Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundrente, Funktion. Beitrittsgebiet. Absenkung. wirtschaftliche Verhältnisse. Lohn- und Einkommensniveau. Anpassung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Recht der Kriegsopferversorgung ist die gesetzliche Regelung nicht verfassungswidrig, daß sich die Höhe der Grundrente im Beitrittsgebiet nach dem dort noch niedrigeren Lohn-, Gehalts- und Rentenniveau richtet.

2. Das Prinzip gleicher Grundrente bei gleichen Schädigungsfolgen erklärt nur individuelle Unterschiede zwischen den Beschädigten für unbeachtlich. Es erklärt aber nicht Besonderheiten in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen, unter denen Beschädigte in ihren Heimatländern leben, für unbeachtlich und läßt somit niedrigere Leistungen bei geringerem Lohnniveau zu.

 

Normenkette

GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; BVG § 84a; EinigVtr Anlage I Kap. VIII K III Nr. 1

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 10.12.1992; Aktenzeichen L 11 V 16/92)

SG Berlin (Urteil vom 28.08.1992; Aktenzeichen S 42 V 45/92)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 1992 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin führt den Rechtsstreit als Rechtsnachfolgerin ihres am 16. März 1993 – während des Revisionsverfahrens – verstorbenen Ehemannes K. W. (des Beschädigten) fort. Der Beschädigte lebte im Beitrittsgebiet (Ostteil Berlins). Er erhielt nur „abgesenkte” Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und verlangte, wie ein Beschädigter in den alten Bundesländern behandelt zu werden.

Der 1924 geborene Beschädigte wurde als Soldat im Zweiten Weltkrieg verletzt. Sein rechtes Bein mußte im unteren Drittel des Oberschenkels amputiert werden. Er bezog nach dem Recht der ehemaligen DDR – neben Alters/Invalidenrente – eine Kriegsbeschädigtenrente. Am 4. Januar 1991 beantragte er Versorgung nach dem BVG. Mit Teil-Bescheid vom 24. Oktober 1991 erkannte der Beklagte als Schädigungsfolge „Verlust des rechten Oberschenkels” an, setzte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) mit 70 vH fest und gewährte ab 1. Januar 1991 – unter Anrechnung der Kriegsbeschädigtenrente – Grundrente und dazu den Pauschbetrag als Ersatz für Kleider- und Wäscheverschleiß nach § 15 BVG jeweils in Höhe von 46,37 vH der in den alten Bundesländern geltenden Beträge. Nach dem Einigungsvertrag (EVertr) sei das Leistungsniveau im Beitrittsgebiet für eine Übergangszeit abgesenkt. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 27. Januar 1992).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Versorgungsbezüge in voller Höhe gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 28. August 1992), nachdem der Beklagte die Leistungen ab 1. Januar 1992 auf 56,70 vH und ab 1. Juli 1992 auf 62,26 vH der in den alten Bundesländern geltenden Beträge angehoben hatte (Bescheide vom 31. März und 1. Juni 1992). Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 10. Dezember 1992). Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Entscheidungen des Beklagten entsprächen geltendem Recht (§ 84 a BVG iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a EVertr), Diese Vorschriften seien auch nicht verfassungswidrig. Zwar stellten sie Berechtigte im Beitrittsgebiet schlechter als Berechtigte in den alten Bundesländern. Darin liege aber angesichts der zwischen diesen Gruppen bestehenden gewichtigen Unterschiede keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung. Der Gesetzgeber habe auf dem Gebiet der gewährenden Staatstätigkeit im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) einen weiten Spielraum, zumal bei Übergangsregelungen und in Sonderheit bei der Beseitigung von Kriegsfolgen. Er habe deshalb das unterschiedliche Lohn- und Rentenniveau in Ost und West berücksichtigen und die Kriegsopferversorgung auf abgesenktem Leistungsniveau in einen Anpassungsverbund mit den im Beitrittsgebiet gleichfalls niedrigeren Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung einbinden dürfen, zumal sichergestellt sei, daß diese Regelung nur soweit und solange gelte, wie die Lebensverhältnisse im Beitrittsgebiet sich noch nicht an das allgemeine Niveau angeglichen hätten. Diesem Vorgehen stehe auch der unterschiedliche Charakter von Renten- und Versorgungsleistungen nicht entgegen. Beide seien jedenfalls verfügbares Einkommen.

