Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenhauspflege. Behandlung in Spezialeinrichtungen. Psychotherapie. heilpädagogische Behandlung. Verletzung der Pflicht zur Aufklärung. Beratung und Auskunftserteilung. Herstellungsanspruch. Folgenbeseitigungsanspruch. Umwandlung eines Sachleistungsanspruches in einen Kostenerstattungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Der der Krankenkasse in § 184a RVO eingeräumte Ermessensspielraum erlaubt es nicht, die Leistung abzulehnen, wenn die Ablehnung nicht zu rechtfertigen ist. Ist eine stationäre Behandlung nach § 184a RVO erforderlich, um eine Krankheit zu heilen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, dann kann sie nicht verweigert werden. Der Umstand, daß die Behandlung einer psychischen Erkrankung nicht ausschließlich von Ärzten durchgeführt werden kann, sondern an ihr auch Psychotherapeuten mitwirken müssen, änderte an der Leistungspflicht der Krankenkasse nichts.

2. Wird der Versicherte aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens der Krankenkasse gezwungen, sich die erforderliche Leistung selbst zu beschaffen, tritt an die Stelle des Anspruchs auf Sachleistung ein Anspruch auf Kostenerstattung.

3. Ein Anspruch auf Kostenerstattung ist auch dann rechtlich begründet, wenn die Krankenkasse ihre Pflicht zur Aufklärung, Beratung und Auskunftserteilung verletzt.

 

Normenkette

RVO § 184 Abs 2 Fassung: 1977-06-27, § 184a Fassung: 1974-08-07; SGB 1 § 13 Fassung: 1975-12-11, § 14 Fassung: 1975-12-11, § 15 Fassung: 1975-12-11, § 16 Abs 3; RVO § 122

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 23.01.1980; Aktenzeichen L 4 kr 86/77)

SG Würzburg (Entscheidung vom 02.06.1977; Aktenzeichen S 8 Kr 1/76)

 

Tatbestand

Der klagende Sozialhilfeträger verlangt Ersatz der Kosten, die er für die Unterbringung und Behandlung des Kindes eines Versicherten in einem psychotherapeutisch-heilpädagogischen Heim aufgewendet hat.

Die 1957 geborene Tochter Helga (H.) des bei der beklagten Krankenkasse versicherten O K, des Beigeladenen zu 1), befand sich vom 24. September 1975 bis zu ihrer Einweisung in das Nervenkrankenhaus L am 3. Juni 1976 in der "Psychotherapeutisch-heilpädagogischen Station" des St J in W. Der stationäre Aufenthalt war nach ärztlicher Feststellung zur Behandlung einer Sprachbehinderung mit Verhaltensstörungen erforderlich (Gutachten des Psychotherapeutischen Beratungsdienstes W vom 7. April 1975, amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamtes K vom 10. Juli 1975, landesärztliche Stellungnahme der HNO-Klinik der Universität W vom 5. August 1975). Die Kosten der Unterbringung übernahm der Kläger mit Bescheid vom 10. September 1975 als vorläufige Hilfeleistung iS des § 44 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), nachdem zuvor sowohl die Beklagte als auch die zuständige Landesversicherungsanstalt (LVA), die Beigeladene zu 2), ihre Leistungspflicht verneint hatten. Die Beklagte begründete ihre Ablehnung damit, daß es sich bei der Station St Josef nicht um eine krankenhausähnliche Einrichtung handele. Die Beigeladene zu 2) machte die ausschließliche Zuständigkeit der Krankenkasse geltend, weil H selbst nicht der Rentenversicherung angehöre; außerdem vertrat sie die Ansicht, bei Sprachstörungen der vorliegenden Art handele es sich um eine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne, für die grundsätzlich Krankenhauspflege zu gewähren sei. Die Beklagte und die Beigeladene zu 2) wiesen auch die vom Kläger nach Kostenübernahme gestellten Ersatzforderungen zurück.

Die daraufhin erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Nach Vernehmung des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr W W und der Kinderärztin Dr I Wagner (niedergelassene Fachärzte und Vertragsärzte des St J) sowie des Diplompsychologen Dr P F und der Diplompsychologin und Psychotherapeutin Dr O W (Angestellte des St J) als sachverständige Zeugen ist es zum Ergebnis gekommen, die Behandlung der H in der Station St Josef könne weder als Krankenhausbehandlung noch als Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung noch als eine entsprechende Behandlung angesehen werden. Es habe an einer intensiven ärztlichen Behandlung gefehlt. Die Station stehe nicht unter ärztlicher Leitung; für sie sei die nichtärztliche psychotherapeutische und heilpädagogische Behandlung charakteristisch. An der alleinigen Verantwortung der Psychologen für die psychologisch-therapeutischen Aufgaben ändere sich nichts dadurch, daß sich die nichtärztlichen Psychologen von Vertragsärzten beraten ließen. Auch H sei im wesentlichen wegen der nichtärztlichen Behandlungsmöglichkeiten eingewiesen worden. Die notwendige medizinische Behandlung wäre vom Heimaufenthalt abtrennbar und ambulant möglich gewesen. Die stationär durchgeführte psychotherapeutische bzw psychagogische Behandlung könne nicht als Maßnahme der Krankenpflege, auch nicht als Heilmittel angesehen werden. Die Beigeladene zu 2) sei ebenfalls nicht leistungspflichtig, denn eine der durchgeführten Behandlung entsprechende Leistung sei nicht im Leistungskatalog des § 1305 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgenommen.

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger die Kosten der stationären Unterbringung der H vom 24. September 1975 bis 3. Juni 1976 zu ersetzen. Es hat im Rahmen der - dem Versicherten für seine Tochter H unstreitig zustehenden - Familienkrankenhilfe eine Verpflichtung der Beklagten zur stationären Behandlung nach § 184 oder § 184a RVO oder in analoger Anwendung dieser Vorschriften angenommen und damit auch den Ersatzanspruch des Klägers nach §§ 1531 ff RVO für gerechtfertigt gehalten. Es hat dabei dahingestellt gelassen, ob es sich bei der Station St Josef um ein Krankenhaus iS des § 184 RVO oder um eine Spezialeinrichtung iS des § 184a RVO handelt, denn die stationäre Behandlung seelischer Erkrankungen könne in entsprechender Anwendung des § 184 RVO auch in anderen Einrichtungen als Krankenhäusern durchgeführt werden (BSGE 31, 279 = SozR Nr 30 zu § 184 RVO). Mit der psychogenen Sprachstörung iS eines selektiven Mutismus habe eine Krankheit vorgelegen, die die stationäre Behandlung in der Station St Josef erforderlich gemacht habe. Daneben sei bei der Aufnahme noch eine allgemeine Dysplasie mit Brachydaktylie, juvenilen Depressionen und Schlafstörungen diagnostiziert und kurz danach eine starke Tablettenabhängigkeit mit Suizidgefährdung festgestellt worden. Nach den ärztlichen Stellungnahmen hätte eine ambulante Behandlung nicht ausgereicht. Die gegenteilige Auffassung des SG beruhe auf einer Verkennung des Begriffs Krankenhauspflege bzw dessen analoger Anwendung. Die Krankenkasse sei auch dann noch leistungspflichtig, wenn die Therapie nicht vorwiegend durch Ärzte erbracht werde (BSG SozR Nr 23 zu § 184 RVO). Vor allem bei Behandlungen in psychiatrischen Krankenhäusern sei zu beachten, daß die neueren Diagnostik- und Therapiemethoden es mit sich brächten, die traditionellen Funktionen des Arztes durch nichtärztliche Mitarbeiter in stärkerem Maße zu ergänzen (BSGE 47, 83 = SozR 2200 § 216 Nr 2 mwN). Im Rahmen einer stationären Behandlung lasse sich die rein ärztliche Leistung nicht von der übrigen Therapie abtrennen. Bei der Station St Josef liege der Schwerpunkt der therapeutischen Bemühungen bei den lebenshelfenden Psychologen. Dieser Umstand stehe einer analogen Anwendung der §§ 184, 184a RVO nicht entgegen, wenn die Einrichtung unter ärztlicher Leitung stehe. An das Erfordernis der ärztlichen Leitung dürften jedoch keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Im Hinblick auf die Besonderheiten der Therapie in psychotherapeutischen und heilpädagogischen Heimen liege es in der Natur der Sache, daß der ärztlichen Leitung zwar eine verantwortliche, nicht aber eine dominierende Rolle zukomme. Es müsse daher als ausreichend angesehen werden, wenn die Leitung des Hauses in den Händen eines Leitungsteams liege, das sowohl aus Fachärzten als auch aus Psychologen bestehe und das die entscheidenden Beschlüsse für die Therapie gemeinsam fasse. Dies müsse besonders für den vorliegenden Fall gelten, denn nach der Aussage des Dr W sei der psychologischen und der medizinisch-psychiatrischen Behandlung gleichrangige Bedeutung zugekommen, die Behandlung habe sogar mehr bei ihm als bei dem Diplompsychologen Dr F gelegen. Schließlich handele es sich bei der Station St Josef um eine Einrichtung, die nach gesicherten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft für die stationäre Behandlung bestimmter seelischer Erkrankungen geeignet sei. Dem (aus dem Berufungsverfahren L 4 Kr 69/76 des Bayer LSG beigezogenen) Gutachten des Prof Dr L sei zu entnehmen, daß dieselben Therapieformen, die in der Station St Josef durchgeführt würden, auch in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik - zB in der von Prof Dr I geleiteten Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität T - zur Anwendung kämen. Ziehe man schließlich in Erwägung, daß die Pflegesätze in der Station St Josef wesentlich niedriger seien als in einer entsprechenden jugendpsychiatrischen Klinik, so gewinne auch das wirtschaftliche Argument Bedeutung, das bei BSGE 31, 279 eine nicht unerhebliche Rolle gespielt habe.

