Rn 7

Ebenso wie die Eröffnungsgründe der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung ist auch die drohende Zahlungsunfähigkeit legal definiert.

Danach droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.

Der Begriff der "drohenden Zahlungsunfähigkeit" existiert bereits im Strafrecht (§§ 283, 283d StGB), ohne dass dieser Begriff bislang vom Gesetzgeber definiert wurde. Die Legaldefinition des Abs. 2 soll auch für die strafrechtlichen Bedingungen Relevanz bekommen.[7]

 

Rn 8

Die Beantwortung der Frage, ob Zahlungsunfähigkeit droht, bedarf einer Prognose der zukünftigen Entwicklung der Liquiditätslage des Schuldners.

Bereits für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit nach dem früheren Insolvenzrecht wurde vereinzelt gefordert, nicht nur die bereits aktuell fälligen (und ggf. von den Gläubigern ernsthaft eingeforderten) Zahlungspflichten zu berücksichtigen, sondern auch die bereits begründeten, demnächst fällig werdenden Zahlungspflichten, um den Anwendungsbereich der Zahlungsunfähigkeit zu erweitern und der einschränkenden Auslegung des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit entgegenzuwirken.[8]

 

Rn 9

Diesen Gedanken der sog. Zeitraumilliquidität im Gegensatz zur Zeitpunktilliquidität hat der Gesetzgeber mit Schaffung des Eröffnungsgrunds der drohenden Zahlungsunfähigkeit aufgenommen. Die Schaffung des Eröffnungsgrunds der drohenden Zahlungsunfähigkeit impliziert für den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit jedoch die Anwendung der Grundsätze für eine Zeitpunktilliquidität, soweit es um die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit geht; dort ist also nur auf die bereits fälligen Zahlungspflichten abzustellen.

 

Rn 10

Aufgrund der ausdrücklichen Definition des Abs. 2 sind hingegen für die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch die bereits begründeten, aber noch nicht fälligen Zahlungspflichten zu berücksichtigen.[9] Der BGH hat diese Streitfrage bislang offengelassen und lediglich klargestellt, dass bei der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit bestehende Zahlungspflichten zu beachten sind, deren Fälligkeit im Prognosezeitraum nicht sicher, jedoch überwiegend wahrscheinlich ist.[10]

Für die Vorausschau der Liquiditätsentwicklung sind zunächst alle bereits bestehenden, aber auch erst noch fällig werdenden Verbindlichkeiten einzubeziehen.[11] Streitige oder sonstig ungewisse Verbindlichkeiten sind ebenso zu beachten, allerdings kann bei diesen ein Sicherheitsabschlag angesetzt werden. Ergibt die Prognose, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung, droht die Zahlungsunfähigkeit.[12] Bei künftigen Zahlungsverpflichtungen ist nicht bloß von einer künftigen Entstehung auszugehen, sondern es kommt auf die Höhe, den Wahrscheinlichkeitsgrad und den Zeitpunkt an.[13]

 

Rn 11

Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) wurde Absatz 2 Satz 2 mit Wirkung ab dem 01.01.2021 neu in die Norm aufgenommen.[14] Es geht um eine legislatorische Vorgabe für einen bis dato nicht näher definierten Zeitraum der Prognose. Bis zur Einführung war die Dauer des Prognosezeitraums streitig. Für den Prognosezeitraum wurden Zeiträume zwischen einigen Monaten bis zu drei Jahre oder das Fälligkeitsdatum der spätesten Forderung vorgeschlagen.[15]

Das System der Insolvenzantragsgründe wird durch die Ergänzung der Norm angepasst. Anlass dazu gibt zum einen die weitgehende Überlappung zwischen der drohenden Zahlungsunfähigkeit, welche den Schuldner berechtigt, einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen, und die Überschuldung, welche zu einer solchen Antragstellung verpflichtet.[16]

Durch die Einführung des Zeitraums von in der Regel 24 Monaten bei § 18 einerseits, und der gleichzeitigen gesetzlichen Erweiterung des § 19 um einen Prognosezeitraum von 12 Monaten andererseits, werden die beiden Antragsgründe hinreichend voneinander unterscheidbar[17] und abgrenzbar.[18] Zudem ist dies für die Praxis damit ein praktikablerer[19] und mit höherer Sicherheit ausgestatteter Vorgang, als sich auf unklare Definitionen und Einzelfallkasuistik einlassen zu müssen.

Durch den neuen Absatz 2 Satz 2 wird festgelegt, dass für die drohende Zahlungsunfähigkeit in aller Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist. Durch diese Regelung werden Unsicherheiten hinsichtlich der Dauer des Prognosezeitraums der drohenden Zahlungsunfähigkeit beseitigt. Die Prognosefähigkeit sinkt mit der zeitlichen Erstreckung der Prognosezeiträume.

Der Prognosezeitraum gilt "in aller Regel". In Einzelfällen kann damit auch auf einen kürzeren oder längeren Prognosezeitraum abzustellen sein. Hierdurch können Besonderheiten des Schuldners oder seines Geschäftsbetriebs berücksichtigt werden.[20]

 

Rn 12

Innerhalb des insoweit determinierten Prognosezeitraums sind dann auch solche Zahlungspflichten zu berücksichtigen, die zwar noch nicht begründ...

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