Leitsatz (amtlich)

Rentenansprüche nach dem BVG verjähren in entsprechender Anwendung des BGB § 197 in 4 Jahren.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Anspruch auf Rückstände von Versorgungsrenten nach dem BVG verjährt in entsprechender Anwendung des BGB § 197 in 4 Jahren. Hierbei besteht kein Unterschied zwischen Rückständen von Renten, die bereits dem Betrage nach festgestellt worden sind, und solchen Ansprüchen, bei denen es zu einer Feststellung durch den Versorgungsträger noch nicht gekommen ist. Als rückständig sind die einzelnen Leistungen schon dann anzusehen, wenn der Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem sie hätten gewährt werden sollen, aber nicht gewährt worden sind. Aus BVG § 86 Abs 2 aF läßt sich entnehmen, daß in einem von der Verwaltungsbehörde zu vertretenden Falle die Verjährung der Rückstände von Renten nicht mehr in Betracht kommen kann. Die Berufung der Verwaltung auf Verjährung ist für sich allein kein Verstoß gegen Treu und Glauben.

2. Wäre von dem Kläger zu erwarten gewesen, daß er seine Ansprüche in einem angemessenen Zeitraum geltend machte, und hat er dies ohne ersichtlichen Grund erst sehr spät getan, dann handelt der Beklagte, wenn er sich demgegenüber auf Verjährung beruft, nicht rechtsmißbräuchlich; die Berufung auf Verjährung ist für sich allein kein Verstoß gegen Treu und Glauben.

 

Normenkette

BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 242 Fassung: 1896-08-18; BVG § 86 Abs. 2 Fassung: 1950-12-20

 

Verfahrensgang

SG Münster (Entscheidung vom 29.05.1958)

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 22.06.1960)

 

Tenor

Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. Juni 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Den Klägern wurde mit Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) Münster vom 21. Juni 1944 als Hinterbliebenen ihres bei einem Bombenangriff ums Leben gekommenen Vaters Versorgung nach der Personenschäden-Verordnung i. V. m. dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz gewährt. Die im Jahre 1945 nach dem Zusammenbruch eingestellten Zahlungen wurden nicht von Amts wegen nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 wiederaufgenommen. Erst am 18. November 1955 beantragten die Kläger die Weitergewährung der Waisenrente nach der SVD Nr. 27 und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Durch Bescheid vom 22. Januar 1957 gewährte der Beklagte den Klägern Waisenrente nach dem BVG vom 1. Januar 1951 an, lehnte jedoch die Zahlung von Versorgungsbezügen für die vorhergehende Zeit mit der Begründung ab, daß insoweit die Ansprüche auf Rückstände von Renten gem. § 197 BGB nach Ablauf von vier Jahren verjährt seien. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid hatte keinen Erfolg (Entscheidung des LVersorgA Westfalen vom 26.7.1957).

Das Sozialgericht (SG) Münster hat auf die Klage, mit der die Kläger Waisenrente vom 1. August 1947 an begehrt hatten, durch Urteil vom 29. Mai 1958 den angefochtenen Bescheid vom 22. Januar 1957 unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides dahin abgeändert, daß den Klägern Waisenrente vom 1. Oktober 1950 an zu gewähren ist. Das SG hat die Berufung zugelassen. Es hat die Auffassung vertreten, daß sich der Beklagte hinsichtlich der Ansprüche nach der SVD Nr. 27 auf Verjährung berufen könne. Dagegen stehe den Klägern die Waisenrente für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1950 zu, weil das BVG Verjährungsvorschriften nicht enthalte und bei Ansprüchen nach diesem Gesetz eine entsprechende Anwendung der Verjährungsvorschriften des BGB nicht möglich sei.

