Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinsame elterliche Sorge: keine Aufhebung bei Mindestkonsens in Einzelbereichen; Beschränkung der Aufhebung auf streitige Bereiche

 

Leitsatz (amtlich)

1. Dem für die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge erforderliche Fehlen eines Mindestmaßes an Übereinstimmung steht für den Bereich der Gesundheitssorge eine Vereinbarung der Eltern entgegen, Fragen, die diesen Sorgebereich betreffen, gemeinsam wahrnehmen zu wollen. Dabei stellen bloße Umsetzungs- oder Abstimmungsprobleme einen Mindestkonsens noch nicht in Frage und eine Konsensfähigkeit schon gar nicht.

2. Bei dieser Sachlage entspricht es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf streitige Bereiche zu beschränken.

 

Verfahrensgang

AG Neuruppin (Aktenzeichen 53 F 41/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 04.12.2018 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.

Wert der Beschwerde: 3 000 EUR

 

Gründe

1. Der beschwerdeführende Antragsgegner wendet sich gegen die Übertragung des von beiden Eltern jeweils für sich allein erstrebten Aufenthaltsbestimmungsrechts für seine eingangs genannte Tochter auf die Antragstellerin, ihre Mutter; zudem erstrebt er die Übertragung der alleinigen Gesundheitssorge.

Die Antragsbeteiligten schlossen am 11.07.2007 die Ehe, aus der die am ...2009 geborene R... hervorgegangen ist. Das Amtsgericht hat die Ehe durch Beschluss vom 11.05.2018 geschieden. R... verblieb nach Trennung ihrer Eltern am 13.07.2013 im Haushalt ihrer Mutter und hat mit ihrem Vater regelmäßig Umgang.

Beide Eltern haben die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts jeweils auf sich beantragt, der Vater überdies hilfsweise die Übertragung der alleinigen Gesundheitssorge.

Nach Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens (Sonderheft) hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen- Sach- und Streitstandes verweist (171 ff), das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Antragstellerin zur alleinigen Ausübung übertragen. Wegen Fehlens eines Mindestmaßes an Übereinstimmung der Eltern hierzu sei die gemeinsame Sorge aufzuheben. Der Empfehlung des Gutachtens folgend, das sich vor allem unter Heranziehung des Förderergrundsatzes, des Kontinuitätsgrundsatz sowie der Bindungsgegebenheiten für einen Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter ausgesprochen hat (73 SV), hat das Amtsgericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter zugesprochen. Die Gesundheitssorge, die die Eltern nach einer Erklärung vom Anfang des Jahres 2018 gemeinsam wahrnehmen wollten, hat das Amtsgericht in ihrer gemeinsamen Verantwortung belassen.

Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde erstrebt der Antragsgegner weiterhin die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts und der alleinigen Gesundheitssorge auf sich. Er macht im Wesentlichen geltend, das Kind sei in der Vergangenheit gesundheitlich unzureichend versorgt worden.

Antragstellerin und Verfahrensbeistand verteidigen den angefochtenen Beschluss, die Mutter mit weiterem Vorbringen zur aktuellen ärztlichen Versorgung des Kindes.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war.

2. Die nach §§ 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB in Ansehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zutreffend bejaht. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (vgl. BGHZ 211, 22-37, Rn. 23 m. w. N.). Sie ist aufzuheben, wenn es an einer dieser Voraussetzungen fehlt, wie hier an einem Mindestmaß an Übereinstimmung in Ansehung des Lebensmittelpunkts ihrer Tochter.

Bei Abwägung der Übertragungskriterien - Fördergrundsatz, Kontinuitätsgrundsatz, Bindungen des Kindes an beide Elternteile sowie Kindeswille - bleibt es bei einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Antragstellerin.

In einer Gesamtschau spricht bei sicherer Bindung an beide Elternteile (58 SV) mit einer erstrangigen Stellung der Mutter innerhalb der Bindungshierarchie des Mädchens (72 SV) neben dem Gesichtspunkt der räumlichen und sozialen Kontinuität des Kindes (73 SV) der Fördergrundsatz für einen Lebensmittelpunkt bei der Mutter, die seit geraumer Zeit ihre Förderkompetenz unter Beweis gestellt hat, indem sie mit und in der Schule des Kindes kooperiert und sich in höherem Maße engagiert, während der Vater in der Vergangenheit weder schulisch noch in der medizinischen Versorgung kontinuierlich in Erscheinung getreten...

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