Leitsatz (amtlich)

Die Deutsche Bundesbahn (Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde) hat keine Pauschgebühren nach SGG § 184 zu entrichten.

 

Normenkette

SGG § 184 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

In Sachen ...

wird auf die Erinnerung der Beklagten die Gebührenfeststellung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 5. September 1955 aufgehoben.

 

Gründe

Der Kläger hatte gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Dezember 1954 mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schriftsatz Revision eingelegt, die durch Beschluß des Senats vom 18. Mai 1955 als unzulässig verworfen worden ist. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat daraufhin gemäß §§ 184 Abs. 1, 186, 189 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 1 der VO vom 31. März 1955 (BGBl. I S. 180) die Gebührenschuld der Beklagten in Höhe von 60.- DM festgestellt. Der Auszug aus dem Gebührenverzeichnis ist am 8. Oktober 1955 an die Beklagte abgesandt worden.

Mit der am 18. Oktober 1955 eingegangenen Erinnerung beantragt die Beklagte, festzustellen, daß die Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde nicht gebührenpflichtig sei. Zur Begründung führt sie aus: Die Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde besitze keine eigene Rechtspersönlichkeit; ihre sich aus der gesetzlichen Unfallversicherung ergebenden Verpflichtungen würden unmittelbar aus den Betriebsmitteln der Deutschen Bundesbahn erfüllt. Sie sei keine selbständige Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts und daher auch nicht gebührenpflichtig im Sinne des § 184 SGG.

Die Erinnerung gegen die Feststellung der Gebührenschuld ist gemäß § 189 Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden; sie ist auch begründet.

Nach § 184 Abs. 1 SGG haben die Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts für jede Streitsache, an der sie beteiligt sind, eine Gebühr zu entrichten.

Die Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde ist, wie in der Erinnerung zutreffend ausgeführt wird, keine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie ist als Ausführungsbehörde im Sinne der §§ 624, 892 RVO eine Dienststelle ("Behörde"), deren sich die Deutsche Bundesbahn zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bedient, und ist somit Bestandteil der Verwaltung der Deutschen Bundesbahn (vgl. hierzu: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung 1.-5. Aufl. S. 530, Gunkel, Wege zur Sozialversicherung 1957 S. 97 (99) mit weiteren Nachweisen). Daraus ergibt sich jedoch noch nicht, wie die Erinnerung anzunehmen scheint, daß in den Streitsachen, an denen die Bundesbahn-Unfallversicherungsbehörde beteiligt ist, eine Gebührenpflicht entfällt. Es bedarf hierzu vielmehr einer Prüfung, welche Rechtsstellung die Deutsche Bundesbahn selbst hat.

Diese Rechtsstellung ist im Bundesbahngesetz vom 13. Dezember 1951 (BGBl. I S. 955) geregelt. Verfassungsrechtlich beruht dieses Gesetz auf Art. 73 Nr. 6, 87 des Grundgesetzes (GG). Nach Art. 73 Nr. 6 GG unterliegen die Bundeseisenbahnen ausschließlich der Bundesgesetzgebung. Von Bedeutung ist auch Art. 86 GG, der bestimmt, daß die Bundesregierung befugt ist, allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen und die Einrichtung der Behörden zu regeln, wenn der Bund Gesetze selbst ausführt und dies nicht den Ländern überläßt (vgl. Art. 83 GG), und dabei ausdrücklich zwischen einer Gesetzesausführung durch bundeseigene Verwaltung und durch bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts unterscheidet. Für die Bundeseisenbahnen bestimmt aber Art. 87 Abs. 1, daß sie in "bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau" zu führen sind. Der Bund war deshalb verpflichtet, die organisatorischen Maßnahmen zu treffen, die eine Verwaltung der Bundeseisenbahnen durch den Bund selbst erfordert (vgl. Herrfahrdt in Bonner Kommentar, Art. 86 GG Anm. II). Der Gesetzgeber hat dementsprechend in § 1 des Bundesbahngesetzes bestimmt, daß die Bundesrepublik das Bundeseisenbahnvermögen unter dem Namen "Deutsche Bundesbahn" als Sondervermögen des Bundes mit eigener Wirtschafts- und Rechnungsführung verwaltet. Die Deutsche Bundesbahn ist somit ein Sondervermögen des Bundes, das durch eine besondere bundeseigene Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau verwaltet wird. Die Verwaltung dieses Sondervermögens besitzt allerdings eine weitgehende Selbständigkeit. Das Sondervermögen ist vom übrigen Bundesvermögen getrennt zu halten, der Bund haftet für die Verbindlichkeiten der Deutschen Bundesbahn nur mit diesem Sondervermögen, das Bundesbahnvermögen haftet andererseits nicht für die sonstigen Verbindlichkeiten des Bundes - § 3 des Bundesbahngesetzes -, und die Deutsche Bundesbahn kann im Rechtsverkehr unter eigenem Namen handeln, klagen und verklagt werden - § 2 des Bundesbahngesetzes - (vgl. hierzu betreffend die Bundespost: Bayerisches Landessozialgericht, Breithaupt 1956 S. 1168; Schrader, Die Sozialgerichtsbarkeit 1957 S. 136). Giese (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Art. 87 Anm. 4) bezeichnet deshalb die Deutsche Bundesbahn als eine "unselbständige Anstalt des öffentlichen Rechts" (vgl. auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts Bd. I 6. Aufl. S. 403). Diese Selbständigkeit der Verwaltung der Deutschen Bundesbahn reicht jedoch nicht aus, um der Deutschen Bundesbahn die Rechtsstellung einer Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts zu verleihen. Hierzu bedarf es vielmehr eines ausdrücklichen staatlichen Hoheitsakts (vgl. Forsthoff a. a. O. S. 404 ff. (410,419)). Der Gesetzgeber hat jedoch in § 1 des Bundesbahngesetzes ausdrücklich bestimmt, daß das Bundeseisenbahnvermögen als "nicht rechtsfähiges" Sondervermögen des Bundes verwaltet werden soll. Die Deutsche Bundesbahn ist deshalb keine juristische Person des öffentlichen Rechts, sondern ein Teil der unmittelbaren Bundesverwaltung im Sinne von Art. 87 Abs. 1 GG (vgl. auch v. Mangold, Das Bonner Grundgesetz Art. 87 Anm. 3, Ennecerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1. Halbband S. 481; Brackmann a. a. O. S. 260 K mit weiteren Nachweisen). Angesichts dieses unmißverständlich zum Ausdruck gebrachten Willens des Gesetzgebers kann dahingestellt bleiben, ob der Bundesgesetzgeber zur Erfüllung des Auftrages aus Art. 87 Abs. 1 GG für die Verwaltung des Bundeseisenbahnvermögens nach Art. 87 Abs. 3 GG auch eine bundesunmittelbare Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts hätte errichten können (vgl. Krüger, Die öffentliche Verwaltung 1949 S. 467).

§ 184 Abs. 1 SGG und seine Entstehungsgeschichte rechtfertigen es nicht, diese Bestimmung über den Wortlaut hinaus auch auf Sondervermögen anzuwenden, die infolge der Selbständigkeit ihrer Verwaltung einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ähnlich sind, aber keine eigene Rechtspersönlichkeit haben (so im Ergebnis auch Brackmann a. a. O. S. 260 K mit weiteren Nachweisen; a. A. LSG. Bremen vom 21.3.1957, SGb. 1957 S. 148 mit Anmerkung von Schieckel). Die amtliche Begründung zu § 131 des Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit (Bundestagsdrucksache Nr. 4357) - jetzt § 184 SGG - bezeichnet nur die "Versicherungsträger" als gebührenpflichtig. Auch nach § 80 Satz 2 RVO a. F. hatten nur Versicherungsträger Gebühren zu entrichten. Dieser Begriff ist dahin ausgelegt worden, daß hierunter nur mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattete Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts fallen (vgl. SG. Köln, Die Sozialgerichtsbarkeit 1956 S. 231 mit Anmerkung von Schieckel). Es besteht kein Anhalt dafür, daß der Gesetzgeber mit § 184 SGG den Rahmen der Gebührenpflicht erweitern und sie auf nichtrechtsfähige Teile oder Dienststellen der öffentlichen Verwaltung ausdehnen wollte (vgl. für die Behörden den Beschluß des 6. Senats des BSG. vom 29. Juni 1957 - 6 RKa 5/56 - Sozialrecht SGG § 184 Bl. Da 8 Nr. 8).

Die durch ihre Unfallversicherungsbehörde tätig werdende Deutsche Bundesbahn hat infolgedessen für die Anwendung des § 184 SGG keine Sonderstellung, sondern ist als unmittelbare Bundesverwaltung zu behandeln. Die Frage, ob ein Staat als Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG gebührenpflichtig ist, hat der 8. Senat des Bundessozialgerichts im Beschluß vom 10. Dezember 1956 (Soz. Recht SGG § 184 Bl. Da 5 Nr. 6) für die Länder verneint. Die Ausführungen in diesem Beschluß - dem sich der erkennende Senat anschließt - müssen für die Bundesrepublik gleichfalls zu dem Ergebnis führen, daß sie als Staat keine Körperschaft des öffentlichen Rechts im Sinne des § 184 SGG ist.

Die Deutsche Bundesbahn ist somit als unmittelbare Bundesverwaltung im sozialgerichtlichen Verfahren nicht gebührenpflichtig. Die Gebührenfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle war daher aufzuheben.

 

Fundstellen

NJW 1957, 1654

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