Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztliche Behandlung. Versorgungslücke. Aufklärungspflicht der Versicherungsträger. Verhaltenstherapeutische Behandlung durch Diplom-Psychologe. Verfassungsmäßigkeit der Nichtzulassung zur selbständigen Behandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Zulässigkeit einer Erweiterung des Leistungsinhalts der Krankenpflege nach § 182 Abs 1 Nr 1 RVO auf gesetzlich nicht ausdrücklich genannte Arten (- "insbesondere" -) erlaubt keine Einschränkung des übergreifenden Grundsatzes, daß der Versicherte eine Krankheitsbehandlung nur durch einen Arzt in Anspruch nehmen kann (§ 122 RVO); eine solche Einschränkung kann nur durch einen positiven Gesetzgebungsakt erfolgen.

2. Die Aufklärungspflicht des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gegenüber dem Versicherten erstreckt sich ggf auch darauf, daß und inwieweit ein ärztlicher Versorgungsmangel besteht.

3. Ein Ersatzanspruch gegen den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung besteht trotz Vorliegens einer Versorgungslücke dann nicht, wenn der Versicherungsträger alle in der konkreten Situation ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, die Pflicht zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung zu erfüllen.

4. Zu den Folgen einer Pflicht- bzw Aufklärungspflichtverletzung des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung im Bereich der Sicherstellung der verhaltenstherapeutischen Versorgung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung seine Pflicht zur Sicherstellung der verhaltenstherapeutischen Versorgung verletzt - oder hat er bei ausreichender Versorgung den Versicherten über die konkreten Möglichkeiten, sich einer im Rahmen des § 122 RVO liegenden verhaltenstherapeutischen Behandlung zu unterziehen, nicht pflichtgemäß beraten -, so steht dem Versicherten ein Anspruch auf Ersatz der Kosten, die ihm durch die Inanspruchnahme eines nichtärztlichen Verhaltens-Therapeuten entstanden sind, insoweit zu, als durch ein ärztliches Gutachten nachgewiesen wird, daß die verhaltenstherapeutische Behandlung zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich und notwendig war und der in Anspruch genommene Verhaltens-Therapeut über sein abgeschlossenes Psychologie-Studium hinaus eine verhaltenstherapeutische Zusatzausbildung erfahren hat, wie sie etwa in § 5 der seit 1.10.1980 geltenden Anl 5a zum EKV beschrieben wird.

 

Orientierungssatz

Die Verhaltenstherapie als solche ist als Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherungsleistungen längst anerkannt; sie gehört zur ärztlichen Behandlung iS des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO. Der Ausschluß der Diplompsychologen von der selbständigen verhaltenstherapeutischen Behandlung kann verfassungsrechtlichen Bedenken aber nicht deshalb begegnen, weil ihre Zulassung eine bestehende Versorgungslücke möglicherweise beseitigen würde. Die Notwendigkeit, die psychotherapeutische, insbesondere die verhaltenstherapeutische Behandlung als krankenversicherungsrechtliche Leistung zu gewähren, impliziert nicht die Notwendigkeit, sie nichtärztlichen Personen zur selbständigen Ausübung zu übertragen. Da jedenfalls auch andere Möglichkeiten für das Herbeiführen einer ausreichenden Verhaltenstherapie-Versorgung bestehen, kann die bisherige Nichtzulassung von Diplompsychologen zur selbständigen verhaltenstherapeutischen Behandlung nicht verfassungsrechtlich bedenklich sein. Eine solche Zulassung ist aber auch nicht aus Art 12 (Berufsfreiheit) oder aus Art 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) des Grundgesetzes geboten.

 

Normenkette

RVO § 122 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1974-08-07, § 188 Fassung: 1969-07-27, § 368 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-08-10, Abs. 3 Fassung: 1976-12-28, § 368a Abs. 1 Fassung: 1976-12-28, § 368d Abs. 1 Fassung: 1976-12-28, § 368e S. 1 Fassung: 1972-08-10; SGB 1 § 13 Fassung: 1975-12-11, § 14 Fassung: 1975-12-11, § 15 Fassung: 1975-12-11; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 12 Abs. 1 Fassung: 1968-06-24; EKV-Ä Anl 5a § 5

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 04.06.1980; Aktenzeichen L 9 Kr 134/78)

SG Berlin (Entscheidung vom 13.10.1978; Aktenzeichen S 75 Kr 97/78)

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte (als Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung) die Kosten einer verhaltenstherapeutischen Behandlung, die eine Diplompsychologin bei der Klägerin durchführte, zu tragen hat.