Mit der Revision rügt die Beklagte vor allem eine Verletzung der §§ 184, 184a RVO. Es bedürfe keiner Festlegung auf eine der beiden Vorschriften, denn zum einen greife die Subsidiarität des § 184a RVO nicht durch, zum anderen könne die Ersatzleistung nach § 1531 RVO nicht mit dem Hinweis versagt werden, es handele sich um eine Ermessensleistung; insoweit sei dem LSG zuzustimmen. Das LSG berufe sich jedoch zu Unrecht auf BSGE 31, 279, denn diese Entscheidung sei mit Inkrafttreten des § 184a RVO als überholt anzusehen. Das angefochtene Berufungsurteil berücksichtige nicht, daß im Krankenhaus der Arzt die zentrale Stellung innehabe. Hilfeleistungen anderer Personen könnten der ärztlichen Behandlung nur unter der Bedingung zugerechnet werden, daß der Arzt selbst anleitend, mitwirkend oder beaufsichtigend tätig werde (BSGE 48, 258 = SozR 2200 § 182 RVO Nr 47 mwN). Nach den Tatsachenfeststellungen des SG liege bei der Station St Josef der Schwerpunkt der therapeutischen Bemühungen bei dem Psychologen; die vom LSG getroffene Feststellung, die entscheidenden Beschlüsse für die Therapie würden gemeinsam gefaßt, sei nicht aufrechtzuerhalten. Das LSG habe einen zu rügenden Verfahrensmangel begangen, als es bei der versicherungsrechtlichen Einordnung der Therapie auch die Aussage von an der Therapie nicht Beteiligten verwertet habe. Die bisherige Auslegung des Begriffes "Krankenhaus" durch das Bundessozialgericht (BSG) sei nicht mehr vertretbar. Das Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) und die mit diesem in Zusammenhang stehenden Vorschriften sowie § 184 Abs 2 und §§ 371 und 372 RVO idF des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes (KVKG) erforderten eine Anpassung der leistungsrechtlichen Vorschriften (§ 184 RVO), um den Zweck der gesetzlichen Neuregelungen, die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser, nicht zu gefährden. Die in § 184 Abs 2 und § 371 RVO aufgestellten Grundsätze müßten auch für den Bereich der Kur- und Spezialeinrichtungen gelten. Die Praxis zeige nämlich, daß in Fällen, in denen die Bereitschaftserklärung nach § 371 Abs 2 RVO nicht angenommen werde, es über § 184a RVO versucht werde, die Leistungspflicht der Sozialleistungsträger herzustellen. Damit werde das mit dem KVKG verfolgte Ziel vereitelt. Die Station St Josef sei nicht im Krankenhausbedarfsplan des Freistaates Bayern aufgenommen. Würde nun im Kostenerstattungsstreit eine Leistungspflicht der Beklagten ausgesprochen, so hätte das zur Folge, daß nicht bedarfsnotwendige Betten sanktioniert und zu finanzieren wären.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts

vom 23. Januar 1980 aufzuheben und die Berufung .

des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts

Würzburg vom 2. Juni 1977 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, die Auslegung der §§ 184, 184a RVO durch das Berufungsgericht sei gesetzeskonform. Ergänzend trägt er vor: Prof Dr N, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität W, komme in einem Gutachten vom 16. Mai 1980 (erstattet für das Bayer LSG in der Streitsache L 4 Kr 87/77) ebenfalls wie Prof Dr I zu dem Ergebnis, daß es sich bei der Station St Josef um eine Einrichtung handele, die nach gesicherten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft für die stationäre Behandlung bestimmter seelischer Erkrankungen geeignet sei. Da der Beklagten die Notwendigkeit der stationären Behandlung bekannt gewesen sei, hätte sie keinesfalls die Kostenübernahme mit dem Hinweis ablehnen dürfen, bei der Station St Josef handele es sich nicht um eine krankenhausähnliche Einrichtung. Sie hätte zumindest versuchen müssen, für H die erforderliche stationäre Behandlung in einem anderen Krankenhaus sicherzustellen, das nach ihrer Meinung dazu geeignet gewesen wäre. Die Beklagte sei insoweit auch nicht ihrer Beratungs- und Auskunftspflicht nachgekommen.

Die Beigeladene zu 2) hält ebenfalls das Berufungsurteil für zutreffend.

Der Beigeladene zu 1) hat sich nicht am Revisionsverfahren beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist unbegründet.

Das Berufungsgericht hat zu Recht die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten zu ersetzen, die dieser für die stationäre Unterbringung der Tochter H des Beigeladenen zu 1) in der psychotherapeutisch-heilpädagogischen Station des St J in W vom 24. September 1975 bis zum 3. Juni 1976 aufgewendet hat. Der Kläger kann Kostenersatz nach §§ 1531 bis 1533 RVO verlangen, denn zum einen hat er als der zuständige Sozialhilfeträger mit der vorläufigen Kostenübernahme eine gesetzliche Pflicht (§ 44 BSHG) erfüllt und zum anderen steht dem Beigeladenen zu 1) aus seiner Mitgliedschaft bei der beklagten Krankenkasse eine Anspruch auf Erstattung der Unterbringungskosten zu.

