Leitsatz (amtlich)

1. Der Bescheid, mit dem in Ausführung eines Urteils nach SGG § 154 Abs 2 für die Zeit vom Erlaß des Urteils an Leistungen bewilligt werden, trifft nur eine vorläufige Regelung; der Bescheid wird hinfällig wenn das Urteil, auf dem er beruht, aufgehoben wird; er ist nicht "Gegenstand des Verfahrens" im Sinne von SGG § 96.

2. Dies gilt auch dann, wenn in Ausführung eines Urteils auch für die Zeit vor dem Erlaß des Urteils Leistungen bewilligt werden, aber schon vor Erlaß des "Ausführungsbescheides" gegen das Urteil in vollem Umfang Berufung eingelegt worden ist.

 

Normenkette

SGG § 154 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 96 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 7. Mai 1958 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

1.) Durch Bescheid vom 12. Oktober 1953 erkannte das Versorgungsamt W mehrere Leiden des Klägers als Schädigungsfolgen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) an, es gewährte vom 1. September 1951 an Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 30 v. H. Das Sozialgericht (SG.) Wiesbaden änderte durch Urteil vom 24. August 1955, dem Kläger zugestellt am 6. September 1955, den Bescheid vom 12. Oktober 1953 ab, es erkannte als weitere Schädigungsfolge "angedeuteter Wilsonblock" im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung an und verurteilte den Beklagten, vom 1. September 1951 an Rente nach einer MdE. um 50 v. H. zu gewähren, im übrigen wies es die Klage ab. Am 5. Oktober 1955 legte der Beklagte Berufung ein. Am 14. November 1955 erließ das Versorgungsamt W "in Ausführung des Urteils des SG. Wiesbaden vom 24. August 1955, Aktenzeichen 6 V 3063/54, und unter gleichzeitiger Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 1953" einen Bescheid, in dem das Leiden entsprechend dem Urteil des SG. festgestellt und unter Hinweis auf dieses Urteil vom 1. September 1951 an die Rente nach der MdE. um 50 v. H. berechnet und eine Nachzahlung von 566.- DM verfügt wurde. Am 2. Januar 1956 begründete der Beklagte die Berufung, er beantragte, das Urteil des SG. aufzuheben, die Klage auf Aufhebung des Bescheides vom 12. Oktober 1953 abzuweisen und den Verwaltungsakt vom 14. November 1955 aufzuheben, dieser Verwaltungsakt sei nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Verfahrens geworden. Durch Urteil vom 7. Mai 1958 hob das Hessische Landessozialgericht (LSG.) das Urteil des SG. auf und wies die Klage ab.

2.) Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), es ist nicht geltend gemacht und auch nicht ersichtlich, daß das LSG. bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs der Gesundheitsstörungen des Klägers mit dem Wehrdienst das Gesetz verletzt hat, die Revision ist daher auch nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft. Der Kläger hält die Revision vielmehr für statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Er ist der Meinung, das LSG. habe die Berufung als unzulässig verwerfen müssen; der Beklagte habe durch den Bescheid vom 4. November 1955 das Urteil des SG. vom 24. August 1955 nicht etwa nur für die Zeit vom Erlaß des Urteils an (§ 154 Abs. 2 SGG) ausgeführt, sondern schon mit Wirkung vom 1. September 1951 an, er habe in diesem Bescheid den Bescheid vom 12. Oktober 1953 aufgehoben; der Bescheid vom 4. November 1955 sei mit der Zustellung an den Kläger für den Beklagten bindend geworden, der Beklagte sei, nachdem er dem Begehren des Klägers entsprochen habe, im Berufungsverfahren nicht mehr "beschwert" gewesen, das LSG. habe nach dem Bescheid des Beklagten vom 4. November 1955 die Klage nicht mehr abweisen dürfen, es habe gegen § 24 Abs. 2 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung verstoßen.

