Leitsatz (amtlich)

Der im Rahmen einer Stufenklage von dem Pflichtteilsberechtigten geltend gemachte Anspruch auf Auskunft durch Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses hemmt grundsätzlich auch die Verjährung des Anspruchs auf Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses.

 

Normenkette

BGB § 2314 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 204 Abs. 1 Nr. 1

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Urteil vom 01.12.2017; Aktenzeichen I-7 U 10/17)

LG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.12.2016; Aktenzeichen 14e O 274/14)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 1.12.2017 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin begehrt von den Beklagten Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 19.12.2011 verstorbenen Erblasserin durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Verzeichnisses.

Rz. 2

Die Klägerin ist die Tochter des vorverstorbenen Sohnes, die Beklagten sind zwei weitere Kinder der Erblasserin. Diese setzte mit notariellem Erbvertrag vom 20.11.1981, bestätigt durch notarielles Testament vom 29.1.1993, den Vater der Klägerin sowie die Beklagten zu je 1/3 zu Erben ein. Der Vater der Klägerin verstarb am 3.1.2002, sie beerbte ihn mit dessen Ehefrau je zur Hälfte. Die Erblasserin errichtete am 5.3.2002 ein weiteres notarielles Ergänzungstestament, in dem sie den Beklagten zu 1) als Erben zu 2/3, die Beklagte zu 2) als Erbin zu 1/3 einsetzte. Den Beklagten zu 1) bzw. dessen Stamm beschwerte sie mit einem Vermächtnis zugunsten der Klägerin i.H.v. 1/3 des Netto-Nachlasswertes, abzgl. eines Betrages i.H.v. insgesamt 112.740 EUR, den der Beklagte zu 1) an den Vater der Klägerin als Darlehen gewährt habe. Die Darlehensgewährung ist zwischen den Parteien streitig.

Rz. 3

Nachdem der Beklagte zu 1) die Auszahlung des Vermächtnisses an die Klägerin abgelehnt hatte, schlug diese das Vermächtnis aus und erklärte, den Pflichtteil zu beanspruchen. Zugleich forderte sie die Beklagten zur Auskunft durch Vorlage eines Nachlassverzeichnisses auf. Der Beklagte zu 1) gab daraufhin zwei Erklärungen vom 16.4. und 4.5.2012 ab. Mit der zweiten Erklärung gab er an, die Erblasserin habe den Beklagten im Jahre 2003 - unter Einräumung eines Nießbrauchs - ihren Miteigentumsanteil an einem Grundstück nebst drei Wohnungen in einer Wohnanlage in D. übertragen. Ausgehend von den Angaben des Beklagten zu 1) zum Wert des Nachlasses i.H.v. 245.221,71 EUR forderte die Klägerin die Beklagten im Dezember 2013 auf, an sie 30.652,71 EUR als den ihr mindestens zustehenden "Pflichtteil" zu zahlen. Der Beklagte zu 1) lehnte dies unter Aufrechnung mit den behaupteten Forderungen aus Darlehen ab.

Rz. 4

Mit Schriftsatz vom 22.12.2014, eingegangen beim LG am 29.12.2014, hat die Klägerin einen Prozesskostenhilfeantrag nebst Entwurf einer Stufenklage eingereicht. Auf der Auskunftsstufe (Klageantrag zu 1) hat sie zunächst die Vorlage eines von den Beklagten unterschriebenen Bestandsverzeichnisses verlangt, worüber das LG nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe am 19.4.2016 verhandelt hat. Mit Schriftsatz vom 1.7.2016 hat die Klägerin den Antrag auf Auskunft dahingehend gefasst, dass sie nunmehr Auskunft über den Bestand des Nachlasses der Erblasserin durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses begehre. Die Beklagten haben nach Hinweis des LG einer Klageänderung nicht zugestimmt. Sie haben sich auf Verjährung des Anspruchs auf Erteilung der Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses berufen und die Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB erhoben. Das LG hat nach Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung mit Teilurteil der Klage auf der Auskunftsstufe in der zuletzt beantragten Form stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das OLG unter Abweisung der Klage auf der Auskunftsstufe im Übrigen mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass im Rahmen des zu erstellenden notariellen Nachlassverzeichnisses Auskunft auch zu erteilen sei hinsichtlich unentgeltlicher Zuwendungen, die die Erblasserin zu Lebzeiten im Zeitraum vom 20.12.2001 bis zum 19.12.2011, an ihren Ehemann auch für die Zeit davor, getätigt habe und, dass den Beklagten hinsichtlich der Verpflichtung zur Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses die Beschränkung der Haftung auf den Nachlass vorbehalten bleibe. Mit der Revision verfolgen die Beklagten die Abweisung der Klage weiter, soweit ihr durch Teilurteil stattgeben worden ist.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