Der Kostenerstattungsanspruch hat sich aus einem Sachleistungsanspruch ergeben, der auf stationäre Behandlung der H gerichtet war und von der Beklagten zu Unrecht abgelehnt worden ist. Es ist unbestritten, daß der Beigeladene zu 1) in der hier fraglichen Zeit einen Anspruch auf Familienkrankenpflege für H hatte (§ 205 RVO). Es steht ferner fest, daß H an einer Krankheit litt, die einer stationären Behandlung bedurfte. Ungeklärt ist allerdings, ob eine Krankenhauspflege iS des § 184 RVO oder eine stationäre Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung iS des § 184a RVO erforderlich war. Von der Beantwortung dieser Frage hängt es im allgemeinen ab, ob die Krankenkasse überhaupt und gegebenenfalls in welcher Weise sie verpflichtet ist. Ist die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich, um die Krankheit zu erkennen oder zu behandeln oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, dann hat der Versicherte gegen die Krankenkasse einen Rechtsanspruch auf Krankenhauspflege. Ist dagegen die Behandlung in einer Kur- oder Spezialeinrichtung erforderlich, um eine Krankheit zu heilen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, dann kommt die Krankenkasse als zuständiger Leistungsträger nur in Betracht, wenn nach den für andere Täger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 1305 Abs 1, des § 84 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und des § 97 Abs 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) oder nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) solche Leistungen nicht gewährt werden können. Außerdem ist die stationäre Behandlung nach § 184a RVO in das Ermessen der Krankenkasse gestellt. Im vorliegenden Fall kommt es jedoch nicht mehr darauf an, auf welche der beiden Behandlungsarten H angewiesen war. Auch bei der Erforderlichkeit einer stationären Behandlung nach § 184a RVO war die Beklagte leistungspflichtig. Die Subsidiarität dieser Kassenleistung schloß die Leistungspflicht der Beklagten nicht aus, denn für H bestand kein vorrangiger Anspruch gegen einen anderen Sozialleistungsträger. H selbst gehörte nicht der Rentenversicherung an. Aus dieser Versicherung konnte für sie nur ihr Vater nach § 1305 RVO einen Anspruch haben, ein solcher Anspruch ist jedoch in § 184a RVO von der Vorrangigkeit ausdrücklich ausgenommen. Für die Zuständigkeit eines anderen Sozialleistungsträgers fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Des weiteren erlaubt es der der Krankenkasse in § 184a RVO eingeräumte Ermessensspielraum nicht, die Leistung abzulehnen, wenn die Ablehnung nicht zu rechtfertigen ist. Insoweit stimmt die Revision den Feststellungen und Schlußfolgerungen des Berufungsgerichts ausdrücklich zu. Ist eine stationäre Behandlung nach § 184a RVO erforderlich, um eine Krankheit zu heilen, zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten, dann kann sie nicht verweigert werden (vgl BSGE 47, 83, 85 = SozR 2200 § 216 RVO Nr 2 mwN).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts litt H bei Beginn der stationären Behandlung in der Station St Josef an psychogenen Sprachstörungen iS eines selektiven Mutismus, einer allgemeinen Dysplasie mit Brachydaktylie, juvenilen Depressionen und Schlafstörungen; kurz darauf stellte sich außerdem eine starke Tablettenabhängigkeit mit Suizidgefährdung heraus. Diese Feststellungen sind mit der Revision nicht angegriffen worden, der Senat hat sie daher seiner Entscheidung zugrunde zu legen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Bei H lagen also Gesundheitsstörungen im psychischen Bereich vor, die behandlungsbedürftig waren. Nach einer weiteren den Senat bindenden Feststellung des Berufungsgerichts reichte eine ambulante Behandlung nicht mehr aus. Es war deshalb eine stationäre Behandlung erforderlich (BSG SozR 2200 § 184 RVO Nr 11).