Der Ehemann der Klägerin ist Mitglied der Beklagten mit Anspruch auf Familienkrankenhilfe nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für seine Ehefrau. Die Klägerin hat sich einer verhaltenstherapeutischen Behandlung bei der (nichtärztlichen) Diplompsychologin H E in B - unterzogen. Die Beklagte hat die Übernahme der Kosten mit der Begründung abgelehnt, daß dies nur bei einer Behandlung durch einen Arzt möglich sei. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 182 RVO. Hierzu wird vorgetragen: Dadurch, daß in § 182 Abs 1 Nr 1 RVO noch vor der Aufzählung der einzelnen Arten der Krankenpflege das Wort "insbesondere" vorangestellt sei, könnten auch andere als medizinische Methoden in das Leistungssystem der Krankenkassen einbezogen werden. Das Landessozialgericht (LSG) sei zu Unrecht der Meinung, der Gesetzgeber habe die ärztliche Tätigkeit allen anderen (Krankenpflege-)Leistungen übergeordnet. Seit der Einfügung des Wortes "insbesondere" in § 182 RVO durch das Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG) vom 7. August 1974 (BGBl I S 1881) treffe dies nicht mehr zu. Eine nichtärztliche Verhaltenstherapie sei jedenfalls dann rechtlich unbedenklich, wenn sie, wie hier, ärztlicherseits für erforderlich angesehen werde.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 4. Juni 1980 - L 9 Kr 134/78 - und des Sozialgerichts Berlin vom 13. Oktober 1978 - S 75 Kr 97/78 - aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihrer entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, ihr die Kosten für die verhaltenstherapeutische Behandlung bei der Diplompsychologin H E, B, zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen ist.

1. Die Ausführungen des LSG zur Prozeßstandschaft der Klägerin

begegnen keinen rechtlichen Bedenken.

2 a. Nach der Bestimmung des § 122 RVO, die als "gemeinsame Vorschrift"

des Ersten Buches der RVO den nachfolgenden Büchern der RVO, also

auch dem Zweiten Buch (Krankenversicherung; §§ 165 - 533)

vorangestellt ist, wird die ärztliche Behandlung durch approbierte

Ärzte geleistet. Sie umfaßt Hilfeleistungen anderer Personen nur

dann, wenn der Arzt sie anordnet oder wenn in dringenden Fällen kein

approbierter Arzt zugezogen werden kann. Die Bedeutung dieser

Vorschrift beschränkt sich nicht darauf, für das, was unter einer

"ärztlichen Behandlung" zu verstehen sei, eine gesetzliche

(Teil-)Definition zu geben. Das zeigt schon die nachfolgende

(Ausnahme-)Vorschrift des § 123 RVO, wonach bei Zahnkrankheiten "die

Behandlung ... mit Zustimmung des Versicherten auch durch staatlich

anerkannte Dentisten gewährt werden kann". Schon aus dieser

Zusammenschau wird deutlich, daß § 122 RVO über die definitorische

Fassung hinaus zum Ausdruck bringt, daß unter der vom Gesetz

angebotenen Leistung einer auf Heilung oder Linderung von Krankheiten

abzielenden Behandlung grundsätzlich die Behandlung durch einen

approbierten Arzt zu verstehen ist. Dementsprechend heißt es in den

im Vierten Abschnitt des Buches der Krankenversicherung unter dem

Titel "Verfassung" aufgeführten Bestimmungen, daß Ärzte und

Krankenkassen zur Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung

zusammenwirken (§ 368 Abs 1 S 1 RVO), daß die kassenärztliche

Versorgung eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung

zum Ziele hat (§ 368 Abs 3 RVO), daß an der kassenärztlichen

Versorgung "zugelassene und beteiligte Ärzte sowie ermächtigte

Ärzte und ärztlich geleistete Einrichtungen" teilnehmen (§ 368a Abs 1

RVO), daß "unter den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden

Ärzten" für den Versicherten freie Wahl besteht (§ 368d Abs 1 RVO)