Rz. 6

I. Das Berufungsgericht hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - ausgeführt, die Klage sei mit dem zuletzt gestellten Antrag zulässig und weitestgehend begründet. Die Klägerin sei gem. §§ 2307 Abs. 1 Satz 1, 2303 Abs. 1, 1589, 1924 Abs. 3 BGB pflichtteils- und damit auskunftsberechtigt. Sie sei auch nach privatschriftlicher Auskunftserteilung berechtigt, das Nachlassverzeichnis in notarieller Form zu verlangen, ohne dass hierfür besondere Voraussetzungen vorliegen müssten. Dieser bedürfe es ferner nicht für die Erstreckung der Auskunft auf unentgeltliche Zuwendungen. Ihr fehle es auch nicht wegen Verjährung des Zahlungsanspruchs am Informationsinteresse, da zumindest hinsichtlich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs vor Fristablauf Hemmung der Verjährung durch Anhängigmachung des Prozesskostenhilfegesuchs für die Stufenklage eingetreten sei. Offen bleiben könne, ob die Stufenklage, die jedenfalls bei wörtlicher Auslegung des Antrags nur den unbezifferten Zahlungsanspruch auf Pflichtteilsergänzung aus § 2325 Abs. 1 BGB erfasse, konkludent den Pflichtteilsanspruch aus §§ 2303 Abs. 1, 1924 Abs. 3 BGB umfasse und ob die Geltendmachung nur eines der beiden Ansprüche die Verjährung aller auf das Pflichtteilsrecht bezogenen Ansprüche hemme, weil für die Bemessung allein des von der Stufenklage unproblematisch umfassten Pflichtteilsergänzungsanspruchs im Hinblick auf einen möglicherweise negativen tatsächlichen Nachlassbestand die Auskunftspflicht sich über unentgeltliche Zuwendungen hinausgehend auf den tatsächlichen Nachlass erstrecke.

Rz. 7

Der Anspruch auf Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses sei nicht verjährt, weil auch hinsichtlich dieses Anspruchs Hemmung der Verjährung mit Einreichung des Antrags auf Prozesskostenhilfe für die Stufenklage, gerichtet auf Verurteilung zur Erstellung eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses in der Auskunftsstufe, eingetreten sei. Es handele sich um verschiedene Ausprägungen desselben Auskunftsanspruchs.

Rz. 8

II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

Rz. 9

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht die Pflichtteils- und Auskunftsberechtigung der Klägerin bejaht. Sie ist gem. § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB auch nach privatschriftlicher Auskunftserteilung berechtigt, die Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu verlangen, ohne dass hierfür besondere Voraussetzungen vorliegen müssen (BGH, Urt. v. 23.5.2012 - IV ZR 250/11, BGHZ 193, 260 Rz. 8; BGH, Urt. v. 2.11.1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 378 [juris Rz. 22]; OLG München FamRZ 2017, 2076, 2077 [juris Rz. 23]). Ihr ist zudem auf Verlangen Auskunft über unentgeltliche Zuwendungen zu erteilen (BGH, Urt. v. 9.11.1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 26 f. [juris Rz. 8] m.w.N.).

Rz. 10

2. Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht das Informationsinteresse der Klägerin an der Auskunft bejaht.

