Gesetzestext

 

1Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte. 2Hat er vor der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnung geleistet, so wird vermutet, daß er die Eröffnung nicht kannte.

1. Allgemeines: Zweck und Anwendungsbereich

 

Rn 1

§ 82 stellt eine Ergänzung zu § 81, nämlich eine Lockerung der dort festgelegten rigiden Grundsätze im Interesse eines leistenden Schuldners, dar. Auch die Entgegennahme einer der Insolvenzmasse gebührenden Leistung durch den Insolvenzschuldner ist eine Verfügung i.S.d. § 81 (oder einer solchen unabhängig von der bevorzugten Erfüllungstheorie jedenfalls insolvenzrechtlich gleichzustellen), weil sie zum Erlöschen des zugrunde liegenden massezugehörigen Anspruchs führen würde. § 81 verhindert dieses Erlöschen, enthält aber – außer dem Verweis auf bestimmte registerrechtliche Vorschriften in Absatz 1 Satz 2 – selbst keine Regelung zum Schutz des guten Glaubens eines Beteiligten. Wohl aber enthält § 82 eine Schutzvorschrift speziell für den gutgläubigen Drittschuldner und damit eine Einschränkung des § 81. Sie beruht auf dem Gedanken, dass ein Schuldner des Insolvenzschuldners schutzbedürftiger ist als dessen Gläubiger: Der Schuldner hat weniger Anlass, die Vermögenslage des Insolvenzschuldners zu überwachen, als ein Gläubiger, und ihm drohen aus der Unwirksamkeitsfolge des § 81 härtere Nachteile als einem Gläubiger.[1]

Wie § 81 ist auch § 82 über die in § 24 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Nr. 2 enthaltene Verweisung dann bereits im Eröffnungsverfahren anwendbar, wenn (ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und) dem Schuldner ein (allgemeines[2]) Verfügungsverbot oder ein Zustimmungsvorbehalt auferlegt worden ist. So wird eine Bank, die im Eröffnungsverfahren an ihren Kunden aus einem kreditorischen Kundenkonto geleistet hat (sei es durch Barauszahlung, sei es durch Ausführung eines vom Kunden erteilten Überweisungsauftrags), befreit, wenn sie bei der Leistung keine Kenntnis davon hat, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellt worden ist, der der Verfügung nicht zugestimmt hat.[3]

In entsprechender Anwendung des § 82 wird ein Schuldner befreit, wenn er nach der Freigabe einer Forderung durch den Insolvenzverwalter oder nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens in Unkenntnis dieser Umstände noch an den nicht mehr empfangszuständigen Insolvenzverwalter leistet.[4]

 

Rn 2

In § 8 Abs. 1 KO war unabhängig von Kenntnis oder Unkenntnis von der Verfahrenseröffnung eine Befreiung des Leistenden von seiner Verbindlichkeit auch insoweit angeordnet worden, als das Geleistete in die Konkursmasse gekommen ist. Nach der Begründung zum Regierungsentwurf der InsO sollte § 8 KO redaktionell verkürzt, aber inhaltlich unverändert in die InsO übernommen werden.[5] Auch unter der InsO soll also der Leistende gegenüber der Insolvenzmasse selbst bei positiver Kenntnis von der Verfahrenseröffnung befreit werden, wenn er zwar an den Insolvenzschuldner leistet, das Geleistete aber, etwa infolge Weiterleitung durch den Insolvenzschuldner, in die Insolvenzmasse gelangt, d. h. dem Insolvenzverwalter tatsächlich[6] zur Verfügung steht. Mit etwas verkrampften Konstruktionen versuchen Teile des Schrifttums, dieses gewünschte Ergebnis dogmatisch zu begründen:[7] Der den Leistungsgegenstand an den Insolvenzverwalter weitergebende Insolvenzschuldner wird als Drittleistender i.S.d. § 267 BGB apostrophiert, oder es wird die Entgegennahme des Leistungsgegenstandes seitens des Insolvenzverwalters als Genehmigung der Leistung an den Insolvenzschuldner gemäß § 362 Abs. 2 i.V.m. § 185 Abs. 2 Satz 1 Fall 1 BGB ausgegeben. Käme es auf solche dogmatische Rechtfertigung an, so wäre das gewollte Ergebnis nicht in jedem Fall verlässlich und ohne Nebenwirkungen erreicht. Die Deutung der Entgegennahme der Leistung seitens des Insolvenzverwalters als Genehmigung könnte wegen der durch § 184 Abs. 1 BGB verordneten Rückwirkung zum Verlust von Nebenrechten (z.B. Verzugszinsen, Vertragsstrafen, Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung) führen.[8] Zwecks Vermeidung solcher Nebeneffekte und anderer Irritationen muss man die Gesetzesbegründung – inhaltlich unveränderte Übernahme des § 8 KO – als Gesetzestext nehmen.[9] Dann tritt die Befreiung unabhängig davon ein, wie der Leistungsgegenstand in die Masse gelangt ist – ob mit dem Willen oder ohne den Willen des Insolvenzschuldners bzw. des Leistenden, und sie tritt ex nunc erst mit dem Zeitpunkt ein, zu dem das Geleistete in die Masse gekommen ist. Das in die Masse Gelangte befreit den Schuldner aber nur dann, wenn es sich um die geschuldete Leistung handelt, nicht schon dann, wenn es nur wertmäßig der geschuldeten Leistung entspricht, wenn z.B. der Leistende eine Masseverbindlichkeit oder den Anspruch eines Absonderungsberechtigten tilgt.[10] § 8 Abs. 1 KO wollte und § 82 will dem Schuldne...

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