Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Revisionsbegründung. Ergänzende Leistung iS von § 193 RVO. Verdienstausfall wegen Pflege eines erkrankten Kindes

 

Orientierungssatz

1. Die Revisionsbegründung muß die Gründe aufzeigen, die nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten das Urteil unrichtig erscheinen lassen; dazu bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (vgl BSG vom 23.7.1986 - 1 RA 1/86 = SozR 1500 § 164 Nr 28 mwN).

2. Bei dem Ersatz der Kosten, den ein Landschaftsverband für die Unterweisung der Mutter und Ehefrau eines Versicherten in der richtigen Behandlung und Pflege ihres Kindes aufgewendet hat, kann es sich um eine ergänzende Leistung iS des § 193 Nr 2 RVO handeln. § 193 Nr 2 RVO ist extensiv auszulegen.

3. Abgeltung der bei stationärer Behandlung eines Kindes durch die Mitaufnahme der Mutter verursachten Kosten sind keine ergänzende Leistung nach § 193 Nr 2 RVO.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs 2 S 1, § 164 Abs 2 S 3; RVO § 193 Nr 2

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 22.10.1986; Aktenzeichen L 9 Kr 15/86)

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten Ersatz des Verdienstausfalls, der seiner Ehefrau durch die Betreuung seiner und ihrer Tochter Özlem (geboren am 26. Dezember 1980) im Krankenhaus entstanden ist.

Der Kläger ist Mitglied der Beklagten mit Anspruch auf Familienhilfe für seine Tochter Özlem. Vom 15. April 1984 bis zum 5. Mai 1984 wurde Özlem wegen Meningitis in der Kinderklinik des Klinikums Charlottenburg der Freien Universität Berlin stationär behandelt. Da der Stationsarzt die Anwesenheit "bevorzugt der Mutter" für notwendig hielt, nahm die bei der Siemens-Betriebskrankenkasse versicherte Ehefrau des Klägers vom 16. bis zum 27. April 1984 unbezahlten Sonderurlaub. Dadurch erlitt sie einen Verdienstausfall von 101,44 x 12 = 1.217,28 DM brutto = 811,52 DM netto. Sie blieb auf ärztlichen Rat von der ersten Nacht bis zum 25. April 1984 dauernd am Krankenbett ihres Kindes und verließ es in Absprache mit den Ärzten jeweils nur für einige Zeit am Vormittag, um sich zu Hause um ihre Familie zu kümmern. Den Antrag der Ehefrau des Klägers auf Ersatz des Verdienstausfalls lehnte die Siemens-Betriebskrankenkasse und den entsprechenden Antrag des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. Juni 1984 (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1984) ab.

Auf einen Hinweis des Sozialgerichts (SG) dahin, daß ein Anspruch aus § 185c Reichsversicherungsordnung (RVO) sich nicht gegen die Beklagte richten und im übrigen allenfalls der Ehefrau zustehen könne, macht der Kläger geltend, ihm gehe es um Ansprüche aus seinem eigenen Versicherungsverhältnis. Das SG hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 811,52 DM zu zahlen und hat die Berufung zugelassen. Dieses Urteil hat das Landessozialgericht (LSG) aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Kläger mache allein Ansprüche aus dem eigenen Versicherungsverhältnis gegen die Beklagte geltend. Vom Ansatz her habe zwar das SG folgerichtig den Anspruch unter dem Gesichtspunkt einer ergänzenden Leistung nach § 193 Nr 2 RVO gewürdigt. Diese Vorschrift trage aber den Anspruch nicht. Von einer Behinderung iS des § 193 Nr 2 RVO lasse sich erst sprechen, wenn die Gesundheitsstörung zu funktionalen Einschränkungen gehört habe mit der Folge, daß die Fähigkeit, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen, nicht nur vorübergehend beeinträchtigt ist oder zu werden droht und deshalb über einen längeren Zeitraum Maßnahmen zur Eingliederung angezeigt sind. Es bestünden deshalb erhebliche Zweifel, ob Özlem zum Kreis der Behinderten gehört habe. Unabhängig davon könnten aber "ergänzende Leistungen" nicht solche sein, die die Krankenkasse nach Maßgabe der speziellen Vorschriften im Krankheitsfall der Art nach zu erbringen habe. Ersatz des Verdienstausfall, der einem Elternteil durch Pflege seines erkrankten Kindes entstehe, sei im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung als Pflichtleistung vorgesehen (§ 185c RVO) und könne nicht ergänzende Leistung sein.

Der Kläger macht mit der Revision geltend, das LSG habe die Vorschriften des § 193 Nr 2 RVO (iVm § 19 Nr 2 der Satzung der Beklagten) unzutreffend angewandt. Der Verdienstausfall sei als ergänzende Leistung zu zahlen (vgl BSGE 46, 299). Des weiteren seien die Regelungen des § 182 Abs 1 RVO iVm §§ 18 Abs 1 Nr 1 Satz 2 und 16 Abs 1 Nr 2 der Satzung der Beklagten sowie § 184 RVO iVm § 16 Abs 4 der Satzung unberücksichtigt geblieben. Gemäß § 184 RVO umfasse die Leistung der Krankenhauspflege auch die aus medizinischen Gründen erforderliche Aufnahme eines Elternteils in das Krankenhaus.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom

22. Oktober 1986 - L 9 Kr 15/86 - aufzuheben und

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des

Sozialgerichts Berlin vom 29. November 1985

- S 73 Kr 415/84 - zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht zulässig, denn sie ist nicht hinreichend begründet.

