Rn 35

Der Insolvenzverwalter hat zu Beginn des Verfahrens eine Eröffnungsbilanz und zum Schluss eines jeden Geschäftsjahres einen Jahresabschluss zu erstellen. Dieser umfasst die Bilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung, ggf. auch einen Erläuterungsanhang und einen Lagebericht. Konzernrechnungslegungsverpflichtungen bestehen ggf. zusätzlich (§§ 242 ff., 264 ff., 290 ff. HGB). Eine Rechnungslegung kann zudem nach den Bestimmungen des PublG erforderlich sein. Die Abschlüsse sind "innerhalb der einem ordnungsgemäßen Geschäftsgang entsprechenden Zeit" aufzustellen (§ 243 Abs. 3 HGB); bei mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften und Personalhandelsgesellschaften ohne mindestens eine natürliche Person als vollhaftenden Gesellschafter (§ 264 a HGB) beträgt die Frist drei Monate nach Abschluss des Geschäftsjahrs, bei kleinen Gesellschaften maximal sechs Monate (§ 264 Abs. 1 Sätze 3 und 4 HGB).

2.5.1 Eröffnungsbilanz

 

Rn 36

Die Eröffnungsbilanz lässt sich nur sehr eingeschränkt aus dem Masseverzeichnis (§ 151) und dem Gläubigerverzeichnis (§ 152) entwickeln bzw. daran angleichen.[71] Das folgt formal schon aus dem Umstand, dass die Eröffnungsbilanz grundsätzlich an die vorausgegangenen Jahresabschlüsse anschließen muss. Auch in der Sache (der Methode der Einzelbewertung) bestehen erhebliche Unterschiede zwischen der internen Rechnungslegung, die im Interesse der Gläubiger ein möglichst realistisches Bild von der aktuellen Vermögenslage des Schuldners geben soll, und der externen Rechnungslegung, die standardisiert i. d. R. die Grundlage für die Gewinnfeststellung zugunsten der Anteilseigner und die Besteuerung im fiskalischen Interesse bilden soll.[72]

 

Rn 37

Abweichend zur Rechtslage in der werbend tätigen Gesellschaft sind in der Insolvenzeröffnungsbilanz vor allem Rückstellungen für den gesamten wirtschaftlichen Aufwand der Liquidation (der zu schätzen ist) zu bilden. Zudem sind stille Reserven aufzudecken und zumeist Wertberichtigungen vorzunehmen, wenn der Schuldner angesichts der wirtschaftlichen Lage seines Unternehmens Vermögensgegenstände zu vorteilhaft bewertet hat. Auch wenn dies gesetzlich nicht vorgesehen ist, kann (und sollte) auch die Eröffnungsbilanz entsprechend §§ 270 Abs. 1 AktG, 71 Abs. 1 GmbHG um einen Erläuterungsbericht ergänzt werden, mit dem die durch das Insolvenzverfahren bedingten Besonderheiten (abweichende Gliederungen, Wertansätze usw.) näher begründet werden.[73]

[71] A. A. z. B. Hillebrand/Moll, ZInsO 2016, 136.
[72] Vgl. eingehend die Darstellung zu § 151 Rn. 34 ff., § 152 Rn. 19 ff.
[73] Jaeger-Eckardt, § 155 Rn. 56, 89; Kübler/Prütting/Bork-Kübler, § 155 Rn. 42; Uhlenbruck-Sinz, § 155 Rn. 18; Hillebrand/Moll, ZInsO 2016, 136.

2.5.1.1 (Vorläufige) Fortführung des Geschäftsbetriebs

 

Rn 38

Gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB sind die einzelnen Vermögensgegenstände und Schuldpositionen solange mit dem Fortführungswert zu bewerten, wie nicht tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten gegen eine Fortführung der Unternehmenstätigkeit sprechen. Hiervon ist nicht bereits deshalb auszugehen, weil Insolvenzgründe eingetreten sind und das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.[74] Vielmehr muss der Insolvenzverwalter – wenn nicht schon der Schuldner oder der vorläufige Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb eingestellt hat – eine Prognose über die voraussichtliche Fortführung des Geschäftsbetriebs (durch den Schuldner selbst oder einen Unternehmenserwerber) treffen; praktisch wird er ein Unternehmenskonzept zu entwickeln und fortzuschreiben haben.[75]

 

Rn 39

Stichtag für diese Prognose ist der Tag der Verfahrenseröffnung. Weil aber die diesbezügliche Entscheidung grundsätzlich den Gläubigern vorbehalten ist (§§ 157, 158), kann (und sollte) der Verwalter die Eröffnungsbilanz erst nach dem Berichtstermin aufstellen; diese Möglichkeit ist ihm ausdrücklich eingeräumt worden (§ 155 Abs. 2 Satz 2).[76] Eine Ausnahme ist dann zu machen, wenn zwar der Geschäftsbetrieb vorläufig fortgesetzt wird, aber bereits zum Stichtag der Verfahrenseröffnung mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass der Geschäftsbetrieb des Schuldners nicht fortgesetzt, sondern in absehbarer Zeit eingestellt werden wird. Ob von Fortführungswerten immer dann ausgegangen werden sollte, wenn eine Geschäftsfortführung für zumindest zwölf Monate nach Insolvenzeröffnung geplant und in die Wege geleitet worden ist,[77] erscheint eher zweifelhaft.

 

Rn 40

Erstellt der Insolvenzverwalter die Eröffnungsbilanz vorab, sollte er regelmäßig von der (vorläufigen) Fortführung des Unternehmens ausgehen. Seine Eröffnungsbilanz ist unter Übernahme der Wertansätze aus der Schlussbilanz des Schuldners zu entwickeln (§ 252 Abs. 1 Nr. 1 HGB); die Gliederungs-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften der §§ 242 ff. HGB sind zu beachten.[78] Entscheiden sich die Gläubiger im Berichtstermin gegen eine Fortführung des Geschäftsbetriebs, handelt es sich insoweit nicht um eine werterhellende Tatsache, die noch bei der Eröffnungsbilanz zu berücksichtigen wäre. Vielmehr ist der Wechsel von Fortführungs- zu Zerschlagungswerten in der Rechnungslegung während ...

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