Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 04.02.1999; Aktenzeichen L 7 VG 7/98)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Februar 1999 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die 1942 geborene Klägerin begehrt Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG).

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 4. Februar 1999 einen Anspruch der Klägerin verneint und ua ausgeführt: Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sei der volle Nachweis eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen die Klägerin iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erbracht. Die Klägerin könne von dem Zeugen D. gestoßen und auf der Treppe oder dem Boden zu Fall gekommen sein, der Sturz könne aber ebensogut sowohl durch ein versehentliches Anstoßen durch den Zeugen D. als auch durch einen Fehltritt der Klägerin auf der schlecht gesicherten Treppe ausgelöst worden sein. Welche dieser Möglichkeiten zutreffe, stehe auch nach der umfassenden Beweiserhebung des Sozialgerichts (SG) und des Senats nicht fest. Insoweit werde Bezug genommen auf die Ausführungen des SG, die der Senat sich nach eigener Prüfung zu eigen mache. Ergänzend werde darauf hingewiesen, daß die Klägerin im Zivil- und Versorgungsstreitverfahren zwar eine im Kerngeschehen – vom Zeugen D. nicht bestätigte – konstante Darstellung abgegeben habe. Der Haftpflichtversicherung des Zeugen D. gegenüber habe sie jedoch angegeben, der Zeuge D. habe sie versehentlich gestoßen, er habe den Sturz nicht bemerkt. Die im OEG-Verfahren anwendbare Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), wonach bei Fehlen von Urkunden und Zeugen, auf die nach den Umständen glaubhaften Angaben der Antragstellerin abzustellen sei, führe nicht dazu, daß bei sich widersprechenden Bekundungen des Täters und des Opfers und Fehlen weiterer unmittelbarer Tatzeugen wegen der Beweisnot des Opfers ausschließlich auf die Angaben des Opfers bei der Würdigung des Sachverhalts abzustellen sei.

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin eine Divergenz (1), die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (2) sowie einen Verfahrensmangel (3) geltend und trägt vor:

Zu 1

In der Entscheidung vom 22. Juni 1988 (BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34) habe das Bundessozialgericht (BSG) den Rechtssatz aufgestellt, es gebe im Rahmen eines Anspruchs nach dem OEG zwei Beweiserleichterungen, zu diesen rechneten auch die eigenen Angaben des Opfers. Demgegenüber habe das LSG in dem angegriffenen Urteil den Rechtssatz aufgestellt, bei sich widersprechenden Angaben des Täters und des Opfers und nicht vorhandenen Beweismitteln gelte die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht.

Zu 2

Der Frage, ob eine derartige Einschränkung des § 15 KOVVfG zu Lasten des Opfers gerechtfertigt sei, sei von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung.

Zu 3

Das LSG habe unter Verstoß gegen § 128 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) es verfahrensfehlerhaft unterlassen, das von ihm verwertete Schreiben ihrer damaligen Bevollmächtigten an die Haftpflichtversicherung des Zeugen D. besonders zu erörtern.

 

Entscheidungsgründe

II

Der Senat läßt offen, ob die Beschwerde zulässig ist. Jedenfalls ist sie unbegründet.

1. Die gerügte Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), dh das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt worden sind, liegt nicht vor.

Zu Unrecht geht die Klägerin davon aus, das LSG sei der Auffassung gewesen, die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG gelange entgegen der Entscheidung des BSG vom 22. Juni 1988 (BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34) dann nicht zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des Täters gegenüberstünden und Tatzeugen nicht vorhanden seien. Das LSG hat, wie sich aus seinen Ausführungen ergibt, im Rahmen einer Gesamtwürdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Einklang mit den Entscheidungen des BSG vom 22. Juni 1988 (BSGE 63, 270 = SozR 1500 § 128 Nr 34) – und auch vom 31. Mai 1989 (BSGE 65, 123 = SozR 1500 § 128 Nr 39) – § 15 KOVVfG herangezogen, wonach die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung in Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen, der Entscheidung zugrunde zu legen sind, wenn Unterlagen und sonstige Beweismittel nicht vorhanden sind. Das LSG hat im Rahmen der tatrichterlichen freien Beweiswürdigung die Angaben der Klägerin jedoch als nicht glaubhaft gewertet und aus diesem Grunde die Voraussetzungen des § 15 KOVVfG verneint, nicht jedoch die Anwendung dieser Vorschrift bei sich widersprechenden Angaben von Täter und Opfer generell ausgeschlossen.

2. Der Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) liegt nicht vor. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie geeignet ist, die Rechtseinheit zu erhalten oder die Fortbildung des Rechts zu fördern. Die Klägerin hat zwar sinngemäß die Rechtsfrage formuliert, ob eine Einschränkung der Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG im og Sinn zu Lasten der Gewaltopfer gerechtfertigt sei. Diese Rechtsfrage hat das BSG aber bereits in den genannten Entscheidungen mitentschieden. In diesen Entscheidungen hat es ausgeführt, § 15 Satz 1 KOVVfG gelte auch bei Ansprüchen nach dem OEG. Die Angaben des Antragstellers seien zugrunde zu legen, sofern sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erschienen und weder Unterlagen noch sonstige Beweismittel zu beschaffen seien.

3. Ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der von der Klägerin gerügte Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift muß den Beteiligten Gelegenheit gegeben werden, zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und zu allen wesentlichen, für die Rechtsverfolgung möglicherweise relevanten Beweisergebnissen Stellung zu nehmen. Dieses Recht der Klägerin hat das LSG nicht verletzt. Denn dem Prozeßbevollmächtigten war das vom LSG bei der Beweiswürdigung herangezogene Schreiben der damaligen Bevollmächtigten der Klägerin nicht unbekannt. Er selbst hatte es mit Schriftsatz vom 15. Mai 1998 (Bl 139, 146 der Akten des LSG) vorgelegt.

Die Beschwerde ist nach alledem zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175978

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