Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 15.08.1956)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. August 1956 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

I.

Dem Kläger wurde durch Bescheid der Landesversicherungsanstalt Hessen vom 11. November 1949 für „Verlust des linken Auges, kleiner Granatsplitter in linker Gesichtsgegend und Unterschenkel und Verdickung des linken Fußgelenkes” vom 1. Februar 1947 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 40 v.H. bewilligt. Die „Umanerkennung” nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erfolgte durch Bescheid des Versorgungsamts Frankfurt/M. vom 16. Januar 1952. Einen Antrag vom 2. Januar 1952, auch ein Magenleiden und ein Hüftleiden als Schädigungsfolgen anzuerkennen und die Rente zu erhöhen, lehnte das Versorgungsamt am 30. Juli 1952 ab. Darauf legte der Kläger Berufung ein; sie ging am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Frankfurt/M. über. In diesem Verfahren erteilte der Kläger am 23. Juni 1954 den Rechtsanwälten Christine P. und Karl D. in Friedberg „Prozeßvollmacht gemäß § 81 der Zivilprozeßordnung” mit der „Ermächtigung zur Vornahme aller erforderlichen Handlungen, zum Empfang von Zustellungen, …. zur Einlegung und Zurücknahme aller Rechtsmittel und zur Übertragung der Vollmacht auf andere”. Durch Urteil des SG. vom 28. Juni 1954 wurde die Klage abgewiesen.

Am 9. August 1954 legten die Rechtsanwälte D. und P. „namens und in Vollmacht des Klägers” Berufung ein. Am 16. Juni 1956 teilte der Kläger persönlich dem Landessozialgericht (LSG.) mit, er habe erfahren, seine Anwälte hätten die Berufung verspätet eingelegt; er habe sie rechtzeitig damit beauftragt; zur Begründung werde er neue Tatsachen und Beweismittel vorbringen, die nicht Gegenstand der Verhandlung des SG. gewesen seien. Am 2. Juli 1956 bestimmte der Vorsitzende des 4. Senats des LSG. Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. August 1956. Am 4. Juli 1956 wurde Rechtsanwalt D. als Prozeßbevollmächtigter des Klägers geladen; mit Schreiben vom 6. Juli 1956, beim LSG. eingegangen am 9. Juli 1956, teilten die Prozeßbevollmächtigten mit, sie hätten das Mandat niedergelegt. In der Verhandlung des LSG. vom 15. August 1956 war der Kläger nicht erschienen und nicht vertreten. Der Vertreter des Beklagten beantragte, die Berufung zurückzuweisen und nach Lage der Akten zu entscheiden. Mit Urteil vom 15. August 1956 wies das LSG. die Berufung, die in Wirklichkeit rechtzeitig eingelegt war, als unbegründet zurück; die Revision ließ es nicht zu. Das Urteil wurde dem Kläger persönlich am 23. August 1956 zugestellt. Am 22. September 1956 legte er durch Rechtsanwalt E. Friedberg, Revision ein und beantragte, die Urteile des SG. und des LSG. aufzuheben, die Sache an das LSG. zurückzuverweisen, sein Barm- und Hüftleiden als Schädigungsfolge anzuerkennen und eine höhere Rente zu gewähren. Die Frist zur Begründung der Revision wurde auf seinen Antrag bis 6. November 1956 verlängert. Am 3. November 1956 trug der Kläger zur Begründung der Revision vor, das LSG. habe die §§ 73 und 110 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt; zu der Verhandlung vor dem LSG. am 15. August 1956 sei er nicht persönlich geladen worden; die Rechtsanwälte D. und P. hätten von ihm lediglich den Auftrag gehabt, Berufung einzulegen; er habe in der Verhandlung selbst Ausführungen zur Sache machen wollen; diese Absicht habe er auch in dem Schreiben an das LSG. vom 16. Juni 1956 zum Ausdruck gebracht; von den Rechtsanwälten D. und P. sei er von dem Termin nicht benachrichtigt worden.

Der Beklagte beantragte, die Revision als unzulässig zu verwerfen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist nicht zugelassen (§ 162 Abs 1 Nr. 1 SGG); sie ist deshalb nur statthaft, wenn das Verfahren des LSG. an einem wesentlichen Mangel leidet und wenn dieser Mangel auch gerügt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).