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Kläger als auch der Beklagte Berufung eingelegt. Durch Urteil vom 22. Juni 1960 hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Berufung der Kläger zurückgewiesen sowie auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Revision zugelassen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Kläger nicht nach § 86 Abs. 2 BVG mit ihren Ansprüchen auf Nachzahlung von Versorgungsbezügen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BVG ausgeschlossen waren, weil der Beklagte die Zahlung der durch Bescheid vom 21. Juni 1944 festgestellten Versorgungsbezüge aus einem von ihm zu vertretenden Grunde nicht wiederaufgenommen habe. Nach § 14 Abs. 2 SVD Nr. 27 sei in den Fällen, in denen bereits nach früheren Gesetzen Entscheidungen über Ansprüche von Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen getroffen wurden, weder ein neuer Antrag noch ein neuer Bescheid erforderlich. Da die Wiederaufnahme der Zahlung hiernach von Amts wegen hätte erfolgen müssen, sei die Unterlassung der Wiederaufnahme der Zahlung von dem Beklagten zu vertreten, zumal die früheren Versorgungsakten verfügbar waren. Die Ansprüche der Kläger auf Waisenrente für die Zeit vom 1. August 1947 bis 30. September 1950 seien jedoch nach § 29 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der nach § 2 der SVD Nr. 27 Anwendung finde, verjährt, weil die Kläger erst am 18. November 1955 die Weitergewährung der Rente beantragt haben. Auch die Ansprüche auf Waisenrente nach dem BVG für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1950 seien verjährt, obwohl das BVG keine Regelung über die Verjährung von Rentenansprüchen enthalte und insoweit auch nicht auf andere Verjährungsvorschriften ausdrücklich Bezug nehme. Zwar könnten öffentliche Rechte und Pflichten ohne besondere Vorschriften grundsätzlich nicht verjähren. Hinsichtlich vermögensrechtlicher Ansprüche auf öffentlich-rechtlicher Grundlage komme jedoch eine analoge Anwendung geeigneter Verjährungsvorschriften des BGB in Betracht, weil bei solchen Ansprüchen, gleichgültig auf welcher Grundlage sie beruhen, die Interessenlage die gleiche sei. Auch das Reichsversorgungsgericht (RVG) habe in ständiger Rechtsprechung die Verjährung von Rentenansprüchen nach dem früheren Versorgungsrecht entsprechend den Verjährungsvorschriften des BGB beurteilt. Der Beklagte handle mit der Einrede der Verjährung auch nicht arglistig, da dieser Einwand gegenüber der Verjährungseinrede nur durchgreife, wenn besondere Umstände die Berufung des Schuldners auf die Verjährung als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen, so z. B. wenn der Schuldner den Gläubiger veranlaßt habe, von einer Unterbrechung der Verjährung abzusehen. Solche besonderen Umstände seien im vorliegenden Falle nicht gegeben, zumal die Kläger Veranlassung gehabt hätten, etwas zur Durchsetzung ihrer Ansprüche auch dann zu tun, wenn die Renten von Amts wegen zu zahlen waren.

Gegen das am 18. August 1960 zugestellte Urteil des LSG haben die Kläger mit Schriftsatz vom 22. August 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 24. August 1960, Revision eingelegt und beantragt,

1. unter Abänderung des angefochtenen Urteils sowie des Urteils des SG Münster vom 29. Mai 1958 den Beklagten zu verurteilen, die Waisenrente für die Kläger vom 1. August 1947 an zu gewähren,

2. die Berufung des Beklagten zurückzuweisen,

hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 18. November 1960 haben die Kläger die Revision mit Schriftsatz vom 14. November 1960, eingegangen beim BSG am 15. November 1960, begründet. Sie rügen die rechtsirrige Anwendung des § 2 der SVD Nr. 27 i. V. m. § 29 Abs. 3 RVO und des § 197 BGB sowie die Verletzung allgemeiner Grundsätze des Verwaltungsrechts. Hinsichtlich der Ansprüche der Kläger nach der SVD Nr. 27 sei schon deswegen keine Verjährung eingetreten, weil § 2 der SVD Nr. 27 i. V. m. § 29 Abs. 3 RVO nach dem Außerkrafttreten der SVD Nr. 27 durch § 84 Abs. 2 BVG im Zeitpunkt der Vollendung der Verjährung im Jahre 1951 nicht mehr habe angewendet werden können. Die Frage der Verjährung sei somit nicht mehr nach früherem Recht, sondern nach den unter der Herrschaft des BVG geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Ein Versorgungsanspruch nach dem BVG unterliege aber nicht der vierjährigen Verjährungsfrist des § 197 BGB. Die Interessenlage, die Anlaß zu der zivilrechtlichen Regelung des § 197 BGB gegeben habe, sei hinsichtlich der Gewährung einer Waisenrente nach dem BVG nicht die gleiche. Es sei weiterhin auffällig, daß im BVG eine gesetzliche Regelung der Verjährung von Versorgungsansprüchen nicht vorgesehen ist, obwohl auch dem BVG der Begriff der Verjährung sonst nicht fremd ist (vgl. § 21 BVG) und auch die RVO die Verjährung in § 29 besonders geregelt hat. Ferner sei die Frage aufzuwerfen, ob die Zulassung der Verjährungseinrede im Recht der Kriegsopferversorgung mit dem Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit vereinbar sei. Der Pflicht zur Gewährung von Leistungen an die Versorgungsberechtigten würde sich die öffentliche Gewalt in einer nicht zu billigenden Weise entziehen, wenn sie ihrer Leistungspflicht durch die Geltendmachung der Verjährung nachträglich die Grundlage entziehen könnte. Endlich handle der Beklagte rechtsmißbräuchlich, wenn er sich auf Verjährung berufe, obwohl die Nichtgewährung der fälligen Leistungen zugegebenermaßen von ihm zu vertreten sei. Die Unterlassung der Wiederaufnahme der Zahlung der Waisenrenten falle nach der Feststellung des Berufungsgerichts in den ausschließlichen Verantwortungsbereich der Versorgungsverwaltung. Diese könne daher dem offensichtlich begründeten Versorgungsanspruch der Kläger nicht die Verjährungseinrede entgegensetzen.

Der Beklagte und die beigeladene Bundesrepublik Deutschland beantragen die Zurückweisung der Revision; sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die durch Zulassung statthafte Revision der Kläger (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Sie ist aber nicht begründet.

