Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Beschluss vom 24.02.2000; Aktenzeichen L 2 K 17/97)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluß des Landessozialgerichts für das Saarland vom 24. Februar 2000 wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die 1983 geborene Klägerin ist infolge eines frühkindlichen Hirnschadens spastisch gelähmt. Ihre Eltern ließen sie in der Zeit vom 21. Juli bis 4. August 1996 durch den Arzt Dr. Kozijavkin in der Ukraine behandeln. Die Übernahme der Behandlungs-, Reise- und Aufenthaltskosten von 7.104,– DM hatte die Beklagte zuvor abgelehnt, weil die Therapie durch Dr. Kozijavkin nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche und eine erfolgversprechende Behandlung auch im Inland möglich sei. Sozialgericht (SG) und Landessozialgericht (LSG) haben sich dieser Begründung angeschlossen und die auf Kostenerstattung gerichtete Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat sich dabei ausdrücklich auf das Urteil des Senats vom 16. Juni 1999 (BSGE 84, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4) bezogen.

Die Beschwerde, mit der die Klägerin die Zulassung der Revision erreichen will, kann keinen Erfolg haben.

Soweit das Zulassungsbegehren mit Verfahrensrügen begründet wird (§ 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG), ist die Beschwerde unzulässig. Die Klägerin meint, das LSG habe § 153 Abs 4 SGG verletzt, indem es trotz ihres Widerspruchs über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß entschieden habe. Dadurch sei ihr die Gelegenheit genommen worden, ein neues Gutachten des Kinderarztes Prof. Dr. von V. … und ein darauf basierendes Urteil des Verwaltungsgerichts für das Saarland vom 20. Januar 2000 in den Prozeß einzuführen, in denen das Therapiekonzept des Dr. Kozijavkin als wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode beurteilt worden sei. Damit ist kein Verfahrensmangel iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt, denn § 153 Abs 4 SGG setzt ein Einverständnis der Beteiligten mit der beabsichtigten Vorgehensweise des Gerichts gerade nicht voraus, sondern verlangt nur deren vorherige Anhörung, die hier stattgefunden hat. Tatsachen, die eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ergeben könnten, sind nicht dargetan. Die Behauptung, das LSG habe sachdienliches Vorbringen verhindert, wird nicht begründet und ist nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, warum es den Prozeßbevollmächtigen der Klägerin nicht möglich gewesen sein soll, die angesprochenen Beweisunterlagen, die ihnen nach eigenem Bekunden bereits am 31. Januar 2000 vorgelegen haben, rechtzeitig vor der erst am 24. Februar 2000 ergangenen Entscheidung über die Berufung an das Gericht weiterzuleiten.

Indirekt kann dem Beschwerdevorbringen entnommen werden, daß die Klägerin die Frage der Kostenübernahme bei Behandlungen durch Dr. Kozijavkin für erneut klärungsbedürftig hält, nachdem ein neues Gutachten abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestätigt habe, daß die Behandlungsmethode wissenschaftlich anerkannt sei. Ob damit der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hinreichend dargelegt ist, kann offenbleiben. Auch wenn sich die Beschwerde insoweit als zulässig erweisen sollte, ist sie jedenfalls unbegründet.

Der Senat hat in dem angeführten Urteil vom 16. Juni 1999 aufgezeigt, daß das Therapiekonzept des Dr. Kozijavkin in den seinerzeit verfügbaren Äußerungen deutscher Wissenschaftler und sozialpädiatrisch tätiger Ärzte überwiegend skeptisch bis ablehnend beurteilt wurde, wobei sich die Kritik einerseits auf die unspezifische Kombination verschiedener Behandlungsformen bezog und andererseits das Fehlen vergleichender Effektivitätsstudien – auch im Hinblick auf die enge Bindung der Behandlungsmethode an die Person des Dr. Kozijavkin und dessen Weigerung, andere Ärzte in die Methode einzuweisen – bemängelt wurde. Dies könnte sich allerdings geändert haben, nachdem das Behandlungskonzept der Arbeitsgruppe um Dr. Kozijavkin und die erzielten Ergebnisse auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin im September 1999 einem Fachpublikum vorgestellt und veröffentlicht worden sind (Monatsschrift für Kinderheilkunde Supplement 2, Band 147, Heft 8, Seite 231). Der Vorstand des Instituts für Soziale Pädiatrie und Jugendmedizin der Universität München und Ärztliche Direktor des Kinderzentrums München, Prof. Dr. von V., … der sich früher mehrfach skeptisch zu der Methode geäußert hatte, hat seine Vorbehalte in einem für das Verwaltungsgericht des Saarlandes zum Aktenzeichen 3 K 182/96 erstatteten Gutachten vom 28. Oktober 1999 nicht wiederholt, sondern nunmehr von einem mutmaßlich günstigen Einfluß der Therapie aufgrund des Zusammenwirkens der verschiedenen Behandlungssegmente gesprochen und konstatiert, daß nach eigener Erfahrung Behandlungserfolge bei einer großen Zahl von klinisch betreuten Patienten zu verzeichnen seien. Ob dies die Sichtweise eines einzelnen Wissenschaftlers ist oder ob sich aufgrund der neueren Erkenntnisse auch bei anderen Pädiatern ein Meinungswandel vollzogen hat und ob die eingetretene Entwicklung bei Zugrundelegung der vom Senat in den Urteilen vom 16. Juni 1999 (BSGE 84, 90 = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 ua) formulierten rechtlichen Anforderungen eine Neubewertung der Kostentragung durch die Krankenkassen erforderlich macht, bedarf hier keiner Erörterung, denn daraus kann für den konkreten Fall kein erneuter Klärungsbedarf abgeleitet werden. Für die Frage, ob eine Behandlungsmethode wissenschaftlich anerkannt ist und damit dem Versorgungsstandard des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V genügt, ist auf den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Behandlung abzustellen, wie der Senat im Zusammenhang mit dem Erlaubnisvorbehalt des § 135 Abs 1 SGB V bereits entschieden hat (Beschluß vom 8. Februar 2000 – SozR 2500 § 135 Nr 12). Der Gesetzeszweck verbietet es, nachträglich Kosten für eine Therapie zu erstatten, deren Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Zeitpunkt der Behandlung nicht gesichert war, auch wenn die bestehenden Zweifel sich später als unbegründet erweisen. Daraus folgt, daß aus dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten vom Oktober 1999 für die streitige Behandlung im Jahr 1996 keine Konsequenzen abzuleiten sind.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175377

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