Der Umstand, daß die Behandlung der psychischen Erkrankung nicht ausschließlich von Ärzten durchgeführt werden konnte, sondern an ihr auch Psychotherapeuten mitwirken mußten, änderte an der Leistungspflicht der Beklagten nichts. Im ambulanten Bereich gehört zwar die von einem nichtärztlichen Psychotherapeuten selbständig und ohne ärztliche Anordnung, Leitung und Überwachung durchgeführte Behandlung nicht zu den nach § 182 Abs 1 Nr 1 RVO den Krankenkassen obliegenden Leistungen der Krankenpflege (BSGE 48, 258 ff = SozR 2200 § 182 Nr 47). Daraus folgt jedoch nicht, daß für geistig-seelische Erkrankungen, die einer psychotherapeutischen Behandlung bedürfen, keine Krankenpflege zu gewähren wäre. Die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung sind ohne Einschränkung "für den Fall der Krankheit" versichert (§ 165 Abs 1 RVO). Der Versicherungsschutz beschränkt sich also nicht auf körperlich-organische Erkrankungen, er umfaßt auch geistig-seelische Erkrankungen. Allerdings sind die Leistungen, die die soziale Krankenversicherung zur Bekämpfung der Krankheiten zur Verfügung zu stellen hat, gesetzlich festgelegt (§§ 179 ff RVO). Das selbständige Tätigwerden eines Angehörigen nichtärztlicher Heilberufe ist als Kassenleistung nicht vorgesehen, der Gesetzgeber hat vielmehr die Krankenpflege den Ärzten anvertraut (§ 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO; vgl auch BSGE 48, 47 ff = SozR 2200 § 368 RVO Nr 4). Die ärztliche Behandlung umfaßt jedoch auch Hilfeleistungen anderer Personen, wenn der Arzt sie anordnet oder wenn in dringenden Fällen kein approbierter Arzt zugezogen werden kann (§ 122 RVO). Daraus ergibt sich, daß die Behandlung geistig-seelischer Erkrankungen durch nichtärztliche Psychotherapeuten zwar keine selbständige Leistung der Krankenversicherung ist, aber im Rahmen einer ärztlichen Behandlung, wenn erforderlich, erbracht werden muß.

Die Verpflichtung zu einer solchen psychotherapeutischen Behandlung wird von den Krankenkassen grundsätzlich anerkannt. So ermächtigt die aufgrund der Psychotherapie-Richtlinien vom 27. Januar 1976 (BAnz 76/1976) von der kassenärztlichen Bundesvereinigung mit den Bundesverbänden der gesetzlichen Krankenkassen geschlossene Psychotherapievereinbarung vom 11. Juni 1976 (DOK 1976, 556) in ihrem § 2 einen zur Ausübung tiefen-psychologisch fundierter und analytischer Psychotherapie berechtigten Arzt, unter bestimmten Voraussetzungen einen nichtärztlichen Psychotherapeuten oder Psychagogen zur Behandlung hinzuzuziehen. Zur Verpflichtung der Krankenkasse, im Rahmen der ärztlichen Behandlung auch psychotherapeutische Behandlung zu gewähren, hat sich das BSG schon wiederholt geäußert. Der Senat hat ua entschieden, daß eine in Anspruch genommene Krankenkasse verpflichtet ist, dem Versicherten, der für sich oder einen familienhilfeberechtigten Angehörigen psychotherapeutische Behandlung benötigt, den Weg aufzuzeigen, wie er diese Behandlung als Kassenleistung erhalten kann (SozR 2200 § 182 RVO Nr 57; Urteil vom 18. Februar 1981 - 3 RK 34/79 -). Im stationären Bereich hat der am 1. Oktober 1974 in Kraft getretene § 184a RVO (§ 21 Nr 9 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes -RehaAnglG-) die Möglichkeit psychotherapeutischer Behandlung erweitert. Die hier vorgesehene Behandlung in Spezialeinrichtungen ermöglicht in besonderer Weise auch die Anwendung von Psychotherapie. Ob die Krankenkasse auch dann nach § 184a RVO verpflichtet ist, wenn vor allem eine Behandlung durch einen Psychologen erforderlich ist und die Betreuung durch einen Arzt nur begleitenden Charakter hat, ist hier nicht zu entscheiden. Wie das Berufungsgericht unter Berufung auf die Zeugenaussage des behandelnden Nervenfacharztes Dr W bindend festgestellt hat, waren bei H die psychologische Behandlung und die medizinisch-psychiatrische Behandlung von gleichrangiger Bedeutung, die Behandlung soll sogar mehr bei dem Nervenfacharzt Dr w gelegen haben. Die dadurch gekennzeichnete Behandlungsbedürftigkeit der H läßt es - unabhängig von der wenig später dann doch noch erfolgten Einweisung in ein Nervenkrankenhaus - nicht zu, die medizinische Notwendigkeit einer stationären Behandlung iS des § 184 oder des § 184a RVO anzuzweifeln.