Dem angefochtenen Urteil ist zunächst darin beizustimmen, daß die Kläger keinen Anspruch auf Rente nach der SVD Nr. 27 haben. Der von ihnen geltend gemachte Anspruch auf Nachzahlung von Versorgungsbezügen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des BVG (1.10.1950) ist nicht etwa durch § 86 Abs. 2 BVG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift besteht nur dann kein Anspruch auf Nachzahlung von Versorgungsbezügen, wenn die Zahlung früher festgestellter Versorgungsbezüge von der zuständigen Verwaltungsbehörde aus einem von ihr nicht zu vertretenden Grunde bisher nicht wiederaufgenommen worden ist. Nach Ziff. 14 Abs. 2 der SVD Nr. 27 war kein neuer Antrag erforderlich in den Fällen, in denen bereits nach früheren Gesetzen und Verordnungen über Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene Entscheidungen getroffen worden sind. Den Klägern war mit Bescheid des VersorgA Münster vom 21. Juni 1944 nach ihrem bei einem Bombenangriff ums Leben gekommenen Vater Hinterbliebenenversorgung nach der Personenschädenverordnung i. V. m. dem Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz gewährt worden. Die für die Kriegsopferversorgung zuständige Verwaltungsbehörde hätte daher nach Ziff. 14 Abs. 2 der SVD Nr. 27 von Amts wegen die Versorgungsbezüge nach diesem Gesetz festsetzen müssen. Das LSG hat hierzu in dem angefochtenen Urteil festgestellt, daß der Beklagte die Unterlassung der Wiederaufnahme der Zahlung nach der SVD Nr. 27 zu vertreten hat, zumal Hinderungsgründe weder ersichtlich noch vorgetragen sind und auch die früheren Versorgungsakten verfügbar waren. Der Beklagte kann sich somit hinsichtlich der von den Klägern beantragten Versorgungsbezüge nach der SVD Nr. 27 nicht auf § 86 Abs. 2 BVG berufen. Anderseits läßt sich aus dieser Vorschrift aber auch nicht entnehmen - wie die Kläger noch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben -, daß dadurch in einem von der Verwaltungsbehörde zu vertretenden Falle die Verjährung der Rückstände von Renten im Wege des Umkehrschlusses nicht mehr in Betracht kommen kann. Die Vorschrift des § 86 Abs. 2 BVG sagt vielmehr zur Frage der Verjährung von Ansprüchen der Versorgungsberechtigten nichts aus. Das LSG konnte daher den angefochtenen Bescheid vom 22. Januar 1957, soweit in ihm eine Leistung nach der SVD Nr. 27 abgelehnt worden ist, wegen der geltend gemachten Verjährung für rechtmäßig halten. Es hat hierzu zutreffend ausgeführt, daß die Anspruchsberechtigten nach Ziff. 2 der SVD Nr. 27 Leistungen nach den Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung erhielten, daß nach § 29 Abs. 3 RVO der Anspruch auf Leistungen der Versicherungsträger in vier Jahren nach der Fälligkeit verjährte und daß diese Verjährungsvorschrift über Ziff. 2 der SVD Nr. 27 auch für Versorgungsansprüche galt. Unter Anwendung dieser Vorschriften waren somit die Ansprüche der Kläger für die Zeit bis zum Inkrafttreten des BVG am 1. Oktober 1950 verjährt.

Die Kläger machen demgegenüber mit der Revision geltend, daß Ziff. 2 der SVD Nr. 27 i. V. m. § 29 Abs. 3 RVO nach dem Außerkrafttreten der SVD Nr. 27 durch § 84 Abs. 2 BVG im Zeitpunkt der Vollendung der Verjährung im Jahre 1951 nicht mehr anzuwenden sei. Die Frage der Verjährung sei somit nicht mehr nach früherem Recht, sondern nach den unter der Herrschaft des BVG geltenden Grundsätzen zu beurteilen. Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung der Kläger zutreffend ist; denn auch der Versorgungsanspruch nach dem BVG unterliegt, wie nachstehend noch darzulegen ist, der vierjährigen Verjährungsfrist des § 197 BGB. Im Ergebnis ist daher in dem angefochtenen Bescheid vom 22. Januar 1957 die Zahlung von Versorgungsbezügen nach der SVD Nr. 27 jedenfalls zutreffend wegen Verjährung abgelehnt worden.

Das LSG hat in dem angefochtenen Urteil die Ansicht vertreten, daß die Ansprüche der Kläger auf Waisenrente nach dem BVG für die Zeit vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1950 verjährt seien, obwohl das BVG keine Regelung über die Verjährung von Rentenansprüchen enthalte und insoweit auch nicht auf andere Verjährungsvorschriften Bezug nehme. Jedenfalls hinsichtlich vermögensrechtlicher Ansprüche auf öffentlich-rechtlicher Grundlage komme eine entsprechende Anwendung der Verjährungsvorschriften des BGB in Betracht, weil bei solchen Ansprüchen, gleichgültig auf welcher Grundlage sie beruhen, die Interessenlage die gleiche sei. Dieser Rechtsauffassung des LSG ist zuzustimmen.

