Leitsatz (amtlich)

a) Auf Grund eines lediglich gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren, auf Unterlassung gerichteten Urteils kann ein Ordnungsmittel nur verhängt werden, wenn im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung die Sicherheitsleistung bereits erbracht und dem Schuldner in formalisierter Form nachgewiesen war.

b) Erfüllt der Schuldner ein ihm durch Urteil auferlegtes Unterlassungsgebot, bevor der Gläubiger eine von ihm zu leistende Sicherheit erbracht hat, so leistet er regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO.

 

Normenkette

ZPO § 717 Abs. 2, § 890

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Mai 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Produktion und des Vertriebs von Leichtmetallrädern für Kraftfahrzeuge. Als die Klägerin im Jahre 1988 mit der Produktion und dem Vertrieb eines bestimmten dreiteiligen Rades begonnen hatte, beantragte die Beklagte mit der Begründung, es handele sich dabei um die widerrechtliche Nachbildung eines von ihr selbst hergestellten dreiteiligen Rades, für das sie Geschmacksmusterschutz genieße, den Erlaß einer einstweiligen Verfügung. Diesen Antrag wies das Landgericht Stuttgart zurück; die dagegen eingelegte Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Ende 1990 erhob die Beklagte, vor dem Landgericht Düsseldorf Klage auf Unterlassung der Herstellung und des Vertriebs des von der Klägerin entwickelten Rades sowie auf Rechnungslegung und Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz. Das Landgericht gab der Klage durch ein gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbares Urteil unter Androhung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, statt, das Oberlandesgericht Düsseldorf wies sie auf die Berufung der Klägerin ab; die Revision der Beklagten nahm der Bundesgerichtshof nicht an. Die Klägerin hatte Produktion und Vertrieb ihres Rades nach Erlaß des landgerichtlichen Urteils eingestellt und sodann nach Abschluß der Berufungsinstanz wieder aufgenommen. Die Beklagte hatte die im Urteil des Landgerichts Düsseldorf angeordnete Sicherheitsleistung nicht erbracht.

Im jetzigen Rechtsstreit nimmt die Klägerin die Beklagte auf Ersatz des ihr durch die zeitweilige Produktionseinstellung entstandenen Schadens in Anspruch. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf der Grundlage des § 717 Abs. 2 ZPO verneint, weil diese durch die Produktionseinstellung keine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung im Sinne jener Vorschrift erbracht habe. Es fehle an einer Handlung der Beklagten, durch die diese die Vollstreckungsabsicht zum Ausdruck gebracht habe; der Erlaß des auf Unterlassung gerichteten, die Ordnungsmittelandrohung enthaltenden und von Amts wegen mit der Vollstreckungsklausel versehenen sowie der Beklagten ebenfalls von Amts wegen zugestellten Urteils des Landgerichts Düsseldorf reiche für sich allein nicht aus, um die Befolgung des Verbots durch die Klägerin als Leistung zur Abwendung der Vollstreckung zu werten. Gegen diese rechtliche Beurteilung wendet sich die Revision im Ergebnis ohne Erfolg.

a) Nach § 717 Abs. 2 ZPO hat derjenige, zu dessen Gunsten ein vorläufig vollstreckbares Urteil erlassen worden ist, nach einer späteren Aufhebung dieses Urteils dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der diesem durch die Vollstreckung des Urteils oder dadurch entstanden ist, daß er zur Abwendung der Vollstreckung die ihm auferlegte Leistung erbracht hat. Was unter „zur Abwendung der Vollstreckung erbracht” zu verstehen ist, ergibt sich aus dem engen Zusammenhang mit der ersten Alternative des Haftungstatbestands, der Vollstreckung aus dem Urteil. Wer aus einem noch nicht rechtskräftigen Urteil gegen den Prozeßgegner vorgeht, handelt auf sein Risiko. Die verschuldensunabhängige Haftung, die ihn trifft, wenn das Urteil später aufgehoben wird, setzt aber voraus, daß er von dem Urteil Gebrauch gemacht hat; es genügt nicht, daß er es erwirkt hat. Anderenfalls würde ihm der Rechtsschutz in nicht mehr vertretbarer Weise erschwert. Die rechtsuchende Partei muß, um ihr Rechtsschutzziel zu erreichen, notfalls den Instanzenzug durchlaufen. Die damit bis zur endgültigen Entscheidung bestehende Unsicherheit hat grundsätzlich jede Partei für sich zu tragen. Dies wird erst dann anders, wenn der Gläubiger eines zu seinen Gunsten ergangenen Titels über das zum Betreiben des Erkenntnisverfahrens Erforderliche hinausgeht und etwas unternimmt, was der Durchsetzung des Titels dient. Denn ihm muß die Chance bleiben, ein die Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO auslösendes Vollstreckungsverhalten zu vermeiden (Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht 10. Aufl. § 15 III 2 b). Eine den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 auslösende Leistung „zur Abwendung der Vollstreckung” liegt danach nur dann vor, wenn der Schuldner sich damit einem gegen ihn ausgeübten „Vollstreckungsdruck” beugt (vgl. BGHZ 120, 73, 82).