Rz. 11

a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann der Auskunftsanspruch nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn ein entsprechendes Informationsbedürfnis nicht mehr besteht. Ist der Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch gegen den Erben verjährt und wird die Verjährungseinrede erhoben, kann der Pflichtteilsberechtigte mit einer Auskunft des Erben gem. § 2314 BGB im Allgemeinen nichts mehr anfangen. Deshalb ist sein gleichwohl gestelltes Informationsverlangen in einer solchen Lage, von Ausnahmefällen abgesehen, unbegründet (vgl. BGH, Urt. v. 24.4.2002 - IV ZR 126/01, juris Rz. 8; v. 25.1.1995 - IV ZR 134/94, NJW 1995, 1157 unter I 3 [juris Rz. 22]; v. 4.10.1989 - IVa ZR 198/88, BGHZ 108, 393, 399 f. [juris Rz. 16]; v. 9.3.1988 - IVa ZR 272/86, BGHZ 103, 333, 334 [juris Rz. 7]; v. 3.10.1984 - IVa ZR 56/83, NJW 1985, 384, 385 [juris Rz. 10 f.]). Die Auffassung des Berufungsgerichts, zumindest die Verjährung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs sei durch Veranlassung der Bekanntgabe des Antrags auf Prozesskostenhilfe für eine Stufenklage nach § 204 Abs. 1 Nr. 14 Halbs. 2 BGB rechtzeitig gehemmt worden (vgl. dazu BGH, Urt. v. 22.3.2006 - IV ZR 93/05, NJW-RR 2006, 948 Rz. 13 [dort zur Unterbrechung nach § 209 Abs. 1 BGB a.F.]; s. auch BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, § 204 Rz. 16, 61 [Stand: 1.9.2018]; Erman-BGB/Schmidt-Räntsch, 15. Aufl., § 204 Rz. 2; NK-BGB/Mansel, 3. Aufl., § 204 Rz. 22; jeweils m.w.N.), greift die Revision nicht an.

Rz. 12

b) Soweit sie rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht offen gelassen, ob der Stufenklageantrag auch den Pflichtteilsanspruch umfasse und die Hemmung der Verjährung aller auf das Pflichtteilsrecht bezogener Ansprüche bewirkt habe, kann sie hiermit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil die ursprünglich erhobene Klage auch die Verjährung des Anspruchs auf den ordentlichen Pflichtteil gem. § 2303 Abs. 1 BGB gehemmt hat, so dass weiterhin ein Bedürfnis für den Auskunftsanspruch besteht.

Rz. 13

Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch stellen zwar grundsätzlich zwei selbständige Ansprüche mit Unterschieden in der rechtlichen Ausgestaltung dar (BGH, Urt. v. 16.1.2013 - IV ZR 232/12, NJW 2013, 1086 Rz. 18; v. 25.6.1997 - IV ZR 233/96, NJW 1997, 2676 unter I 3c [juris Rz. 13]; v. 25.1.1995 - IV ZR 134/94, NJW 1995, 1157 unter II 1a [juris Rz. 25]; v. 9.3.1988 - IVa ZR 272/86, BGHZ 103, 333, 337 [juris Rz. 14]; s. auch BGH, Urt. v. 29.11.2000 - XII ZR 165/98, BGHZ 146, 114, 119 [juris Rz. 18]). Dies bedeutet aber nicht, dass die beiden Ansprüche hinsichtlich der Hemmung der Verjährung keinen wechselseitigen Einfluss aufeinander hätten. So ist anerkannt, dass durch die Klage auf Geltendmachung des ordentlichen Pflichtteils zugleich die Verjährung des Ergänzungsanspruchs gegen denselben Schuldner gehemmt wird und entsprechendes gilt, wenn zunächst der Pflichtteilsergänzungsanspruch und danach erst der ordentliche Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird (vgl. BGH, Urt. v. 23.2.1972 - IV ZR 135/70, NJW 1972, 760, 761 [juris Rz. 16]; v. 12.7.1974 - IV ZR 19/73 (unveröffentlicht), Umdr. S. 8; MünchKomm/BGB/Lange, 7. Aufl., § 2332 Rz. 11; Staudinger/Olshausen, BGB [2015] § 2332 Rz. 36). Dem steht auch nicht das Senatsurteil vom 27.3.1996 (IV ZR 185/95, BGHZ 132, 240) entgegen. Dort hat der Senat lediglich entschieden, es reiche zur Hemmung der Verjährung des Ergänzungsanspruchs nicht aus, nur eine Klage auf Feststellung der Pflichtteilsberechtigung zu erheben, ohne im Prozess zu der beeinträchtigenden Schenkung etwas vorzutragen (a.a.O. S. 243 f. [juris Rz. 18]). Die vom Senat in seiner früheren Rechtsprechung betonte Wesensgleichheit von Pflichtteilsanspruch und Pflichtteilsergänzungsanspruch sei nur eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung dafür, dass die Unterbrechungswirkung ausnahmsweise über den Streitgegenstand hinausgehe. Als weitere Voraussetzung müsse hinzukommen, dass der zur Begründung des Anspruchs vorgetragene Lebenssachverhalt in seinem Kern bereits Gegenstand der früheren Klage gewesen sei.