und daß der Versicherte Anspruch auf die "ärztliche Versorgung" hat,

die zur Heilung oder Linderung nach den Regeln der ärztlichen Kunst

zweckmäßig und ausreichend ist" (§ 368e Satz 1 RVO). Die

Beschränkung der nach dem gesetzlichen Krankenversicherungsrecht zur

(Heil-)Behandlung berechtigten Personen auf (approbierte) Ärzte kommt

aber auch dadurch zum Ausdruck, daß der Versicherte für jede

(Heil-)Behandlung einen Krankenschein zu lösen und ihn - als

Ausweis seines Rechts auf eine Krankheitsbehandlung - "dem Arzt",

nicht aber auch sonstigen Personen, auszuhändigen hat (§ 188 RVO.

Aus diesem Sachzusammenhang - den Bieback, SGb 1982, 12 ff, 52 ff

nicht hinreichend berücksichtigt - wird deutlich, daß der gesetzlich

Krankenversicherte eine Krankheitsbehandlung grundsätzlich nur durch

einen Arzt in Anspruch nehmen kann (vgl BSGE 48, 258, 260 f).

Das zeigt aber auch, daß die Rechtsauffassung der Revisionsklägerin

zu § 182 Abs 1 Nr 1 RVO nicht richtig ist. Das aufgrund des

RehaAnglG vom 7. August 1974 (BGBl I, 1881) in den § 182 RVO vor der

Aufzählung der Krankenpflegearten eingefügte Wort "insbesondere"

macht zwar deutlich, daß mit der gesetzlichen Aufzählung keine

abschließende Regelung getroffen wurde, so daß auch andere als die

aufgeführten Leistungen der Krankenpflege zugerechnet werden können,

wenn sie der Erkennung, Behandlung oder Heilung einer Krankheit

dienen. Das kann aber, wie der Senat mehrfach zum Ausdruck

gebracht hat (BSGE, aaO, S 264; BSG Urteil vom 18. Februar 1981 - 3 RK

34/79 - siehe auch Krasney ZSR 1976, 411 ff, 420) nicht bedeuten,

daß damit für das System der gesetzlichen Krankenversicherung über dem

Kreis approbierter Ärzte hinaus eine andere Personengruppe als zur

selbständigen Heilbehandlung berechtigt angesehen werden könnte.

Eine solche Beschränkung (auf Personen, die eine Ausbildung nach den

Vorschriften der Bundesärzteordnung durchlaufen und nach der

Approbationsordnung eine Bestallungsurkunde erhalten haben) hat, wie

oben aufgezeigt, für die gesetzliche Krankenversicherung eine

organisationsstrukturelle Bedeutung. Allein wegen des Wortes

"insbesondere", also wegen des Hinweises, daß es sich bei den in

§ 182 Abs 1 RVO genannten Leistungsinhalten um eine beispielhafte,

also erweiterungsfähige Aufzählung handelt, kann es daher ohne

positive gesetzgeberische Anordnung nicht erlaubt sein, mit einer

leistungsinhaltlichen Erweiterung der Krankenpflegearten auch jene -

übergreifende - Organisationsstruktur zu ändern.

Aber auch die Frage, ob die selbständige Behandlung durch einen

nichtärztlichen Personenkreis als "Heilmittel" iS des § 182

Abs 1 Nr 1b RVO anzusehen ist, kann nicht zu dem von der

Revisionsklägerin erstrebten Ergebnis führen. Es kann hier

dahinstehen, ob unter einem "Heilmittel" als solchem nur ein

sachliches Mittel zu verstehen ist, jedenfalls erhält dieses Mittel

seine leistungsrechtliche Bedeutung iS des § 182 Abs 1 RVO dadurch,

daß es regelmäßig im Rahmen der ärztlichen Heilbehandlung und damit

gerade aufgrund einer ärztlichen Versorgung eingesetzt wird.