Die Einwendungen der Revision richten sich auch weniger gegen die vom Berufungsgericht festgestellte Behandlungsbedürftigkeit, sondern vor allem dagegen, die Station St Josef einem Krankenhaus iS des § 184 Abs 2 RVO (sowohl in der vor als auch ab dem 1. Januar 1978 geltenden Fassung - idF des § 1 Nr 1 des Leistungsverbesserungsgesetzes vom 19. Dezember 1973 bzw idF des Art 1 § 1 Nr 10 des KVKG vom 27. Juni 1977) oder einer Spezialeinrichtung iS des § 184a RVO gleichzustellen. Diese Einwendungen sind jedoch nicht geeignet, den Anspruch auf stationäre Behandlung als solchen in Zweifel zu ziehen. Sie wären unter Umständen von Bedeutung, wenn der Beigeladene zu 1) oder der für ihn handelnde Kläger eine stationäre Behandlung von H ausschließlich in der Station St Josef begehrt oder eigenmächtig ohne vorherige Einschaltung der Krankenkasse veranlaßt hätte. In diesem Fall könnte ein Anspruch auf Kostenerstattung von der Beantwortung der Frage abhängen, ob es sich bei der Station St Josef um ein Krankenhaus iS des § 184 Abs 2 RVO in der hier maßgebenden Fassung des am 1. Januar 1974 in Kraft getretenen Leistungsverbesserungsgesetzes (BGBl I 1925) oder um eine Spezialeinrichtung iS des § 184a RVO idF des am 1. Oktober 1974 in Kraft getretenen RehaAnglG gehandelt hat. Nach den dem Berufungsurteil zugrundeliegenden und mit der Revision nicht angegriffenen Tatsachenfeststellungen wurde die Beklagte jedoch längere Zeit vor Beginn der stationären Behandlung mit der Bitte um Kostenübernahme darüber informiert, daß nach ärztlichen Stellungnahmen eine stationäre Behandlung erforderlich geworden und hierfür die psychotherapeutisch-heilpädagogische Station St Josef empfohlen worden sei. Die Beklagte hatte nun die Möglichkeit und die Verpflichtung, sich dieses Falles in umfassender Weise anzunehmen. Hätte sie lediglich die vorgeschlagene Station für nicht geeignet gehalten, so wäre sie bei grundsätzlicher Anerkennung ihrer Verpflichtung, die erforderliche stationäre Behandlung nach §§ 184 bzw 184a RVO durchzuführen, gehalten gewesen, den Beigeladenen zu 1) bzw den Kläger auf die von ihr anerkannten Krankenanstalten bzw Spezialeinrichtungen hinzuweisen. Ihre vorbehaltlose Ablehnung einer Kostenübernahme betraf somit nicht nur die ärztlicherseits vorgeschlagene stationäre Behandlung in der Station St Josef, sondern auch eine anderweitige stationäre Behandlung der H.

Wegen des psychischen Krankheitszustandes der H kam hier außer einer Krankenhausbehandlung vor allem eine Behandlung in einer Spezialeinrichtung nach § 184a RVO in Betracht. Eine solche in das Ermessen der Krankenkasse gestellte Behandlung hätte die Beklagte weitgehend selbst bestimmen und damit auch einen entscheidenden Einfluß auf die Auswahl der mit der Behandlung zu beauftragenden Einrichtung nehmen können. Da eine stationäre Behandlung der H erforderlich war, oblag es somit der Beklagten, entweder auf eine Krankenhausbehandlung zu verweisen (mit der dem Versicherten eingeräumten Möglichkeit, unter den Krankenhäusern vorbehaltlich des § 371 RVO frei zu wählen) oder selbst eine Behandlung in einer Spezialeinrichtung in die Wege zu leiten und durchzuführen.