Rz. 14

Ein solcher Fall liegt hier gerade vor. Die Klägerin hat nicht lediglich allgemein Klage auf Feststellung ihrer Pflichtteilsberechtigung erhoben, sondern eine Stufenklage, mit der sie auf der ersten Stufe umfassend Auskunft und in der Zahlungsstufe (zunächst) den Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht hat. Der gesamte Klagevortrag der Klägerin bezieht sich indessen nicht nur auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen der Grundstücksübertragung an die Beklagten, sondern auch auf den Pflichtteilsanspruch, wie sich etwa aus den bereits mit der Klageschrift vorgetragenen Anspruchsschreiben der Klägerin vom 22.3.2012 ergibt, mit denen sie unter Ausschlagung des Vermächtnisses ihren Pflichtteil gegenüber den Beklagten geltend gemacht hat. Auch der frühere anwaltliche Vertreter des Beklagten zu 1) ist, wie sich aus seinem Schreiben vom 4.5.2012 ergibt, von einer Geltendmachung auch des Pflichtteilsanspruchs ausgegangen. Schließlich hat der Klägervertreter nochmals mit Schreiben vom 19.12.2013 einheitlich den Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch verlangt. Angesichts dieser Umstände und des umfassend formulierten Auskunftsantrags auf der ersten Stufe hat die Klage auch die Verjährung des Anspruchs auf den ordentlichen Pflichtteil gem. § 2303 Abs. 1 BGB gehemmt. Insoweit diente die Erklärung des Klägervertreters in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 3.11.2017, die Klägerin begehre Auskunft sowohl über den Bestand des Nachlasses als auch über etwaige Schenkungen, lediglich der Klarstellung.

Rz. 15

3. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht ferner angenommen, der Anspruch der Klägerin auf Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses sei nicht verjährt.

Rz. 16

a) Die Revision weist allerdings zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BGH die Verjährung nur in der Gestalt und in dem Umfang gehemmt wird, wie der Anspruch mit der Klage rechtshängig gemacht worden ist, und grundsätzlich von dem geltend gemachten Streitgegenstand bestimmt wird (vgl. BGH, Versäumnisurteil v. 18.5.2017 - VII ZR 122/14, WM 2018, 193 Rz. 20; Urt. v. 29.10.2015 - IX ZR 222/13, NJW 2015, 3711 Rz. 9; v. 29.4.2015 - VIII ZR 180/14, BGHZ 205, 151 Rz. 17; v. 24.5.2012 - IX ZR 168/11, NJW 2012, 2180 Rz. 21; s. auch BGH v. 20.5.2015 - IV ZR 127/14, VersR 2016, 133 Rz. 27; jeweils m.w.N.; st.Rspr.). Davon, dass im Streitfall durch die Umstellung des Klageantrags auf Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses bei gleichbleibendem Klagegrund eine (sachdienliche) Klageänderung i.S.d. § 263 ZPO vorliegt, sich also der Streitgegenstand geändert hat, ist auch das Berufungsgericht ausgegangen.

Rz. 17

b) Gleichwohl ist die Verjährung des Anspruchs der Klägerin auf Auskunft durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses durch den Antrag auf Vorlage eines privatschriftlichen Nachlassverzeichnisses rechtzeitig gehemmt worden.

Rz. 18

aa) Der Regelung des § 204 BGB liegt das Prinzip zugrunde, dass die Verjährung durch eine aktive Rechtsverfolgung des Gläubigers gehemmt wird, die einen auf die Durchsetzung seines Anspruchs gerichteten Willen für den Schuldner erkennbar macht; der Gläubiger muss dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen so klar machen, dass dieser sich darauf einrichten muss, auch nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungszeit in Anspruch genommen zu werden. Entscheidend ist mithin, ob die konkrete Maßnahme der Rechtsverfolgung die geforderte Warnfunktion erfüllt. Der Anspruchsgegner muss erkennen können, "worum es geht" (BGH, Urt. v. 29.10.2015 - IX ZR 222/13, NJW 2015, 3711 Rz. 14 m.w.N.; s. auch BGH, Urt. v. 27.3.1996 - IV ZR 185/95, BGHZ 132, 240, 244 [juris Rz. 18]; BGH, Urt. v. 5.5.1988 - VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268, 273 [juris Rz. 16]; Grothe in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 204 Rz. 3).

