Rn 9

Wird vom Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 gegen den Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot verhängt und gleichzeitig gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 als weitere Sicherungsmaßnahme ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, so bestimmt § 22 Abs. 1, dass die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Schuldnervermögen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Damit ist die Stellung des vorläufigen Verwalters in dieser Hinsicht identisch mit derjenigen des Verwalters im eröffneten Verfahren (vgl. § 80 Abs. 1). Auch dem vorläufigen Verwalter steht in der Folge das uneingeschränkte Recht zu, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen insgesamt zu verwalten und über einzelne Vermögensgegenstände zu verfügen. Der vorläufige Verwalter hat damit bereits im Eröffnungsstadium die Möglichkeit, ohne auf die Mitwirkung des Schuldners bzw. seiner organschaftlichen Vertreter angewiesen zu sein, eigenverantwortlich das Unternehmen nach seinen Vorstellungen fortzuführen und vor allem durch Verhandlungen mit den Beteiligten (Banken, Lieferanten, Arbeitnehmern, Betriebsrat etc.) eine ggf. mögliche Sanierung vorzubereiten. Der vorläufige Verwalter kann aber auch nicht mehr Rechte haben, als der endgültige Verwalter. So unterliegen auch besonders bedeutsame Rechtshandlungen des vorläufigen Verwalters in analoger Anwendung des § 160 der Zustimmung. Diese muss jedoch im Eröffnungsverfahren das Insolvenzgericht erteilen, da weder ein Gläubigerausschuss, noch eine Gläubigerversammlung vorhanden sind und der eventuell eingesetzte vorläufige Gläubigerausschuss strukturelle Defizite im Vergleich zum Gläubigerausschuss des eröffneten Verfahrens aufweist (siehe hierzu die Kommentierung zu § 22 a Rdn. 7).[12]

 

Rn 10

Mit dieser Rechtsstellung des vorläufigen Verwalters korrespondiert eine gesteigerte Amtspflicht des Insolvenzgerichts, bei der Auswahl einer geeigneten Verwalterpersönlichkeit sorgfältig vorzugehen und insbesondere die nach dem jeweiligen Einzelfall erforderliche Qualifikation des in Aussicht genommenen Verwalters zu überprüfen (siehe hierzu die Kommentierung zu § 21 Rdn. 30). Aufgrund der umfassenden Befugnisse des vorläufigen Verwalters im Eröffnungsverfahren kommt der Auswahl eines geeigneten Verwalters noch mehr als bisher eine verfahrensentscheidende Bedeutung zu. Wie schon in der früheren Sequestration werden bei der vorläufigen Insolvenzverwaltung nach der InsO die Weichen für ein später erfolgreiches Insolvenzverfahren gestellt. Es bleibt also den Insolvenzrichtern zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nichts Anderes übrig, als sich die notwendigen insolvenzspezifischen Kenntnisse im Rahmen von Fortbildungen zu verschaffen, um die Qualität und Effektivität der Maßnahmen eines vorläufigen Verwalters sehr schnell beurteilen und im Einzelfall zur Abwendung von Schädigungen der Verfahrensbeteiligten entsprechend tätig werden zu können. Dies ist nicht nur eine Zweckmäßigkeitsfrage, sondern ergibt sich aus der über § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 58 ausdrücklich geregelten Aufsichtspflicht des Insolvenzgerichts. Diese ist als Amtspflicht gegenüber sämtlichen Verfahrensbeteiligten ausgestaltet, deren Verletzung ggf. zu einer Haftung des Amtsträgers gemäß § 839 BGB führen kann. Die gesteigerten Anforderungen an den Insolvenzrichter haben den Gesetzgeber im Übrigen auch dazu veranlasst in § 22 Abs. 6 GVG ausdrücklich vorzusehen, dass grundsätzlich nur Richter in Insolvenzsachen eingesetzt werden sollen, die über belegbare Kenntnisse auf den Gebieten des Insolvenzrechts, des Handels- und Gesellschaftsrechts sowie über Grundkenntnisse der für das Insolvenzverfahren notwendigen Teile des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts und des Rechnungswesens verfügen.[13] Die Regelung hat sich jedoch, insbesondere vor dem Hintergrund des Einsparprimats der Landesregierungen, als weitgehend wirkungslos erwiesen.[14]

 

Rn 11

Die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter mit Verfügungsbefugnis begründeten Verbindlichkeiten gelten gemäß § 55 Abs. 2 nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 1. Damit kann auch der vorläufige Verwalter insbesondere bei Betriebsfortführungen beispielsweise Lieferanten die Erfüllung ihrer während des Eröffnungsstadiums begründeten Ansprüche auch nach Eröffnung des Verfahrens garantieren. Die vorläufige Unternehmensfortführung wird damit auf der einen Seite erleichtert, andererseits verschärft sich die Situation des vorläufigen Verwalters, da nach § 55 Abs. 2 Satz 2 auch Verbindlichkeiten aus Dauerschuldverhältnissen nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten, soweit der vorläufige Insolvenzverwalter für das von ihm verwaltete Vermögen die Gegenleistung in Anspruch genommen hat.[15] Diese Rechtsfolge tritt sofort mit Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter ein, unabhängig von einer Kenntnis bzw. Einflussmöglichkeit des vorläufigen Verwalters. Die Gläubiger solcher Verbindlichkeiten werden ...

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