Nach § 197 BGB verjähren u. a. die Ansprüche auf Rückstände von Renten, Auszugsleistungen, Besoldungen, Wartegelder, Ruhegehälter, Unterhaltsbeiträge und alle anderen regelmäßig wiederkehrenden Leistungen. Die Kläger sind - entgegen der Auffassung des LSG - der Meinung, die Interessenlage, die Anlaß zu der zivilrechtlichen Regelung des § 197 BGB gegeben habe, sei hinsichtlich der Gewährung einer Waisenrente nach dem BVG nicht die gleiche. Wenn auch der Begriff der Verjährung dem BVG an sich nicht fremd sei (vgl. § 21 BVG) und auch die RVO die Verjährung in § 29 besonders geregelt habe, enthalte das BVG selbst keine gesetzliche Regelung über die Verjährung von Versorgungsansprüchen. Es trifft allerdings zu, daß das BVG - ebenso wie früher das Reichsversorgungsgesetz - keine Vorschriften über die Verjährung von Ansprüchen der Versorgungsberechtigten enthält. Dieser Umstand spricht jedoch nicht gegen eine entsprechende Anwendung der Verjährungsvorschriften des BGB auf Versorgungsansprüche. Die Verjährung ist in öffentlich-rechtlichen Gesetzen in den meisten Fällen entweder gar nicht oder nur sehr dürftig geordnet. In der Verwaltungsrechtslehre und der Verwaltungsrechtsprechung ist aber ganz überwiegend anerkannt, daß zwar nicht alle öffentlichen Rechte und Pflichten der Verjährung unterliegen, daß jedoch vermögensrechtliche Ansprüche öffentlich-rechtlichen Charakters der Verjährung unterworfen sind (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl. 1. Bd. S. 159; Meier-Branecke, AÖR, Neue Folge 1. Bd. 1926 S. 230, 245 ff). Auch aus den Verjährungsvorschriften des BGB selbst ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die Verjährung öffentlich-rechtlicher Ansprüche keineswegs ausgeschlossen hat (vgl. § 196 Ziff. 11, 15, 17 BGB). § 197 BGB gilt ebenfalls unmittelbar für öffentlich-rechtliche Ansprüche, wie Ansprüche auf Rückstände von Besoldung, Wartegeld und Ruhegeld (vgl. hierzu auch BAG in AP Nr. 2 zu § 242 BGB und Nr. 8 zu § 3 TO A; ferner LSG Hamburg in SGb 1956 S. 366 mit zustimmender Anmerkung von Prof. ...; a. A. Nattermann in "Der Versorgungsbeamte" 1962 S. 60). Bei der Frage, ob auf Ansprüche des öffentlichen Rechts die Verjährungsvorschriften des BGB Anwendung finden können, ist allerdings jeweils zu prüfen, ob und inwieweit sich die der Verjährung nach dem BGB unterliegenden zivilrechtlichen Ansprüche ihrem Wesen und Inhalt nach von den öffentlich-rechtlichen Ansprüchen, für die eine Verjährung nicht ausdrücklich in dem betreffenden Gesetz angeordnet ist, unterscheiden oder nicht (vgl. hierzu auch BGHZ 9, 209, 218).

Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des Zivilrechts - die Gleichheit des gesetzgeberischen Grundes - sind im vorliegenden Falle hinsichtlich der Verjährung von Versorgungsansprüchen erfüllt. Nach § 197 BGB verjähren zivilrechtliche Ansprüche auf Rückstände von Renten ebenso wie die öffentlich-rechtlichen Ansprüche auf Besoldung, Wartegeld und Ruhegehalt in vier Jahren. Der gesetzgeberische Grund für die vierjährige Verjährungsfrist ist in diesen Fällen darin zu erblicken, daß Renten ebenso wie Besoldung, Wartegeld oder Ruhegehalt im wesentlichen dem laufenden Unterhalt des Berechtigten dienen. Deswegen verjähren auch Unterhaltsbeiträge und alle regelmäßig wiederkehrenden Leistungen in vier Jahren. Die Interessenlage - darin ist dem LSG beizustimmen - ist daher bei Ansprüchen auf Rückstände von Renten, die auf einer zivilrechtlichen Grundlage beruhen, im wesentlichen die gleiche wie bei Rückständen von Renten, die auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung gezahlt werden. Bei solchen vermögensrechtlichen Ansprüchen liegt daher durchaus Rechtsähnlichkeit vor, die eine entsprechende Anwendung des § 197 BGB auf Versorgungsansprüche nach dem BVG rechtfertigt (so auch Meier-Branecke aaO S. 249).