Die vom LSG zugelassene Revision macht geltend, daß die Grundrente Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit sei und schädigungsbedingte Mehraufwendungen ausgleichen solle. Die Grundrente habe danach neben der ideellen zwar auch eine wirtschaftliche Funktion, diese erschöpfe sich aber im Ersatz schädigungsbedingter Mehraufwendungen. Ihre Höhe dürfe deshalb nicht an den wirtschaftlichen Verhältnissen orientiert werden, in denen der Beschädigte lebe, sondern einzig an der Schwere des körperlichen Schadens. Beschädigte in Ost und West müßten deshalb bei gleicher Schädigung gleich hohe Leistungen erhalten. Im übrigen herrschten nahezu gleiche Lebensverhältnisse, wie sich an den nur geringen Unterschieden der Regelsätze nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in den alten und neuen Bundesländern zeige. Die unterschiedliche Höhe der Leistungen nach dem BVG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser Zustand sei allenfalls für die in Art. 143 Abs. 1 GG genannte Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1992 mit der Verfassung zu vereinbaren.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Dezember 1992 und des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 1992 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Teilbescheides vom 24. Oktober 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Januar 1992 sowie der Bescheide vom 31. März und 1. Juni 1992 zu verurteilen, ab 1. Januar 1991 Versorgung nach dem BVG ohne Anwendung der sich aus der Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a EVertr ergebenden Maßgaben zu gewähren;

hilfsweise,

das Verfahren nach Art. 100 GG auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Vorschriften des Einigungsvertrages, wonach den Kriegsbeschädigten im Beitrittsgebiet die Versorgungsleistung lediglich in abgesenkter Höhe ausgezahlt wird, mit Art. 3 GG vereinbar sind.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Grundrente sei lediglich unabhängig vom Individualeinkommen des Beschädigten zu gewähren. Art. 3 GG gestatte es, das Leistungsniveau unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Situation und der allgemeinen Einkommensentwicklung in den neuen Bundesländern abzusenken. Der Beklagte hat während des Revisionsverfahrens den Teilbescheid vom 24. Oktober 1991 durch die abschließende Entscheidung vom 18. Februar 1993 ersetzt und die Leistungen mit Bescheid vom 3. Februar 1993 ab 1. Januar 1993 auf 66,06 vH der im BVG genannten DM-Beträge angehoben.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie hält die Absenkung des Leistungsniveaus verfassungsrechtlich für unbedenklich, weil die Höhe der Leistungen sich am jeweiligen sozialen Umfeld des Berechtigten orientieren müsse und es gelte, in den neuen Bundesländern soziale Verwerfungen zwischen Sozialrentnern und Erwerbstätigen einerseits sowie Versorgungsberechtigten nach dem BVG andererseits zu vermeiden.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide entsprechen geltendem Recht. Dessen Regelungen verstoßen nicht gegen das Grundgesetz.

Der Kläger hat Anspruch nur auf abgesenkte Versorgungsleistungen, weil er seinen Wohnsitz am 18. Mai 1990 im Beitrittsgebiet gehabt hat (§ 84 a BVG iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe a EVertr). Im Beitrittsgebiet ist die Höhe laufender Versorgungsleistungen nach dem BVG im Ausgangsbetrag zum 1. Januar 1991 und in der Entwicklung an das dortige Niveau von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gekoppelt. Die in § 15 BVG (Pauschbetrag als Ersatz für Kleider- und Wäscheverschleiß) und § 31 Abs. 1 BVG (Grundrente) genannten DM-Beträge sind mit dem Vomhundertsatz zu multiplizieren, der sich aus dem Verhältnis der verfügbaren Standardrente Ost zur verfügbaren Standardrente West ergibt. Danach waren ab 1. Januar 1991 46,37 vH, ab 1. Juli 1991 50,77 vH, ab 1. Januar 1992 56,70 vH, ab 1. Juli 1992 62,26 vH und ab 1. Januar 1993 66,06 vH der in §§ 15, 31 Abs. 1 BVG genannten DM-Beträge zu zahlen. Die Absenkung endet erst, wenn die Standardrente Ost das Niveau der Standardrente West erreicht hat.