Die Rüge des Klägers, das LSG. habe dadurch, daß es ihn nicht persönlich geladen habe, die §§ 110 und 73 SGG verletzt, trifft nicht zu. Der Kläger hat in dem Rechtsstreit vor dem SG. den Rechtsanwälten D. und P. am 23. Juni 1954 eine „Prozeßvollmacht gemäß § 81 der Zivilprozeßordnung” erteilt. Diese Vollmacht umfaßt u. a. „die Ermächtigung zur Vornahme aller erforderlichen Handlungen, zum Empfang von Zustellungen und zur Einlegung und Zurücknahme aller Rechtsmittel”; sie ist nicht auf einzelne Prozeßhandlungen beschränkt; ihr Umfang bestimmt sich nach den §§ 73 Abs. 4 SGG, 81 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Sie erstreckt sich auf den Prozeß als Ganzes und ergreift den Prozeß in allen seinen Stadien (Baumbach-Lauterbach, ZPO, 24. Aufl., § 81 Anm. 1, 2 A; Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 217, 218). Die Prozeßbevollmächtigten des Klägers haben die Prozeßvollmacht zu den Akten des SG. eingereicht; die Berufung gegen das Urteil des SG. haben sie ausdrücklich „namens und in Vollmacht des Klägers” eingelegt. Ihre Vollmacht ist durch das persönliche Schreiben des Klägers an das LSG. vom 16. Juni 1956, eingegangen am 18. Juni 1956, nicht widerrufen worden. Solange sie aber Prozeßbevollmächtigte gewesen sind, hat das LSG. nur ihnen gegenüber handeln dürfen (vgl. Rosenberg a.a.O., S. 223). Mitteilungen des LSG. sind an sie zu richten gewesen (§ 73 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Terminsnachricht, die der Vorsitzende des 4. Senats des LSG. nach den §§ 110, 153 SGG veranlaßt hat, ist deshalb zu Recht ihnen zugestellt worden.

Die Ladung, die den Prozeßbevollmächtigten des Klägers ordnungsmäßig zugestellt worden ist, hat dadurch, daß die Prozeßbevollmächtigten nach Empfang der Ladung, also nach Vollendung des Zustellungsakts, das Mandat niedergelegt haben, ihre Wirkung für und gegen den Kläger nicht verloren. Die Ladung ist durch die spätere Niederlegung des Mandats nicht „gegenstandslos” geworden. Das LSG. hat die Prozeßbevollmächtigten solange als vertretungsbefugt ansehen dürfen, als es nicht gewußt hat, daß die Vollmacht erloschen ist; Mitteilungen des LSG., die es an sie richtet, sind und bleiben genauso wirksam wie Mitteilungen des Gerichts, die zu einer Zeit, in der dem Gericht die Vertretung eines Beteiligten noch nicht angezeigt ist, an den Beteiligten selbst gerichtet werden (vgl. Stein-Jonas, ZPO, 18. Aufl., Anm. III 2, letzter Absatz zu § 176, Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 311 unter II 2, Urteil des OLG. Breslau vom 6.1.1926, JW. 1926 S. 1602 mit Anmerkung von Striemer, Beschluß des LG. Berlin vom 2.7.1948, JR. 1949 S. 580 sowie Beschluß des BSG. vom 18.12.1957, 8 RV 581/55). Das LSG. ist nicht verpflichtet gewesen, den Kläger persönlich zu laden, nachdem es erfahren hatte, daß die Prozeßbevollmächtigten, denen die Ladung ordnungsmäßig zugestellt war, nach Empfang der Ladung das Mandat niedergelegt haben; eine solche Pflicht des Gerichts ist weder im SGG noch in anderen Verfahrensordnungen festgelegt. Da das LSG. zu dem Termin vom 15. August 1956 zu Recht die Prozeßbevollmächtigten des Klägers geladen hat, hat es auch nicht die Pflicht gehabt, vor der Entscheidung des Rechtsstreits noch zu prüfen, ob die Prozeßbevollmächtigten den Kläger von der Ladung verständigt haben. Die §§ 73 und 110 SGG sind sonach nicht verletzt. Damit steht auch fest, daß der Kläger dadurch, daß das LSG. in seiner Abwesenheit verhandelt hat, in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG) nicht verletzt worden ist.

Unter diesen Umständen ist die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft; sie muß deshalb als unzulässig verworfen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 926573

BSGE, 58

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge