Leitsatz (amtlich)

1. Hängt der Anspruch des Arbeitslosen auf Anschluß-Arbeitslosenhilfe davon ab, daß er iS von AFG § 134 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst a Alg bezogen hat, und hat das ArbA den Bescheid über die Bewilligung dieses Alg nachträglich aufgehoben, so wird der Aufhebungsbescheid gemäß SGG § 96 Gegenstand des Verfahren.

2. Anspruch auf Anschluß-Arbeitslosenhilfe nach AFG § 134 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst a hat nur derjenige Arbeitslose, der rechtmäßig Alg bezogen hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Zur Bedeutung des SGG § 96 aus prozeßökonomischer Sicht.

2. Auch die unrechtmäßige Zahlung von Arbeitslosengeld führt dann nicht zur Begründung eines Anspruchs nach AFG § 134 Abs 1 S 1 Nr 4 Buchst a, wenn die Unrechtmäßigkeit des Alg-Bezugs später erkannt wird und eine Rückforderung (AFG § 152) nicht möglich sein sollte.

 

Orientierungssatz

Nach SGG § 96 wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Klageerhebung den Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Begriff des "Abänderns" oder "Ersetzens" ist jedoch nicht auf den unmittelbaren Wortsinn zu beschränken. Zweck des SGG § 96 ist es, alle Verwaltungsakte zu erfassen, die den Prozeßstoff beeinflussen können.

 

Normenkette

AFG § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1969-06-25; SGG § 96 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; AFG § 104 Fassung: 1969-06-25, § 151 Fassung: 1969-06-25, § 152 Fassung: 1969-06-25, § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1969-06-25

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 08.03.1977; Aktenzeichen L 5a Ar 761/74)

SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 23.04.1974; Aktenzeichen S 7b Ar 232/74)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. März 1977 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger seit Oktober 1973 Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) hat.

Der 1925 geborene Kläger ist gelernter Schneider, seit 1957 jedoch meist außerhalb seines Berufes tätig und seit 1970 häufig arbeitslos. Im März 1972 wurde ihm von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt, worauf das Arbeitsamt den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen feststellte. Dieser Bescheid wurde bindend. Nachdem der Kläger zwischenzeitlich wiederum Arbeitslosengeld (Alg) bzw Alhi bezogen hatte, löste er im Februar 1973 das Arbeitsverhältnis, das er inzwischen eingegangen war, einvernehmlich mit sofortiger Wirkung. Seinen Antrag auf Alhi lehnte darauf die Beklagte durch Bescheid vom 19. Juni 1973 mit der Begründung ab, der Kläger habe erneut den Tatbestand für die Verhängung einer Sperrzeit von vier Wochen erfüllt. Da er nach Entstehung des Leistungsanspruchs schon einmal Anlaß für den Eintritt einer vierwöchigen Sperrzeit gegeben habe, erlösche nunmehr der Anspruch auf Alhi ab 19. Februar 1973. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos.

Vom 1. März bis 15. Juni 1973 war der Kläger erneut beschäftigt. Er meldete sich danach arbeitslos und beantragte Alg. Mit Bescheid vom 11. Juli 1973 bewilligte die Beklagte ihm Alg ab 14. Juli 1973 für die Dauer von 78 Wochentagen (bis 1. Oktober 1973). Nach Erschöpfung des Leistungsanspruchs beantragte der Kläger die Gewährung von Alhi.

Die Beklagte versagte die Leistung mit der Begründung, nach dem Eintritt zweier Sperrzeiten sei der Leistungsanspruch des Klägers erloschen und der Kläger habe danach keine neue Anwartschaft erworben (Bescheid vom 15. November 1973; Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1974).

Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alhi zu gewähren (Urteil vom 23. April 1974).

Mit Bescheid vom 14. Juni 1976 hat die Beklagte die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 14. Juli 1973 bis 1. Oktober 1973 ganz aufgehoben und den an den Kläger gezahlten Alg-Betrag zurückgefordert.

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 8. März 1977 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom 15. November 1973/17. Januar 1974 abgewiesen. Den Bescheid vom 14. Juni 1976 hat es hinsichtlich der Rückforderung aufgehoben. Es hat dazu im wesentlichen ausgeführt:

Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 14. Juni 1976 sei nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden.

Voraussetzung für die Gewährung von Alhi sei nach § 134 Abs 1 Nr 4a Arbeitsförderungsgesetz (AFG), daß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgehe, Alg bezogen habe, ohne daß der Anspruch nach § 119 Abs 3 AFG erloschen sei. Der Auffassung des SG, daß es nicht darauf ankomme, ob dem Kläger das ihm in der Zeit vom 14. Juli bis 1. Oktober 1973 gezahlte Alg rechtlich zugestanden habe, sondern nur darauf, ob es ihm tatsächlich bewilligt und gezahlt worden sei, könne es sich nicht anschließen, zumal die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Alg zu Recht wieder aufgehoben habe. Die Bewilligung von Alg für 78 Tage sei nicht rechtmäßig gewesen, da es dem Kläger an der Erfüllung der Anwartschaftszeit gefehlt habe. Zum Nachteil des Klägers sei nämlich innerhalb der Rahmenfrist des § 104 AFG zweimal eine Sperrfrist von vier Wochen festgestellt worden. Damit sei der Anspruch auf Alg nach § 119 Abs 3 AFG erloschen gewesen. In der nachfolgenden Zeit sei der Kläger nur vom 1. März bis 15. Juni 1973 beschäftigt gewesen, also 15 Wochen und zwei Tage. Da er mithin nicht 26 Wochen in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe, habe er keinen Alg-Anspruch gehabt.

Die Beklagte habe zu Recht gem § 151 Abs 1 AFG den Bescheid vom 11. Juli 1973 aufgehoben, mit dem dem Kläger für die Zeit vom 14. Juli bis 1. Oktober 1973 Alg bewilligt worden war. Die Beklagte habe allerdings zu Unrecht die Voraussetzungen für die Rückforderung der bereits erbrachten Leistungen bejaht.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 134 Abs 1 Nr 4a AFG. Der Wortlaut dieser Bestimmung sei eindeutig. Anspruchsvoraussetzung sei lediglich der Umstand, daß der Antragsteller Alg bezogen, nicht aber auch, daß er einen solchen Anspruch tatsächlich gehabt habe. Die Rechtmäßigkeit des Bezuges bleibe völlig unerwähnt. Eine Auslegung, die die Rechtmäßigkeit der Auszahlung von Alg als ungeschriebene Voraussetzung fordere, gehe über den äußersten noch vertretbaren Wortsinn hinaus.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit es das Urteil des SG Freiburg vom 23. April 1974 aufhebt und die Klage abweist; sowie insoweit die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Freiburg vom 23. April 1974 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Zu Recht hat das LSG den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 14. Juni 1976 in seine Entscheidung miteinbezogen. Der § 96 SGG gilt auch im Berufungsverfahren (§ 153 Abs 1 SGG, BSGE 5, 13, 16). Danach wird ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn er nach Klageerhebung den Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Bescheid vom 14. Juni 1976 ändert zwar nicht eigentlich die Bescheide ab, die bis dahin Gegenstand des Verfahrens waren, also den Bescheid vom 15. November 1973 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 1974, mit denen die Beklagte dem Kläger die Gewährung von Alhi verweigert hatte. Der Begriff des "Abänderns" oder "Ersetzens" in § 96 SGG ist jedoch nicht auf den unmittelbaren Wortsinn zu beschränken. Zweck des § 96 SGG ist es, alle Verwaltungsakte zu erfassen, die den Prozeßstoff beeinflussen können (Begründung zu § 43 des Entwurfs einer SGO, BT-Drucks I 4357 S 27; Meyer/Ladewig, Kommentar zum SGG, § 96 Anm 5; Miesbach-Ankenbrank Kommentar zum SGG § 96 Anm 6; Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, § 96 Anm 1b, II/42-; BSGE, 5, 13; 25, 161, 163). Die Vorschrift ermöglicht ein schnelles und zweckmäßiges Verfahren (BSGE 5, 147) und vermeidet divergierende gerichtliche Entscheidungen (Miesbach/Ankenbrank aaO § 96 Anm 1). Außerdem soll die Regelung den Betroffenen davor schützen, daß ihm Rechtsnachteile entstehen, wenn er im Vertrauen auf die eingelegten Rechtsbehelfe weitere Schritte unterläßt (BSG SozR Nr 14 zu § 96 SGG). Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet besteht ein dringendes Bedürfnis, den Bescheid vom 14. Juni 1976 zusammen mit den von dem Kläger angefochtenen Bescheiden vom 15. November 1973/17. Januar 1974 zu überprüfen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Alhi hängt gem § 134 Abs 1 Nr 4a AFG davon ab, ob der Kläger vorher Alg bezogen hat. Über diesen Bezug von Alg entscheidet gerade der Bescheid vom 14. Juni 1976, so daß er also für den durch die Klage anhängig gemachten Streitgegenstand vorgreiflich ist oder sein kann. Daß bei zwei voneinander abhängigen Ansprüchen ein Bedürfnis für eine gemeinsame Entscheidung besteht, ist in der Rechtsprechung bereits anerkannt hinsichtlich der Frage der Zulassung der Berufung. Von dem Grundsatz, daß hinsichtlich mehrerer selbständiger Ansprüche die Statthaftigkeit der Berufung jeweils gesondert zu prüfen ist, wird eine Ausnahme gemacht, wenn die in der Klage zusammengefaßten Ansprüche derart voneinander abhängig sind, daß der eine präjudiziell für den anderen ist. In einem solchen Falle ist die Berufung für den abhängigen Anspruch trotz Vorliegens eines Berufungsausschließungsgrundes statthaft, wenn sie für den vorgreiflichen Anspruch statthaft ist (BSG 14, 280, 282; BSG SozR Nr 14 zu § 149 SGG). Die Entscheidung über den abhängigen Anspruch soll nicht vor der Entscheidung über den vorrangigen Anspruch und unabhängig davon rechtskräftig werden. Dies gilt allerdings nicht für den umgekehrten Fall, in dem die Berufung nur für den abhängigen, nicht aber hinsichtlich des vorrangigen Anspruchs zulässig ist (Miesbach/Ankenbrank aaO § 143 Anm 3). Indessen geht es im Rahmen des § 96 SGG nicht darum, ob die Entscheidung über den vorrangigen Anspruch schon Rechtskraft erlangt. Der noch nicht rechtskräftig beschiedene vorrangige Anspruch ist vielmehr in das Verfahren über den abhängigen Anspruch einzubeziehen. In diesem Fall besteht ein Bedürfnis für die einheitliche Prüfung. Würde nämlich über den abhängigen Anspruch entschieden, ohne daß gleichzeitig der vorgreifliche mitberücksichtigt würde, so müßte einerseits in der Entscheidung über den abhängigen Anspruch das präjudizielle Rechtsverhältnis geprüft werden, ohne daß aber die Entscheidung über dieses präjudizielle Rechtsverhältnis in Rechtskraft erwachsen würde (Meyer/Ladewig § 141 Anm 12). Die Folge wäre, daß in einem getrennten Prozeß über den vorgreiflichen Anspruch es zu einer anderen Entscheidung kommen könnte, etwa wegen der Ermittlung anderer Tatsachen, und daß es dann bei zwei einander inhaltlich widersprechenden Entscheidungen verbleiben müßte. Einem solchen prozessual unerwünschten Ergebnis vorzubeugen, ist auch Sinn des § 96 SGG. Die Bestimmung ist weit auszulegen, was schon von vornherein vom Gesetzgeber vorgesehen war (Begründung zu § 43 des Entwurfs einer SGO, BT-Drucks I 4357 S 27).

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Alhi zu. Nach § 134 Abs 1 Nr 4a AFG hat Anspruch auf Alhi derjenige, bei dem die allgemeinen Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi vorliegen (Arbeitslosigkeit, Verfügbarkeit, Bedürftigkeit) und der innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, Alg bezogen hat, ohne daß der Anspruch nach § 119 Abs 3 AFG erloschen ist. Wenn das Gesetz davon spricht, daß der Arbeitslose Alg bezogen haben muß, so meint es damit, daß er Alg "zu Recht" bezogen haben muß. Das ergibt zunächst bereits die Fassung des § 134 Abs 1 Nr 4a AFG. Wenn danach der Anspruch auf Alhi davon abhängt, daß Alg bezogen wurde, ohne daß der "Anspruch" (nachträglich) nach § 119 Abs 3 AFG erloschen ist, so zeigt das bereits, daß das Gesetz von der Vorstellung ausgeht, der Bezug von Alg sei auf Grund eines bestehenden Anspruchs erfolgt. Die gesamte Regelung des § 134 AFG läßt erkennen, daß nur demjenigen Alhi gezahlt werden soll, der eine Beziehung zur Arbeitslosenversicherung der Arbeitnehmer hat, sei es, daß er vor der Arbeitslosigkeit mindestens 10 Wochen in entlohnter Beschäftigung gestanden hat - was einen Hinweis darauf gibt, daß er sich durch abhängige Arbeit ernährt und damit zum Kreis derer gehört, für die die Versicherung geschaffen wurde und die zu ihr Leistungen erbringen und von ihr Leistungen beziehen - sei es durch den vorangegangenen Bezug von Alg, der seinerseits wieder eine Beziehung zur Arbeitslosenversicherung verlangt (§ 100 AFG). Hinsichtlich dessen, der lediglich irrtümlich Alg bezogen hat, fehlt es an dem inneren Grund für die Gewährung von Anschluß-Alhi.

Daß der Bezug einer Leistung abhängig ist vom vorangegangenen Bezug einer anderen Leistung ist dem Sozialrecht auch sonst nicht fremd. Nach § 48 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten die Witwe und die Waisen nur Leistungen, wenn ein Beschädigter im Zeitpunkt seines Todes "Anspruch auf die Rente eines Erwerbsunfähigen oder auf eine Pflegezulage oder auf entsprechende Leistungen nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften hatte". Es ist anerkannt, daß dieser Anspruch voraussetzt, daß der Beschädigte bis zum Tode die Rente "zu Recht" bezogen hatte, dh, daß der Rentenbewilligungsbescheid nicht nachträglich mit rückwirkender Kraft rechtmäßig beseitigt worden ist. Der tatsächliche Bezug allein genügt nicht (BSG SozR Nr 3 zu § 48 BVG). Unter den Voraussetzungen des § 1268 Abs 2 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) beträgt die Witwen- und die Witwerrente 6/10 der Rente, die der Versicherte erhalten hatte. Gem § 1268 Abs 5 RVO wird der Witwe oder dem Witwer für die ersten drei Monate eine Rente in Höhe der Rente des Versicherten ohne Kinderzuschuß gewährt. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß sich die Rente der Witwe und die der Waisen nur insoweit nach der tatsächlich gezahlten Versichertenrente richten, als diese - und sei es auch entgegen der materiellen Rechtslage - bindend festgestellt ist. (BSG SozR Nr 4 zu § 1268 RVO, Eicher-Haase, Die Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 4. Aufl, 1970, § 1268 Anm 6; Verbandskommentar § 1268, Anm 8). Eine Berichtigungsmöglichkeit besteht nicht nur gegenüber dem Versicherten selbst, sondern auch gegenüber der Witwe (BSG SozR 2200 § 1268 Nr 1 RVO). Nach § 38 Abs 1 Satz 2 BVG gilt der Tod eines Beschädigten stets dann als Folge einer Schädigung, wenn er an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung rechtsverbindlich anerkannt und für das ihm im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Wie das BSG entschieden hat (KOV 1970, 109) kann die Versorgungsverwaltung den Rechtsfolgen dieser Vermutung dadurch entgehen, daß sie die Vermutungsgrundlage beseitigt, also den bindenden Bescheid, den sie gegenüber dem Beschädigten erlassen hat, nachträglich durch einen Bescheid aufhebt, den sie gegenüber den Hinterbliebenen erlassen kann.

Aus all dem ergibt sich, daß dann, wenn eine Norm den Bezug einer Leistung an den früheren Bezug einer Leistung anknüpft, die Bindung der Verwaltung an den früheren Bezug nur als ein Ausfluß der Bindungswirkung früherer Bescheide (§ 77 SGG) angesehen worden ist, nicht jedoch der abhängige Anspruch als eine bloße Rechtsfolge des früheren tatsächlichen Leistungsbezugs gedeutet wurde. So ist es auch im Falle des § 134 Abs 1 Nr 4a AFG. Wenn Heuer in Hennig/Kühl/Heuer (Kommentar zum AFG, § 134 Anm 6b) meint, Alg sei nicht iS des § 134 Abs 1 Nr 4a AFG "bezogen" worden, wenn es dem Arbeitslosen nicht zugestanden habe und "er es wieder zurückzahlen mußte" (ähnlich Krebs, Kommentar zum AFG, 134 RdNr 18), so wird das ebenfalls nicht als eine Verweisung auf die Voraussetzungen des § 152 AFG aufzufassen sein, sondern als ein Hinweis darauf, daß die Bindungswirkung eines Bescheides nur solange besteht, als er nicht nach § 151 AFG aufgehoben ist. Der Auffassung, der Bezug von Alhi hänge davon ab, ob das unrechtmäßig gezahlte Alg zurückgefordert werden kann, wäre jedenfalls nicht zu folgen. Zu Recht weist Wanka in Schönefelder/Kranz/Wanka (Kommentar zum AFG, § 134 RdNr 21) darauf hin, daß die Voraussetzung "Alg bezogen hat" nur dann vorliegt, wenn Alg rechtmäßig bezogen ist. Eine unrechtmäßige Zahlung von Alg, auch wenn die gezahlte Leistung nicht zurückgefordert werden kann (§ 152 AFG), kann nicht zur Begründung eines Anspruchs nach § 134 Abs 1 Nr 4a AFG führen. Die Auffassung, daß § 134 Abs 1 Nr 4a AFG es allein auf den tatsächlichen Bezug abstellt, also unabhängig davon, ob der Bewilligungsbescheid widerrufen worden ist, wird, soweit ersichtlich, in der Literatur überhaupt nicht vertreten. Diese Auffassung würde auch, wie dargelegt, nicht mit dem Verständnis übereinstimmen, das sonst im Recht der sozialen Sicherheit bei der Abhängigkeit einer Leistung von einer anderen herrschend ist.

Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Anschluß-Alhi (§ 134 Abs 1 Nr 4a AFG), weil er nicht innerhalb eines Jahres vor Stellung des Antrages auf Gewährung von Alhi "zu Recht" Alg bezogen hat. Dem Kläger wurde das Alg in der Zeit vom 14. Juli bis 1. Oktober 1973 nicht "zu Recht" ausgezahlt. Er hatte die für die Gewährung von Alg erforderliche Anwartschaftszeit (§ 104 Abs 1 AFG) nicht erfüllt. Aufgrund des bindend gewordenen Bescheides vom 19. Juni 1973 war sein Anspruch auf Alhi erloschen, so daß die Beschäftigungszeiten davor nicht mehr zur Erfüllung der Anwartschaftszeiten geeignet waren (§ 104 Abs 1 S 2 AFG). In der Zeit danach war er nicht mehr 26 Wochen (§ 104 Abs 1 S 1 AFG) beitragspflichtig beschäftigt gewesen, sondern, wie das LSG festgestellt hat, lediglich 15 Wochen und 2 Tage.

Die Rechtmäßigkeit des Alg-Bezuges des Klägers in der Zeit vom 14. Juli bis 1. Oktober 1973 ergibt sich auch nicht aus der Bindungswirkung des Bescheides vom 11. Juli 1973, mit dem die Beklagte dem Kläger das Alg bewilligte. Wohl wurde der Bescheid vom 11. Juli 1973 zunächst bindend. Solange es dabei blieb, war der darauf gegründete Bezug von Alg zwar rechtmäßig. Die Beklagte hob jedoch den Bescheid am 14. Juni 1976 wieder auf, weil die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung, wie sie nachträglich erkannte, nicht vorgelegen hatten (§ 151 Abs 1 AFG). Damit entfiel die in diesem Fall alleinige Rechtsgrundlage für einen rechtmäßigen Alg-Bezug. Der Bescheid vom 14. Juni 1976 ist rechtmäßig; denn § 151 Abs 1 AFG gibt der Beklagten die Befugnis zur nachträglichen Korrektur ihrer fehlerhaften Entscheidungen, und dem Kläger hatte tatsächlich mangels Erfüllung der Anwartschaftszeit das Alg in der Zeit vom 14. Juli bis 1. Oktober 1973 nicht zugestanden. Da nach den Feststellungen des LSG die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alhi nach § 134 Abs 1 Nr 4b und c AFG gleichermaßen nicht gegeben sind, hat das LSG zu Recht den Anspruch des Klägers auf Alhi verneint.

Die Revision des Klägers ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1647780

BSGE, 241

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