Der Beklagte hat die Grundrente und den Pauschbetrag als Ersatz für Kleider- und Wäscheverschleiß im vorliegenden Fall nach den genannten Bestimmungen richtig berechnet. Er hat zu Recht berücksichtigt, daß der Anspruch auf Grundrente vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 1991 in Höhe der hier gezahlten Kriegsbeschädigtenrente ruhte (Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe g EVertr), so daß sich zunächst für die Grundrente kein und dann ab 1. März 1991 ein gekürzter Zahlbetrag ergab. Ab 1. Januar 1992 hat der Beklagte zu Recht die vom Rentenversicherungsträger als Abschläge auf die Versorgungsbezüge weiter gezahlte Kriegsbeschädigtenrente angerechnet (§ 86 Abs. 1 BVG).

Die übergangsweise Absenkung des Leistungsniveaus in den neuen Bundesländern ist nicht verfassungswidrig. Gegenstand der Prüfung ist nicht der – völkerrechtliche – EVertr, sondern das Zustimmungsgesetz (EVertrG vom 23. September 1990 – BGBl II S 885 –), dessen materiell-rechtlicher Gehalt sich allerdings aus dem EVertr ergibt (vgl. BVerfGE 63, 131, 140 mwN). Prüfungsmaßstab sind die Art. 14 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG.

Unter den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG fallen auch Ansprüche auf Rentenleistungen der Kriegsopferversorgung. Es handelt sich dabei um gesetzliche normierte Ansprüche aus Aufopferung, die nicht einer ausschließlichen Fürsorgepflicht des Staates aufgrund von Billigkeitserwägungen entspringen. Sie dienen vielmehr dem Ausgleich für das dem Staat an Gesundheit und Leben erbrachte besondere Opfer (BSGE 26, 30, 36 = SozR BVG § 7 Nr. 7; SozR 3100 § 56 Nr. 30).

Art. 14 Abs. 1 GG kann hier aber schon deshalb nicht verletzt sein, weil dem Beschädigten vor Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland weder ein Anspruch noch eine Anwartschaft auf Auszahlung von Leistungen nach dem BVG zugestanden hat (vgl. BVerfGE 87, 1, 42; BSG SozR 2200 § 1317 Nr. 5 S 5). Er erfüllte nicht die persönliche Voraussetzung nach § 7 Abs. 1 BVG (Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes). Mit dem Beitritt am 3. Oktober 1990 erfüllte er zwar auch diese Voraussetzung. Die territoriale Einheit führte aber im Kriegsopferversorgungsrecht nicht sofort auch zur Rechtseinheit. Das BVG galt im Beitrittsgebiet erst ab 1. Januar 1991 und von diesem Zeitpunkt an mit den im EVertr genannten Maßgaben (vgl. Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr. 1 Buchstabe m EVertr). Die Rechtseinheit wird auch auf dem Gebiet der Kriegsopferversorgung vollständig erst erreicht sein, wenn die Standardrente Ost aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf das Niveau der Standardrente West gestiegen ist. Der Beschädigte hat also von vornherein nur einen abgesenkten Anspruch mit Aussicht auf Angleichung an das westliche Leistungsniveau im Zuge fortschreitender Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse in Ost und West erworben. Vor Einführung des BVG im Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 war mithin keine individuelle Rechtsposition des Beschädigten hinsichtlich der Versorgung wegen im Krieg erbrachter besonderer Gesundheitsopfer vorhanden, in die der Gesetzgeber – durch Absenkung des Leistungsniveaus – hätte eingreifen können. Durch die Einführung des BVG auch im Beitrittsgebiet wurde diese Position erst geschaffen (vgl. BVerfGE 87, 1, 42). Auch wenn man davon ausgeht, daß der Opfergedanke den Gesetzgeber verpflichtet, eine Entschädigungsregelung zu schaffen, so folgt hieraus nicht, daß diese Regelung gerade so sein müßte, wie sie sich in Jahrzehnten in der alten Bundesrepublik entwickelt hat.

Ob eine solche Verpflichtung besteht, ist nur unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots zu erwägen. Aber auch diese Erwägung ergibt nicht, daß die Kriegsopfer im Beitrittsgebiet und die Kriegsopfer in der alten Bundesrepublik vom Zeitpunkt des Beitritts für gleiche Gesundheitsschäden gleich hohe DM-Beträge erhalten müßten.

Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleichzubehandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Durch den Gleichheitsgrundsatz soll vielmehr ausgeschlossen werden, daß eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 83, 395, 401). Die unterschiedliche rechtliche Behandlung muß deshalb in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Solche Unterschiede bestehen hier.

Adressaten des BVG sind die Kriegsopfer. Ihnen ist gemeinsam, daß sie dem Staat im Krieg Opfer an Gesundheit und Leben gebracht haben. Allein an dieses gemeinsame Merkmal knüpft die Klägerin ihre Forderung, bei gleicher Schädigung – ohne Rücksicht auf den Wohnsitz des Beschädigten im Beitrittsgebiet – gleich hohe Leistungen nach dem BVG zu gewähren. Der Gesetzgeber dagegen hat sich nicht für Gleichsetzung aller Kriegsopfer unter diesem Gesichtspunkt entschieden, sondern für Differenzierung nach einem anderen Kriterium. Er hat der Leistungsabsenkung im Beitrittsgebiet die unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zugrunde gelegt, unter denen Kriegsopfer dort und im bisherigen Geltungsbereich des BVG leben (vgl. BT-Drucksache 11/7817, S 154), insbesondere die durchschnittlich niedrigeren Löhne, Gehälter und Renten. Der Gesetzgeber hat damit ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz an wesentliche sachliche Unterschiede angeknüpft, die im Kriegsopferrecht schon in der Vergangenheit zu unterschiedlich hohen Leistungen geführt haben.

Bereits nach dem Reichsversorgungsgesetz (RVG) vom 12. Mai 1920 (RGBl S 989) richtete sich die Höhe der Rente außer nach der MdE, dem Beruf und dem Familienstand auch nach dem Wohnsitz des Empfängers (§§ 26, 51 RVG). Entsprechend dem Ortsklassenverzeichnis zum Besoldungsgesetz wurden an Rentenempfänger mit Wohnsitz in den Ortsklassen A, B, C und D Ortszulagen zwischen 35 und 10 vH „der zu gewährenden Gebührnisse” gezahlt. Die Ortszulage sollte örtliche Verschiedenheiten in den wirtschaftlichen Verhältnissen der Beschädigten und deren Hinterbliebenen ausgleichen (Ausführungsbestimmungen des Reichsarbeitsministers vom 16. November 1920, RGBl S 1907, Nr. 1 zu § 51 RVG). Nach § 64 e Abs. 1 Satz 4 Buchstabe a BVG (in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung) konnte die Vollversorgung für Berechtigte mit ausländischem Wohnsitz ua dann gekürzt werden, wenn das Durchschnittseinkommen der gewerblichen Arbeitnehmer des Aufenthaltsstaates das Durchschnittseinkommen der gewerblichen Arbeitnehmer im Geltungsbereich des BVG nicht unerheblich unterschritt. Diese Regelung knüpfte die Leistungshöhe an den niedrigeren Lebensstandard in einer Reihe von Staaten und vermied so eine Überversorgung und eine ungerechtfertigte Besserstellung der im Ausland wohnenden Berechtigten, die bei Auszahlung der Versorgungsbezüge nach deutschen Sätzen eingetreten wäre (vgl. BVerfG in der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung SozR 3100 § 64 e Nr. 3 S 5; BSG SozR 3100 § 64 Nr. 3 S 5; BT-Drucksache IV/1831 S 9 zu Nr. 54). Wie die geschilderten gesetzlichen Regelungen zeigen, wird Gleichbehandlung im Kriegsopferrecht nicht immer dadurch erreicht, daß allen Berechtigten – bei ähnlichen Schädigungsfolgen – dasselbe ausgezahlt wird. Bei den Leistungen der Kriegsopferversorgung kommt es vielmehr darauf an, die schädigungsbedingten Nachteile in ihrem sozialen Umfeld angemessen auszugleichen (BSG SozR 3100 § 64 Nr. 7 S 13). Leben die Berechtigten in Gebieten mit deutlich unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen, so wird eine möglichst gleichmäßige Versorgung erst durch an diesen Unterschieden orientierte unterschiedlich hohe Leistungssätze erreicht. Erst dadurch wird materielle Gerechtigkeit im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes hergestellt (BVerfG SozR 3100 § 64 e Nr. 3 S 5).