b. Von diesen Bestimmungen und Grundsätzen hat auch die Beklagte - als

Ersatzkasse - auszugehen (§§ 507 Abs 9, 525c Abs 1 RVO). Abweichende

Satzungsbestimmungen liegen nicht vor. Im übrigen haben sich die an

dem Arzt-Ersatzkassen-Vertrag (EKV) vom 20. Juli 1963 Beteiligten

(Kassenärztliche Bundesvereinigung, Verband der

Angestellten-Krankenkassen e.V., Verband der Arbeiter-Ersatzkassen

e.V.) dahin geeinigt, daß die Vertragskassen - unter ihnen auch die

Beklagte - "Nichtärzte, Nichtvertragsärzte, Anstalten und Institute

weder vertraglich noch auf andere Weise an der Versorgung ihrer

Versicherten für selbständig untersuchende, beratende und behandelnde

Tätigkeit beteiligen" (§ 5 Abs 3 des Vertrages).

c. Zwar ist in der als Anlage zum Bundesmantelvertrag - § 368g Abs 3

RVO - ergangenen Psychotherapie-Vereinbarung vom 11. Juni 1976 und

dementsprechend in der Anlage 5 vom 1. Juli 1976 zum EKV vorgesehen,

daß ein "zur Ausübung tiefenpsychologisch fundierter und analytischer

Psychotherapie berechtigter Arzt einen nichtärztlichen

Psychotherapeuten zur Behandlung hinzuziehen" kann, "wenn er selbst

überwiegend tiefenpsychologisch fundierte und analytische

Psychotherapie durchführt" (§ 2 Abs 1 S 1 des Vertrages; § 7 Abs 1 S 1

der Anlage), wobei der nichtärztliche Psychotherapeut "eine

abgeschlossene akademische Ausbildung als Diplompsychologe an einer

deutschen Universität oder Hochschule absolviert haben und daneben

eine abgeschlossene Ausbildung an einem anerkannten

psychotherapeutischen Institut nachweisen" muß (§ 2 Abs 2 S 1 des

Vertrages; § 7 Abs 2 S 1 der Anlage). Und nach der Anlage 5a zum EKV

vom 1. Oktober 1980 - "Anwendung von Verhaltenstherapie" - kann der

Vertragsarzt die Verhaltenstherapie an einen nichtärztlichen

Verhaltenstherapeuten delegieren, wenn er selbst "die Berechtigung

zum Führen der Zusatzbezeichnung "Psychotherapie" oder "Psychoanalyse"

nachweist und im Rahmen seiner Weiterbildung eingehende Kenntnisse und

Erfahrungen auf dem Gebiet der Verhaltenstherapie erworben hat" (§ 5

Abs 1 der Anlage) "oder wenn er nachgewiesen hat, daß er nach § 6 Abs

1 der Anlage 5 EKV zur Durchführung der tiefenpsychologisch

fundierten und analytischen Psychotherapie berechtigt ist" (§ 5 Abs 2

der Anlage) und wenn der nichtärztliche Verhaltenstherapeut eine

verhaltenstherapeutische Ausbildung von mindestens drei Jahren neben

dem Abschluß seines Studiums als Diplompsychologe nachweist. Auch

hierbei handelt es sich indessen um eine dem Arzt zugeordnete

Tätigkeit des nichtärztlichen Therapeuten.

d. Diese Rechtslage stößt - auch unter Berücksichtigung der Vorlagen

des LSG Bremen vom 10. Juli 1980 an das Bundesverfassungsgericht

(vgl ua die Sache L 1 Kr 15/79, ZfSH 1981, 49) - auf keine

verfassungsrechtlichen Bedenken des Senats. Die Verhaltenstherapie

als solche ist als Gegenstand der gesetzlichen

Krankenversicherungs-Leistungen längst anerkannt; sie gehört zur §% ärztlichen Behandlung iS des § 182 Abs 1 S 1 Buchstabe a RVO. Der

Ausschluß der Diplompsychologen von der selbständigen

verhaltenstherapeutischen Behandlung kann verfassungsrechtlichen

Bedenken aber nicht deshalb begegnen, weil ihre Zulassung eine

bestehende Versorgungslücke möglicherweise beseitigen würde.

