrzeitereignisses; einem späteren Verhalten kommt für die Frage, ob der Versicherte für sein Verhalten einen wichtigen Grund hatte, keine Bedeutung mehr zu (vgl Mutschler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 5. Aufl 2017, SGB III, § 159 RdNr 72; Scholz in Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Aufl 2017, § 159 RdNr 116).

Diese bereits nach dem Wortlaut des § 159 Abs 1 Satz 1 SGB III naheliegende Auslegung gebieten insbesondere Sinn und Zweck des Sperrzeitrechts. Denn der Versicherte soll durch die Sperrzeitregelungen präventiv zu einem zumutbaren (Alternativ-)Verhalten veranlasst werden, das einen Versicherungsfall vermeidet, um die Gemeinschaft der Beitragszahler vor der Inanspruchnahme durch Leistungsberechtigte zu schützen, die den Eintritt des versicherten Risikos der Arbeitslosigkeit selbst herbeigeführt haben (vgl BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 69/04 R - BSGE 95, 232 = SozR 4-4300 § 144 Nr 11 RdNr 18; BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 33/09 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 21 RdNr 12; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 18/11 R - SozR 4-4300 § 144 Nr 24 RdNr 29; Eicher, SGb 2005, 553, 555). Im Kontext einer Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe erfährt der sperrzeitrelevante Sachverhalt deshalb im Zeitpunkt des Lösungsakts eine Zäsur, denn danach vermag diese präventive Wirkung nicht mehr einzutreten. Die Arbeitsaufgabe ist erfolgt, ein (zumutbares) Alternativverhalten ist nicht mehr möglich (vgl Eicher, SGb 2005, 553, 555). Für das Vorliegen eines wichtigen Grundes kann es dann auch nicht mehr darauf ankommen, wie sich der Arbeitslose im weiteren zeitlichen Verlauf bis zum Eintritt der Arbeitslosigkeit verhält (in diesem Sinne bereits BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 69/04 R - BSGE 95, 232 = SozR 4-4300 § 144 Nr 11 RdNr 18). Sperrzeitrechtlich ist es daher auch unbeachtlich, wenn - wie hier - eine Änderung der Absicht erfolgt, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen. Das Nachverhalten der Klägerin ist nur insoweit von Bedeutung, als sich mit ihm ein (eigenständiges) versicherungswidriges Verhalten iS von § 159 Abs 1 Satz 2 SGB III verbindet. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.

Insbesondere auf Bemühungen der Klägerin um ein Anschlussarbeitsverhältnis bzw Vorkehrungen zur Erhaltung des bisherigen Arbeitsplatzes in der Zeit nach Änderung ihres Entschlusses zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente kann es nicht entscheidungserheblich ankommen. Eine allgemeine Pflicht zu weiteren Bemühungen auch im Anschluss an den das Beschäftigungsverhältnis auflösenden Akt steht im Widerspruch zu gesetzgeberischen Grundentscheidungen. Nach § 38 SGB III ist ein Versicherter während eines bestehenden, aber endenden Beschäftigungsverhältnisses nur verpflichtet, sich frühzeitig arbeitsuchend zu melden; es handelt sich hierbei um eine versicherungsrechtliche Obliegenheit, deren Verletzung eine einwöchige Sperrzeit zur Folge haben kann (vgl § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 7, Abs 6 SGB III). Erst für die Zeit nach dem tatsächlichen Ende des Beschäftigungsverhältnisses greift der Gesetzgeber die in § 2 Abs 5 Nr 2 SGB III allgemein normierte Verantwortung zur umfassenden Arbeitsuche auf, indem er diesen bloßen Programmsatz nicht nur zur gesetzlichen Obliegenheit mit einer für den Arbeitslosen nachteiligen Rechtsfolge bei ihrer Verletzung ausgestaltet (vgl § 159 Abs 1 Satz 2 Nr 3, Abs 5 SGB III), sondern zugleich auch zur Anspruchsvoraussetzung für Alg erhebt (vgl § 138 Abs 1 Nr 2, Abs 4 SGB III). Ohne ausdrückliche normative Grundlage das Berufen auf einen wichtigen Grund davon abhängig zu machen, ob im Zeitraum zwischen Lösungsakt und Eintritt des Versicherungsfalles alle zumutbaren Anstrengungen unternommen worden sind, um den Eintritt von Arbeitslosigkeit zu vermeiden, würde diese gesetzlichen Wertungen unterlaufen.

Dem obiter dictum im Urteil des BSG vom 20.4.1977 (7 RAr 112/75 - BSGE 43, 269 = SozR 4100 § 119 Nr 2, juris RdNr 16), auf das das LSG seine gegenteilige Auffassung gestützt hat, kommt im Hinblick auf die aufgezeigte Rechtsentwicklung - der Sperrzeittatbestand bei verspäteter Arbeitsuchendmeldung ist erst zum 31.12.2005 als § 144 Abs 1 Satz 2 Nr 7 SGB III durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 22.12.2005, BGBl I 3676) eingefügt worden - keine Bedeutung mehr zu (kritisch gegenüber dieser Rechtsprechung bereits Eicher, SGb 2005, 553, 556, noch zu §§ 37b, 140 SGB III aF).

War nach all dem der Alg-Anspruch der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum nicht zum Ruhen gekommen, weil schon die Voraussetzungen einer Sperrzeit nicht vorgelegen haben, kommt es auf die vom LSG - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - unternommene Prüfung einer "besonderen Härte" iS von § 159 Abs 3 Satz 2 Nr 2 Buchst b SGB III nicht weiter an. Soweit der Klägerin materiell-rechtlich bereits ab 1.12.2015 ein Anspruch auf Alg ohne Minderung der Anspruchsdauer zugestanden hat, war hierüber nicht zu befinden, da dem die rechtskräftige Entscheidung des LSG entgegensteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 11385774

DB 2017, 21

NJW 2018, 10

NVwZ 2017, 9

FA 2017, 342

NZA 2017, 6

NZA 2018, 641

NZG 2017, 7

WzS 2018, 85

EzA-SD 2017, 6

NZS 2017, 8

NZS 2018, 533

SGb 2017, 638

AUR 2017, 467

ArbRB 2017, 298

KommJur 2017, 8

Breith. 2018, 417

FSt 2018, 381

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge