Leitsatz (amtlich)

Die Vorschriften der §§ 445 bis 455 ZPO über die Parteivernehmung finden im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit keine Anwendung.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Unmöglichkeit der Aufklärung einer Beitragsentrichtung geht zu Lasten desjenigen, der aus der Beitragszahlung Rechte herleitet.

 

Normenkette

SGG § 118 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 445-455

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. August 1955 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Klägerin hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. August 1955 durch ihren Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. H., Hamburg, mit Schriftsatz vom 10. Oktober 1955 am 11. Oktober 1955 Revision eingelegt und begründet.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist jedoch gemäß § 162 Abs. 1 SGG nicht statthaft.

Da das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) und ein Fall des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG schon deshalb nicht vorliegen kann, weil über einen ursächlichen Zusammenhang im Sinne dieser Vorschrift überhaupt nicht entschieden worden ist, könnte die Revision nur statthaft sein, wenn die Klägerin einen Verfahrensmangel gerügt hätte, der wesentlich ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG), d. h. zur Folge hat, daß das Verfahren des Landessozialgerichts nicht als ordnungsgemäße Grundlage des angefochtenen Urteils angesehen werden kann. Dies ist jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil, selbst wenn die von der Klägerin behaupteten Tatsachen als richtig unterstellt werden, entgegen ihrer Ansicht eine Verfahrensvorschrift nicht verletzt ist.

Der Anspruch der Klägerin hängt nach der dieser Prüfung zugrundezulegenden materiell-rechtlichen Auffassung des Landessozialgerichts davon ab, ob die Klägerin in der Zeit nach dem 31. Dezember 1923 bis zum 30. November 1948 mindestens einen Beitrag entrichtet hat, da nur dann die Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1924 geleisteten Beiträgen als erhalten gelten kann (§ 4 Abs. 2 SVAG). Entscheidend ist hiernach, ob ein Beitrag in dieser Zeit tatsächlich entrichtet worden ist. Wenn nicht aufgeklärt werden kann, ob ein Beitrag innerhalb dieser Zeit entrichtet worden ist, geht dies zu Lasten der Klägerin, da sie aus der behaupteten Beitragsleistung ein Recht herleitet. In der Regel erfolgt der Nachweis durch die Beitragsunterlagen. Wenn diese allerdings durch die Kriegsereignisse verlorengegangen sind, wird auch aus dem Nachweis, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist, in der Regel der Schluß gezogen werden können, daß für die entsprechende Zeit Beiträge entrichtet worden sind. Im vorliegenden Falle ist die Klägerin nach den vom Landessozialgericht getroffenen Feststellungen zwar nach dem 31. Dezember 1923 noch beschäftigt gewesen, es konnte jedoch nicht aufgeklärt werden, ob es sich hierbei um versicherungspflichtige Beschäftigungen gehandelt hat. Wenn aber eine solche Feststellung nicht möglich ist, geht auch dies zu Lasten desjenigen, der aus diesem Umstand ein Recht herleitet, hier also der Klägerin. Es kann dem Landessozialgericht keine Überschreitung des Rechts der freien Beweiswürdigung vorgeworfen werden, wenn es aus den Umständen des Falles - die Klägerin, die inzwischen geheiratet hatte, war nur als Reinemachefrau beziehungsweise als Näherin in Heimarbeit tätig gewesen, um zu dem Einkommen ihres Mannes etwas hinzuzuverdienen - den Schluß gezogen hat, daß die Tätigkeiten nicht ihre volle Arbeitskraft in Anspruch genommen haben, daß die Klägerin sie vielmehr nur nebenher gegen ein geringfügiges Entgelt verrichtet hat und daß daher die Möglichkeit besteht, daß diese Tätigkeiten auf Grund des damals geltenden Rechts (§ 1232 RVO in Verbindung mit Abs. I b der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1899 (RGBl. S. 725)) versicherungsfrei gewesen sind. Da somit die erforderliche positive Feststellung, daß es sich bei diesen Tätigkeiten um versicherungspflichtige Beschäftigungen gehandelt hat, nicht getroffen werden konnte, war der Nachweis, daß Beiträge während dieser Zeit entrichtet worden sind, auch auf diesem Wege nicht möglich. Zwar hat die Klägerin die eidesstattliche Versicherung abgegeben, daß während dieser Zeit Beiträge für sie entrichtet worden seien. Dem Landessozialgericht kann aber keine Überschreitung des Rechts der freien Beweiswürdigung vorgeworfen werden, wenn es den sonstigen besonderen Umständen des Falles einen größeren Beweiswert beigemessen hat als diesen Angaben der Klägerin.

Ebensowenig hat aber das Landessozialgericht seine Amtsermittlungspflicht verletzt. Eine Parteivernehmung der Klägerin war nicht möglich, da im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eine solche nicht zulässig ist; denn § 118 Abs. 1 SGG führt die die Parteivernehmung betreffenden Vorschriften der Zivilprozeßordnung (§§ 445 ff. ZPO) nicht unter den als entsprechend anwendbaren Vorschriften über die Beweisaufnahme auf. Daraus ist zu entnehmen, daß sie keine Anwendung zu finden haben.

Entgegen den Rügen der Klägerin hat das Landessozialgericht also weder gegen § 103 SGG noch gegen § 128 SGG verstoßen. Die Voraussetzungen des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG sind nach alledem nicht erfüllt. Die Revision ist somit nicht statthaft und mußte nach § 169 Satz 2 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324506

NJW 1957, 728

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