Orientierungssatz

1. Verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des BGB § 31 ist, wenn durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind. Diese Voraussetzungen treffen auf den Filialleiter einer Auskunftei zu, welcher ein Büro, welches er mit Duldung der juristischen Person als deren Zweigniederlassung bezeichnet, als Einmannbetrieb völlig selbständig leitet, wobei er Geschäftsbögen, Auskunftsformulare und Stempel der juristischen Person in deren Einverständnis verwendet.

2. Wer als Filialleiter bewußt falsche Auskünfte erteilt, betätigt sich in seinem eigentlichen Aufgabenbereich, wenn gleich er die ihm gerade übertragenen besonderen Pflichten verletzt. Der enge objektive Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, daß er dabei seine Vollmachten willkürlich unerlaubt vorsätzlich überschritten hat.

 

Tatbestand

Die Klägerin finanziert Teilzahlungskäufe von Kraftwagen durch Darlehen an die Käufer. Zur Tilgung der Kaufpreise zahlt sie die Darlehensbeträge unmittelbar an die Verkäufer. Voraussetzung ist die Sicherungsübereignung des Fahrzeugs, die Bürgschaft des Verkäufers und eine günstige Kreditauskunft über den Käufer.

Die Beklagte betreibt eine große Auskunftei mit „Büros” in 16 Städten der Bundesrepublik. Ihr Büro in Bonn wurde sei 1955 von ihrem (Anfang März 1962 verstorbenen) „Handelsvertreter” Z. geleitet. Jahrelang übergab Z. dem – inzwischen vermögenslos gewordenen und in Konkurs gefallenen – Autohändler F. auf dessen Verlangen in insgesamt rund 1.500 Fällen „Kreditauskünfte” über Kunden F's, und zwar auf dem Papier mit dem Briefkopf der Beklagten. In 26 Fällen waren die Auskünfte fingiert, es handelte sich um „erfundene” Personen; in weiteren 5 Fällen existierten die Personen zwar, die Auskünfte waren aber zu günstig. In diesen 31 Fällen fertigte Z. die Schreiben, die er der Beklagten verheimlichte, in kürzester Frist und ohne jede Nachforschung und Prüfung allein auf Grund der Angaben F's. Mit Hilfe dieser Schriftstücke betrog F. die Klägerin, indem er sich von ihr „Darlehenssummen” auszahlen ließ. Wie das Landgericht festgestellt hat und seitdem unstreitig ist, wußte Z., daß er durch sein Verhalten das Vermögen der Klägerin gefährdete, nahm das aber in Kauf.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Ersatz des ihr durch F. und Z. zugeführten Schadens in Anspruch, den sie mit 201.145,08 DM beziffert. Sie hat gegen die Beklagte auf Zahlung dieses Betrages geklagt.

Die Beklagte hat den Klageanspruch nach Grund und Höhe bestritten. Sie hat sich ua auf mitwirkendes Verschulden der Klägerin berufen.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin führte zum Erlaß ihres Grundurteils und zur Zurückverweisung wegen der Höhe.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin hat ihre Klage darauf gestützt, daß die Beklagte für die unerlaubten Handlungen Z's zum Nachteil der Klägerin gemäß § 31 BGB einstehen müsse.

Das Berufungsgericht verneint auch das.

1. Z. sei kein „verfassungsmäßig berufener Vertreter” der Beklagten im Sinne des § 31 BGB gewesen. Ihm habe dazu die erforderliche Selbständigkeit nach außen und der eigene Verwaltungsbereich innerhalb der Aufgaben der Geschäftsführung der Beklagten gefehlt.

Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt zwingt zu dem Schluß, daß Z. Vertreter der Beklagten gemäß § 31 BGB war.

a) Nach dieser Vorschrift ist eine juristische Person für den Schaden verantwortlich, den ihr „verfassungsmäßig berufener Vertreter” durch eine „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen” begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Der Rechtsbegriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters” ist in Rechtsprechung und Lehre im Laufe der Zeit zunehmend ausgedehnt worden. Das hat das Berufungsgericht übersehen.