Dieser Verpflichtung zur Gewährung einer Sachleistung ist die Beklagte nicht nachgekommen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG tritt in einem solchen Fall an die Stelle des Anspruchs auf Sachleistung ein Anspruch auf Kostenerstattung, wenn der Versicherte aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens der Krankenkasse gezwungen wird, sich die erforderliche Leistung selbst zu beschaffen (BSGE 9, 232, 234; 19, 21, 22 = SozR Nr 14 zu § 184 RVO; BSGE 25, 146, 148 = SozR Nr 16 zu § 184 RVO; SozR 2200 § 182 RVO Nr 57; SozR 2200 § 194 RVO Nr 5; zum Kostenersatz bei der erforderlichen Ausstattung mit einem Hilfsmittel BSGE 46, 183, 185 = SozR 2200 § 182b RVO Nr 7).

Ein Kostenerstattungsanspruch des Beigeladenen zu 1) ist auch deshalb rechtlich begründet, weil die Beklagte ihre Aufklärungspflicht verletzt hat. Zu den Pflichten der Sozialleistungsträger gehört es, den Bürgern zu den ihnen nach dem Gesetz zustehenden Rechten und Leistungen zu verhelfen. In dem am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) sind die diesbezüglichen Pflichten für den gesamten Bereich der Sozialleistungen ausdrücklich geregelt. Neben den Verpflichtungen zur allgemeinen Aufklärung (§ 13) und zur individuellen Beratung und Auskunftserteilung (§§ 14, 15) obliegt den Sozialleistungsträgern insbesondere, darauf hinzuwirken, daß unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden (§ 16 Abs 3). Nach der von mehreren Senaten des BSG wiederholt zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung, die auch vom erkennenden Senat geteilt wird, bestand eine entsprechende Verpflichtung auch schon für die Zeit vor dem Inkrafttreten des SGB I, in der die hier streitbefangene Behandlung begann. Verletzt ein Versicherungsträger diese sich aus einem konkreten - zB wie hier durch einen Antrag auf Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung begründeten - Sozialrechtsverhältnis ergebende Verpflichtung, so hat er den Versicherten versicherungsrechtlich so zu stellen, wie dieser bei pflichtmäßigem Verwaltungshandeln gestanden hätte (SozR 2200 § 182 RVO Nr 57 mwN); Urteil des Senats vom 18. Februar 1981 - 3 RK 34/79 -). Daraus ergibt sich, daß die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Beigeladenen zu 1) bzw den für diesen handelnden Sozialhilfeträger darüber aufzuklären, in welcher Krankenanstalt oder Spezialeinrichtung sie die erforderliche stationäre Behandlung durchzuführen bereit gewesen wäre.

Da die Beklagte auch insoweit ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ist, hat sie die Kosten der von dem Beigeladenen zu 1) bzw dem Kläger selbstbeschafften stationären Behandlung zu übernehmen, soweit diese Behandlung einer Maßnahme gleichgestellt werden kann, die auch im Rahmen einer Behandlung nach der RVO zu erbringen gewesen wäre (Urteil des Senats vom 18. Februar 1981 - 3 RK 34/79 -). Den Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, daß die der H in der Station St Josef zuteil gewordene Behandlung einer stationären Behandlung nach § 184 oder zumindest nach § 184a RVO entsprochen hat. Es handelte sich um eine kombinierte nervenfachärztliche und psychotherapeutische Behandlung, die auch als Kassenleistung zu erbringen ist. Dem steht nicht entgegen, daß die Station St Josef - wie die Beklagte meint - eventuell nicht als ein Krankenhaus iS des § 184 RVO oder als eine Spezialeinrichtung iS des § 184a RVO angesehen werden kann. Da der Kostenerstattungsanspruch des Beigeladenen zu 1) gerade auch darauf beruht, daß die Krankenkasse ihre Aufklärungspflicht verletzt hat, kann dem Erstattungsverlangen nicht entgegengehalten werden, es sei keine von den Krankenkassen anerkannte Krankenanstalt bzw therapeutische Einrichtung in Anspruch genommen worden. Es kommt dann auch nicht darauf an, welche Leistungen in der in Anspruch genommenen Einrichtung im allgemeinen oder üblicherweise erbracht werden, sondern allein darauf, ob die im konkreten Fall erbrachten Leistungen denen der Krankenpflege entsprechen.

Die Revision war aus diesen Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658969

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