Rn 38

Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB sind die einzelnen Vermögensgegenstände und Schuldpositionen solange mit dem Fortführungswert zu bewerten, wie nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten gegen eine Fortführung der Unternehmenstätigkeit sprechen. Hiervon ist nicht bereits deshalb auszugehen, weil Insolvenzgründe eingetreten sind und das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.[74] Vielmehr muss der Insolvenzverwalter – wenn nicht schon der Schuldner oder der vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb eingestellt hat – eine Prognose über die voraussichtliche Fortführung des Geschäftsbetriebs (durch den Schuldner selbst oder einen Unternehmenserwerber) treffen; praktisch wird er ein Unternehmenskonzept zu entwickeln und fortzuschreiben haben.[75]

 

Rn 39

Stichtag für diese Prognose ist der Tag der Verfahrenseröffnung. Weil aber die diesbezügliche Entscheidung grundsätzlich den Gläubigern vorbehalten ist (§§ 157, 158), kann (und sollte) der Verwalter die Eröffnungsbilanz erst nach dem Berichtstermin aufstellen; diese Möglichkeit ist ihm ausdrücklich eingeräumt worden (§ 155 Abs. 2 Satz 2).[76] Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn zwar der Geschäftsbetrieb vorläufig fortgesetzt wird, aber bereits zum Stichtag der Verfahrenseröffnung mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht fortgesetzt, sondern in absehbarer Zeit eingestellt werden wird. Ob von Fortführungswerten immer dann ausgegangen werden sollte, wenn eine Geschäftsfortführung für zumindest zwölf Monate nach Insolvenzeröffnung geplant und in die Wege geleitet worden ist,[77] erscheint eher zweifelhaft.

 

Rn 40

Erstellt der Insolvenzverwalter die Eröffnungsbilanz vorab, sollte er regelmäßig von der (vorläufigen) Fortführung des Unternehmens ausgehen. Seine Eröffnungsbilanz ist unter Übernahme der Wertansätze aus der Schlussbilanz des Schuldners zu entwickeln (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB); die Gliederungs-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften der §§ 242 ff. HGB sind zu beachten.[78] Entscheiden sich die Gläubiger im Berichtstermin gegen eine Fortführung des Geschäftsbetriebs, handelt es sich insoweit nicht um eine werterhellende Tatsache, die noch bei der Eröffnungsbilanz zu berücksichtigen wäre. Vielmehr ist der Wechsel von Fortführungs- zu Zerschlagungswerten in der Rechnungslegung während des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen.

[74] So aber z. B. Jaeger-Eckardt, § 155 Rn. 82 f.; Baumbach/Hopt-Merkt, § 252 Rn. 7; wie hier Uhlenbruck-Sinz § 155 Rn. 13. Die Berufsauffassung der Wirtschaftsprüfer zur Fortführungsprognose ist durch das IDW vor allem in den Hinweisen IDW PS 270 (Die Beurteilung der Fortführung der Unternehmenstätigkeit im Rahmen der Abschlussprüfung) und IDW RS HFA 17 (Auswirkungen einer Abkehr von der Going-Concern-Prämisse auf den handelsrechtlichen Jahresabschluss) niedergelegt.
[75] Vgl. Basinski/Hillebrand/Lambrecht, Handbuch der InsO-Rechnungslegung, Rn. 352 ff. sowie überblicksartig § 148 Rn. 64 ff.
[76] Hierin liegt der maßgebliche Unterschied zur Liquidation nach gesellschaftsrechtlichen Regelungen, wenngleich auch die ganz überwiegende Auffassung im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum davon ausgeht, dass die gesellschaftsrechtliche Liquidationsentscheidung in der Regel nicht zur Einstellung des Geschäftsbetriebs führt, so dass jedenfalls bei der Schlussbilanz für das Rumpfgeschäftsjahr auf Fortführungswerte abzustellen ist, vgl. nur Hüffer-Koch, AktG, § 270 Rn. 7; Baumbach/Hueck-Haas, § 71 Rn. 3.
[77] Jaeger-Eckardt, § 155 Rn. 93; zu den angedachten Zeiträumen vgl. z. B. Basinski/Hillebrand/ Lambrecht, Handbuch der InsO-Rechnungslegung, Rn. 362 ff.
[78] MünchKomm-Füchsl/Weishäupl/Jaffé, § 155 Rn. 6.

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