Die Auffassung, daß die Verjährungsvorschrift des § 197 BGB auf Versorgungsansprüche nach dem BVG entsprechend anzuwenden ist, wird ferner durch die Rechtsentwicklung gestützt. Schon das Reichsversicherungsamt (RVA) hat für die Zeit, in der die Verjährungsvorschrift des § 29 Abs. 3 RVO noch nicht galt, in der grundsätzlichen Entscheidung Nr. 1511 AN 1910 S. 644 ausgesprochen, daß Rückstände von Invalidenrenten der vierjährigen Verjährung des § 197 BGB unterliegen. Das RVA hat hierzu ausgeführt, die Tatsache, daß die Ansprüche auf Rente auf Grund der Reichsversicherungsgesetze dem Gebiet des öffentlichen Rechts angehören, gebe ihnen nicht einen öffentlich-rechtlichen Charakter in dem Sinne, daß auf sie Vorschriften des bürgerlichen Rechts überhaupt nicht Anwendung finden könnten. Die Rentenansprüche beruhten ebenso wie zahlreiche andere öffentlich-rechtliche Ansprüche - z. B. die Ansprüche der Beamten auf Gehalt und Pension - auf öffentlich-rechtlicher Grundlage, seien aber ihrem Wesen nach vermögensrechtliche Ansprüche, die - soweit nicht ihr öffentlich-rechtlicher Charakter entgegenstehe - in ihren Lebensbedingungen den Vorschriften des BGB unterworfen seien. Hierbei besteht, wie das RVA zutreffend in dieser Entscheidung ausgeführt hat, kein Unterschied zwischen Rückständen von Renten, die bereits dem Betrag nach festgestellt worden sind, und solchen Ansprüchen, bei denen es zu einer Feststellung durch den Versicherungs- oder Versorgungsträger noch nicht gekommen ist. Auch das Reichsgericht (RGZ 72, 334, 341) hat hinsichtlich der Rückstände von Unterhaltsbeiträgen ausgesprochen, daß der Anspruch des Unterhaltsberechtigten der vierjährigen Verjährung ohne Rücksicht darauf unterliegt, ob der Anspruch zuvor nach Art und Höhe rechtsgeschäftlich oder richterlich festgestellt worden war. Als rückständig sind die einzelnen Leistungen schon dann anzusehen, wenn der Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem sie hätten gewährt werden sollen, aber nicht gewährt worden sind.

Auch das RVG hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß es nicht i. S. des Gesetzgebers gelegen haben kann, die Ansprüche auf Rückstände von Militärrenten ohne Zeitschranke zuzulassen, daß vielmehr der Mangel einer ausdrücklichen Gesetzesvorschrift nur so gedeutet werden kann, daß die Vorschriften des bürgerlichen Rechts (hier § 197 BGB) entsprechend anzuwenden sind (RVG Bd. 2, 74; 10, 25; 11, 110, 176 und 12, 72, 75). Hinsichtlich der Verjährung von Versorgungsansprüchen war die Rechtslage nach dem Reichsversorgungsgesetz aber die gleiche wie nach dem BVG. Endlich unterlagen auch - wie bereits oben ausgeführt - die Rückstände von Versorgungsansprüchen nach der SVD Nr. 27 der vierjährigen Verjährung. Aus dieser Rechtsentwicklung ist ebenfalls zu schließen, daß die Rückstände von Versorgungsrenten auch nach dem BVG in entsprechender Anwendung des § 197 BGB in vier Jahren verjähren.

