Leitsatz (amtlich)

Beiträge, die nach AnVNG Art 2 § 50 Abs 1 S 1 Halbs 2 für Zeiten vor dem Eintritt des Versicherungsfalls wirksam nachentrichtet werden, sind vom Beginn des Monats der Nachentrichtung an schon auf die wegen dieses Versicherungsfalls zustehende Rente anzurechnen.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 50 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 52 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1961 und das Urteil des Sozialgerichts München vom 10. Februar 1961 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung ihres Bescheides vom 8. Juli 1960 verurteilt, einen neuen Rentenbescheid zu erteilen, in dem die in Höhe von 12.075,- DM nachentrichteten Beiträge vom 1. Juli 1959 an bei der Rentenhöhe berücksichtigt werden.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin setzt als Rechtsnachfolgerin des im Laufe des Revisionsverfahrens verstorbenen ursprünglichen Klägers Ottomar M (M.) den Rechtsstreit fort. Es geht um die Frage, ob Beiträge, die der zum Bezuge einer Rente wegen Berufsunfähigkeit (Erwerbsunfähigkeit) berechtigte M. für Zeiten vor dem Eintritt des Versicherungsfalls nach Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichtet hat, bereits auf die wegen dieses Versicherungsfalls gewährte Rente anzurechnen sind, oder ob diese Beiträge erst bei den späteren Versicherungsfällen des Alters und des Todes zu berücksichtigen sind.

Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) ist M. (geb. 1901) von 1931 bis 1945 selbständiger Hotelier in Braunau/Böhmen gewesen. Beiträge zur tschechoslowakischen Sozialversicherung (APA in Prag) hat er nur in den Jahren 1920 und 1924 geleistet. Von 1947 an hat er Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in der Bundesrepublik entrichtet.

Im Oktober 1957 beantragte M. die Versichertenrente aus der Angestelltenversicherung (AnV) und Arbeiterrentenversicherung (ArV) wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. Schon im Antragsvordruck vermerkte er, daß er "Antrag nach Art. 2 § 50 AnVNG" stellen werde. In einem Schreiben an die Beklagte vom 14. April 1959 teilte die jetzige Klägerin mit, es sei die Nachentrichtung von Beiträgen der Klasse H zu 105 DM für die Zeit von April 1931 bis Oktober 1940 (Beginn der Kriegsdienstzeit M.'s) beabsichtigt. Die Beklagte erklärte sich mit Schreiben vom 11. Mai 1959 mit der Nachentrichtung einverstanden. Die Beiträge von 12.000 DM (aus der Hauptentschädigung nach dem Lastenausgleichsgesetz - LAG -) und 75 DM gingen bei der Beklagten bis zum 3. Juli 1959 ein.

Die Beklagte, die M. seit August 1957 als berufsunfähig und seit Juni 1959 als erwerbsunfähig ansah, bewilligte die Rente vom 1. August 1957 an. In dem hierüber zuletzt erteilten Bescheid, der die Beiträge zur tschechoslowakischen Versicherung und das Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz vom 7. August 1953 (FAG) berücksichtigte und der nach Art. 2 § 42 Abs. 1 AnVNG erging, berechnete die die Rente nach dem bis zum 31. Dezember 1956 gültigen Recht und stellte sie nach Art. 2 §§ 30 ff AnVNG um. Sie lehnte dabei die Anrechnung der für die Zeit von 1931 bis 1940 nachentrichteten Beiträge für die Versicherungsfälle der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit ab und führte aus, die Beiträge würden beim Altersruhegeld angerechnet werden (Bescheid vom 8. Juli 1960).

Das Sozialgericht (SG) München verurteilte die Beklagte, auf die Rente des M. vom 1. Juni 1959 an für den Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit die am 17. April bzw. 16. Mai 1959 angebotenen freiwilligen Beiträge nach Art. 2 § 50 AnVNG rentensteigernd anzurechnen (Urteil vom 10. Februar 1961). Auf die Berufung der Beklagten hob das Bayerische LSG die Verurteilung der Beklagten auf und wies die Klage insoweit ab; die Revision wurde zugelassen: Bei der 2. Alternative in Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG handele es sich um eine die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen regelnde Ausnahmevorschrift. Das Gesetz sage aber nichts über die Anrechnung der Beiträge; die Lücke im Gesetz könne nach allgemeinen Grundsätzen des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ausgefüllt werden. Weil es sich nicht um eine Weiterversicherung handele, könne § 10 Abs. 2 AVG nicht unmittelbar herangezogen werden. Der Grundgedanke dieser Vorschrift sei aber für die Lückenausfüllung geeignet. Danach könnten freiwillige Beiträge, die nach dem Eintritt von Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit entrichtet werden, nur für das Altersruhegeld oder die Hinterbliebenenrente angerechnet werden. Hierin sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des neuen Rentenrechts zu erblicken. Er gelte auch bei der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG im Zustand der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit. Die nachentrichteten Beiträge könnten daher auch im vorliegenden Fall nur für das Altersruhegeld und die Hinterbliebenenrente angerechnet werden; denn M. habe erst nach Eintritt der Berufsunfähigkeit sich zur Nachentrichtung der Beiträge bereiterklärt und sie geleistet (Urteil vom 27. Juni 1961).

M. legte Revision ein mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das sozialgerichtliche Urteil zurückzuweisen.

Er rügte die Verletzung des Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG. Das Berufungsgericht habe zu Unrecht auf § 10 Abs. 2 AVG zurückgegriffen. Die Vorschrift passe nicht für die Fälle des Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG. Die Beiträge, die er vor Eintritt des Versicherungsfalls der Erwerbsunfähigkeit für die Zeit von 1931 bis 1940 nachentrichtet habe, müßten vom 1. Juni 1959 an auf die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit angerechnet werden.

Die Beklagte beantragte

die Zurückweisung der Revision.

Die Revision ist zulässig und größtenteils auch begründet; die Beiträge, die M. für die Jahre 1931 bis 1940 nach Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AnVNG nachentrichtet hat, sind auf die vom 1. August 1957 an wegen Berufsunfähigkeit bewilligte, zur Zeit der Nachentrichtung bereits laufende Rente anzurechnen. Die Beklagte hat die erhöhte Rente vom Beginn des Monats an zu zahlen, in dem die Beiträge geleistet worden sind. Da dies nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils bis zum 3. Juli 1959 geschehen ist, besteht der Anspruch auf die erhöhte Rente vom 1. Juli 1959 an.

Soweit die Revision meint, die nachentrichteten Beiträge müßten schon vom 1. Juni 1959 an zu einer Rentenerhöhung führen, weil bei M. im Juni 1959 der "höherwertige" Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei und er sich schon vorher zur Nachentrichtung bereiterklärt habe, kann ihr nicht gefolgt werden. Für die Entscheidung, ob der mit der Klage angefochtene Bescheid der Beklagten vom 8. Juli 1960 rechtmäßig ist oder nicht, ist es ohne Bedeutung, ob M. - wie auch die Beklagte annimmt - im Juni 1959 tatsächlich erwerbsunfähig geworden ist. Da er früher Beiträge zur APA in Prag geleistet hat, ist die Rente in dem genannten Bescheid nach Art. 2 § 42 Abs. 1 Sätze 2 bis 5 AnVNG festgestellt worden. Sie ist also nach den bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Vorschriften des AVG in Verbindung mit den Vorschriften des FAG vom 7. August 1953 berechnet und nach Art. 2 §§ 30 ff AnVNG umgestellt worden. Zu den hierbei anzuwendenden Vorschriften gehört - nach Art. 2 § 42 Abs. 1 Satz 3 AnVNG - auch Art. 2 § 37 Abs. 2 AnVNG. Danach gilt die seit dem 1. August 1957 bewilligte Rente als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit i. S. von § 30 Abs. 2 AVG. Der Eintritt der tatsächlichen Erwerbsunfähigkeit bildet deshalb keinen besonderen Versicherungsfall und ist daher schon deshalb für den Beginn der erhöhten Rente im vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung.

Wie die Vorinstanzen zutreffend ausgeführt haben, ist Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG insofern unvollständig, als hier zwar die Beitragsnachentrichtung, nicht aber auch die Anrechnung der nachentrichteten Beiträge geregelt ist. Der Meinung des LSG, die Lücke im Gesetz müsse durch analoge Anwendung der für die freiwillige Weiterversicherung in § 10 Abs. 2 AVG geltenden Grundsätze geschlossen werden, vermag der Senat nicht beizupflichten. Zwar ist das Nachentrichtungsrecht im Gesetz im unmittelbaren Anschluß an das den Berechtigten vorzugsweise eingeräumte Recht der freiwilligen Weiterversicherung geregelt und werden auch hier die Beiträge freiwillig entrichtet, denn eine Pflicht, die früher versicherungsfreien Zeiträume nachzuversichern, besteht nicht. Das Nachentrichtungsrecht nach § 50 Abs. 1 AnVNG stellt aber eine Sondervergünstigung für einen bestimmten, von den Kriegs- und Nachkriegsverhältnissen besonders betroffenen Kreis von Berechtigten (Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte) dar, die das Gesetz aus besonderen Gründen und zu bestimmten Zwecken gewährt; es unterscheidet sich sowohl in seinen Voraussetzungen als auch in seinem Inhalt wesentlich von dem allgemeinen Recht der freiwilligen Weiterversicherung. Dies zeigt sich - neben anderen Unterschieden - vor allem in der Möglichkeit, Beiträge für die Vergangenheit abweichend von § 140 AVG bis zum 1. Januar 1924, also für mehr als drei Jahrzehnte, zurück nachzuentrichten. Eine so außergewöhnliche Befugnis kann nach der Auffassung des Senats nicht nach den Grundsätzen beurteilt werden, die für das - in die Zukunft gerichtete - Recht der freiwilligen Weiterversicherung gelten; die Einschränkungen in § 10 Abs. 2 AVG bilden keinen geeigneten Ausgangspunkt, um die Anrechenbarkeit der nach Art. 2 § 50 AnVNG nachentrichteten Beiträge zu bestimmen. Hierfür muß vielmehr auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung zurückgegriffen werden. Der besonderen Zielsetzung des Gesetzes entspricht es aber, daß die für Zeiten vor dem Eintritt des Versicherungsfalls wirksam nachentrichteten Beiträge sich schon auf den zur Zeit der Nachentrichtung eingetretenen Versicherungsfall auswirken und zu einem Rentenanspruch oder einer Rentenerhöhung von der Nachentrichtung an führen.

Für diese Auffassung lassen sich Anhaltspunkte schon im Wortlaut des Art. 2 § 50 AnVNG finden. Wenn hier in Abs. 1 Satz 2 gesagt ist, der Eintritt des Versicherungsfalls vor dem 1. Januar 1962 (vgl. Art. 3 Nr. 8 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes vom 25. Februar 1960 - FANG -) stehe der Nachentrichtung der Beiträge nicht entgegen, so bedeutet dies zunächst eine Ausnahmeregelung gegenüber § 141 Abs. 1 AVG, wonach freiwillige Beiträge nach dem Eintritt der Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit oder des Todes für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden dürfen. Darüber hinaus ermöglicht diese Vorschrift Schlüsse auch auf die Anrechnung der Beiträge deshalb, weil nicht nur die Versicherungsfälle erwähnt sind, die nach § 141 AVG die Beitragsnachentrichtung ausschließen. Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG erfaßt mit dem Hinweis auf den Eintritt des "Versicherungsfalls" ersichtlich alle Versicherungsfälle, also auch den des Alters (§§ 22 Nr. 2, 25 AVG), der schon nach § 141 AVG die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge im Rahmen des § 140 AVG nicht hindert (BSG 18, 212). Läßt aber das Gesetz die außerordentliche Beitragsnachentrichtung noch nach Eintritt des Versicherungsfalls des Alters zu, so kann dies nach der Auffassung des Senats nur bedeuten, daß auch eine Anrechnungsmöglichkeit für diesen Versicherungsfall (und nicht erst für den des Todes) bestehen muß, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob zur Zeit der Nachentrichtung bereits ein Altersruhgeld bezogen wird oder nicht.

Von Bedeutung ist ferner die Festlegung eines Endtermins bis zu dem der Eintritt des Versicherungsfalls die Beitragsnachentrichtung nicht ausschließt. Die Bestimmung eines solchen Endtermins in Abs. 1 Satz 2 erscheint nur dann sinnvoll, wenn bis dahin der Versicherungsfall als Hinderungsgrund nicht nur für die Nachentrichtung, sondern auch für die Anrechenbarkeit der Beiträge entfällt. Die einschränkende Wirkung des Versicherungsfalls auf die Anrechnung der Beiträge ergibt sich aus §§ 32 Abs. 8 und 35 Abs. 4 AVG. Diese Vorschriften sind Ausdruck des Versicherungsprinzips in der gesetzlichen Rentenversicherung: Nach dem Eintritt des Versicherungsfalls der Berufsunfähigkeit und der Erwerbsunfähigkeit soll das Risiko des Versicherungsträgers im allgemeinen nicht mehr durch weitere Beitragszahlungen erhöht werden. Die Beitragsnachentrichtung nach Art. 2 § 50 AnVNG will jedoch die berechtigten Personen nachträglich so stellen, als ob sie bereits vor dem Eintritt des Versicherungsfalls versichert gewesen wären. Dieses Ergebnis ist nur dann möglich, wenn das Versicherungsprinzip in diesem Falle - ebenso wie im Abs. 2 Art. 2 § 50 - außer acht gelassen wird und die Einschränkungen nach §§ 32 Abs. 8 und 35 Abs. 4 AVG unberücksichtigt bleiben. Dieser Rechtszustand soll aber nicht unbegrenzt andauern, sondern nur so lange, als nicht der Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1961 eintritt. Der Endtermin für die Beitragsnachentrichtung bildet damit gleichzeitig die Begrenzung für die Unanwendbarkeit der Einschränkungen in den §§ 32 Abs. 8 und 35 Abs. 4 AVG; daraus folgt aber, daß ein vorher eingetretener Versicherungsfall die Anrechnung der Beiträge nicht ausschließt.

Für die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung spricht aber vor allem der Entschädigungsgedanke des Gesetzes. Wie der Senat im Urteil vom 3. November 1961 - 1 RA 242/59 (BSG 15, 203) - ausgeführt hat, soll das Nachentrichtungsrecht aus Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG früheren Selbständigen, die durch Vertreibung, Flucht oder Evakuierung ihre unabhängige Erwerbstätigkeit und die darin begründete wirtschaftliche Sicherung verloren haben, nachträglich den Schutz der Rentenversicherung verschaffen, den sie früher nicht benötigt haben. Es handelt sich insoweit um eine Maßnahme des Lastenausgleichs. Diesem Zweck trägt auch § 252 Abs. 1 LAG in der Fassung des Achten Änderungsgesetzes vom 26. Juli 1957 (BGBl I 809) Rechnung. Hier ist - als Ergebnis der gleichzeitig mit den Renten-Neuregelungsgesetzen vorgenommenen Beratung im Bundestag - die vorzugsweise Auszahlung der Hauptentschädigung u. a. für den Fall vorgesehen, daß sie der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen dienen soll (vgl. auch Nr. 11 der Weisung des Präsidenten des Bundesausgleichsamts über die Erfüllung des Anspruchs auf die Hauptentschädigung vom 1. Februar 1963 - Bundesanzeiger Nr. 35 vom 20. Februar 1963). Der Zweck, der mit der bevorzugten Befriedigung des Hauptentschädigungsanspruchs erreicht werden soll, nämlich die alsbaldige Abgeltung der entstandenen Vermögensschäden und die Verhütung sozialer Notstände, würde aber verfehlt, wenn die Zahlung aus Mitteln des Lastenausgleichs Wirkungen erst beim Eintritt des späteren Versicherungsfalls und damit vielleicht erst in weiter Zukunft hätte. Auf den Lastenausgleich sind, wie auch der vorliegende Rechtsstreit zeigt, vor allem solche Personen angewiesen, die nicht mehr voll im Erwerbsleben stehen, also berufs- oder erwerbsunfähig sind. Soll ihnen die Hilfe des Lastenausgleichs wirksam und rasch zuteil werden, so kann die Anrechenbarkeit der nachentrichteten Beiträge nicht bis zum Eintritt eines späteren Versicherungsfalls aufgeschoben werden. Dies gilt erst recht für einen Berechtigten, bei dem zur Zeit der Nachentrichtung bereits der Versicherungsfall des Alters eingetreten ist. Berücksichtigt man ferner, daß der einzelne Berechtigte wenig Einfluß darauf hat, wann ihm die Leistungen des Lastenausgleichs gewährt werden, so wäre es höchst unbillig, die Beiträge nicht auf den laufenden Versicherungsfall anzurechnen, weil erst nach Eintritt des Versicherungsfalls die Nachentrichtung finanziell möglich war. Auf die Unbilligkeit einer solchen Entscheidung im vorliegenden Fall deutet gerade die Tatsache hin, daß M. schon in seinem Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit erklärt hat, er beabsichtige, Beiträge nach Art. 2 § 50 AnVNG nachzuentrichten. Diese Beiträge sind später auch unmittelbar vom Lastenausgleichsamt an die Beklagte abgeführt worden. Die Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge für den eingetretenen Versicherungsfall wird deshalb auch im Schrifttum überwiegend befürwortet (vgl. Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. II zu Art. 2 § 52 ArVNG; Verbandskommentar § 1418 RVO Anm. 8; Elsholz/Theile, Anm. 4 zu Art. 2 § 52 ArVNG; Eicher/Hause, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. 4 b zu Art. 2 § 52 ArVNG; Ludwig in "Praxis" 1958 S 481, 488; Beck in WzS 1958 S. 338).

Gegen die Richtigkeit dieser Auffassung sprechen auch nicht gewisse Schwierigkeiten, die sich für die Anrechnung der nachentrichteten Beiträge ergeben können, wenn der Berechtigte eine nach der alten Rentenformel berechnete und nach Art. 2 § 30 ff AnVNG umgestellte Rente bezieht. Da die Beiträge nach Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG für die zurückliegenden Zeiten in den neuen Beitragsklassen nach § 115 AVG geleistet werden müssen, erscheint die Anrechnung auf den ersten Blick unmöglich, weil es Steigerungsbeträge i. S. des bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Rechts für diese Beiträge nicht gibt. Nach der Auffassung des Senats kann aber zur Ausfüllung dieser Gesetzeslücke auf die Regelung zurückgegriffen werden, die in Art. 2 § 42 Abs. 1 Satz 5 und in Art. 3 § 5 Abs. 2 Satz 4 AnVNG für die in den Jahren nach dem 31. Dezember 1956 zurückgelegten Beitragszeiten getroffen ist. Dies führt dazu, auch bei Beiträgen, die für Zeiten vor dem 1. Januar 1957 nachentrichtet werden, 7 v. H. des Wertes der Beiträge in DM als Steigerungsbetrag zugrunde zu legen. Für die Anrechnung nach der neuen Rentenformel sind dagegen diejenigen Werte maßgebend, die in den Verordnungen nach § 32 AVG alljährlich bekanntgegeben werden.

Die Auffassung, daß die nachentrichteten Beiträge für den bereits eingetretenen Versicherungsfall und bei der bereits laufenden Rente zu berücksichtigen sind, zwingt aber nicht dazu, die Wirkung der Nachentrichtung vom Versicherungsfall an eintreten zu lassen. Der Zweck des Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG erfordert nicht, daß Rentennachzahlungen ausgelöst werden. Dem steht schon die Unterhaltsersatzfunktion der Renten entgegen. Auch die Bereiterklärung zur Beitragsnachentrichtung kann, selbst wenn sie den Erfordernissen in den §§ 141 Abs. 2, 142 AVG genügt, nicht als der für den Rentenbeginn entscheidende Zeitpunkt angesehen werden, weil die Bereiterklärung nur Bedeutung für die Wirksamkeit von Beiträgen und die Wahrung der Fristen des § 140 AVG hat. Es kommt vielmehr auf den Zeitpunkt der Nachentrichtung der Beiträge an, erst mit ihr sind die Voraussetzungen für die Rentengewährung oder Rentenerhöhung gegeben (§ 67 Abs. 1 Satz 1 AVG). Daraus folgt für den vorliegenden Rechtsstreit, daß der Klageanspruch vom 1. Juli 1959 an gegeben ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes. Da der Klageanspruch nur geringfügig über die zugesprochene Rentenerhöhung hinausgeht, hält es der Senat für angemessen, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten in vollem Umfang aufzuerlegen.

 

Fundstellen

BSGE, 193

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