Rz. 19

bb) Ausgehend vom Sinn und Zweck der Verjährungsregelungen ist es in der Rechtsprechung des BGH seit langem anerkannt, dass von dem Grundsatz, dass eine Klage die Verjährung nur für Ansprüche in der Gestalt und dem Umfang, wie sie mit der Klage rechtshängig gemacht wurden, unterbricht bzw. hemmt, Ausnahmen erfährt, wenn die geltend gemachten Ansprüche materiell-rechtlich wesensgleich sind, dem gleichen Endziel dienen und der zur Begründung des später erhobenen Anspruchs vorgetragene Lebenssachverhalt in seinem Kern bereits Gegenstand der früheren Klage gewesen ist (vgl. BGH, Urt. v. 11.7.2018 - IV ZR 243/17, VersR 2018, 1119 Rz. 37; v. 27.3.1996 - IV ZR 185/95, BGHZ 132, 240, 244 [juris Rz. 18]; v. 29.5.1974 - IV ZR 163/72, NJW 1974, 1327 [juris Rz. 10 ff.]; BGH, Urt. v. 23.9.2008 - XI ZR 253/07, NJW-RR 2009, 544 Rz. 19; v. 17.2.2006 - V ZR 236/03, NJW-RR 2006, 736 Rz. 23; v. 5.5.1988 - VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268, 274 f. [juris Rz. 18]; v. 18.11.1982 - IX ZR 91/81, NJW 1983, 388 unter 2b cc [juris Rz. 22 ff.]; s. auch Soergel/Niedenführ, BGB, 13. Aufl., § 209 Rz. 16; Sarres, ZEV 2015, 710 f.; über materiell-rechtliche Erwägungen gelangen BeckOGK-BGB/Meller-Hannich, § 204 Rz. 54 [Stand: 1.9.2018] und Grothe in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 204 Rz. 10 zum selben Ergebnis; a.A. Lau, Die Reichweite der Verjährungshemmung bei Klageerhebung [2006] S. 24 f.). Entsprechendes gilt hinsichtlich der Hemmungswirkung eines Prozesskostenhilfeantrags (vgl. Grothe in MünchKomm/BGB, a.a.O., Rz. 67). Abzustellen ist insoweit nicht auf prozessuale Fragen einer Veränderung des Streitgegenstands oder einer Antragsumstellung, sondern darauf, ob eine "verjährungsrechtliche Selbständigkeit" im Sinne verschiedenartiger Ansprüche anzunehmen ist (BGH, Urt. v. 5.5.1988 - VII ZR 119/87, BGHZ 104, 268, 275 [juris Rz. 18]). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob dem Gläubiger ein materielles Wahlrecht unter mehreren in Betracht kommenden Ansprüchen zusteht (BGH, Urt. v. 5.5.1988, a.a.O., [juris Rz. 19]).

Rz. 20

cc) Der Anwendung dieser Grundsätze steht auch § 213 BGB nicht entgegen. § 213 BGB setzt voraus, dass die Ansprüche, die dem Gläubiger zur Wahl stehen, nicht von vorneherein kumulativ nebeneinander gegeben sind, sondern sich gegenseitig ausschließen (vgl. BGH, Urt. v. 27.9.2017 - VIII ZR 99/16, NJW 2018, 387 Rz. 19 ff.; v. 29.4.2015 - VIII ZR 180/14, BGHZ 205, 151 Rz. 23, 26; BGH, Beschl. v. 3.3.2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 [juris Rz. 41] (in BGHZ nicht vollständig abgedruckt); BAG NJW 2014, 717 Rz. 33). Die Auskunftsansprüche nach § 2314 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB schließen sich zwar nicht gegenseitig aus. Vielmehr stehen sie dem Gläubiger grundsätzlich kumulativ zu, so dass er sie neben- oder hintereinander geltend machen kann (vgl. BGH, Urt. v. 23.5.2012 - IV ZR 250/11, BGHZ 193, 260 Rz. 8; BGH, Urt. v. 2.11.1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 378 [juris Rz. 22]). Aus § 213 BGB kann aber, weil die Regelung nur der Erstreckung der Hemmung zum Schutz des Gläubigers auf bestimmte dort genannte Tatbestände dient (vgl. BT-Drucks. 14/6040, 121 f.), nicht geschlossen werden, dass es sich um eine abschließende Regelung handelt, die einer Verjährungshemmung gem. § 204 BGB im hier zu beurteilenden Fall kumulativer Ansprüche entgegenstünde (vgl. auch BT-Drucks., a.a.O., S. 122).