b) Ein auf eine Unterlassung gerichtetes Urteil wird in der Weise durchgesetzt, daß gegen den Schuldner unter den Voraussetzungen des § 890 Abs. 1, 2 ZPO die vorgesehenen Ordnungsmittel verhängt werden. Zu jenen Voraussetzungen gehört, daß das Urteil unbedingt – wenn auch nur vorläufig – vollstreckbar ist. Hat der Gläubiger, wie es hier der Fall war, eine Sicherheit zu leisten, so fehlt es an der Vollstreckbarkeit, solange die Sicherheit nicht erbracht ist. Bis zu diesem Zeitpunkt liegen die Voraussetzungen für eine nach § 890 Abs. 1 ZPO zu sanktionierende Zuwiderhandlung nicht vor; denn die dort vorgesehenen Ordnungsmittel dienen ausschließlich der Vollstreckung, und eine solche findet nicht statt, solange der Schuldner nicht durch die vom Gläubiger zu leistende Sicherheit gegen die ihm aus der Erfüllung des Unterlassungsgebots entstehenden nachteiligen Folgen geschützt ist. Daraus ergibt sich, daß ein Ordnungsmittel nach § 890 ZPO nur verhängt werden darf, wenn eine nach dem Urteil erforderliche Sicherheitsleistung des Gläubigers in dem Zeitpunkt bereits erbracht war, in dem der Schuldner den Verstoß gegen das ihm auferlegte Verbot begangen hat (OLG Hamm BB 1978, 1283 f. m. zust. Anm. Bülow; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO 20. Aufl. § 890 Rdnr. 19; MünchKomm-ZPO/Schilken, 1992, § 890 Rdnr. 11; Zöller/Stöber, ZPO 19. Aufl. § 890 Rdnr. 4; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses 2. Aufl. Rdnr. 948; GroßKomm-UWG/Jestaedt, 1991, vor § 13 E Rdnr. 40; Altmeppen, WM 1989, 1157, 1159; Bork, WRP 1989, 360, 361 f.). Diese Rechtslage wirkt sich auch auf den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO aus. Der Senat hat für den Anspruch aus § 945 ZPO ausgesprochen, daß die Ersatzpflicht nicht später einsetzen darf als die sanktionsbewehrte Verbindlichkeit des Unterlassungsgebots (BGHZ 120, 73, 80); das gilt auch für den Anspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO. Auf der anderen Seite ist es grundsätzlich nicht gerechtfertigt, die Ersatzpflicht bereits vor jenem Zeitpunkt beginnen zu lassen. Solange der Schuldner das gegen ihn verhängte Verbot sanktionslos unbeachtet lassen kann, weil es an der zur Anwendung des § 890 ZPO erforderlichen Vollstreckbarkeit fehlt, ist er ungeachtet einer – wie im vorliegenden Fall – bereits im Urteil enthaltenen Ordnungsmittelandrohung keinem Vollstreckungsdruck ausgesetzt; erfüllt er das Unterlassungsgebot trotzdem, dann erbringt er diese Leistung zwar aufgrund des vom Gläubiger erwirkten Urteils, aber nicht zur Abwendung einer ihm daraus drohenden Vollstreckung (RG WarnRspr. 1940 Nr. 13 im Gegensatz zu RG JW 1938, 2368; Grunsky, NJW 1975, 936; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 53. Aufl. § 717 Rdnr. 8).