Diese Grundsätze gelten auch für die Grundrente, auf deren besonderen Charakter die Klägerin sich ohne Erfolg beruft, indem sie geltend macht, diese Leistung solle in der Hauptsache für die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit entschädigen und diene nur neben dieser ideellen Funktion auch dem Ausgleich schädigungsbedingter Mehraufwendungen. Richtig ist, daß die Grundrente eine doppelte Aufgabe hat: Sie soll immaterielle Schäden ausgleichen und außerdem den Mehraufwand abgelten, der den Beschädigten als Folge der Schädigung in allen Lebenslagen erwächst (BSG 30, 21, 25 mit Hinweis auf die Motive des Gesetzes = SozR BVG § 30 Nr. 39; BSGE 33, 112, 117 = SozR BVG § 62 Nr. 43; BSGE 48, 217, 218 = SozR 1200 § 54 Nr. 3; Senatsurteil vom 11. Dezember 1992 – 9a RV 37/91 –; BGH FamRZ 1981, 338, 339). Auch wenn man die Ersatzleistung für immaterielle Schäden in den Vordergrund rückt, so folgt daraus aber nicht das von der Klägerin behauptete Gebot gleicher Zahlbeträge bei vergleichbaren Schädigungsfolgen. Die Höhe der Grundrente wird zwar allein von den Schädigungsfolgen bestimmt (§ 31 Abs. 1 BVG). Sie ist unabhängig von der individuellen Lage des Beschädigten: Auf seine Einkünfte und das Vermögen kommt es ebensowenig an wie auf sonstige persönliche Lebensverhältnisse. Bereits das RVG beseitigte die Unterschiede in der versorgungsrechtlichen Behandlung von Mannschaften und Offizieren sowie der verschiedenen Rangstufen. Die unterschiedliche Behandlung nach Rang und Dienstgrad hatte ihre Berechtigung verloren, weil hunderttausende Beschädigte zu versorgen waren, die nur aus Anlaß des ersten Weltkrieges, aus ihrem bürgerlichen Beruf herausgerissen. Militärdienst verrichtet hatten (vgl. die Begründung zu § 24 RVG, Verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung, Drucksache 2663, S 35). Die Grundrente unterscheidet sich damit auch deutlich vom zivilrechtlichen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen Verletzung von Körper oder Gesundheit. Dieser Anspruch wird nicht – wie die Grundrente – nur nach Ausmaß und Schwere der Verletzungsfolgen, sondern auch nach den persönlichen und den Vermögensverhältnissen des Verletzten bemessen (BGHZ 18, 149, 159). Das Prinzip gleicher Grundrente bei gleichen Schädigungsfolgen ebnet aber nur individuelle Unterschiede ein. Es nivelliert nicht Besonderheiten in den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen, unter denen Beschädigte in ihren Heimatländern leben und läßt Leistungskürzungen bei niedrigerem Lebensstandard durchaus zu.

Der Wert der Grundrente, durch die dem Beschädigten dauerhaft Genugtuung wegen des im Krieg erbrachten besonderen Opfers an Gesundheit verschafft werden soll, hängt nicht allein vom Zahlbetrag ab. Ausschlaggebend für ihren – immateriellen – Wert ist, in welchem Maße die Grundrente den Beschädigten gegenüber seinen nichtbeschädigten Mitbürgern auszeichnet, wieweit sie ihn aus seiner sozialen Umgebung finanziell hervorhebt. Deshalb ist es erforderlich, auch die Höhe der Grundrente der allgemeinen Einkommensentwicklung anzupassen (§ 56 Abs. 1 BVG). Nur dadurch wird der finanzielle Abstand zu nichtbeschädigten Mitbürgern auf Dauer gewahrt und dem Beschädigten gleichbleibende Genugtuung verschafft. Die in § 31 Abs. 1 BVG genannten Zahlbeträge würden aber einen vergleichbar Beschädigten zB in den Ländern Osteuropas gegenüber der dortigen Bevölkerung weit stärker hervorheben als einen Beschädigten in Deutschland gegenüber seinen Mitbürgern. In den genannten ausländischen Staaten wird deshalb gerade durch geringere Zahlbeträge der Verlust an körperlicher Integrität in gleicher Weise entschädigt wie in Deutschland.

Bis zum Beitritt der DDR kannte das BVG innerhalb Deutschlands keine unterschiedlichen Leistungssätze bei der Grundrente, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse auch in den alten Bundesländern unterschiedlich sind. An diese Unterschiede knüpfen verschiedene sozialrechtliche Leistungsgesetze die Höhe der Ansprüche (vgl. dazu die nach Bundesländern unterschiedliche Höhe der Regelsätze nach dem BSHG und die an das jeweilige Mietniveau der Wohngemeinde gekoppelte Regelung in § 8 Wohngeldgesetz). Dabei handelt es sich aber um die Befriedigung spezieller Bedürfnisse, während die undifferenzierte Höhe der Grundrente zu Recht auf einen einheitlichen Lebensstandard der deutschen Bevölkerung abstellt und unwesentliche regionale Unterschiede außer acht läßt. Diese Situation änderte sich mit dem Beitritt der DDR. Die wirtschaftliche Lage in einem klar abgrenzbaren Teil des Bundesgebiets, in den neuen Bundesländern, unterschied sich grundlegend von den sonst herrschenden Verhältnissen. Sie war 1990 gekennzeichnet durch den wirtschaftlichen Ruin der DDR und einen deutlich niedrigeren Lebensstandard der dortigen Bevölkerung. Noch im Oktober 1991 lag der durchschnittliche Bruttoverdienst von Arbeitern und Angestellten in den neuen Bundesländern nur bei etwa 50 % des Durchschnittsverdienstes im früheren Bundesgebiet (Statistisches Jahrbuch 1992 für die Bundesrepublik Deutschland, S 587). An das niedrigere Lohn- und Gehaltsniveau hat der Gesetzgeber die Standardrente (Ost) geknüpft und an diese wiederum die Höhe der Grundrente im Beitrittsgebiet. Er hat damit sichergestellt, daß Beschädigte im Beitrittsgebiet durch die Grundrente nur entsprechend dem dort herrschenden Lohn-, Gehalts- und Rentenniveau gegenüber ihren Mitbürgern ausgezeichnet werden und unter Abstandswahrung bis zur Herstellung einheitlicher wirtschaftlicher Verhältnisse in Ost und West an Verbesserungen im Beitrittsgebiet teilhaben. Die Dauer dieser Übergangszeit hängt allein von der tatsächlichen Entwicklung ab. Anders als von der Klägerin angenommen hat das GG in Art. 143 Abs. 1 die Übergangszeit nicht bis zum 31. Dezember 1992 befristet. Diese Vorschrift betrifft die Anpassung im Beitrittsgebiet geltenden verfassungswidrigen Rechts an das GG. Darum handelt es sich hier nicht. Die im Beitrittsgebiet geltenden besonderen Vorschriften zum BVG sind – wie gezeigt – verfassungsgemäß.

Selbst wenn man das unterschiedliche Lohnniveau nicht als einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Höhe der BVG-Leistungen ansehen wollte, wäre eine sofortige Angleichung nicht geboten gewesen. Die Erkenntnis, daß eine bestimmte Personengruppe kraft Verfassungsrechts in den Kreis einer durch ein Leistungsgesetz begünstigten Personengruppe einbezogen werden muß, führt nicht zur Verpflichtung des Gesetzgebers, sofort oder unverzüglich rückwirkend die Einbeziehung zu vollziehen. Ungleiche Regelungen sind in der Vergangenheit vor allem dann durch das Bundesverfassungsgericht für eine Übergangszeit hingenommen worden, wenn ein außerordentliches Problem zu bewältigen war, das seinen Ursprung in historischen Vorgängen aus der Zeit vor der Entstehung der Bundesrepublik hatte (vgl. BVerfGE 43, 212, 226; 57, 335, 345). Die Einbeziehung der Kriegsopfer in der ehemaligen DDR in das System des BVG ist ein durchaus vergleichbares außerordentliches Problem. Die Übergangszeit ist hinzunehmen, obwohl ihr Ende nicht genau datiert werden kann, denn die vollständige Einbeziehung ist nicht nur fest geplant, sondern gesetzlich vollständig programmiert.

Die Bescheide des Beklagten vom 3. und vom 18. Februar 1993 gelten nach § 171 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als mit der Klage beim SG angefochten, weil sie den Kläger nicht klaglos gestellt haben. Das SG wird nunmehr nach Abschluß des Revisionsverfahrens über die Klagen zu entscheiden haben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 927619

BSGE, 41

BB 1993, 2166

Breith. 1994, 149

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