Rz. 21

dd) Die Voraussetzungen der Erstreckung der Hemmung sind im Streitfall erfüllt. Die Auskunftsansprüche der Klägerin aus § 2314 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 BGB gegen die Beklagten entspringen dem gleichen, vom Klagevortrag umfassten Lebenssachverhalt und dienen dem gleichen Endziel. Entgegen der Auffassung der Revision sind die Auskunftsansprüche aus § 2314 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB auch materiell-rechtlich wesensgleich (so auch Sarres, ZEV 2015, 710 f.; zustimmend Teschner, AnwZert ErbR 5/2017 Anm. 1 unter B II; a.A. Braun, MittBayNot 2016, 533, 534).

Rz. 22

(a) Zwar wird allgemein angenommen, das amtliche Verzeichnis biete gegenüber dem privatschriftlichen Verzeichnis eine größere Gewähr für Klarheit, Übersichtlichkeit und Richtigkeit (BGH, Urt. v. 23.5.2012 - IV ZR 250/11, BGHZ 193, 260 Rz. 8), da der Notar zur Vornahme von Ermittlungen berechtigt und verpflichtet sowie für den Inhalt des Nachlassverzeichnisses verantwortlich sei (vgl. BVerfG ZEV 2016, 578 Rz. 3; BGH, Urt. v. 2.11.1960 - V ZR 124/59, BGHZ 33, 373, 376 f. [juris Rz. 18]); OLG München FamRZ 2017, 2076, 2077 [juris Rz. 23]; OLG Schleswig NJW-RR 2011, 946, 947 [juris Rz. 24]; OLG Düsseldorf RNotZ 2008, 105, 106 [juris Rz. 9]; Staudinger/Herzog, BGB [2015] § 2314 Rz. 72; Müller in Burandt/Rojahn, Erbrecht 2. Aufl., § 2314 BGB Rz. 48; MünchKomm/BGB/Lange, 7. Aufl., § 2314 Rz. 22; NK-BGB/Bock, 4. Aufl., § 2314 Rz. 23; Kuhn/Trappe, ZEV 2011, 347, 350). Dies ändert aber nichts daran, dass das private und das notarielle Verzeichnis inhaltlich wesensgleich sind (BGH, Urt. v. 2.11.1960, a.a.O., S. 375 [juris Rz. 14]; Staudinger/Herzog, a.a.O., Rz. 70; Erman/Röthel, BGB, 15. Aufl., § 2314 Rz. 6). Schuldner des Verzeichnisses ist jeweils der Erbe. Das Verzeichnis soll es dem Pflichtteilsberechtigten ermöglichen, durch eine Auskunft über den Bestand des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalles und die ergänzungspflichtigen Schenkungen seinen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch zu berechnen. Der Anspruch auf Vorlage des notariellen Nachlassverzeichnisses entspringt hier auch demselben mit der Klage bereits vorgetragenen Lebenssachverhalt und dient demselben Ziel, nämlich der Klägerin die Bezifferung ihres Pflichtteilsanspruchs zu ermöglichen.

Rz. 23

(b) Der Auskunftsanspruch aus § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB ist entgegen dem Revisionsvorbringen auch nicht mit dem Wertermittlungsanspruch aus § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB vergleichbar (a.A. Braun, MittBayNot 2016, 533, 534). Bei der Auskunft gem. § 2314 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB geht es um die Weitergabe von Wissen, das der Verpflichtete hat oder sich verschaffen muss, an den Pflichtteilsberechtigten. Demgegenüber ist die Wertermittlung gem. § 2314 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB nicht etwa auf eine Äußerung des Verpflichteten über den Wert gerichtet; sie ist von dem Wissen und den Vorstellungen, die der Verpflichtete von diesem Wert hat, unabhängig (BGH, Urt. v. 4.10.1989 - IVa ZR 198/88, BGHZ 108, 393, 396 [juris Rz. 8]; v. 9.11.1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 28 [juris Rz. 10]). Anders als der Auskunftsanspruch ist der Wertermittlungsanspruch darauf gerichtet, dass der Verpflichtete Unterlagen vorlegt und eine von seinen eigenen Wertvorstellungen unabhängige Wertermittlung duldet und veranlasst (vgl. BGH vom 19.4.1989 - IVa ZR 85/88, BGHZ 107, 200, 201 f. [juris Rz. 7]; v. 30.10.1974 - IV ZR 41/73, NJW 1975, 258 [juris Rz. 35, 38]; BGH, Urt. v. 8.7.1985 - II ZR 150/84, NJW 1986, 127 unter I 1 [juris Rz. 11]; Staudinger/Herzog, BGB [2015] § 2314 Rz. 115; BeckOK/BGB/Müller-Engels, § 2314 Rz. 26 [Stand: 1.8.2018]; MünchKomm/BGB/Lange, 7. Aufl., § 2314 Rz. 17; Soergel/Diekmann, BGB, 13. Aufl., § 2314 Rz. 28; NK-BGB/Bock, 4. Aufl., § 2314 Rz. 2, 29).