Gegen diese Beurteilung wird eingewandt, die Sicherheitsleistung könne der Gläubiger jederzeit ohne Wissen des Schuldners erbringen, so daß dieser nicht sicher sein könne, ob eine Fortsetzung des ihm untersagten Verhaltens bereits die Sanktionen des § 890 ZPO auslöse (BGH, Urt. v. 22. Juni 1976 – X ZR 44/74, NJW 1976, 2162, 2163 – Spritzgießmaschine; Stein/Jonas/Münzberg a.a.O. § 717 Rdnr. 31; MünchKomm-ZPO/Krüger, 1992, 717 Rdnr. 15). Letzteres ist indessen nicht richtig. Nach § 751 Abs. 2 ZPO darf, wenn die Vollstreckung von einer Sicherheitsleistung des Gläubigers abhängt, – abgesehen von den hier nicht vorliegenden Fällen des § 720 a ZPO – mit der Zwangsvollstreckung nur begonnen werden, wenn die Sicherheitsleistung durch eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunde nachgewiesen und eine Abschrift dieser Urkunde bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird. Es trifft zwar zu, daß es sich hierbei um eine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung, nicht der Vollstreckbarkeit handelt (Stein/Jonas/Münzberg a.a.O. § 890 Rdnr. 19 Fußn. 94). Dabei dürfen aber die bei der Vollstreckung aus einem Unterlassungsurteil bestehenden Besonderheiten nicht übersehen werden. Soll etwa ein Zahlungsanspruch durchgesetzt werden, so besteht die Vollstreckungshandlung zunächst in der Beschlagnahme von Gegenständen des beweglichen oder unbeweglichen Vermögens. Hier genügt es, daß die Urkunde über die Sicherheitsleistung gleichzeitig mit der Vollstreckungsmaßnahme zugestellt wird. Die der Vollstreckung eines Unterlassungsanspruchs dienenden Zwangsmittel des § 890 ZPO sollen dagegen die Fortsetzung des dem Schuldner untersagten Verhaltens verhindern. Dieser muß daher Klarheit darüber haben, von wann ab er mit der Verhängung von Ordnungsmitteln rechnen muß, wenn er sich nicht nach dem gegen ihn erlassenen Gebot richtet. Diese setzt deshalb voraus, daß der Schuldner im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung bereits über die Leistung der Sicherheit unterrichtet war (Stein/Jonas/Münzberg a.a.O. § 890 Rdnr. 19 Fußn. 94). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob diese Unterrichtung in der Form des § 751 Abs. 2 ZPO geschehen muß (so RG WarnRspr. 1940 Nr. 13; OLG Hamm WRP 1984, 96; Borck, GRUR 1991, 428, 430; ders., WRP 1993, 374, 379). Aus Gründen der Rechtsklarheit ist aber in jedem Fall zu verlangen, daß es sich bei der Benachrichtigung des Schuldners um in ähnlicher Weise wie bei einer Zustellung formalisierte Maßnahmen handelt; mündliche Erklärungen reichen dafür nicht aus (vgl. zur Vollziehung nach § 928 ZPO BGHZ 120, 73, 87).

Ob für den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO unter Umständen bereits eine dem Schuldner vorab übermittelte Information über die unmittelbar bevorstehende Leistung der Sicherheit genügen kann, ist hier ebensowenig zu entscheiden wie die schon in den Senatsurteilen vom 13. April 1989 (IX ZR 148/88, WM 1989, 927, 929) und vom 22. Oktober 1992 (IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73, 82) für den Anspruch nach § 945 ZPO offengelassene Frage, ob in Fällen, in denen die Vollstreckbarkeit nicht von der vorherigen Leistung einer Sicherheit durch den Gläubiger abhängt, die Amtszustellung des Urteils für sich allein den Ersatzanspruch auslösen kann, wenn dieses bereits mit einer Ordnungsmittelandrohung versehen ist. Abgesehen von einem schon im Erkenntnisverfahren gestellten Antrag nach § 890 Abs. 2 ZPO sind aber jedenfalls sonstige Verhaltensweisen des Gläubigers aus der Zeit vor Erlaß des Urteils entgegen der Ansicht der Revision nicht geeignet, den für die Anwendung des § 717 Abs. 2 ZPO erforderlichen Vollstreckungsdruck zu bewirken.

c) An der vorstehenden Beurteilung ist der Senat nicht durch das bereits erwähnte Urteil des X. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. Juni 1976 gehindert. Die dort enthaltene Bemerkung, die (Partei-) Zustellung eines mit der Vollstreckungsklausel versehenen Urteils sei unabhängig davon, ob eine angeordnete Sicherheitsleistung erbracht sei, in der Regel als Beginn der Zwangsvollstreckung zu werten, war für die Entscheidung nicht tragend; der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO wurde mit der Begründung verneint, daß das damals zu vollstreckende Urteil keine Strafandrohung nach § 890 Abs. 2 ZPO enthalten habe.

d) Da die Klägerin seinerzeit ihre Produktion eingestellt hat, bevor die Beklagte die im Urteil des Landgerichts Düsseldorf angeordnete Sicherheitsleistung erbracht hatte, hat sie nicht zur Abwendung der Vollstreckung geleistet. Der Klageanspruch steht ihr deshalb nach § 717 Abs. 2 ZPO nicht zu.