Die Notwendigkeit, die psychotherapeutische, insbesondere die

verhaltenstherapeutische Behandlung als krankenversicherungsrechtliche

Leistung zu gewähren, impliziert nicht die Notwendigkeit, sie

nichtärztlichen Personen zur selbständigen Ausübung zu übertragen. Da

jedenfalls auch andere Möglichkeiten für das Herbeiführen einer

ausreichenden Verhaltenstherapie-Versorgung bestehen, kann die

bisherige Nichtzulassung von Diplompsychologen zur selbständigen

verhaltenstherapeutischen Behandlung nicht verfassungsrechtlich

bedenklich sein. Eine solche Zulassung ist aber auch nicht aus Art 12

(Berufsfreiheit) oder aus Art 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) des

Grundgesetzes geboten. Die bestehende Regelung stützt sich darauf,

daß nur ein aufgrund einer umfassenden medizinischen Ausbildung sowie

der entsprechenden Staatsprüfung und Approbation sich ausweisender

Personenkreis die Gewähr für eine übergreifende Sachkunde für die

Durchführung der krankenversicherungsrechtlichen Heil-Versorgung

besitzt, so daß auch bei einer außerärztlichen Dienstleistung die

Gesamtverantwortung einer heilberuflichen Hauptperson bestehen

bleibt. Eine gesetzliche Regelung wie die des § 122 RVO, die eine

verhaltenstherapeutische Behandlung durch einen Diplompsychologen

jedenfalls dann ermöglicht, wenn sie an den Auftrag eines

Kassenarztes gebunden ist, dem die Diagnosestellung und die

Entscheidung über die Behandlungsdauer wenn auch nur gemeinsam mit dem

Diplompsychologen obliegt, so daß die Dienstleistung des

nichtärztlichen Therapeuten, der im übrigen eigenverantwortlich

arbeitet, der Dienstleistung des Arztes (zwar nicht untergeordnet,

aber doch) zugeordnet wird, ist verfassungskonform.

3. Die Beklagte war daher grundsätzlich nicht verpflichtet, für die ohne

ärztliche Überwachung stattgefundene Behandlung der Klägerin durch die Diplompsychologin H E aufzukommen.

4. Zweifel bestehen jedoch daran, ob die Beklagte ihre Aufklärungspflicht

und/oder ihre Pflicht zur Sicherstellung der Versorgung im

verhaltenstherapeutischen Bereich erfüllt hat. Hierzu hat das

Berufungsgericht keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Da die

Verletzung dieser Pflichten zu einem Erstattungsanspruch führen kann,

hängt die Entscheidung von dieser Frage ab. Dies führt zur

Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des

Rechtsstreits an das LSG.

a. Die Klägerin hat mit einem bei der Beklagten am 27. Juni 1977

eingegangenen Schreiben eine verhaltenstherapeutische Behandlung

beantragt und hinzugefügt, daß die auf der Liste der Beklagten

aufgeführten Ärzte keine Verhaltenstherapie durchführten. Weder in

ihrem Bescheid vom 29. Juni 1977 noch im Widerspruchsbescheid vom

6. Februar 1978 hat die Beklagte irgendwelche Ausführungen darüber

gemacht, welche konkreten Schritte die Klägerin unternehmen soll oder

kann, um eine verhaltenstherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen

zu können. Nach den §§ 13 ff des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner

Teil - (SGB I) ist die Beklagte als Trägerin der gesetzlichen

Krankenversicherung verpflichtet, ihre Mitglieder über ihre Rechte und

Pflichten aufzuklären und dabei auf alle Sach- und Rechtsfragen

einzugehen, die für den Versicherten von Bedeutung sein können. Wie

der Senat zuletzt in seinen Urteilen vom 28. November 1979 - 3 RK

64/77 - (SozR 2200 § 182 Nr 57 mwN) und vom 18. Februar 1981 -

3 RK 34/79 - ausgeführt hat, obliegt dem Versicherungsträger demnach

die Aufgabe, dem Versicherten so klare und selbständige Auskünfte zu

erteilen, daß dieser disponieren kann und ihm geholfen wird, das im

Rahmen seiner Rechtsansprüche erstrebte Ziel zu erreichen. Da sich

aus dem oben angeführten Schreiben der Klägerin entgegen der Ansicht

des LSG (-vgl Bl 16 des Berufungsurteils -) keineswegs ergibt, daß

sie bzw ihr Ehemann eine solche Verhaltenstherapie erstrebte, die von

einem Diplompsychologen ohne jede ärztliche Beteiligung durchgeführt

werde, durfte sich die Beklagte jedenfalls aufgrund dieses Schreibens

nicht auf den Hinweis beschränken, daß dies rechtlich nicht möglich

sei. Vielmehr wäre sie gehalten gewesen - insbesondere auf die

Bemerkung der Klägerin, daß die auf der Liste der Beklagten

aufgeführten Ärzte keine Verhaltenstherapie durchführten - der

Klägerin entweder Ärzte zu benennen, die, sei es ganz in eigener

Person, sei es unter der im Rahmen des § 122 RVO zulässiger

Zuziehung eines verhaltenstherapeutisch geschulten Diplompsychologen,

zur Durchführung der erstrebten Behandlung bereit waren, oder aber

zu erklären, daß tatsächlich keiner ihrer Vertragsärzte bereit sei,

eine verhaltenstherapeutische Behandlung, sei es auch unter

Hinzuziehung eines Diplompsychologen durchzuführen. Auch die

Tatsache, daß im letztgenannten Falle ein Versorgungsmangel evident

geworden wäre, hätte die Beklagte nicht hindern dürfen, ihn

aufzudecken. Ist der Versicherte, wie oben ausgeführt, über alle

Umstände aufzuklären, die für ihn bei der Geltendmachung seiner

Rechtsansprüche von Bedeutung sind, dann muß dies auch eine Aufklärung

darüber umgreifen, daß ein konkretes Leistungsangebot überhaupt nicht

bereitsteht. Nur aufgrund einer solchen Aufklärung kann sich der

Versicherte zweckmäßig und sinnvoll weiterhelfen. Das LSG hat aber

nicht aufgeklärt, ob die Beklagte dieser Beratungspflicht nachgekommen

ist, ob sie insbesondere der Klägerin bzw deren Ehemann über die

Bescheide hinaus weitere Informationen hat zukommen lassen.

b. Führen die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts zu dem

Ergebnis, daß die Klägerin - unter Berücksichtigung einer ihr bei

ihrem damaligen Gesundheitszustand zumutbaren Wartezeit - wegen eines

Versorgungsmangels keine Chance hatte, eine ärztlich gebotene

Verhaltenstherapie in B nach allgemeinem Leistungsrecht durchzuführen,

so wird zu prüfen sein, ob die Beklagte alle in der konkreten

Situation ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, die ihr nach

den §§ 368, 507 RVO obliegende Pflicht zur Sicherstellung der

kassenärztlichen Versorgung zu erfüllen. Dazu gehört es auch, auf die

Kassenärztliche Bundesvereinigung (als dem Vertragspartner des EKV)

zum Zwecke der gemeinsamen Versorgungssicherstellung einzuwirken.

Hat nach den Feststellungen des LSG die Beklagte alles ihr zumutbare

getan, ohne die Versorgungslücke beseitigen zu können, etwa deshalb,

weil ein rascher Wandel des Krankheitsbegriffs ein derartiges

Anwachsen des Versorgungsbedarfs zur Folge hatte, daß dessen

Sicherstellung notgedrungen erst längerfristig möglich ist oder war,

so ist ein Anspruch auf Ausgleich des rechtswidrigen

sozialrechtlichen Schadens mangels Ursächlichkeit nicht gegeben. Hat

die Beklagte ihre Sicherstellungspflichten aber verletzt, so steht dem

Versicherten ein solcher Ersatzanspruch zu. Wie der Senat in seinem

obengenannten Urteil vom 7. November 1979 ausgeführt hat, kann sich

ein Anspruch auf die Sachleistung in einen Kostenerstattungsanspruch

umwandeln, wenn der Versicherungsträger die Leistung rechtswidrig

nicht erbringt und der Versicherte aus diesem Grunde gezwungen ist,

sie sich selbst zu beschaffen.

Es ist zwar richtig, daß der Versicherte sich durch einen

Ersatzanspruch nicht eine Leistung beschaffen kann, die vom Gesetz

ausgeschlossen ist. Dabei ist jedoch zwischen dem eigentlichen

Leistungsinhalt und den Formen seiner Realisierung zu unterscheiden.

Es liegt in der Natur des allgemeinen Schadensersatzanspruches wie

auch des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, daß jeder solcher

Anspruch gerade deshalb über den Weg, der zu der vorgesehenen Leistung

führt, hinausgreifen muß, weil sie widerrechtlich nicht gewährt

wurde, der Anspruchsberechtigte sie sich also nur auf andere (Gesetz

und Recht nicht widersprechende) Weise - als Ersatz - beschaffen

kann. Daß die Klägerin den eigentlichen Leistungsinhalt - die

verhaltenstherapeutische Behandlung - hier im Wege der

Kostenerstattung (und nicht der Sachleistung) realisieren will,

steht dem Ersatzanspruch also nicht entgegen. So hat der Senat in

seinem Urteil vom 20. Oktober 1972 - 3 RK 93/71 - (BSGE 35, 10) dahin

entschieden, daß dann, wenn behandlungsbereite Kassenärzte in einer

für den Versicherten zumutbaren Entfernung nicht vorhanden sind, der

Versicherungsträger die Kosten einer privatärztlichen Inanspruchnahme

zu tragen, also im Wege des Ersatzes einen Kostenerstattungsanspruch

zu erfüllen hat. Die Leistung als solche, eine zur Heilung oder

Linderung einer Krankheit erforderliche verhaltenstherapeutische

Behandlung, ist als Gegenstand der gesetzlichen

Krankenversicherungsleistungen anerkannt. Die Tatsache, daß diese

Leistung infolge einer Pflichtwidrigkeit des Versicherungsträgers

nicht durch einen ärztlichen, sondern durch einen nichtärztlichen

Verhaltenstherapeuten erbracht wurde, steht einem Ersatzanspruch aber

dann nicht entgegen, wenn die Grundsätze der Zweckmäßigkeit und

wirtschaftlichen Notwendigkeit (§§ 182 Abs 1, 368e RVO) gewahrt und

der in Anspruch genommene nichtärztliche Therapeut über sein

abgeschlossenes Psychologie-Studium hinaus eine

verhaltenstherapeutische Zusatzausbildung erfahren hat, wie sie etwa

in § 5 der seit 1. Oktober 1980 geltenden Anlage 5a zum EKV für den

Fall einer im Rahmen des § 122 RVO liegenden Delegation beschrieben

worden ist. Wird auf diese Weise durch ärztliches Gutachten

nachträglich nachgewiesen, daß die verhaltenstherapeutische

Behandlung in einem bestimmten Umfang erforderlich und notwendig war,

dann bestehen insoweit auch keine Bedenken gegen einen Ersatzanspruch,

da die Leistungsinhalte bei einer nach § 122 RVO (noch) zulässigen

Delegation einerseits und bei einer nachträglich ärztlich

abgesicherten Behandlung andererseits weitgehend identisch sind.

All dies gilt aber nicht nur dann, wenn eine von der Beklagten zu

vertretende Versorgungslücke bestand, sondern auch dann, wenn die

Beklagte bei ausreichender Versorgung ihre Aufklärungspflicht

verletzt hat und deshalb davon ausgegangen werden muß, daß die

Klägerin dadurch daran gehindert wurde, eine im Rahmen des § 122

RVO liegende verhaltenstherapeutische Behandlung durchführen zu

lassen.

5. Da das Revisionsgericht die fehlenden Tatsachenfeststellungen nicht

selbst treffen kann, war die Zurückverweisung geboten.

Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten der Revisionsinstanz zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 144

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