3.) Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger, das LSG. habe zu Unrecht ein Sachurteil erlassen. Diese Rüge würde zwar, wenn sie begründet wäre, die Revision statthaft machen können; die Rüge trifft aber nicht zu. Der Beklagte, der in dem angefochtenen Bescheid vom 12. Oktober 1953 die Rente vom 1. September 1951 an nach einer MdE. um 30 v. H. bewilligt hatte, war vom SG. verurteilt worden, diese Rente nach einer MdE. um 50 v. H. zu gewähren; da er die Abweisung der Klage beantrag hatte, ist er durch dieses Urteil beschwert gewesen. Er ist auch beschwert geblieben , obwohl er "in Ausführung" des Urteils des SG. mit dem Bescheid vom 14. November 1955 die Schädigungsfolgen neu festgestellt und dem Kläger die Rente vom 1. September 1951 an nach einer MdE. um 50 v. H. bewilligt hat. Der Beklagte hat das Urteil des SG. innerhalb der Berufungsfrist mit der Berufung angefochten, die Berufung hat den Eintritt der Rechtskraft gehemmt, der Beklagte ist aber trotzdem nach § 154 Abs. 2 SGG verpflichtet gewesen, dem Kläger für die Zeit vom Erlaß des Urteils an die Rente entsprechend dem Urteil zu bewilligen; die Berufung hat aufschiebende Wirkung nur insoweit, als es sich um Beträge handelt, die auf die Zeit vor dem Erlaß des angefochtenen Urteils entfallen. Durch diese Regelung soll zunächst wenigstens für die Zukunft der Lebensunterhalt des Klägers sichergestellt werden (vgl. die amtliche Begründung, Bundestagsdrucksache Nr. 4357 zu § 102). Für die Zeit vom Erlaß des Urteils an wird also der Kläger so gestellt, wie wenn er im Zivilprozeß ein vorläufig vollstreckbares Urteil erwirkt hätte. Er kann, wenn der Versorgungsträger für die Zeit vom Erlaß des Urteils an nicht die zugesprochenen Leistungen gewährt, die Zwangsvollstreckung betreiben, obwohl das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Werden diese Leistungen aber freiwillig gezahlt, so handelt es sich ebenso wie bei der freiwilligen Befriedigung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung im Zivilprozeß um "die vorläufige Regelung des Streitverhältnisses zu Gunsten des Klägers, aber unter voller Wahrung der Rechte des Beklagten, und der Bestand dieser vorläufigen Regelung ist abhängig gemacht von dem Bestand oder der Aufhebung des Urteils" (RGZ. 63 S. 332; 85 S. 219; 98 S. 329); auch der Bescheid, der nach § 154 Abs. 2 SGG in Ausführung des Urteils ergeht, trifft nur eine vorläufige Regelung; er wird von selbst hinfällig, wenn das Urteil, auf dem er beruht, aufgehoben wird. Deshalb wird der "Ausführungsbescheid" nicht "Gegenstand des Verfahrens" im Sinne von § 96 SGG; es bedarf, wenn das Urteil aufgehoben wird, keiner Aufhebung des Ausführungsbescheids durch das Gericht und keiner Rücknahme des Bescheids durch die Verwaltung. Dies gilt nicht nur, wie der Kläger meint, für den Bescheid, mit dem in Ausführung eines Urteils nach § 154 Abs. 2 SGG die Leistungen für die Zeit vom Erlaß des Urteils an "vorläufig" bewilligt werden, es gilt auch dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - in Ausführung des Urteils auch für die Zeit vor dem Erlaß des Urteils Leistungen bewilligt werden, aber schon vor Erlaß des "Ausführungsbescheides" gegen das Urteil in vollem Umfang Berufung eingelegt worden ist. Auch insoweit handelt es sich um eine "vorläufige" Regelung, auch insoweit ist die Regelung von dem Bestand des Urteils abhängig, auch insoweit ist der Beklagte weiterhin durch das Urteil beschwert und auch insoweit bleiben seine Rechte gewahrt. Der Kläger kann sich im vorliegenden Fall auch nicht darauf berufen, daß der Beklagte in dem "Ausführungsbescheid" nicht ausdrücklich erklärt habe, daß es sich nur um eine vorläufige Regelung handele und daß er das Urteil nicht für zutreffend halte. Ein solcher ausdrücklicher Vorbehalt ist hier schon deshalb nicht erforderlich gewesen, weil der Beklagte die Berufung eingelegt hat, bevor er den Ausführungsbescheid erlassen hat, der Kläger hat also gewußt, daß das Urteil, auf dem der Ausführungsbescheid beruht, nicht endgültig ist; hierdurch unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, über den das Reichsversicherungsamt in dem in Entscheidungen und Mitteilungen Band 19 S. 166 veröffentlichten Urteil entschieden hat (vgl. hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 252 b; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl. Anm. zu § 154; ferner BSG. 4 S. 253 (255)); in jenem Fall hat der Versorgungsträger, der das Urteil des Oberversicherungsamts ohne Vorbehalt auch für die Zeit vor dem Erlaß des Urteils ausgeführt hat (vgl. § 1710 RVO a. F.), das Urteil erst mit dem Rekurs angefochten, nachdem er dem Kläger den Ausführungsbescheid für die gesamte strittige Zeit ohne Vorbehalt hat zugehen lassen. Es bedarf im vorliegenden Fall daher keiner Entscheidung darüber, ob nicht allein schon darin, daß ein Bescheid "in Ausführung" eines noch nicht rechtskräftigen Urteils erlassen wird, ein ausreichender Hinweis darauf liegt, daß der Bescheid nur Bestand haben soll, wenn das Urteil rechtskräftig wird.

Die Berufung des Beklagten ist sonach zulässig gewesen, das LSG. hat zu Recht in der Sache selbst entschieden. Da der gerügte Verfahrensmangel nicht vorliegt, ist die Revision auch nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht statthaft, sie ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten ergeht in entsprechender Anwendung von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324166

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