2. Das Berufungsgericht hat die Klage auch unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruchs nach § 823 Abs. 1 BGB für unbegründet gehalten. Es ist insoweit zutreffend davon ausgegangen, daß die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Verwarnten darstellen kann (vgl. BGHZ 38, 200, 204 ff. – Kindernähmaschinen; BGHZ 62, 29, 31 ff. – maschenfester Strumpf; BGH, Urt. v. 19. Januar 1979 – I ZR 166/76, GRUR 1979, 332, 333 f. – Brombeerleuchte v. 23. Februar 1995 – I ZR 15/93, GRUR 1995, 424, 425 – Abnehmerverwarnung). Das Berufungsgericht hat jedoch gemeint, im vorliegenden Fall fehle es an einem solchen Eingriff, jedenfalls aber an dessen Rechtswidrigkeit. Die Klägerin habe trotz des Antrags der Beklagten auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung und der späteren Erhebung der Unterlassungsklage ihr Produkt zunächst weiter hergestellt und vertrieben, sich damit also der in jenen Maßnahmen liegenden Verwarnung nicht gefügt. Nach Erlaß des der Klage stattgebenden Urteils habe sie ihre Produktion zwar eingestellt. Dies habe jedoch nicht auf einem rechtswidrigen Verhalten der Beklagten beruht, denn wer aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel vollstrecke, handele nicht rechtswidrig; für die bloße Androhung der Vollstreckung könne nichts anderes gelten.

Diese Ausführungen greift die Revision zu Recht an.

a) Die auf ein vermeintliches Schutzrecht gestützte Klageerhebung stellt ebenso wie die Schutzrechtsverwarnung als solche einen rechtswidrigen Eingriff in das Unternehmen des Verwarnten dar, wenn das in Anspruch genommene Schutzrecht in Wirklichkeit nicht besteht. Ebensowenig wie es insoweit darauf ankommt, ob der Verwarner von der Berechtigung seines Rechtsstandpunkts überzeugt sein durfte (BGHZ 38, 200, 206), spielt es für die Frage der Rechtswidrigkeit des Eingriffs eine Rolle, ob zwischenzeitlich ein Instanzgericht in einem später wieder aufgehobenen Urteil der Unterlassungsklage des vermeintlichen Schutzrechtsinhabers stattgegeben hat. Das Vorgehen der Beklagten büßte deshalb dadurch, daß im Vorprozeß das Landgericht es billigte, die Rechtswidrigkeit nicht ein. Es trifft zwar zu, daß derjenige, der aus einem vollstreckbaren Titel vollstreckt, allein deswegen grundsätzlich nicht rechtswidrig handelt. Das kann aber, abgesehen davon, daß die Beklagte nicht aus dem Urteil vollstreckt hat, anders sein, wenn sich ein rechtswidriges Verhalten in dem Erwirken eines objektiv zu Unrecht ergangenen Urteils fortsetzt (vgl. Stein/Jonas/Münzberg a.a.O. vor § 704 Rdnr. 24).

b) Hätte die Klägerin Produktion und Vertrieb ihres Rades alsbald nach der damaligen Klageerhebung durch die Beklagte eingestellt, so wäre, wie offenbar auch das Berufungsgericht angenommen hat, der ihr dadurch entstandene Schaden durch das Verhalten der Beklagten adäquat verursacht worden. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist das nicht deswegen anders zu beurteilen, weil die Klägerin mit jener Maßnahme bis nach dem Erlaß des erstinstanzlichen Urteils abgewartet hat. Bei einer Schutzrechtsverwarnung, deren Berechtigung sich nicht sofort eindeutig beurteilen läßt, befindet sich der Verwarnte in einer schwierigen Lage. Er muß abschätzen, wie groß die Gefahr ist, daß er sich mit der Fortsetzung des abgemahnten Verhaltens berechtigten Schadensersatzansprüchen des Verwarners aussetzt. Dabei kann es sein, daß er das damit verbundene Risiko zunächst eingeht, dieses aber nach Erlaß einer zu seinen Ungunsten ausfallenden – wenngleich noch nicht endgültigen – gerichtlichen Entscheidung für so groß hält, daß er sich – erst – jetzt der Verwarnung fügt. So war es hier. Ein solches Verhalten ist nicht so ungewöhnlich, daß die sich später als unberechtigt erweisende Verwarnung als Ursache für die nicht sofort, sondern erst später vorgenommene Produktionseinstellung außer Betracht zu bleiben hätte. Vielmehr liegt eine solche Reaktion sogar nahe; die Klägerin ist, anstatt möglicherweise voreilig zu handeln, der Verwarnung erst dann nachgekommen, als sie ernstlich damit rechnen mußte, daß die Beklagte in dem von ihr begonnenen Prozeß endgültig recht behalten würde. Bei einem solchen durchaus besonnenen Verhalten (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 8. Februar 1963 – Ib ZR 132/61, WRP 1965, 97, 101 – Kaugummikugeln) kann der ursächliche Zusammenhang zwischen der Verwarnung und dem letztlich eingetretenen Schaden nicht verneint werden. Daß die Klägerin mit ihrer Produktionseinstellung nicht nur der Verwarnung durch die Klägerin nachgekommen ist, sondern gleichzeitig das inzwischen ergangene Urteil des Landgerichts befolgt hat, entzieht den ihr entstandenen Schaden auch nicht dem Bereich des ihr durch § 823 Abs. 1 BGB gegenüber dem Eingriff der Beklagten gewährten Schutzes (vgl. auch Senatsurt. v. 14. März 1985 – IX ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1331; GroßKomm-UWG/Köhler, 1991, vor 5 13 UWG B Rdnr. 269 ff.; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche 6. Aufl. Kap. 30 Rdnr. 4 f.).

3. Das Berufungsurteil läßt sich danach mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht aufrechterhalten. Der Rechtsstreit ist auch nicht unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt entscheidungsreif. Das Berufungsgericht hat zwar beiläufig bemerkt, es würde, wenn Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit des Eingriffs zu bejahen sein sollten, im Gegensatz zum Landgericht ein Verschulden der Beklagten bejahen. Tatsächliche Feststellungen hat es dazu aber nicht getroffen. Der Senat kann die Frage allein auf der Grundlage des unstreitigen Sachvortrags nicht entscheiden. Den Verwarner trifft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im allgemeinen kein Verschulden, wenn er nach grundlegender Recherche unter Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel irrig zu der Überzeugung gelangt, daß ihm bei Anwendung der von der Rechtsprechung und dem einschlägigen Schrifttum entwickelten und anerkannten Beurteilungsgrundsätze der begehrte Schutz nicht verweigert werden könne (vgl. BGH, Urt. v. 19. Januar 1979 a.a.O. S. 336). Im vorliegenden Fall will die Beklagte den Rat erfahrener Rechts- und Patentanwälte eingeholt haben. Ob sie damit den Sorgfaltsanforderungen genügt hat, die insbesondere an den Verwarner zu stellen sind, der aus einem ungeprüften Schutzrecht vorgeht, hängt davon ab, ob dies mit einer umfassenden Recherche hinsichtlich Neuheit und Eigentümlichkeit ihres Schutzrechts verbunden war und ob die hinzugezogenen Anwälte über die dafür unter dem Gesichtspunkt des Geschmacksmusterschutzes nötige Sachkunde und Erfahrung verfügten (vgl. dazu allgemein BGHZ 62, 29, 39 – maschenfester Strumpf; Großkommentar-UWG/Köhler a.a.O. vor § 13 UWG B Rdnr. 283; v. Gamm, Geschmacksmustergesetz 2. Aufl. Einführung Rdnr. 30; Teplitzky a.a.O. Kap. 30 Rdnr. 19 f.). Bei der Beurteilung der Verschuldensfrage wird auch zu berücksichtigen sein, daß immerhin im Vorprozeß das Landgericht das von der Beklagten für sich in Anspruch genommene Schutzrecht bejaht hat. Inwieweit dies als Indiz für mangelndes Verschulden der Beklagten zu werten ist, dürfte sich aber nur entscheiden lassen, wenn geklärt ist, ob der Sachverhalt und insbesondere der vorbekannte Formenschatz damals dem Gericht umfassend vorgetragen worden war. Sollte sich danach ein Verschulden ergeben, so wäre auf der anderen Seite auch die Frage eines Mitverschuldens der Klägerin zu prüfen, die ihrerseits Anlaß hatte, dem Gericht den maßgebenden Tatsachenstoff zu unterbreiten. Zu alledem bedarf es in tatsächlicher Hinsicht weiterer Feststellungen. Damit sie getroffen werden können, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 609741

BGHZ, 233

NJW 1996, 397

GRUR 1996, 812

ZIP 1996, 95

JuS 1996, 463

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