§ 275 Mitwirkung des Sachwalters

 

(1) Verbindlichkeiten, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, soll der Schuldner nur mit Zustimmung des Sachwalters eingehen. Auch Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören, soll er nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht.

(2) Der Sachwalter kann vom Schuldner verlangen, dass alle eingehenden Gelder nur vom Sachwalter entgegengenommen und Zahlungen nur vom Sachwalter geleistet werden.

1. Bisherige gesetzliche Regelung

 

Rn 1

Die Vorschrift wurde bei Neuschaffung der Insolvenzordnung mit Gesetz vom 5.10.1994 (BGBl. I S. 2866) eingeführt und gilt seitdem unverändert. Sie ist dem früheren § 57 VglO nachgebildet.

2. Allgemeines

 

Rn 2

§ 275 ist neben § 274 die weitere Grundnorm für die Aufgabenteilung zwischen dem Schuldner und dem Sachwalter. Er setzt voraus, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Gegenstände der Insolvenzmasse im Eigenverwaltungsverfahren beim Schuldner verbleibt.

 

Rn 3

Gleichzeitig erlegt Abs. 1 dem Schuldner aber im Hinblick auf die einzugehenden Verpflichtungen ein Abstimmungsverhalten mit dem Sachwalter auf, so dass eine die Gläubigerinteressen wahrende "Voreinstellung" der Geschäftsführung sicher gestellt ist. Dass der Schuldner die Geschäfte nur in Abstimmung mit dem Sachwalter vornehmen soll und in der Geschäftsführung nicht völlig frei ist, spiegelt die Situation wieder, in der er sich befindet: Letztlich ist der Schuldner insolvent und kann als Geschäftsführer von den Gläubigern jederzeit durch den Insolvenzverwalter ersetzt werden. Die Vorschrift wirkt daher auch präventiv zugunsten der Gläubigerinteressen: Da der Schuldner befürchten muss, bei Verletzung seiner Abstimmungspflichten durch einen Insolvenzverwalter ersetzt zu werden, wird er von sich aus den engen Kontakt mit dem Sachwalter suchen und diesen informiert halten. Die Entscheidungskompetenz bleibt aber beim Schuldner und es liegt bei ihm, ob er sich der Festlegung des Sachwalters widersetzen und ggf. die Gläubigerversammlung oder das Insolvenzgericht von der Zweckmäßigkeit seines Handelns überzeugen möchte.

 

Rn 4

Abs. 2 ermöglicht dem Sachwalter, das Recht zur Führung von Kasse und Konto zu übernehmen.

 

Rn 5

Wie § 274 gilt auch § 275 gemäß § 270a Abs. 1 Satz 2 für den im Eröffnungsverfahren bestellten vorläufigen Sachwalter.[1]

[1] Vgl. zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Eröffnungsverfahren § 270a Rn. 11 a.

3. Verbindlichkeiten

 

Rn 6

Abs. 1 verlangt vom Schuldner, bestimmte Geschäfte zu unterlassen, wenn der Sachwalter mit ihnen nicht einverstanden ist. Dieses Gebot umfasst das Eingehen von Verbindlichkeiten.[2] Es bindet den Schuldner umso fester, je bedeutender das betroffene Verpflichtungsgeschäft ist. Erfüllungsgeschäfte kann der Schuldner demgegenüber vertragsgemäß vornehmen,[3] ohne dies mit dem Sachwalter abstimmen zu müssen.

[2] Weder dem Wortlaut noch dem Gesetzeszweck ist zu entnehmen, dass von Abs. 1 nur das Eingehen von Geldzahlungspflichten des Schuldners erfasst sein soll. Auch das Eingehen von Verbindlichkeiten, die unmittelbar erfüllt zu werden pflegen, ist von Abs. 1 inbegriffen, a. A. FK-Foltis, 6. Aufl. 2011, § 275 InsO Rn. 6.
[3] Soweit es sich um Masseverbindlichkeiten handelt.

3.1 Gewöhnlicher Geschäftsbetrieb

 

Rn 7

Zunächst unterscheidet Abs. 1 zwischen Verbindlichkeiten, die zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören und solchen, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb gehören. Diese Abgrenzung ist bereits aus dem Handelsrecht bekannt und findet sich fast wortgleich in § 54 HGB wieder. Während die dortige Regelung jedoch auf die Branchenüblichkeit des Geschäfts abstellt,[4] ist bei Abs. 1 die Gewöhnlichkeit für das konkret in der Eigenverwaltung befindliche Unternehmen gemeint. Hintergrund der Unterscheidung ist nämlich, dass gewöhnliche Geschäfte zumeist gut planbar sind und eine derartige Planung oder zumindest Erwartung eine Grundlage für die Anordnung der Eigenverwaltung gemäß § 270 Abs. 2 sein wird. Möchte der Schuldner jedoch Geschäfte tätigen, die üblicherweise in seinem Unternehmen nicht vorkommen, gefährdet das eventuell die Prognose für die Besser- oder Schlechterstellung der Gläubiger durch die Eigenverwaltung. Als gewöhnlich darf daher auch im Hinblick auf Geschäfte mit großer Tragweite nur angesehen werden, was aus Sicht der Gläubiger während der Zeit der Eigenverwaltung vorhersehbar ist. Einen Anhaltspunkt bieten Art und Umfang des bisherigen Schuldnergeschäfts.[5]

 

Rn 8

Nicht zu verwechseln ist die nach Abs. 1 zu treffende Unterscheidung mit der Identifizierung der Rechtshandlungen, die für das Insolvenzverfahren von besonderer Bedeutung sind und für die der Schuldner – ggf. zusätzlich – nach § 276 die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen hat.

[4] Vgl. z.B. Baumbach/Hopt-Hopt, 35. Aufl. 2012, § 54 HGB Rn. 10.
[5] MünchKomm-Wittig/Tetzlaff, 2. Aufl. 2008, § 275 InsO Rn. 7.

3.2 Zustimmung im Innenverhältnis

 

Rn 9

Schon gewöhnliche Verpflichtungen soll der Schuldner nach Abs. 1 Satz 2 nicht eingehen, wenn der Sachwalter widerspricht. Zu einem solchen Widerspruch kann es beispielsweise kommen, wenn während der Eigenverwaltung geplante Verkaufszahlen nicht eingehalt...

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