Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabe einer Nachlasspflegschaft an anderes Gericht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein wichtiger Grund für die Abgabe der Nachlasspflegeschaft an ein anderes Gericht i.S.v. § 75 S. 2, § 46 Abs. 1 FGG liegt vor, wenn der Nachlass hauptsächlich aus Grundstücken im Bezirk des anderen Gerichts besteht.

2. Der Übernahme der Nachlasspflegschaft durch das andere Gericht kann in diesem Falle nicht allein der Hinweis darauf sein, dass die Nachlasspflegschaft gem. § 1961 BGB im Gläubigerinteresse anzuordnen ist, entgegengehalten werden.

 

Normenkette

BGB §§ 1960-1961; FGG §§ 46, 75

 

Verfahrensgang

AG Oranienburg (Aktenzeichen 52 AR 65/05)

AG Bielefeld (Aktenzeichen 112 VI 273/05)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Oranienburg.

 

Gründe

I. Die eine Nachlasspflegschaft beantragende Gläubigerin berühmt sich verschiedener Rückgewähransprüche wegen dem Erblasser gewährter Darlehen. Sie verfügt über die vollstreckbare Ausfertigung wenigstens einer notariellen Urkunde, in der sich der Erblasser wegen einer Buchgrundschuld der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat. Diese Grundschuld lastet auf einem dem Erblasser zur ideellen Hälfte gehörenden Grundstück, das im Bezirk des AG Oranienburg belegen ist. Zudem ist die Gläubigerin die Inhaberin diverser weiterer Buchgrundschulden, die überwiegend auf im Bezirk des AG Oranienburg belegenen, dem Erblasser zur ideellen Hälfte bzw. zur gesamten Hand gehörenden Grundeigentum lasten. Auch das übrige bekannte Vermögen des Erblassers befindet sich im Land Brandenburg. Demgegenüber ist von Nachlassgegenständen am letzten Wohnsitz des Erblassers in Bielefeld nichts bekannt. Die bekannten gewillkürten und gesetzlichen Erben des Erblassers haben die Erbschaft ausgeschlagen. Die Gläubigerin hat bekundet, ihre Ansprüche gerichtlich geltend machen zu wollen.

Das als Gericht des letzten Wohnsitzes des Erblassers angerufene AG Bielefeld hat das AG Oranienburg um Zustimmung zur Übernahme der Nachlasspflegschaft ersucht. Das AG Oranienburg hat die Zustimmung mit der Begründung verweigert, dass ein Sicherungs- und Fürsorgebedürfnis für den in seinem Bezirk belegenen Nachlass nicht bestehe (aufgrund der Anordnung der Pflegschaft lediglich im Gläubigerinteresse und mangels Alleineigentums des Erblassers). Daraufhin hat das AG Bielefeld das Verfahren dem OLG Brandenburg zur Entscheidung über die Abgabe vorgelegt.

II.1. Das OLG Brandenburg hat nach § 75 S. 2, § 46 Abs. 2 S. 1 FGG über die Frage zu entscheiden, ob das an das AG Oranienburg gerichtete Übernahmeersuchen des AG Bielefeld gerechtfertigt ist. Denn die Nachlasspflegschaft soll an das AG Oranienburg abgegeben werden, das zum Bezirk des OLG Brandenburg gehört.

2. Die sachlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines Nachlasspflegers gem. §§ 1961, 1960 Abs. 1 BGB liegen vor. Die Erben sind unbekannt. Die antragstellende Gläubigerin hat ein berechtigtes Interesse an der Nachlasspflegschaft, weil sie ihre Ansprüche schlüssig und substantiiert dargelegt hat (Klingelhöffer, Vermögensverwaltung in Nachlasssachen, 2002, § 1961 BGB Rz. 78). Davon abgesehen genügt es für die Pflegerbestellung, dass es ihrer zur Durchführung der Zwangsvollstreckung bedarf (§ 778 Abs. 1 ZPO; OLG Oldenburg Rpfleger 1984, 102; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 778 Rz. 6; Klingelhöffer, Vermögensverwaltung in Nachlasssachen, 2002, § 1961 BGB Rz. 79).

3. Das an das AG Oranienburg gerichtete Übernahmeersuchen des AG Bielefeld ist gerechtfertigt, weil sich der wesentliche Nachlass im Bezirk des ersuchten Gerichts befindet. Ein wichtiger Grund für die Abgabe i.S.v. § 75 S. 2, § 46 Abs. 1 S. 1 FGG liegt namentlich vor, wenn der Nachlass hauptsächlich aus Grundstücken in einem anderen Bezirk besteht (Jansen, FGG, 2. Aufl. 1970, § 75 Rz. 3; Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 15. Aufl. 2005, § 75 Rz. 6). Das AG Bielefeld hat bei dem Übernahmeersuchen ferner ermessensfehlerfrei auf das Auseinanderfallen von Belegenheitsort und letzterem Wohnsitz des Erblassers abgestellt. Angesichts der räumlichen Entfernung zwischen Bielefeld und dem Bezirk des AG Oranienburg erscheint eine Bestellung des Nachlasspflegers durch das AG Bielefeld in der Tat unzweckmäßig, weil dadurch die Wahrnehmung seiner weitreichenden Pflichten und Befugnisse bei der Begleitung der Pflegschaft erschwert würde (§ 1962, § 1915 Abs. 1, §§ 1828-1831, 1837, 1846 BGB),

Der Berechtigung des Übernahmeersuchens steht nicht entgegen, dass es für die Bestellung eines Nachlasspflegers im Falle des § 1961 BGB auf das Erfordernis eines berechtigten Interesses des Gläubigers (s.o. 2.) ankommt. Das AG Oranienburg verkennt, dass der Pfleger auch dann die Sicherung des Nachlasses zu besorgen hat, wenn die Pflegschaft nicht aus diesem Rechtsgrund angeordnet worden ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Nachlasspflegschaft nicht eine Pflegschaft für den Nachlass als Vermögensmasse, sondern eine Personenpflegschaft für den oder die unbekannten Erben ist (statt vieler Klingelhöffer, Vermögensverwaltung...

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