Die Kläger weisen in der Revisionsbegründung noch darauf hin, daß die Zulassung der Verjährungseinrede im Recht der Kriegsopferversorgung mit dem Verfassungsprinzip der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 GG) nicht vereinbar sei, weil sich die öffentliche Gewalt in einer nicht zu billigenden Weise der Pflicht zur Gewährung von Leistungen an die Versorgungsberechtigten entziehen würde, wenn sie ihrer Leistungspflicht durch die Geltendmachung der Verjährung nachträglich die Grundlage entziehen könnte. Bei dem Grundsatz der Sozialstaatlichkeit handelt es sich zwar nicht nur um ein Programm, sondern um ein - allerdings schwer faßbares - geltendes, den Grundrechten gleichgestelltes Recht (vgl. BVerfG 1, 97, 105; 3, 162, 181; BVerwG 1, 157, 161; 5, 27, 31; BGHZ 9, 83, 89). Dieser Grundsatz enthält die Ermächtigung und den Auftrag des Staates zur Gestaltung der Sozialordnung und zu sozialer Aktivität. Er ist in erster Linie an den Gesetzgeber gerichtet, gilt jedoch auch für die Verwaltung und Rechtsprechung als Auslegungs- und Ermessensrichtlinie. Da der Verfassungsgesetzgeber in Art. 20 GG besondere Schranken, die einzelne Ansprüche und irgendwelche Rechte unmittelbar betreffen, nicht festgelegt hat, erwächst jedoch dem Einzelnen allein aus dem Grundsatz der Sozialstaatlichkeit noch kein verfolgbarer Anspruch gegen den Staat (vgl. BSG 6, 213, 219; SozR BVG § 64 Bl. Ca 2 Nr. 2). Die Frage, ob Rückstände von Versorgungsrenten in entsprechender Anwendung des § 197 BGB in vier Jahren verjähren, berührt jedoch den Verfassungsgrundsatz der Sozialstaatlichkeit nicht. Auch in einem sozialen Rechtsstaat ist die Verjährung, die insbesondere der Rechtssicherheit dient, durchaus notwendig und - wie oben ausgeführt - auch bei öffentlich-rechtlichen Ansprüchen vermögensrechtlicher Art gegeben, wenn ihrem Wesen nach diese Ansprüche sich nicht von den zivilrechtlichen Ansprüchen derselben Art unterscheiden. Es muß auch den Versorgungsberechtigten zugemutet werden, in einem Zeitraum von vier Jahren rückständige Renten geltend zu machen. Bei der großen Zahl von Versorgungsberechtigten können auch bei einer ordnungsgemäßen Verwaltung Fälle auftreten, in denen versehentlich an sich zustehende Renten nicht zur Auszahlung gelangen. Dies gilt um so mehr, wenn die staatlichen Verhältnisse nach einem völligen Zusammenbruch, wie es im Jahre 1945 der Fall war, schwersten Belastungen ausgesetzt waren. Die Kläger haben im vorliegenden Falle auf Grund des Bescheides des VersorgA Münster vom 21. Juni 1944 gewußt, daß ihnen Hinterbliebenenversorgung zusteht. Auch wenn bei den damaligen Verhältnissen die Gewährung einer Rente nach der SVD Nr. 27 von Amts wegen versehentlich nicht erfolgt ist, wäre von den Klägern zu erwarten gewesen, daß sie ihre Ansprüche in einem angemessenen Zeitraum geltend machten. Sie haben dies ohne ersichtlichen Grund erst im November 1955 getan. Wenn sich der Beklagte demgegenüber auf Verjährung für die Zeit vor dem 1. Januar 1951 beruft, so handelt er auch nicht rechtsmißbräuchlich; die Berufung auf Verjährung ist für sich allein kein Verstoß gegen Treu und Glauben (vgl. hierzu auch Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 17. Aufl., Überblick vor § 194 Anm. 3).

Da hiernach das LSG in dem angefochtenen Urteil die Rechtslage zutreffend beurteilt hat, mußte die Revision der Kläger als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 88

NJW 1963, 1373

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