Leitsatz (amtlich)

Entscheidet das SG in einem Urteil über mehrere prozessual selbständige Ansprüche, so ist die - unselbständige - Anschlußberufung des Berufungsbeklagten unzulässig, wenn sie nur einen prozessual selbständigen Anspruch betrifft, hinsichtlich dessen der Berufungskläger keine (Haupt-)Berufung eingelegt hat.

 

Normenkette

SGG § 143 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 521 Abs. 1

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. Januar 1966 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Beim Kläger sind Erblindung des linken Auges infolge schwerer Prellung durch Granatsplitterverletzung, Knochendefekt des linken Stirnbeines, Stirnhirnverletzung, hirntraumatische Leistungsschwäche und Wesensänderung als Schädigungsfolgen anerkannt, für die in einem früher anhängig gewesenen Rechtsstreit durch rechtskräftiges Urteil des Sozialgerichts (SG) Berlin vom 27. Januar 1956 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 v. H. festgesetzt worden ist. Im Februar 1956 beantragte der Kläger die Gewährung einer Pflegezulage. Im April 1956 erhob er gegen den Ausführungsbescheid des Versorgungsamts vom 24. März 1956 wegen der Berechnung der Ausgleichsrente Widerspruch, ebenso - im Dezember 1956 - gegen den Bescheid vom 3. November 1956, mit dem die Gewährung einer Pflegezulage abgelehnt worden ist. Beide Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1957 zurückgewiesen. Im Klageverfahren hat der Kläger beantragt, ihm wegen einer Verschlimmerung des Leidenszustandes ab 1. Februar 1956 Rente nach einer MdE um 100 v. H., ferner Pflegezulage und ab 1. Januar 1954 Ausgleichsrente unter Außerachtlassung des Einkommens seiner Ehefrau zu gewähren. Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 25. März 1964 verurteilt, bei der Berechnung der Ausgleichsrente das Einkommen der Ehefrau nur insoweit als sonstiges Einkommen in Ansatz zu bringen, als es bis zum 31. Mai 1960 250,- DM und ab 1. Juni 1960 300,- DM monatlich übersteige, und dabei § 33 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zu berücksichtigen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und die früheren Anträge - außer dem hinsichtlich der Ausgleichsrente - wiederholt sowie die zusätzliche Anerkennung eines traumatischen Parkinsonismus begehrt; der Beklagte hat nach Ablauf der Berufungsfrist Anschlußberufung eingelegt, mit der er beantragt hat, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen; die Ausführungen des SG zur Berechnung der Ausgleichsrente überzeugten nicht. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 13. Januar 1966 die Berufung des Klägers, soweit er eine Änderung der bisherigen Leidensbezeichnung und Erhöhung des Grades der MdE beansprucht, als unzulässig verworfen und im übrigen als unbegründet zurückgewiesen. Die Anschlußberufung des Beklagten hat es als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, die Berufung sei, wenn sowohl über berufungsfähige Ansprüche als auch über solche zu entscheiden sei, für die die Berufung ausgeschlossen sei, lediglich hinsichtlich der berufungsfähigen Ansprüche zulässig. Danach sei das Rechtsmittel gemäß § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht statthaft, soweit der Kläger mit der Berufung die Neufeststellung seiner Versorgungsbezüge mit einer Erhöhung des Grades der MdE auf 100 v. H. wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse - Verschlimmerung seines Leidenszustandes - und Änderung der bisherigen Bezeichnung des Versorgungsleidens beantrage. Die in diesem Umfange unzulässige Berufung sei auch nicht dadurch zulässig geworden, daß das Rechtsmittel insoweit zulässig sei, als der Kläger die Anerkennung eines traumatischen Parkinsonismus als weitere Schädigungsfolge begehre. Denn die grundsätzlich zulässige Anmeldung neuer Schädigungsfolgen erst im Berufungsverfahren könne nicht dazu führen, eine sonst unzulässige Berufung zulässig zu machen. Insofern habe daher die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen werden müssen. Soweit der Kläger mit der Berufung die Anerkennung eines traumatischen Parkinsonismus als weitere Schädigungsfolge beantrage, sei das Rechtsmittel aus dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs zulässig; jedoch handele es sich bei diesem Leiden nicht um eine Schädigungsfolge. Soweit der Kläger eine Pflegezulage beanspruche, sei die Berufung zulässig, weil insoweit eine - begehrte- Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse nicht vorliege; sachlich seien die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pflegezulage jedoch nicht gegeben. Die Anschlußberufung des Beklagten sei eine unselbständige, da sie nicht innerhalb der Berufungsfrist eingelegt worden sei; sie sei kein Rechtsmittel, sondern setze nur eine zulässige Berufung voraus. Der Kläger habe aber wegen des selbständigen Anspruchs auf Ausgleichsrente überhaupt keine Berufung eingelegt. Deshalb sei die Anschlußberufung als unzulässig zu verwerfen gewesen, weil sie nur den Anspruch auf Ausgleichsrente betreffe. Im übrigen wäre eine Berufung des Beklagten auch nach § 148 Nr. 4 SGG schon deshalb nicht statthaft gewesen, weil nach dieser Vorschrift die Berufung ausgeschlossen sei, wenn der Rechtsstreit nur die Höhe der Ausgleichsrente betreffe.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagt einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG. Da die Zulassung der Revision nicht beschränkt worden sei, sei davon auszugehen, daß das LSG die Revision für alle mit der Klage geltend gemachten Ansprüche, also auch bezüglich der Anschlußberufung, zugelassen habe. Hierauf komme es jedoch nicht entscheidend an, da ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG vorliege. Dieser sei darin zu erblicken, daß das LSG die Anschlußberufung als unzulässig verworfen habe, anstatt sachlich darüber zu entscheiden. Wenn das LSG diese Entscheidung damit begründet habe, daß die unselbständige Anschlußberufung eine zulässige Berufung voraussetze, Berufung hier aber bezüglich des Anspruchs auf Ausgleichsrente nicht eingelegt worden sei, so habe es sich in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts gesetzt, die, soweit ersichtlich, noch nicht von jüngerer Rechtsprechung oberer Gerichte überholt sei, und mit der sich das LSG zumindest hätte auseinandersetzen müssen. Das Reichsgericht habe nämlich mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß die gemeinrechtliche Voraussetzung des Zusammenhangs zwischen Berufung und Anschlußberufung nicht mehr bestehe, und daß die Anschlußberufung, sofern sie sich nur gegen dasselbe Urteil richte, nicht den Anspruch, bezüglich dessen Berufung eingelegt worden sei, zu betreffen brauche (RG in JW 13, 140; Gruch 49, 1029; RGZ 46, 373).

Diese Ansicht werde auch heute noch im Schrifttum vertreten. Zwar sei den Ausführungen des LSG insoweit beizupflichten, als eine zulässige Berufung als Voraussetzung für die unselbständige Anschlußberufung verlangt werde, eine solche habe aber hier vorgelegen. Insoweit sei das erstinstanzliche Urteil, möge es auch über mehrere selbständige Ansprüche entschieden haben, als eine Einheit zu betrachten. Nach den vom Reichsgericht aufgestellten Grundsätzen sei die Anschlußberufung auch gegen die von der Berufung "nicht angefochtenen oder nicht anzufechtenden Teile der erstinstanzlichen Entscheidung gegeben"; sie verliere nach § 522 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nur dann ihre Wirkung, "wenn die ganze Berufung als unzulässig verworfen wird" (RGZ 46, 373, 375). Insoweit werde auch auf die Ansicht von Walsmann (Die Anschlußberufung, 1928) hingewiesen, der zu dieser Frage ausgeführt habe (S. 137, 138): "Genau so ergreift die Berufung dann, wenn in dem Urteile über zwei Ansprüche entschieden, Kläger mit dem einen durchgedrungen, mit dem anderen abgewiesen ist, das ganze Urteil. Der Berufungsbeklagte kann Anschlußberufung einlegen, um das Urteil, soweit es ihn belastet, umzustoßen. Hier kann auch der Umstand, daß die Ansprüche in selbständigen Prozessen durchgeführt werden dürften, keine Änderung herbeiführen". Die Rechtsauffassung des LSG würde zu unbilligen, mit Sinn und Zweck der Anschlußberufung nicht in Einklang stehenden Ergebnissen führen, wenn der Kläger mehrere selbständige Ansprüche mit der Klage geltend gemacht habe, von denen ihm in erster Instanz einer oder mehrere in voller Höhe zugesprochen worden seien. Bezüglich dieser Ansprüche wäre eine Berufung mangels Beschwer in jedem Fall unzulässig, der Beklagte könnte demnach nicht im Wege der Anschlußberufung auf diese Ansprüche zurückgreifen, wenn der Kläger nur hinsichtlich der ihm versagten Ansprüche Berufung eingelegt habe. Das widerspräche aber dem vom Reichsgericht in Anknüpfung an die Motive zu § 483, jetzt § 522 ZPO, dahin erklärten Sinn der Anschlußberufung, daß es dem Berufungsbeklagten bei einer Beschränkung der Berufung möglich sein solle, den ganzen, in der ersten Instanz verhandelten Streitstoff in der Berufungsinstanz nachprüfen zu lassen. Zu dieser Ansicht habe sich auch das Bundessozialgericht in der Entscheidung in BSG 2, 229 bekannt; dort werde ausgeführt, daß es noch mehr als den Grundsätzen des Zivilprozesses den Grundsätzen des sozialgerichtlichen Verfahrens entspreche, daß der Rechtsstreit in der Berufungsinstanz in seinem vollen Umfang nachgeprüft werden könne. Erst die Anschließung gebe die Möglichkeit einer erneuten Entscheidung über den gesamten Rechtsstoff. Berücksichtige man, daß die unselbständige Anschlußberufung nach allgemeiner Ansicht kein Rechtsmittel sei, daß für ihre Zulässigkeit keine Beschwer erforderlich sei, sowie daß nach herrschender Meinung auch eine Erweiterung der in erster Instanz gestellten Anträge im Wege der Anschließung möglich sei, so könne man der Forderung nach strenger Konnexität zwischen Berufung und Anschließung, wie sie das LSG hier gefordert habe, nicht zustimmen. Der Zulässigkeit der Anschlußberufung stehe hier auch nicht etwa die Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung bezüglich des die Ausgleichsrente betreffenden Urteilsausspruchs entgegen. Denn nach allgemeiner Ansicht erstrecke sich der Suspensiveffekt der Berufung, wenn bei mehreren, trennbaren Ansprüchen nur ein Teil des Urteils angefochten werde, auch auf den nicht angegriffenen Teil der Entscheidung, Der nicht angefochtene Teil werde erst mit Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz rechtskräftig. Vorher könne die Rechtskraft zwar auch eintreten bei einem Verzicht auf das Rechtsmittel. Ein solcher Verzicht sei hier aber nicht erfolgt. Schließlich könne auch die Tatsache, daß eine Berufung des Klägers bezüglich des Anspruchs auf Ausgleichsrente gemäß § 148 Nr. 4 SGG als unzulässig hätte verworfen werden müssen, nicht zu einer Unzulässigkeit der Anschlußberufung führen. Ebensowenig wie die Unzulässigkeit der Berufung - hinsichtlich eines von mehreren in der Klage geltend gemachten Ansprüchen - mangels Beschwer die Zulässigkeit der Anschlußberufung zu beeinträchtigen vermöge, könne die Unzulässigkeit der Berufung aufgrund gesetzlicher Vorschrift die Anschlußberufung unzulässig machen. Dies werde von Walsmann (S. 139) ausdrücklich festgestellt für den parallelen Fall des Zivilprozesses, daß die Beschwer des Berufungsklägers die Berufungssumme nicht erreiche. Auch die Fälle des § 148 SGG seien nicht anders zu beurteilen; denn Sinn dieser Vorschrift, ebenso wie des § 511 a ZPO, sei es, das nächsthöhere Gericht zu entlasten. Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Zivil- und Sozialgerichtsbarkeit könnten insoweit eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. Demgemäß werde auch von mehreren LSG's wie auch im Schrifttum die Ansicht vertreten, daß die §§ 144- 149 SGG auf die Anschließung keine Anwendung finden könnten. Im übrigen sei der Anspruch auf Ausgleichsrente weder formell selbständig, da über ihn mit mehreren anderen Ansprüchen in einem Urteil entschieden worden sei (vgl. RGZ 46, 373) noch bestehe eine materielle Selbständigkeit. Der Anspruch auf Ausgleichsrente stehe nicht nur mit den übrigen in der Klage geltend gemachten Ansprüchen "im Zusammenhang" - schon für diesen Fall sei die Selbständigkeit vom Reichsgericht verneint worden - vielmehr beruhten sämtliche Ansprüche auch auf dem sich aus § 1 BVG ergebenden versorgungsrechtlichen Rechtsverhältnis, und der Anspruch auf Ausgleichsrente sei sogar direkt von dem Klageanspruch auf Erhöhung des Grades der MdE abhängig (§ 32 BVG). Zwar möge eine unterschiedliche Beurteilung der einzelnen Ansprüche bei der Prüfung der Zulässigkeit der Berufung angebracht sein, dieser Gesichtspunkt könne jedoch mit Rücksicht auf die angeführte Rechtsprechung eine Selbständigkeit des Anspruchs auf Ausgleichsrente ebensowenig rechtfertigen, wie dies im Verhältnis der Widerklage zur Klage der Fall sei. Der gestellte Revisionsantrag sei auch der Sache nach gerechtfertigt, denn die Entscheidung des Sozialgerichts sei bezüglich des Anspruchs auf Ausgleichsrente nicht rechtmäßig, weil dieses die Regelung des § 4 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG vom 11. Januar 1961 zu Unrecht dahingehend ausgelegt habe, daß diese Vorschrift auch bereits für Zeiträume gelten müsse, die vor dem 1. Juni 1960 lägen. Überdies habe für die Zeit ab 1. Juni 1961 zwischen den Parteien Einigkeit bestanden, so daß insoweit kein Raum mehr für die Verurteilung zur Gewährung von Leistungen gegeben gewesen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts abzuändern, soweit es die Anschlußberufung verworfen hat, und auf die Anschlußberufung die Klage unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 25. März 1964 in vollem Umfang abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts abzuändern, soweit es die Anschlußberufung verworfen hat, und die Sache zur erneuten Entscheidung über die Anschlußberufung an das Landessozialgericht Berlin zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die Zulässigkeit einer Anschlußberufung ergebe sich nicht aus den Vorschriften der §§ 521, 522 ZPO, sondern aus § 148 SGG. Nach Ziff. 4 dieser Vorschrift sei die Berufung ausgeschlossen und auch deshalb nicht statthaft gewesen, weil der Kläger nicht beschwert gewesen sei. Außerdem sei eine Berufung wegen der Höhe der Ausgleichsrente überhaupt nicht anhängig gewesen. Aber selbst dann, wenn die Anschlußberufung zulässig gewesen wäre, hätte die Vorinstanz in sachlicher Hinsicht ebenfalls nur zu einer Zurückweisung der Anschlußberufung wegen Unbegründetheit gelangen können.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Das LSG hat die Revision im Urteilstenor ohne Einschränkung zugelassen und überdies in der durch Beschluß vom 30. März 1966 berichtigten Rechtsmittelbelehrung zum Ausdruck gebracht, daß es der Frage der Zulässigkeit der Anschlußberufung im vorliegenden Fall grundsätzliche Bedeutung beimesse. Die sonach durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sachlich konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.

Zu prüfen war nur, ob das LSG die erst nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegte und deshalb unselbständige Anschlußberufung des Beklagten mit Recht als unzulässig verworfen hat. Dies war zu bejahen.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat, finden die Vorschriften der §§ 521 bis 522 a ZPO über die Anschließung des Berufungsbeklagten an die Berufung auf das sozialgerichtliche Verfahren entsprechende Anwendung, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht im einzelnen ausschließen (vgl. BSG 2, 229, 231 ff und zur Anschlußrevision: BSG 8, 24). Die unselbständige Anschlußberufung ist, wie die Revision zutreffend betont, kein Rechtsmittel, weshalb dafür weder eine Beschwer erforderlich ist noch die allgemeinen Berufungsausschließungsgründe der §§ 144-149 SGG gelten (vgl. Brackmann, Handbuch der Soz. Vers. Band I S. 252 a; Peters/Sautter/Wolff Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit 4. Aufl. Anm. 3 zu § 151 SGG S. III/78 - 2 -, ferner BSG in SozR Nr. 9 zu § 521 ZPO). Die Anschließung stellt lediglich eine Auswirkung des Rechts des Berufungsbeklagten dar, durch Anträge die Grenzen einer neuen Verhandlung zu bestimmen; sie ist ein angriffsweise wirkender Antrag des Berufungsbeklagten innerhalb der Berufung des Gegners, wobei das Rechtsmittel selbst nicht verändert wird; das alte, vom Berufungskläger eingelegte Rechtsmittel bleibt bestehen (vgl. BSG 2, 232, wo auch auf die Schrift von Walsmann "Die Anschlußberufung", auf die sich die Revision bezieht, hingewiesen worden ist). Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Anschlußberufung ist aber, wie sich schon aus dem Wort "Anschluß" ergibt, daß vom Gegner eine (zulässige) Hauptberufung eingelegt worden ist (vgl. Brackmann aaO, S. 252, Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. S. 671). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Kläger hat zwar gegen das Urteil des SG vom 25. März 1964 Berufung eingelegt, jedoch nicht, soweit es den Anspruch auf Ausgleichsrente betrifft, gegen den allein sich die Anschlußberufung des Beklagten richtet. Insoweit ist daher kein Berufungsverfahren anhängig gewesen.

Das Urteil des SG vom 25. März 1964 betrifft mehrere prozessual selbständige Ansprüche, nämlich auf die Gewährung einer höheren Rente durch Erhöhung des Grades der MdE wegen Änderung der Verhältnisse, d. h. wegen einer Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen, ferner auf eine Pflegezulage und schließlich auf Erhöhung der Ausgleichsrente mit der Frage, ob bei der Berechnung der Ausgleichsrente gewisse Einkünfte außer Ansatz zu lassen sind und deshalb dem Kläger eine höhere Ausgleichsrente zusteht. Zwar ist der Hinweis der Revision, daß sämtliche Ansprüche auf demselben, sich aus § 1 BVG ergebenden versorgungsrechtlichen Rechtsverhältnis beruhen, zutreffend. Das SGG behandelt jedoch in § 148 Nr. 3 und 4 SGG für die Frage der Zulässigkeit der Berufung jeden dieser Ansprüche gesondert, indem es für den Anspruch auf höhere Rente und auf höhere Ausgleichsrente in Nr. 3 und 4 einen grundsätzlichen Berufungsausschluß vorsieht, für die Erstentscheidung über die Pflegezulage (wie hier) jedoch die Berufung zuläßt. Deshalb können die einzelnen vom Kläger im Klageverfahren geltend gemachten Ansprüche insoweit nicht als eine Einheit betrachtet werden, sie müssen vielmehr grundsätzlich nach der Zulässigkeit des Rechtsmittels getrennt werden (vgl. BSG 5, 225).

Dann jedenfalls prozessual - und nur hierauf kann es bei der Frage der Berufungszulässigkeit ankommen - handelt es sich um selbständige Ansprüche. Wird in einem Urteil über mehrere solcher prozessual selbständiger Ansprüche entschieden (objektive Klagehäufung), so stellt sich das Urteil als eine Mehrheit an sich selbständiger Entscheidungen dar. In einem solchen Falle sind einerseits die Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsmittels, - soweit es eingelegt worden ist - für jeden prozessual selbständigen Anspruch gesondert zu prüfen (vgl. BSG 8, 228, 231 mit Zitaten aus Rechtsprechung und Literatur; ferner BSG 7, 35, 39; 3, 135, 139; 5, 222, 225) und fehlt es andererseits, soweit keine Berufung eingelegt worden ist, an der für eine Anschlußberufung unerläßlichen Voraussetzung, daß eine Hauptberufung vorliegt.

Soweit die Revision auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts verweist, wonach die Anschlußberufung nicht den Anspruch zu betreffen brauche, bezüglich dessen Berufung eingelegt ist, sofern sie sich nur gegen dasselbe Urteil richte (vgl. RGZ 46, 373; Wieczorek ZPO Bd. III 1957 Anm. A III b 1 zu § 522 ZPO und Walsmann, Die Anschlußberufung, 1928, S. 137/138), wird verkannt, daß sich in der ZPO - anders als im SGG - die Zulässigkeit der Berufung bei vermögensrechtlichen Ansprüchen grundsätzlich nach dem Werte des Beschwerdegegenstandes (§ 511 a ZPO), nicht aber nach der Art des Anspruchs (hier höhere MdE, höhere Ausgleichsrente, Pflegezulage) richtet. Soweit die Berufung im Zivilprozeß ohne Rücksicht auf den Wert des Beschwerdegegenstandes stattfindet, die "Erwachsenheitssumme" also keine Rolle spielt (vgl. § 511 a Abs. 4 ZPO und Wieczorek aaO Anm. B II b 3 zu § 511 ZPO), wird darauf abgestellt, ob es sich um die Unzulässigkeit des Rechtsweges handelt oder ob über einen Anspruch gestritten wird, für den die Landgerichte ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes (sachlich) ausschließlich zuständig sind (vgl. § 71 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG -). Letzteres gilt schlechthin für die in Betracht kommenden Ansprüche, d. h. für "die Ansprüche", die aufgrund der Beamtengesetzes gegen den Fiskus erhoben werden, sowie für "die Ansprüche" gegen Richter und Beamte aus Amtspflichtverletzung (§ 71 Abs. 2 Nr. 1 und 2 GVG), ohne daß irgendwie nach der Art des geltend gemachten Anspruchs (Geldleistung, Lieferung eines Ersatzgegenstandes, Kosten als Teil des Schadens, vgl. Palandt, Komm. zum BGB, 23. Aufl. Anm. 10 b und c zu § 839 BGB, bzw. einmalige oder wiederkehrende Leistungen) oder auch nach dem Zeitraum, für den die Ansprüche geltend gemacht werden (vgl. andererseits § 144 Abs. 1, § 148 Nr. 2 SGG) unterschieden wird. Insoweit bestehen grundsätzliche Unterschiede zwischen beiden Verfahrensarten. Deswegen konnte für den Bereich der ZPO auch in RGZ 46, 375 ausgesprochen werden, daß die Anschlußberufung nach § 522 ZPO nur dann ihre Wirkung verliere, "wenn die ( ganze ) Berufung als unzulässig verworfen wird". Betrifft aber das SG-Urteil wie im vorliegenden Falle mehrere prozessual selbständige Ansprüche und enthält es deshalb eine Mehrheit an sich selbständiger Entscheidungen, so werden, wenn hiergegen ohne Einschränkung Berufung eingelegt wird, mehrere "ganze Berufungen" in diesem Sinne eingelegt, die bezüglich ihrer Zulässigkeit gesondert zu beurteilen sind. Jede einzelne dieser "ganzen Berufungen" ist im Falle einer Anschlußberufung - ohne daß es hierfür auf eine Beschwer ankäme - in vollem Umfang nachzuprüfen (vgl. BSG 2, 229, 234). Mit dieser Einschränkung ist die Rechtsprechung zur ZPO auch im sozialgerichtlichen Verfahren von Bedeutung, d. h. wendet sich z. B. der Versorgungsberechtigte gegen die Höhe der Ausgleichsrente, weil seine Einkünfte geringer seien, als vom Beklagten angenommen wurde, und verfolgt er sein erfolglos gebliebenes Klagebegehren in der Berufungsinstanz weiter, so kann der Beklagte - ohne Beschwer - Anschlußberufung etwa mit der Begründung einlegen, es seien zu hohe Freibeträge zugrundegelegt worden oder sonstige Berechnungsfehler unterlaufen, weshalb die Ausgleichsrente nicht zu niedrig festgesetzt worden sei. Ein solcher oder ähnlicher Sachverhalt ist hier aber nicht gegeben. Der Hinweis der Revision auf die Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung hinsichtlich der Ausgleichsrente und den Suspensiveffekt der Berufung führt zu keinem anderen Ergebnis. Ist jeder der mehreren Ansprüche hinsichtlich der Berufungszulässigkeit gesondert zu beurteilen und handelt es sich um jeweils selbständige Entscheidungen, so erwächst das Urteil, soweit es einen Anspruch betrifft, für den die Berufung ausgeschlossen und deshalb wie hier auch nicht eingelegt worden ist, in Rechtskraft. Etwas anderes gilt nur dann, wenn trotz des Berufungsausschlusses Berufung eingelegt wird oder wenn ein prozessual selbständiger Anspruch nur in beschränktem Umfang mit der Berufung angefochten wird, ohne daß eine eindeutige Rechtsmittelbegrenzung vorliegt (vgl. Baumbach/Lauterbach, ZPO, 28. Aufl. Anm. 1 B zu Grundz. vor § 511 ZPO); dann tritt die formelle Rechtskraft erst mit der Verwerfung des Rechtsmittels bzw. mit dem Abschluß des Verfahrens ein (vgl. auch Wieczorek aaO, Anm. A Ia zu § 511 ZPO). Im vorliegenden Fall ist jedoch hinsichtlich der Ausgleichsrente keine Berufung eingelegt worden. Damit wurde die Entscheidung des SG über die Ausgleichsrente rechtskräftig. Deshalb kann auch der Hinweis der Revision auf BSG 2, 229, 234, wo betont ist, daß erst die Anschließung die Möglichkeit der erneuten Entscheidung über den gesamten Rechtsstoff gebe und ohne sie neuer Prozeßstoff nur einseitig und unvollständig berücksichtigt werden könne, nicht durchgreifen; denn diese Entscheidung ging davon aus, daß eine Berufung des Klägers anhängig gewesen ist (BSG 2, 230). Im übrigen hat auch das Reichsgericht die Anschlußberufung für unzulässig gehalten, wenn ein Urteil die Entscheidung über zwei selbständige Ansprüche enthält und auf die Anfechtung der Entscheidung über den einen Anspruch verzichtet worden ist, weil der Verzicht die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils durch das Berufungsgericht ausschließe (vgl. RGZ 55, 276, 277 ff und Walsmann aaO, S. 138).

Da das LSG nach alledem die Anschlußberufung des Beklagten zu Recht als unzulässig verworfen hat, war die Revision zurückzuweisen, ohne daß noch zu erörtern war, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, daß der Beklagte das (insoweit rechtskräftige) SG-Urteil hinsichtlich der Ausgleichsrente nach Einlegung der Anschlußberufung mit den beiden Ausführungsbescheiden vom 12. Mai 1965 ohne Vorbehalt ausgeführt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2145627

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