Rn 11

In den Geltungsbereich der Regelung aus Abs. 1 fallen zunächst Vollstreckungsmaßnahmen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen. Zur Bestimmung der Zugehörigkeit eines Vermögensgegenstands zur Insolvenzmasse ist wiederum auf die Vorschriften der §§ 3537 abzustellen. Danach gehört gemäß § 35 nunmehr auch das Vermögen zur Insolvenzmasse, das der Schuldner während des Insolvenzverfahrens erwirbt, sog. Neuerwerb, soweit es gemäß § 36 i.V.m. den allgemeinen Vorschriften der Zwangsvollstreckung unterliegt. Mit der Einbeziehung dieses Neuerwerbs hat auch die zweite in Abs. 1 geregelte Fallgruppe der Vollstreckung in das sonstige Vermögen des Schuldners gegenüber der früheren Rechtslage nach den §§ 1, 14 KO weitgehend an Bedeutung verloren.

 

Rn 12

Sonstiges Vermögen kann demnach nur noch bestehen aus Vermögensgegenständen, die nach § 36 nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, vom Insolvenzverwalter in zulässiger Weise aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben wurden oder die der Schuldner erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens künftig erwirbt. Mit der Einbeziehung dieses sonstigen Vermögens in das Vollstreckungsverbot sind also auch keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Unterhalts- oder Deliktsgläubigern mehr nach § 850d, § 850f Abs. 2 ZPO in den Teil der Bezüge möglich, der normalerweise nicht der Zwangsvollstreckung und damit dem Insolvenzbeschlag unterliegt, soweit diese Gläubiger Insolvenzgläubiger i.S.d. §§ 38, 39 sind, also Ansprüche auf Unterhalt für die Zeit vor der Verfahrenseröffnung oder aus einem vor Verfahrenseröffnung begangenen Delikt haben. Wegen des Unterhalts für die Zeit nach Verfahrenseröffnung oder der Ansprüche aus nach diesem Zeitpunkt begangenen vorsätzlichen Delikten können deren Gläubiger in den nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO erweitert pfändbaren Teil sowohl der laufenden als auch der künftigen Bezüge vollstrecken, da sie keine Insolvenzgläubiger (vgl. §§ 38, 40) und deshalb nicht von § 89 Abs. 1 betroffen und durch § 89 Abs. 2 Satz 2 auch vom Verbot des § 89 Abs. 2 Satz 1 befreit sind (s.u. bei Rn. 16).

 

Rn 13

Das Vollstreckungsverbot gilt bei inländischen Insolvenzverfahren auch für das Auslandsvermögen des Insolvenzschuldners (sog. Universalitätsprinzip). Die Maßgeblichkeit des deutschen Rechts ergibt sich in diesem Fall für Auslandsvermögen, das sich in einem Mitgliedsstaat der EU (ausgenommen Dänemark) befindet, aus Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. f EuInsVO,[39] für sonstiges Auslandsvermögen aus § 335.[40] Die Unzulässigkeit der Vollstreckung in Auslandsvermögen während eines in Deutschland anhängigen Insolvenzverfahrens bedeutet aber nicht stets, dass dieses Vollstreckungsverbot im Ausland auch durchsetzbar ist; es ist dies nicht, wenn das ausländische Recht das deutsche Insolvenz(kollisions)recht oder jedenfalls das Vollstreckungsverbot nicht anerkennt. Dies kann außerhalb des Geltungsbereichs der EuInsVO durchaus vorkommen.[41] Im Fall einer erfolgreichen Vollstreckung in zur Insolvenzmasse gehörendes Auslandsvermögen (nicht auch bei Vollstreckung in sonstiges Auslandsvermögen des Insolvenzschuldners) hat der Insolvenzverwalter aber nach § 342 Abs. 1 gegen den Insolvenzgläubiger einen Anspruch auf Herausgabe des Erlangten nach den Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung.[42]

[39] Das AG Duisburg ZInsO 2003, 476 (477) und HambKomm-Kuleisa, § 89 Rn. 11, stützen das Ergebnis auf Art. 16, 17 EuInsVO. Doch wären die Kollisionsnormen der Art. 4 ff. EuInsVO überflüssig, wenn sich bereits aus der Anerkennung des Eröffnungsbeschlusses ergäbe, dass das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung auch für alle Wirkungen der Insolvenzeröffnung maßgeblich sei. Freilich ist die Formulierung des Art. 17 EuInsVO nicht sonderlich glücklich (in diesem Sinne auch MünchKomm-Reinhart, Art. 17 EuInsVO Rn. 1).
[40] §§ 335 ff. wurden angefügt durch das Gesetz vom 14.03.2003 (BGBl. I, S. 345). Zur Abgrenzung des Anwendungsbereichs von EuInsVO und Art. 102 EGInsO n.F. einerseits und §§ 335 ff. andererseits siehe Pannen in diesem Kommentar, Vorbem. zu §§ 335 ff. Rn. 1 ff.
[41] Im Geltungsbereich der EuInsVO dürfte es den Fall, dass ein ausländisches Recht bei der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in Deutschland und ohne Eröffnung eines Territorialinsolvenzverfahrens (Art. 3 Abs. 24 EuInsVO) in einem anderen Mitgliedsstaat der EU dem deutschen Vollstreckungsverbot die Anerkennung verweigert, dagegen nicht geben. Denn Art. 4 EuInsVO bindet alle Mitgliedsstaaten der EU (ausgenommen Dänemark, vgl. Erwägungsgrund Nr. 33) an das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung. Sollte ein Gläubiger durch eine danach unzulässige Vollstreckung etwas erlangt haben, dessen Erwerb auch nicht durch Art. 5 oder 7 EuInsVO geschützt ist, so ist er zur Herausgabe an den Insolvenzverwalter verpflichtet (Art. 20 Abs. 1 EuInsVO).
[42] Dies entspricht im Ergebnis der Rechtsprechung des BGH zur KO, die – wie bis 2003 auch die InsO – eine dem § 342 Abs. 1 entsprechende Vorschrift nicht kannte. S. u. bei und in Fn. 4...

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