Rn 7

Vom Anwendungsbereich des § 120 erfasst werden zunächst Betriebsvereinbarungen nach dem BetrVG. Eine Betriebsvereinbarung ist ein schriftlicher, privatrechtlicher Vertrag, der für einen Betrieb zwischen den Betriebspartnern im Rahmen des gesetzlichen Aufgabenbereichs des Betriebsrats und für die von ihm repräsentierte Belegschaft zur Festsetzung von Rechtsnormen über den Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen abgeschlossen wird.[14]

 

Rn 8

Ob die Betriebsvereinbarung Fragen der erzwingbaren Mitbestimmung, insbesondere aus dem Bereich des § 87 BetrVG, regelt, teilweise mitbestimmt ist[15] oder als freiwillige Betriebsvereinbarung i.S.d. § 88 BetrVG nicht durch Spruch der Einigungsstelle erzwungen werden kann, spielt keine Rolle.[16]

 

Rn 9

Ebenso wenig kommt es für die Anwendbarkeit des § 120 darauf an, ob die in Rede stehende Betriebsvereinbarung mit dem lokalen Betriebsrat, dem Gesamtbetriebsrat oder dem Konzernbetriebsrat abgeschlossen wurde. § 120 gilt nicht nur für Einzelbetriebsvereinbarungen, sondern auch für Gesamtbetriebsvereinbarungen und Konzernbetriebsvereinbarungen.[17]

Dass die Konzernbindung des insolventen Unternehmens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt, ändert an der normativen Fortgeltung bestehender Konzernbetriebsvereinbarungen nichts. Zwar beendet die Insolvenz etwaige das Konzernverhältnis begründende Beherrschungsverträge[18] und damit die Einbindung des insolventen Unternehmens in den Konzernverbund. Gleiches gilt aufgrund des Übergangs des Verwaltungs- und Verfügungsrechts auf den Insolvenzverwalter (§ 80) im faktischen Konzern[19] sowie im Eingliederungskonzern (§§ 18 Abs. 1, 319 AktG).[20] Der damit ggf. verbundene Wegfall des Konzernbetriebsrats bzw. seiner Zuständigkeit für das insolvente Unternehmen[21] lässt die bestehenden Konzernbetriebsvereinbarungen in ihrer Wirkung als Kollektivvereinbarungen indes unberührt.[22] Entgegen einer zum Teil vertretenen Auffassung entfällt eine Konzernbetriebsvereinbarung daher weder ersatzlos[23] noch wirkt sie in den Fällen der erzwingbaren Mitbestimmung lediglich gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.[24] Vielmehr gelten Konzernbetriebsvereinbarungen, die der Konzernbetriebsrat im Rahmen seiner originären Zuständigkeit gemäß § 58 Abs. 1 BetrVG geschlossen hat, in dem insolventen Unternehmen als Gesamtbetriebsvereinbarungen bzw. – falls das insolvente Unternehmen nur über einen Betrieb verfügt – als Betriebsvereinbarungen kollektivrechtlich weiter.[25] Vereinbarungen, die der Konzernbetriebsrat gemäß § 58 Abs. 2 BetrVG im Auftrag des Gesamtbetriebsrats vereinbart hat, wirken als Gesamtbetriebsvereinbarungen und damit nur für das Unternehmen, dessen Gesamtbetriebsrat den Konzernbetriebsrat mandatiert hat.[26] § 120 findet damit auch auf durch den Konzernbetriebsrat abgeschlossene Vereinbarungen uneingeschränkt Anwendung.

 

Rn 10

§ 120 fällt unter Artikel 10 EuInsVO und kommt daher auch dann zur Anwendung, wenn zwar das Insolvenzverfahren in einem anderen Land der EU – mit Ausnahme Dänemarks – eröffnet worden ist, die in Rede stehende Betriebsvereinbarung aber deutschem Recht unterliegt.[27]

 

Rn 11

In zeitlicher Hinsicht ist erforderlich, dass die Betriebsvereinbarung – wie sich aus dem Wortlaut ("sind … vorgesehen") sowie der systematischen Stellung im 2. Abschnitt des 3. Teils ergibt – bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen worden ist. Ob Vertragspartner des Betriebsrats der spätere Insolvenzschuldner oder ein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter i.S.d. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 1. Alt. ist, spielt dabei keine Rolle.

Erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter selbst vereinbarte Betriebsvereinbarungen unterfallen demgegenüber nicht den Vorgaben des § 120. Eine Kündigung ist hier nur nach Maßgabe der allgemeinen Vorschriften (§ 77 Abs. 5 BetrVG) möglich. Gleiches gilt für Sanierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens, die auf der Grundlage des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz – StaRUG) erfolgen. Kündigungserleichterungen für Betriebsvereinbarungen können durch einen Restrukturierungsplan nicht bestimmt werden (§ 4 Satz 1 Nr. 1 StaRUG).

[15] Vgl. zu teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen BAG 09.07.2013, 1 AZR 275/12, juris, Rn. 19 f.; BAG 10.11.2009, 1 AZR 511/08, juris, Rn. 13 f.
[17] Uhlenbruck-Zobel, 15. Aufl. 2019, § 120 Rn. 4; Oetker/Friese, DZWIR 2000, 397 (398).
[18] BGH 14.12.1987, II ZR 170/87, juris, Rn. 18; Emmerich/Habersack, 9. Aufl. 2019, § 297 AktG Rn. 52 b.
[19] Beck/Depré, 3. Aufl. 2017, § 32 Rn. 15 ff.; Uhlenbruck-Hirte, 15. Aufl. 2019, § 11 Rn. 413.
[20] Oetker/Friese, DZWIR 2000, 397 (402).
[21] Vgl. zum Amt des Konzernbetriebsrats in der Insolvenz LAG Baden-Württemberg 23.06.2015, 22 Sa 61/1...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge