Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Geltendmachung eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs handelt es sich um eine Familienstreitsache, nämlich eine Unterhaltssache im Sinne des § 231 FamFG. Die allgemeinen zivilprozessualen Vorschriften über die Präklusion in der Beschwerdeinstanz nach § 531 ZPO sind somit nicht anwendbar, sondern die Vorschrift des § 115 FamFG.

2. Ein vom Obhutselternteil als von ihm getragen behaupteter Bedarf des Kindes in Höhe des Mindestunterhalts kann vom in Anspruch genommenen anderen Elternteil nicht pauschal bestritten werden. Gleiches gilt für die Behauptung, selbst nicht leistungsfähig gewesen zu sein.

3. Eine Zahlung an den Unterhaltsberechtigten kann den Ausgleichsanspruch zum Erlöschen bringen. Ob dies auch für die Leistung an Erfüllungs statt bei Annahme einer Gesamtgläubigerschaft zwischen Obhutselternteil und Kindern in der Weise gilt, dass die Leistung an einen Gläubiger auch gegenüber allen übrigen Gläubigern wirkt, ohne dass es darauf ankäme, ob alle Gläubiger einverstanden sind, kann offen bleiben. Denn ein Fall der Gesamtgläubigerschaft liegt bei dieser Konstellation nicht vor.

4. Das volljährige Kind ist nach den Rechtsgedanken der §§ 1618a, 242, 255 BGB verpflichtet, seinen Anspruch auf rückständigen Unterhalt für die Zeit, in der es von dem einen Elternteil betreut und mit Barmitteln vollständig versorgt wurde, soweit der Anspruch also mit dem familienrechtlichen Ausgleichsanspruch dieses Elternteils kongruent ist, an diesen Elternteil abzutreten.

5. Der ausgleichsberechtigte Elternteil hat auch noch die Möglichkeit, das Kind an der Einziehung des rückständigen Barunterhalts zu hindern und seinem konkurrierenden familienrechtlichen Ausgleichsanspruch zur Durchsetzung zu verhelfen, indem er durch einseitige Erklärung gegenüber dem Kind, dass mittels des dem Kind erbrachten Barunterhalts die Barunterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils getilgt werden sollte (§ 267 Abs. 1 BGB), dessen Unterhaltsanspruch zum Erlöschen bringt. Macht der ausgleichsberechtigte Elternteil durch Erklärung gegenüber dem inzwischen volljährigen Kind von seinem nachträglichen Tilgungsbestimmungsrecht Gebrauch, so erlischt der kongruente Unterhaltsanspruch des Kindes; der familienrechtliche Ausgleichsanspruch des Elternteils, der in der Vergangenheit allein für den vollen Unterhalt des Kindes aufgekommen ist, bleibt als alleiniger Anspruch erhalten.

6. An die nach erfolgter Trennung oder Scheidung bestehende Absicht des Obhutselternteils, vom anderen Elternteil Ersatz zu verlangen, sind keine hohen Anforderungen zu stellen, da grundsätzlich nicht von einer Begünstigungsabsicht gegenüber dem säumigen Unterhaltpflichtigen auszugehen ist. Eine solche Absicht ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn ein Elternteil den anderen auf Unterhalt in Anspruch nimmt.

7. Die Verjährungsfrist für den familienrechtlichen Ausgleichsanspruch beträgt drei Jahre, § 195 BGB. Sie beginnt in dem Fall, in dem der Obhutselternteil den Anspruch wegen Eintritt der Volljährigkeit des Kindes geltend macht, erst von diesem Zeitpunkt an.

8. Der familienrechtliche Ausgleichsanspruch ist jedenfalls dann nicht wegen nicht zeitnaher Geltendmachung gemäß § 242 BGB verwirkt, wenn der Obhutselternteil rechtzeitig Strafanzeige wegen Unterhaltspflichtverletzung erstattet hat.

 

Normenkette

FamFG § 231; BGB § 195; FamFG §§ 242, 255, 267, 1618a

 

Verfahrensgang

AG Strausberg (Beschluss vom 09.04.2014; Aktenzeichen 2.1 F 396/13)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG Strausberg vom 9.4.2014 dahin abgeändert, dass der Antragsgegner verpflichtet wird, an die Antragstellerin 4.992 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.2.2014 zu zahlen.

2. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens beider Instanzen zu tragen.

3. Der Verfahrenswert wird auf 4.992 EUR festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin erstrebt die Verpflichtung des Antragsgegners, ihres seit November 2008 rechtskräftig geschiedenen Ehemannes, zur Zahlung von 4.992 EUR auf der Grundlage eines familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs, weil sie für Kindesunterhalt im Zeitraum von Dezember 2009 bis einschließlich Januar 2012 allein aufgekommen ist.

Die Beteiligten sind die Eltern der am... 2.1994 geborenen Zwillinge J. und P. W. sowie des am... 12.2001 geborenen A. W. Nach Trennung der Beteiligten betreute die Antragstellerin die Zwillinge seit 2006 allein. Daneben war sie berufstätig. Aufgrund zweier Jugendamtsurkunden vom 20.2.2007 war der Antragsgegner verpflichtet, monatlich 96 EUR Kindesunterhalt für jeden der Zwillinge zu zahlen. Jedenfalls ab 2008 zahlte er keinen Unterhalt. Bis Oktober 2009 erhielt die Antragstellerin für die Zwillinge Unterhaltsvorschuss. Am 2.12. und 7.12.2009 beantragte sie - im Ergebnis fruchtlos - die Zwangsvollstreckung aus den Jugendamtsurkunden. Am 1.9.2010 erstattete sie Anzeige gegen den Antragsgegner wegen Unterhaltspflichtverletzung. Dur...

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