Rz. 24

Der Wertermittlungsanspruch unterliegt zudem anderen Voraussetzungen als die in § 2314 Abs. 1 Satz 1 und 3 BGB normierten Auskunftsansprüche. So setzt das schutzwürdige Interesse des Pflichtteilsberechtigten an der Wertermittlung voraus, dass der Gegenstand, dessen Wert ermittelt werden soll, zum Nachlass gehört, was der Pflichtteilsberechtigte im Streitfall darzulegen und zu beweisen hat (vgl. BGH, Urt. v. 9.11.1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 29 f. [juris Rz. 11]; BeckOGK-BGB/Blum, § 2314 Rz. 75 [Stand: 15.9.2017]; jurisPK/BGB/Birkenheier, 8. Aufl., § 2314 Rz. 96; MünchKomm/BGB/Lange, a.a.O.; Staudinger/Herzog, a.a.O., Rz. 127). Auch muss der Pflichtteilsberechtigte, der seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch gem. § 2325 BGB oder § 2329 BGB auf die Behauptung stützt, der Erblasser habe einen Gegenstand innerhalb der Frist des § 2325 Abs. 3 BGB verschenkt, grundsätzlich darlegen und beweisen, dass der betreffende Gegenstand zum Nachlass gehört (BGH, Urt. v. 17.4.2002 - IV ZR 259/01, FamRZ 2002, 883 unter 3a [juris Rz. 8]; v. 9.11.1983 - IVa ZR 151/82, BGHZ 89, 24, 30 [juris Rz. 12]). Anders als beim Auskunftsanspruch reicht der begründete Verdacht, der Erblasser habe einen bestimmten Gegenstand innerhalb der Frist des § 2325 BGB weggeschenkt, für einen Anspruch auf Wertermittlung nicht aus (vgl. Senatsurteile vom 17.4.2002, a.a.O.; vom 9.11.1983, a.a.O., S. 29 f. [juris Rz. 10 f.]; BeckOGK-BGB/Blum, a.a.O.; jurisPK/BGB/Birkenheier, a.a.O., Rz. 106; Staudinger/Herzog, a.a.O., Rz. 128). Den insoweit gegenüber der Auskunft höheren Anforderungen liegt maßgeblich die Überlegung zugrunde, dass der Nachlass nicht in unzumutbarer Weise mit Kosten belastet werden soll (vgl. BGH, Urt. v. 2.6.1993 - IV ZR 259/92, NJW 1993, 2737 unter I 1 [juris Rz. 9]; BGH, Urt. v. 8.7.1985 - II ZR 150/84, NJW 1986, 127, 128 [juris Rz. 14]; BeckOK/BGB/Müller-Engels, § 2314 Rz. 26 [Stand: 1.8.2018]; Staudinger/Herzog, a.a.O.).

Rz. 25

4. Die Revision führt auch nicht aus anderen Gründen zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung. Die von der Revision gerügte Gehörsverletzung (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Umstellung der Klage in der Auskunftsstufe auf einen Anspruch auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses in der Prozessgeschichte des angefochtenen Urteils erwähnt und ist hierauf inhaltlich in den Entscheidungsgründen eingegangen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 12414094

NJW 2018, 8

NJW 2019, 234

FamRZ 2019, 242

FuR 2019, 111

ZAP 2018, 1276

ZEV 2018, 6

ZEV 2019, 6

ZEV 2019, 85

DNotZ 2019, 207

ErbBstg 2019, 1

JZ 2019, 69

MDR 2019, 38

ErbR 2019, 95

ErbStB 2019, 216

FamRB 2019, 194

NotBZ 2019, 172

RNotZ 2019, 114

ZErb 2019, 48

EE 2019, 2

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge