Leitsatz (amtlich)

1. Hat ein Versicherter nach Aufgabe seiner bisherigen Beschäftigung wegen einer beruflichen Hauterkrankung eine Rente aus der UV erhalten, so liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des RVO § 622 Abs 1 auch dann vor, wenn er sich durch eigene Initiative - ohne Berufshilfemaßnahmen des Versicherungsträgers - ein neues Tätigkeitsfeld erschlossen hat, auf dem er schädlichen Einwirkungen des früheren Berufs nicht mehr ausgesetzt ist, das ihm aber gleichwertige Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten bietet (Weiterführung von BSG 1974-12-19 8 RU 296/73 = BSGE 39, 49 und BSG 1976-04-30 8 RU 142/75 = SozR 2200 § 622 Nr 7).

2. Bei Prüfung der wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der neuen Tätigkeit sind Aufstiegschancen, die der Versicherte im früheren Beruf gehabt hätte, grundsätzlich nicht zu berücksichtigen; ob etwas anderes gilt, wenn der Aufstieg mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre, bleibt offen.

3. Eine soziale Gleichwertigkeit ist für die neue Tätigkeit allenfalls in dem Sinn zu fordern, daß diese Tätigkeit in der Arbeitswelt kein wesentlich geringeres Ansehen genießt als die frühere (bejaht für die Tätigkeit eines in das Angestelltenverhältnis übernommenen "Schichtführers" in einem Handelsunternehmen gegenüber der eines gelernten Maurers).

 

Normenkette

RVO § 551 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 7 Anl 1 Nr. 46 Fassung: 1968-06-20

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 9. Dezember 1975 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Dauerrente. Er war nach Besuch der Volksschule und Abschluß einer Maurerlehre (1947) als Maurergeselle beschäftigt, bis ihn eine - 1953 erstmals aufgetretene - Allergie gegen Chromverbindungen Mitte 1959 - im 30. Lebensjahr - zur Aufgabe seines Berufs zwang. Entsprechend einem hautärztlichen Gutachten gewährte ihm die Beklagte ab 1959 zunächst eine vorläufige Rente, die seit 1961 als Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. weitergezahlt wurde. In dem bindend gewordenen Rentenbescheid vom 22. Februar 1961 sind als Folgen der Berufskrankheit eine "Überempfindlichkeit gegenüber Berufsstoffen eines Maurers, insbesondere Chrom, und ein Alkalischaden des Hautorgans" angegeben. Außerdem leidet der Kläger an einem 1957 festgestellten, nicht mit der Berufskrankheit zusammenhängenden Diabetes. Nachdem er deswegen eine 1960 von der Beklagten eingeleitete Umschulung zum Bauzeichner abgebrochen hatte, wurde er im Juli 1960 bei einer Getränke-Handelsfirma (Vorlo-Getränke GmbH in Salzgitter) zunächst als ungelernter Platzarbeiter eingestellt, dort von etwa 1963 bis 1970 als Vorarbeiter beschäftigt und anschließend - nach einer längeren Einarbeitungszeit - als Schichtführer in das Angestelltenverhältnis übernommen. Als solcher ist er für den Einsatz von drei bis fünf Arbeitern sowie für die Beladung der Lastzüge und die Abfertigung der Verkaufsfahrer verantwortlich; ferner hat er die auszugebende Ware und das eingegangene Leergut zu buchen. Vom 1. August 1971 bis zum 31. Juli 1972 hatte er nach den Angaben seiner Arbeitgeberin einen Bruttoverdienst von 18.111 DM (der in der Folgezeit weiter stieg). Während des gleichen Zeitraums hätte er als tariflich entlohnter Maurer ca. 15.200 DM verdient.

Daraufhin entzog die Beklagte, obwohl auch die letzte Nachuntersuchung im Juli 1972 keine Änderung der medizinischen Befunde (Chromatallergie und Alkaliresistenzschwäche der Haut) ergeben hatte, die Rente des Klägers mit Ablauf des Monats Februar 1973; sie begründete die Entziehung vor allem damit, daß der Kläger, bei dem im Dezember 1960 noch Veränderungen an den Fingern vorgelegen hätten, seit Jahren ekzemfrei sei, seit Juli 1960 in einem festen Arbeitsverhältnis stehe und deshalb sozial wieder voll eingegliedert sei; nach Erwerb neuer beruflicher Fertigkeiten sei er zum Schichtführer aufgestiegen und habe keine wirtschaftlichen Nachteile gegenüber seiner früheren Maurertätigkeit mehr (Bescheid vom 25. Januar 1973).

Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg, da das Sozialgericht (SG) die Änderungen "im beruflichen Status" des Klägers für rechtlich unerheblich und seine Betätigungsmöglichkeiten aus medizinischen Gründen weiterhin für eingeschränkt hielt (Urteil vom 27. Februar 1974).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen und ausgeführt: Die der Rentengewährung zugrunde liegenden Verhältnisse hätten sich beim Kläger insofern wesentlich geändert, als ihm seit seiner festen Anstellung als Schichtführer ein seiner früheren Beschäftigung wirtschaftlich und sozial gleichwertiges, auf Dauer angelegtes Arbeitsfeld erschlossen worden sei. Daß dies - anders als in einem vom Bundessozialgericht (BSG) am 19. Dezember 1974 entschiedenen Fall - nicht im Wege der Umschulung durch den Versicherungsträger, sondern aus eigener Kraft geschehen sei, mache keinen Unterschied. Als Schichtführer übe der Kläger zwar keinen Lehr- oder Anlernberuf aus, auch habe er sich im wesentlichen nur spezielle, bei seiner jetzigen Tätigkeit verwertbare Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet; dies werde jedoch durch seine Beschäftigung in einer festen Vertrauensstellung ausgeglichen. Mögliche Nachteile im Falle eines künftigen Arbeitsplatzwechsels müßten so lange außer Betracht bleiben, als der Kläger seinen derzeitigen - sicheren und gleichwertigen - Arbeitsplatz innehabe. Daß er als Maurer weitere berufliche Aufstiegschancen, beispielsweise zum Polier, gehabt hätte, sei nicht von Bedeutung, weil seine jetzige Position auch der eines Poliers annähernd gleichwertig sei (Urteil vom 9. Dezember 1975).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt, mit der er vor allem eine Verletzung des § 622 der Reichsversicherungsordnung (RVO) rügt: Grundsätzlich könne zwar bei einer beruflichen Hauterkrankung auch die Erschließung von neuen Betätigungs- und Erwerbsmöglichkeiten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sein. Voraussetzung sei jedoch der Erwerb neuer beruflicher Kenntnisse und die Gleichwertigkeit des neu erschlossenen Arbeitsfeldes. Beides treffe für den Kläger entgegen der Auffassung des LSG nicht zu. Die Tätigkeit als Schichtführer sei kein anerkannter Ausbildungsberuf, sie erfordere lediglich bestimmte Charaktereigenschaften, die der Kläger auch früher schon gehabt habe. Neue berufliche Kenntnisse habe er nicht erworben, sein Arbeitsfeld habe sich mithin nicht erweitert. Nach der - vom LSG insoweit nicht gewürdigten - Aussage des Zeugen Rauscher sei er selbst als Schichtführer nur beschränkt, nämlich nur für die Frühschicht, verwendbar. Bei Verlust seines jetzigen Arbeitsplatzes müßte er in einem anderen Betrieb wieder als ungelernter Arbeiter oder als Hilfsangestellter beginnen. Nur die Ausübung eines anerkannten Ausbildungsberufs hätte ihm gleichwertige Erwerbsmöglichkeiten geboten. Die Erzielung eines entsprechenden Verdienstes allein genüge nicht. Im übrigen habe das LSG nicht festgestellt, wie viel er als Maurer verdienen würde. Auch als solcher hätte er eine seiner jetzigen Tätigkeit vergleichbare Vertrauensstellung, z. B. als Vorarbeiter oder Hilfspolier, einnehmen können, so daß er als Schichtführer entgegen der - auch verfahrensfehlerhaften - Feststellung des LSG nicht besser als vorher gestellt sei. Er beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Braunschweig vom 27. Februar 1974 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision gegen das - ihrer Ansicht nach zutreffend begründete - Urteil des LSG zurückzuweisen.

