Verfahrensgang

LG Neuruppin (Entscheidung vom 03.06.2020; Aktenzeichen 12 KLs 5/20)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 03.06.2020 wird als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.

 

Gründe

I.

Dem Angeklagten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Neuruppin vom 1. April 2020 vorgeworfen, zum Nachteil der Nebenklägerin am 15. Juni 2019 eine Vergewaltigung begangen sowie am 18. Januar 2020 eine Vergewaltigung versucht zu haben. Weiter wird dem Angeklagten vorgeworfen, in weiteren fünf Fällen, sexuelle Handlungen gegen andere Personen - in einem Fall gegen eine Person unter 14 Jahren - vorgenommen, bzw. diese Handlungen versucht zu haben. Bei der 14-Jährigen handelt es sich um die Schwester der Nebenklägerin. Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Neuruppin die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten eröffnet.

Die Nebenklägerin hat am 15. April 2020 ihren Anschluss als Nebenklägerin erklärt und ihre Beiständin Akteneinsicht beantragt. Mit Beschluss vom 11. Mai 2020 hat das Landgericht Neuruppin den Anschluss der Nebenklage zugelassen. Die begehrte Akteneinsicht hat die Strafkammervorsitzende mit Entscheidung vom 3. Juni 2020 gewährt. Der gegen den Beschluss gerichteten Beschwerde des Angeklagten hat die Strafkammervorsitzende mit Vermerk vom 10. Juni 2020 nicht abgeholfen, die Vollziehung der Akteneinsicht jedoch bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichts zurückgestellt. Termine zur Hauptverhandlung sind auf den 24. Juni 2020 und auf den 15. Juli 2020 bestimmt worden.

Die Akten sind unter dem 10. Juni 2020 zur Entscheidung über die Beschwerde des Angeklagten vom 9. Juni 2020 gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 3. Juni 2020 an das Brandenburgische Oberlandesgericht übersandt worden und dort am 17. Juni 2020 eingegangen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Neuruppin vom 3. Juni 2020 als unbegründet zu verwerfen. Der Angeklagte sowie die Nebenklägerin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere gemäß § 304 Abs. 1 StPO i.V.m. § 406e Abs. 4 Satz 4 StPO - die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen abgeschlossen und Anklage erhoben - statthaft.

2. Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

a) Die Nebenklägerin hat gemäß § 406e Abs. 1 Satz 1 StPO über ihre Rechtsanwältin auch ohne Darlegung eines berechtigten Interesses einen Anspruch auf umfassende Einsicht in die Verfahrensakten.

b) Es ist nicht zu beanstanden, dass die Strafkammervorsitzende die beantragte Akteneinsicht nicht nach § 406e Abs. 2 StPO abgelehnt hat.

aa) Nach § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO ist die Einsicht in die Akten zu versagen, soweit überwiegende Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen. Bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht sind daher die Interessen der Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Vorliegend sind bei der Abwägung insbesondere die Schwere der gegen den Angeklagten erhobenen Tatvorwürfe und der Umstand zu berücksichtigen, dass angesichts der Eröffnung des Hauptverfahrens ein erheblicher Verdachtsgrad gegen ihn besteht. Hiernach kommt dem Interesse der Nebenklägerin als der mutmaßlichen Verletzten, den vollständigen Akteninhalt kennenzulernen, ein hohes Gewicht zu. Besonders sensible Daten des Angeklagten, wie sie etwa in medizinischen oder psychiatrischen Gutachten enthalten sein können, sind vorliegend nicht Aktenbestandteil; auch enthält der den Angeklagten betreffende Bundeszentralregisterauszug keine Eintragungen. Hinsichtlich der weiteren Zeugen enthält die Akte keine sensiblen Daten, die über die Schilderung der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftaten hinausgehen.

bb) Ein Versagungsgrund nach § 406e Abs. 2 Satz 2 StPO besteht nicht. Nach dieser Vorschrift kann die Akteneinsicht des Berechtigten versagt werden, soweit der Untersuchungszweck gefährdet erscheint. Eine Gefährdung des Untersuchungszwecks kann angenommen werden, wenn zu befürchten ist, dass bei Gewährung der Akteneinsicht die Sachaufklärung beeinträchtigt wird, weil etwa - wie hier vom Verteidiger geltend gemacht - die Kenntnis der Nebenklägerin vom Akteninhalt die Zuverlässigkeit und den Wahrheitsgehalt einer von ihr noch zu erwartenden Zeugenaussage beeinträchtigen kann (vgl. KG NStZ 2016, 438; OLG Braunschweig NStZ 2016, 629). Allein die Rolle der Nebenklägerin als Zeugin in dem anhängigen Strafverfahren und die deshalb durch das Akteneinsichtsrecht grundsätzlich eröffnete Möglichkeit einer "Präparierung" ihrer Aussage anhand des Akteninhalts reicht für eine Versagung der Akteneinsicht nicht aus (vgl. KG, Beschluss vom 24.11.2017 - 2 Ws 178/17,- Hans. OLG Hamburg NStZ 2015, 105). Denn zum einen geht mit der Wahrnehmung des gesetzlich eingeräumten Akteneins...

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