Verfahrensgang

Thüringer LSG (Urteil vom 28.06.1995)

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 14.03.2000; Aktenzeichen 1 BvR 284/96, 1 BvR 1659/96)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Thüringer Landessozialgericht im Urteil vom 28. Juni 1995 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet. Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Der Kläger macht als Zulassungsgrund die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend. Er sieht es als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an, ob die von Januar 1991 an geltende gesetzliche Absenkung der Geldleistungen wie Grundrente (§ 31 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫) und Pauschalbetrag als Ersatz für Kleider-und Wäscheverschleiß (§ 15 BVG) für Beschädigte iS der sozialen Entschädigung mit Wohnsitz im Beitrittsgebiet entsprechend § 84a BVG iVm Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a des Einigungsvertrages (EinigVtr) mit Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) zu vereinbaren ist. Diese Frage ist indessen nicht mehr klärungsbedürftig, weil sie bereits im Urteil des erkennenden Senates vom 10. August 1993 (BSGE 73, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 1) beantwortet worden ist. Der Senat hat die Regelung als mit dem GG vereinbar angesehen und damit die Voraussetzungen für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht verneint. Eine Verletzung von Art 14 Abs 1 GG ist deshalb nicht gesehen worden, weil dem Beschädigten vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland weder ein Anspruch noch eine Anwartschaft auf Auszahlung von Leistungen nach dem BVG zugestanden hat. Auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG ist verneint worden. Es habe dem Gesetzgeber freigestanden, der durch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten eingetretenen besonderen Lage dadurch Rechnung zu tragen, daß er Leistungen der sozialen Sicherheit im Beitrittsgebiet nur in dem Umfang gewährt, in dem auch das dort vorhandene Lohn- und Gehaltsniveau hinter den Durchschnittsverdiensten im früheren Bundesgebiet zurückbleibt. Eine allmähliche Anpassung bis zur völligen Gleichstellung dürfe angestrebt werden. Selbst wenn das unterschiedliche Lohnniveau allein noch kein sachlicher Grund für die unterschiedliche Höhe der BVG-Leistungen sein sollte, dürfe der Gesetzgeber eine Ungleichbehandlung für eine Übergangszeit vorsehen, wenn anders nicht vor allem die finanzielle Dimension des Problems bewältigt werden kann.

Diese Ausführungen haben nach wie vor Gültigkeit. Dem Ergebnis dieser Ausführungen ist zwar von politischer Seite, nicht aber in der juristischen Literatur widersprochen worden. Wulfhorst (Versorgungsverwaltung 1994, 19) befürwortet eine andere Begründung. Die durch das Bundessozialgericht geklärte Rechtsfrage bezog sich ebenso wie im vorliegenden Verfahren auf die Leistungen Grundrente und Kleiderpauschale. Damit wirft dieser Rechtsstreit keine Fragen auf, die in jenem Rechtsstreit unbeantwortet geblieben sind. Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, daß in den Entscheidungsgründen jenes Urteils nicht ausdrücklich auch auf die Kleiderpauschale eingegangen worden ist, ist einzuräumen, daß dort beide Leistungen gemeinsam abgehandelt worden sind, weil für sie die gleichen rechtlichen Argumente gelten. Die Rechtsfrage bezüglich der Kleiderpauschale ist nicht dadurch klärungsbedürftig geblieben, daß der Kläger die unterschiedliche Zweckbestimmung von Grundrente und Kleiderpauschale betont und meint, diese unterschiedliche Zweckbestimmung erfordere eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der abgesenkten Leistungen. Die Ausführungen des Senats im erwähnten Urteil befassen sich zwar vorrangig mit der Grundrente, die ihrer Zweckbestimmung nach auch eine immaterielle Entschädigung für die Aufopferung von Körper und Gesundheit enthält. Andererseits enthält die Grundrente aber auch einen Ausgleichsanteil für die Mehraufwendungen, die durch die zurückgebliebenen Gesundheitsstörungen im Alltagsleben anfallen. Insoweit ist sie wie die Kleiderpauschale bedarfsorientiert, so daß in der Bestimmung der Kleiderpauschale zur Deckung eines weiteren besonderen Bedarfs kein grundsätzlicher Unterschied besteht. Beide Leistungen werden nach den gleichen Grundsätzen im alten Bundesgebiet regelmäßig angepaßt. Folgerichtig hat auch der EinigVtr in Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet K Abschnitt III Nr 1 Buchst a für die Grundrente und die Kleiderverschleißpauschale gleiche Vomhundertsätze des jeweiligen Leistungsniveaus im alten Bundesgebiet für die neuen Bundesländer festgelegt. Gemessen am Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gibt es keinen zwingenden Grund, beide Leistungen unterschiedlich zu behandeln. Der Senat hat in dem erwähnten Urteil dies als selbstverständlich vorausgesetzt; für eine ausdrückliche Klarstellung bedarf es keiner Durchführung eines neuen Revisionsverfahrens.

Die Rechtsfrage ist auch nicht durch die inzwischen verstrichene Zeit wieder klärungsbedürftig geworden. Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, daß die Dauer der schrittweisen Anpassung bis zur Erreichung des gleichen Leistungsniveaus vor zwei Jahren, zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils, möglicherweise kürzer eingeschätzt worden ist, als dies aus heutiger Sicht geschehen würde. Es kann auch davon ausgegangen werden, daß das tatsächliche Rentenniveau in den neuen Bundesländern im Gegensatz zur sog Standardrente das durchschnittliche Rentenniveau in den alten Bundesländern teilweise schon erreicht oder sogar überschritten hat. Dies allein ist aber kein Grund, das immer noch deutliche Zurückbleiben der Kriegsopferversorgung in den neuen Bundesländern als Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu werten. Denn für die Partner des EinigVtr war für die Höhe der sog Standardrenten wie der Versorgungsrenten allein die Entwicklung der Erwerbseinkommen maßgebend, nicht das tatsächliche Rentenniveau, das vor allem aufgrund längerer und regelmäßiger Erwerbstätigkeit der Frauen in den neuen Bundesländern die Renten der Frauen in den alten Bundesländern übersteigt. Die Anknüpfung der Renten für Kriegsopfer an die Entwicklung der Erwerbseinkünfte ist ein sachlicher Gesichtspunkt, weil er an die volkswirtschaftliche Leistungskraft anknüpft, aus der die Sozialleistungen finanziert werden müssen. Bereits die alljährliche Anpassung der Renten in den neuen Bundesländern, die deutlich über der Höhe der Rentenanpassung in den alten Bundesländern liegt, verursacht Mehraufwendungen in Milliardenhöhe (vgl Entwurf der 11. Rentenanpassungsverordnung mit Begründung, BR-Drucks 739/95). Das vom Gedanken der Gleichbehandlung für die erbrachten Opfer an Leben und Gesundheit gerechtfertigte Verlangen des Klägers, mit Kriegsopfern in den alten Bundesländern gleichgestellt zu werden, würde bei einer generellen Regelung ebenfalls Finanzmittel in Milliardenhöhe erfordern, die nur im Rahmen einer längerfristigen Planung bereitgestellt werden können. Dabei muß ein längerer Anpassungszeitraum in Kauf genommen werden, wenn infolge einer allgemeinen ungünstigen Wirtschaftslage auch die Haushaltsmittel knapp sind. Entscheidend ist, daß das Ziel der Gleichstellung sämtlicher Kriegsopfer vom Gesetzgeber anerkannt und im Rahmen der jeweils zur Verfügung stehenden Mittel konsequent angestrebt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174721

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