Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird die Entscheidung über die Gewährung der Räumungsfrist im Urteil des Landgerichts Potsdam vom 08.01.2021 (Az: 4 O 280/19) auf Kosten des Beklagten aufgehoben und der Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist zurückgewiesen.

2. Beschwerdewert: 1.000 EUR (§ 3 ZPO)

 

Gründe

Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen die Entscheidung über die Räumungsfrist ist zulässig.

Nach überwiegender Ansicht ist dann, wenn der Schuldner Berufung einlegt und der Gläubiger die Entscheidung über die Räumungsfrist anfechten will, diesem - alternativ zu einer statthaften Anschlussberufung - auch die sofortige Beschwerde zuzubilligen, da der Weg der Anschlussberufung mit dem Risiko des § 524 Abs. 4 behaftet ist (MüKoZPO/Götz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 721 Rn. 14; Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 14. Aufl. 2019, ZPO § 721 Rn. 69; Fleindl in BeckOK Mietrecht, Schach/Schultz/Schüller, 24. Edition, Stand 01.05.2021, § 721 ZPO, Rn. 142).

2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Der Anwendungsbereich des § 721 ZPO setzt zwar nicht voraus, dass das Gericht auf Räumung von Wohnraum erkennt (Abs. 1) oder bereits erkannt hat (Abs. 2). Der Wortlaut scheint den Anwendungsbereich zwar auf Räumungstitel im engeren Sinne zu beschränken, also auf solche Entscheidungen, die den Schuldner neben der Herausgabe auch zum Wegschaffen seiner Sachen aus den Räumen verpflichten. Der Zweck der Norm verbietet aber ein derart enges Verständnis: Für die "Räumung" im Sinne der vollstreckungsschutzrechtlichen Normen genügt jede nach § 885 ZPO zu vollstreckende Entscheidung, weshalb auch Titel erfasst werden, die den Schuldner (nur) zur Herausgabe oder zur Überlassung der Räume verpflichten. Denn auch in diesem Fall ist der Schuldner von Obdachlosigkeit bedroht, was § 721 ZPO gerade vermeiden soll (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter, 14. Aufl. 2019, ZPO § 721 Rn. 11).

Dem Beklagten war aber keine Räumungsfrist bis zum 30.06.2021 zu gewähren.

Das Gesetz definiert die Voraussetzungen, unter denen dem Räumungsschuldner nach § 721 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Räumungsfrist bewilligt werden kann, nicht näher. Er spricht lediglich davon, dass ihm eine den Umständen angemessene Räumungsfrist gewährt werden kann. Die Entscheidung über die Bewilligung einer Räumungsfrist steht daher im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Dieses hat die Interessen der Parteien aufgrund des vorgetragenen Sachverhaltes gegeneinander abzuwägen und anhand des Gesetzeszweckes - Vermeidung von Obdachlosigkeit - eine den Umständen des Einzelfalles angemessene Entscheidung zu treffen. Hierbei verbietet sich eine schematisch einseitige Betrachtung der Interessenlage zu Gunsten des Schuldners, wenn dieser ohne nähere Darlegung geltend macht, er habe bisher keinen Ersatzwohnraum gefunden. Vielmehr ist in jedem Einzelfall darauf abzustellen, ob das Interesse des Schuldners an einem Räumungsaufschub höher zu bewerten ist als das Interesse des Gläubigers an der sofortigen Räumung. Der gerichtliche Ermessensspielraum gilt auch bei der Bemessung der Länge der zu bewilligenden Räumungsfrist (BeckOK MietR, Zwangsvollstreckung Rn. 120).

Macht der Schuldner geltend, es sei ihm nicht möglich, bis zur voraussichtlichen Zwangsräumung durch den Gläubiger eine angemessene Ersatzwohnung zu finden, muss der Schuldner grundsätzlich substantiiert darlegen und ggf. nachweisen, dass er seine Obliegenheiten zur Ersatzwohnraumsuche erfüllt hat (Schmidt-Futterer/Lehmann-Richter ZPO § 721 Rn. 21). Eine solche Obliegenheit besteht für den Schuldner spätestens dann, wenn er bei Anwendung objektiver Maßstäbe erkennen konnte, dass seine Klageverteidigung im Räumungsverfahren nicht erfolgversprechend ist (BeckOK MietR, Zwangsvollstreckung Rn. 121, beck-online). Er kann nicht in jedem Fall unbekümmert auf die Abweisung der Räumungsklage hoffen, sondern muss sich zumindest dann, wenn die Wirksamkeit der Kündigung auf der Hand liegt, ab Kenntnis der Kündigungserklärung nach einer Ersatzwohnung umsehen. Nur wenn die danach zur Verfügung stehende Zeit unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Lage am Wohnungsmarkt, der Bedürfnisse des Schuldners und der Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen nicht ausreichend erscheint, ist die Bewilligung einer längeren Räumungsfrist mit den Interessen des Gläubigers vereinbar(MüKoZPO/Götz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 721 Rn. 12).

Dies zugrunde gelegt lässt sich nicht feststellen, dass der Beklagte trotz Erfüllung seiner Obliegenheit zur Suche von Ersatzwohnraum nicht in der Lage war, rechtzeitig eine Ersatzwohnung zu finden.

Hierzu war er jedenfalls nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 14.08.2020 angehalten, da er spätestens zu diesem Zeitpunkt damit rechnen musste, dass das von ihm gegen den Herausgabeanspruch geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht nicht zum Erfolg führen würde. Das Gericht hat ihn in diesem Termin darauf hingewiesen, dass ein Verwendungsersatzanspruch nicht hinreichend dargetan war und ihm eine Schriftsatzfrist für ergänz...

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