Die Begründung der Revision muß einen bestimmten Antrag enthalten sowie die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Diesem Erfordernis ist allein mit der Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm und dem Zusatz, es werde die Verletzung materiellen Rechts gerügt, nicht genügt. Die Revisionsbegründung muß vielmehr erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte das angefochtene Urteil im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft hat, um so dem gesetzgeberischen Zweck des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG, aussichtlose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern, zu genügen. Deswegen muß die Revisionsbegründung, die Gründe aufzeigen, die nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten das Urteil unrichtig erscheinen lassen; dazu bedarf es einer zumindest kurzen Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung (BSG SozR 1500 § 164 Nr 28 mwN).

Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung des Klägers nicht gerecht. Insbesondere hat der Kläger die Revision nicht durch den Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 46, 299 (= SozR 2200 § 182 RVO Nr 36) hinreichend begründet. Der Senat hat es dahingestellt sein lassen, ob der alleinige Hinweis auf Entscheidungen des BSG als Revisionsbegründung dann ausreicht, wenn die Gleichartigkeit der Rechtsfrage evident ist (Urteil vom 18. Juni 1984 - 3 RK 40/83 -). Wenn es auf der Hand liegt, daß die Gründe der zitierten Entscheidung des BSG das angefochtene Urteil unrichtig erscheinen lassen, dann mögen sich nähere Darlegungen des Revisionsklägers erübrigen. Die Gleichartigkeit der vom BSG entschiedenen und der im vorliegenden Fall erheblichen Rechtsfragen ist aber nicht evident. Wenn der Kläger behaupten will, daß sich aus dem Urteil in BSGE 46, 299 die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung des LSG ergebe, hätte es dazu mindestens einer näheren Darlegung bedurft. Das erwähnte Urteil betrifft eine andere Leistung als sie der Kläger begehrt, nämlich den Ersatz der Kosten, den der klagende Landschaftsverband für die Unterweisung der Mutter und Ehefrau des Versicherten in der richtigen Behandlung und Pflege ihres Kindes aufgewendet hatte. Bei dieser Schulung der Mutter kann es sich nach Meinung des BSG um eine ergänzende Leistung iS des § 193 Nr 2 RVO handeln. Das BSG hat ausgeführt, § 193 Nr 2 RVO sei extensiv auszulegen. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle jede Leistung erbracht werden, die geeignet und erforderlich sei, um den Erfolg der Rehabilitation zu ermöglichen. Aus diesen Ausführungen folgt nicht, daß das LSG den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung des Verdienstausfalls zu Unrecht abgelehnt haben könnte. Das LSG hat zur Mitaufnahme der Mutter im Krankenhaus, die mit ihrer Schulung in der Behandlung und Pflege des Kindes verglichen werden kann, ausgeführt, die Kosten dafür trage die Krankenkasse im Rahmen der Sachleistung nach § 184 RVO. Den Anspruch auf Erstattung des Verdienstausfalls hat das LSG dagegen abgelehnt, weil eine derartige Leistung bei Pflege eines erkrankten Kindes in § 185c RVO vorgesehen sei und eine Leistung solcher Art nicht ohne die Voraussetzungen und Begrenzungen der Bestimmung des § 185c RVO gewährt werden könne. Zu dieser Begründung des LSG enthält das Urteil in BSGE 46, 299 keine Aussage, denn dort hat es sich nicht um eine Leistungsart gehandelt, die nach den speziellen Vorschriften im Krankheitsfall zu erbringen ist.

Dem Hinweis des Klägers auf das Urteil des Senats vom 26. März 1980 - 3 RK 32/79 - (BSGE 50, 72 = SozR 2200 § 184 RVO Nr 16) läßt sich ebenfalls keine Auseinandersetzung mit den Gründen des LSG-Urteils entnehmen. Die vom LSG zur Abgrenzung seiner Gründe ausdrücklich erwähnte Abgeltung der bei stationärer Behandlung eines Kindes durch die Mitaufnahme der Mutter verursachten Kosten ist keine ergänzende Leistung nach § 193 Nr 2 RVO.

Die Satzungsbestimmungen der beklagten Betriebskrankenkasse des Landes und der Stadt Berlin sind keine Vorschriften des Bundesrechts. Auf die Verletzung solcher Vorschriften kann die Revision nur gestützt werden, wenn ihr Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Dies hat der Kläger nicht behauptet. Er hat zwar Vorschriften der RVO bezeichnet, die in Verbindung mit den Satzungsbestimmungen verletzt seien. Aus der Revisionsbegründung ergibt sich aber nicht, daß und aus welchen Gründen das LSG die RVO-Bestimmungen nicht richtig angewendet habe.

Die Revision war aus diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG als unzulässig zu verwerfen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663106

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