Entgegen dem Vorbringen der Revision sei davon auszugehen, daß der Kläger vor und während seiner Tätigkeit als Schichtführer "ganz andere, viel weitergehende" Berufskenntnisse, als er früher als Maurer besessen habe, erworben und sich damit ein neues Arbeitsfeld erschlossen habe, auf dem er mehr als in seinem früheren Maurerberuf verdiene. Selbst als Polier hätte er im übrigen nicht das soziale Ansehen wie jetzt als angestellter Schichtführer.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Wie das LSG zutreffend entschieden hat, ist ihm die Rente mit Recht entzogen worden, weil sich die für ihre Bewilligung maßgebend gewesenen Verhältnisse wesentlich geändert haben (§ 622 Abs. 1 RVO).

Das LSG hat nicht erörtert, ob in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers seit Feststellung der Dauerrente (Bescheid vom 22. Februar 1961) eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Die Beklagte hat den Entziehungsbescheid auch mit einer solchen Änderung begründet, das SG hat sie verneint. Nach dem Rentenbescheid vom 22. Februar 1961 hat allerdings schon damals als Folge der Berufskrankheit nur noch eine Überempfindlichkeit, insbesondere gegen Chrom, und ein "Alkalischaden" der Haut vorgelegen (wobei letzterer nach dem der Rentenbewilligung zugrunde liegenden ärztlichen Gutachten offenbar im Sinne einer Alkaliresistenzschwäche zu verstehen ist). Die akuten Hauterscheinungen (Ekzeme) waren schon zur Zeit der Dauerrentenbewilligung abgeklungen, jedenfalls nicht mehr maßgebend für die Bewertung der MdE mit 30 v. H. Andererseits war damals (1961) seit Abheilung der Ekzeme erst eine verhältnismäßig kurze Zeit verstrichen und die Gefahr eines erneuten Aufflackerns - trotz des inzwischen erfolgten Berufswechsels - möglicherweise noch nicht beseitigt (vgl. dazu SozR § 622 RVO Nr. 15 und BSG 39, 49 Leitsatz). Ob in einem solchen Fall der Versicherungsträger, der pflichtgemäß die Dauerrente vor Ablauf von zwei Jahren nach Beginn der Berufskrankheit festgestellt hat (§ 1585 Abs. 2 i. V. m. § 551 Abs. 3 RVO), diese nach Stabilisierung des Hautleidens und einer ausreichend bemessenen Schonzeit wegen Änderung der Verhältnisse wieder entziehen darf, kann hier offen bleiben; jedenfalls haben sich die beruflichen Verhältnisse des Klägers seit Feststellung der Dauerrente so wesentlich geändert, daß die Rente deswegen entzogen werden durfte.

Daß auch eine Änderung in den beruflichen Verhältnissen unter bestimmten Voraussetzungen eine Rentenentziehung rechtfertigt, hat der erkennende Senat schon mehrfach entschieden (vgl. Urteile vom 19. Dezember 1974 und 30. April 1976, BSG 39, 49 und SozR 2200 § 622 RVO Nr. 7). Zwar bemißt sich die Erwerbsfähigkeit in der Unfallversicherung - anders als die Arbeits(un)fähigkeit in der Krankenversicherung (vgl. BSG 26, 288, 290) - grundsätzlich nicht nach den konkreten Berufs- und Erwerbsverhältnissen des Versicherten, sondern nach seinen Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, so daß besondere Umstände, die im Einzelfall seine Erwerbsfähigkeit günstig oder ungünstig beeinflussen, bei der Bemessung der MdE in der Regel nicht zu berücksichtigen sind (Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung, vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 8. Aufl., Bd. II, S. 566 y II). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht uneingeschränkt. So sind nach § 581 Abs. 2 RVO bei der Bemessung der MdE auch Nachteile zu berücksichtigen, die der Verletzte dadurch erleidet, daß er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfange nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann, ausgeglichen werden (vgl. dazu BSG 38, 118 und 39, 31). Bei bestimmten Berufskrankheiten, insbesondere bei beruflichen Hauterkrankungen wie im Falle des Klägers, wird eine Entschädigung aus der Unfallversicherung nur gewährt, wenn die Erkrankung den Versicherten zum Wechsel des Berufs oder zur Aufgabe jeder Erwerbsarbeit zwingt (so früher Nr. 19 der Anlage zur 3. Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - i. d. F. der 5. BKVO vom 26. Juli 1952, BGBl I 395), oder wenn sie ihn zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen hat (so jetzt Nr. 46 der genannten Anlage i. d. F. der 6. BKVO vom 28. April 1961, BGBl I 505, und Anlage 1 der 7. BKVO vom 20. Juni 1968, BGBl I 721; vgl. ferner Nr. 41 und 43 der Anlage bei Erkrankungen an Bronchialasthma und u. a. der Sehnenscheiden) Gehört mithin in diesen Fällen die erzwungene Aufgabe des Berufs (jeder Erwerbsarbeit) und die damit in der Regel verbundene, durch die Unfallentschädigung auszugleichende Einbuße an Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten (vgl. BSG 39, 49, 50 unten) zu den anspruchsbegründenden Tatsachen, so kann umgekehrt nicht unberücksichtigt bleiben, wenn diese Einbuße auf andere Weise als durch eine Geldentschädigung, insbesondere durch Erschließung eines neuen Tätigkeitsfeldes, ausgeglichen wird (Gedanke der Kompensation, der auch in § 581 Abs. 2 RVO Ausdruck gefunden hat). Voraussetzung ist allerdings, daß dem Versicherten ein Tätigkeitsfeld erschlossen wird, das ihn einerseits vor schädlichen Einwirkungen bewahrt und ihm andererseits gleichwertige Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten bietet (vgl. BSG aaO S. 52).

Ob eine Berücksichtigung des neuen Tätigkeitsfeldes außerdem voraussetzt, daß es dem Versicherten mit Hilfe des Versicherungsträgers, insbesondere im Wege einer auf dessen Kosten durchgeführten Umschulung, erschlossen worden ist, hat das BSG bisher nicht entschieden. Das Urteil des Senats vom 19. Dezember 1974 (BSG 39, 49) betraf zwar einen Fall, in dem der Versicherte durch den Versicherungsträger umgeschult worden war, es hat diesen Umstand jedoch für die - damals als rechtmäßig bestätigte - Rentenentziehung nicht für allein entscheidend gehalten (vgl. den Leitsatz:" ... mindestens dann ..."). Auch in dem späteren Urteil vom 30. April 1976 (SozR aaO S. 20) ist die Bedeutung einer etwaigen Umschulung andeutungsweise eingeschränkt, die Frage aber offen gelassen worden. Das LSG hat sie verneint und seine Auffassung vor allem damit begründet, daß bei einer unterschiedlichen Behandlung der beiden Fallgruppen - Erschließung des neuen Tätigkeitsfeldes mit und ohne Hilfe des Versicherungsträgers - die Gefahr bestände, daß sich die Versicherten, nur um die Rente zu behalten, einer erfolgreichen Umschulung durch den Versicherungsträger entziehen würden. Dem ist zuzustimmen. Im übrigen wäre eine unterschiedliche Behandlung beider Fälle nach Ansicht des Senats auch mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 des Grundgesetzes) kaum vereinbar, sofern man den Kompensationsgedanken als den tragenden Grund für die Neufeststellung der Rente bei Erschließung eines neuen Tätigkeitsfeldes ansieht. Dann kann es nämlich nicht entscheidungserheblich sein, auf welche Weise der Verlust von Betätigungs- und Verdienstmöglichkeiten ausgeglichen wird, ob durch eine Umschulung seitens des Versicherungsträgers oder eines anderen, öffentlichen oder nichtöffentlichen Rehabilitationsträgers oder durch die Initiative des Versicherten selbst; erheblich kann nur sein, ob, in welchem Umfange und für welche Zeit der Verlust ausgeglichen wird. Der Umstand, daß der Kläger sich nach Aufgabe des Maurerberufs ein neues Tätigkeitsfeld - im übrigen nach Abbruch einer von der Beklagten angebotenen und eingeleiteten Umschulung zum Bauzeichner - selbst erschlossen hat, ist mithin für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rentenentziehung ohne Bedeutung. Auch die Revision hat insoweit keine Einwände erhoben.

Das neue Tätigkeitsfeld des Klägers war auch - jedenfalls zur Zeit der Rentenentziehung - dem früheren, wegen der Hauterkrankung aufgegebenen gleichwertig, und zwar entgegen der Ansicht der Revision sowohl in wirtschaftlicher wie in sozialer und beruflicher Beziehung. Zur Feststellung der - in erster Linie zu fordernden - wirtschaftlichen Gleichwertigkeit der neuen Tätigkeit sind die Verdienstmöglichkeiten, die der Versicherte im Zeitpunkt der Rentenentziehung haben würde, wenn er seine frühere Tätigkeit nicht aufgegeben hätte, mit denen zu vergleichen, die er zu diesem Zeitpunkt tatsächlich hat; dabei sind zwischenzeitliche Lohnsteigerungen im früheren Beruf zu berücksichtigen (vgl. das schon genannte Urteil des Senats vom 30. April 1976, SozR aaO S. 20 unten). Grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind dagegen Aufstiegschancen, die der Versicherte in seinem früheren Beruf gehabt hätte (vgl. BSG 39, 49, 53). Ob etwas anderes gilt, wenn ein beruflicher Aufstieg schon im Zeitpunkt der Aufgabe der früheren Tätigkeit mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, sich in diesem Sinne also "zwangsläufig" ergeben hätte (vgl. BSG 31, 185, 189 oben), kann offen bleiben, da ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Das LSG hat lediglich festgestellt, daß der Kläger "als Maurer die Chance gehabt hätte, beispielsweise zum Polier aufzusteigen". Auch die Revision hat nur vorgetragen, daß der Kläger "mit den im angefochtenen Urteil festgestellten Charaktereigenschaften und seiner fachlichen Qualifikation als Maurervorarbeiter oder Hilfspolier hätte tätig sein können, ohne daß es hierzu einer weiteren Ausbildung bedurft hätte"; zu einer entsprechenden Sachaufklärung hätte sich das LSG nach § 103 SGG gedrängt fühlen müssen. Ob dazu vom Rechtsstandpunkt des LSG (vgl. BSG 2, 84) Anlaß bestand, kann dahinstehen. Nach Auffassung des Senats ist eine weitere Aufklärung in der genannten Richtung entbehrlich, weil kein Anhalt besteht und auch der Kläger selbst nicht geltend macht, daß ein Aufstieg zum Vorarbeiter oder Hilfspolier in seinem früheren Maurerberuf mit Sicherheit oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Zu vergleichen ist deshalb sein Verdienst, den er im Zeitpunkt der Rentenentziehung tatsächlich gehabt hat, mit demjenigen, den er zu dieser Zeit als Maurer erzielt hätte; dabei sind geringfügige zeitliche Abweichungen unerheblich. Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat der Kläger als Schichtführer während der Zeit vom 1. August 1971 bis zum 31. Juli 1972 ca. 18.100 DM verdient, während er als Maurer nur ein - deutlich darunter liegendes - Tarifeinkommen von ca. 15.200 DM gehabt hätte. Seine Tätigkeit als Schichtführer war somit, auf den Zeitpunkt der Rentenentziehung bezogen, der früheren eines Maurers wirtschaftlich mindestens gleichwertig.

Ob und in welchem Sinne darüber hinaus auch eine volle soziale Gleichwertigkeit der beiden Tätigkeiten zu fordern ist, braucht der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Nicht folgen kann er der Revision jedenfalls insofern, als sie für den Kläger, einen gelernten Maurer, ein neues Tätigkeitsfeld nur dann als gleichwertig gelten lassen will, wenn es zugleich "Ausübung eines anerkannten Ausbildungsberufs" ist. Selbst in der Rentenversicherung ist bei Prüfung der Berufsfähigkeit (§ 1246 RVO), insbesondere eines Facharbeiters, der Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeit nicht auf anerkannte Lehr- oder Anlernberufe beschränkt (vgl. BSG 19, 57, 50; SozR § 1246 Nr. 78 am Ende, Nr. 102 S. Aa 97, Nr. 107; SozR 2200 § 1246 RVO Nr. 4). Wenn überhaupt, könnte für die neue Tätigkeit des Klägers eine soziale Gleichwertigkeit allenfalls in dem Sinn gefordert werden, daß sie in der Arbeitswelt kein wesentlich geringeres Ansehen genießt als die frühere. Das ist indessen, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, für die vom Kläger im Angestelltenverhältnis verrichtete Tätigkeit eines Schichtführers unter Berücksichtigung ihrer inhaltlichen Anforderungen zu bejahen.

Die Tätigkeit des Klägers als Schichtführer ist schließlich, was die Sicherheit des Arbeitsplatzes anlangt, der früher ausgeübten gleichwertig. Daß das neu erschlossene Arbeitsfeld "auf Dauer angelegt" sein muß und nicht den Charakter einer Aushilfs-, Not- oder Verlegenheitslösung tragen darf, hat der Senat schon früher betont (BSG 39, 49, 52 unten). Daß diese Voraussetzungen beim Kläger erfüllt sind, der seit 1960 ununterbrochen in demselben Betrieb beschäftigt ist, davon seit etwa 1971 in seiner jetzigen Stellung als Schichtführer, hat das LSG zutreffend festgestellt. Dabei hat es allerdings eingeräumt, daß sich der Kläger im wesentlichen nur spezielle, bei seiner jetzigen Tätigkeit verwertbare Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet habe, was sich bei einem möglichen Arbeitsplatzwechsel nachteilig für ihn auswirken könne. Ob dieser Nachteil, wie das LSG meint, dadurch ausgeglichen wird, daß sich der Kläger als Schichtführer in einer festen Vertrauensstellung befindet und damit besser als in seinem früheren Maurerberuf gestellt sei - die Revision hat dem widersprochen und auch auf den, vom LSG nicht gewürdigten Umstand verwiesen, daß der Kläger als Schichtführer nur eingeschränkt, nämlich nur für die Frühschicht, verwendbar sei-, ist nicht entscheidend. Nicht zu beanstanden ist jedenfalls die weitere Erwägung des LSG, daß etwaige Nachteile, die dem Kläger aus der speziellen, ganz auf die Bedürfnisse der jetzigen Arbeitgeberin zugeschnittenen Ausbildung bei einer späteren anderweitigen beruflichen Verwendung entstehen könnten, so lange außer Betracht bleiben müßten, als der Kläger seinen derzeitigen Arbeitsplatz innehabe. Daß er sich im übrigen als Schichtführer neue berufliche Kenntnisse angeeignet hat und seine derzeitige Stellung nicht nur bestimmten, seit jeher vorhanden gewesenen Charaktereigenschaften verdankt, wie die Revision meint, ergibt sich schon aus der Feststellung des LSG über die "längere Einarbeitungszeit", die seiner Anstellung zum Schichtführer vorausgegangen ist. Damit hat er sich im Sinne der früheren Entscheidung des Senats vom 19. Dezember 1974 aufgrund neu erworbener Berufskenntnisse ein neues Arbeitsfeld erschlossen, das, wie ausgeführt, dem früheren gleichwertig ist und deshalb die Entziehung seiner Rente rechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1651879

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