Verfassungsmäßig berufene Vertreter im Sinne des § 31 BGB sind nicht nur Personen, deren Tätigkeit in der Satzung der juristischen Person vorgesehen ist; auch brauchen sie nicht mit rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht ausgestattet zu sein. Es braucht sich auch nicht um einen Aufgabenbereich innerhalb der geschäftsführenden Verwaltungstätigkeit der juristischen Person zu handeln. Vielmehr genügt es, daß dem Vertreter durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, daß er also die juristische Person auf diese Weise repräsentiert L. (vgl BGH VI ZR 210/61 v 27. April 1962, VersR 1962, 664; RGZ 94, 318; 117, 61, 64; 157, 228, 235ff; 163, 21, 29-30; Staudinger, BGB, 11. Aufl, § 31 Rz 14-15e; Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl, § 31 Rz 13; § 30, Rz 9-12). Bei einer solchen Sachlage wäre es unangemessen, der juristischen Person den Entlastungsbeweis nach § 831 BGB zu eröffnen.

b) Diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall auf Z. zu.

aa) Er hat unstreitig das „Bonner Büro” der Beklagten geleitet, und zwar als „Einmannbetrieb” völlig selbständig. Er hat dieses Büro mit Duldung der Beklagten als deren „Zweigniederlassung” bezeichnet. Er hat im Einverständnis mit der Beklagten deren Geschäftsbogen und Auskunftsformulare und einen entsprechenden Stempel benutzt. Er ist also nach außen gerade nicht als „selbständiger Handelsvertreter” für die Beklagte tätig geworden; er hat das Bonner Büro der Beklagten nicht als praktisch selbständige Auskunftei betrieben, wie das Berufungsgericht irrig meint.

bb) Gegenüber der einverständlichen Handhabung nach außen spielt es keine Rolle, daß Z. und die Beklagte im Innenverhältnis ihre Rechtsbeziehungen durch den „Vertretervertrag” vom 11. August 1955 nach Handelsvertreterrecht geregelt haben. Das schließt nicht aus, daß Z. nach außen Vertreter der Beklagten gemäß § 31 BGB war.

cc) Indem Z. die Auskunftsschreiben auf Papier mit dem Briefkopf der Beklagten erteilte, gab er die in diesen Schreiben enthaltenen Erklärungen im Namen der Beklagten ab. Mit keinem Wort ist in den Schreiben darauf hingewiesen, daß es sich nicht um Erklärungen der Beklagten, sondern nur um solche Z's handele. Der Wert der Auskünfte lag für deren Empfänger ersichtlich auch gerade darin, daß sie von der angesehenen Beklagten, einer großen und weltbekannten Auskunftei, stammten. Der Beklagten war diese allgemeine Praxis Z's bekannt, wenn ihr auch speziell die hier die Klagegrundlage bildenden 31 „Auskünfte” verheimlicht worden sind.

dd) Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Beklagte selbst das Auskunftsgewerbe betreibt, daß sie ein Netz von Auskunftsbüros geschaffen hat und unterhält, daß sie diesen Büros Arbeitsunterlagen gibt und ihnen den Gebrauch ihres Firmennamens gestattet. Sie hat somit in erheblichem Umfange die ihr wesensmäßigen Aufgaben (Auskunftserteilung) zur selbständigen Erledigung den Leitern ihrer „Büros” übertragen. So hat sie auch für den Bonner Raum Z. mit der selbständigen Erteilung von Auskünften in ihrem Namen betraut. Es bedarf keiner näheren Ausführung, daß die Erteilung von Kreditauskünften durch eine Auskunftei eine recht verantwortungsvolle Tätigkeit ist, bei deren unsorgfältiger Ausübung hoher Schaden entstehen kann, wie gerade der vorliegende Fall zeigt.

2. In einer Hilfsbegründung verneint das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten für Z. aus § 31 BGB auch damit, daß dieser seine unerlaubten Handlungen nicht „in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen” begangen habe, sondern nur „bei Gelegenheit”.

Auch das trifft nach dem vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht zu.

a) In Ausführung der zustehenden Verrichtungen geschieht eine Handlung, die noch in den Kreis der Handhabung fällt, welche die Ausführung der dem Vertreter zustehenden Verrichtungen darstellen. Es muß ein enger objektiver Zusammenhang mit diesen Maßnahmen bestehen. Eine Überschreitung des Auftrags, ein Mißbrauch der Vollmacht schließen die Haftung nicht aus. Auch eine vorsätzliche unerlaubte Handlung kann durchaus noch in engem objektivem Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen stehen; das gilt namentlich dann, wenn sie gerade die übertragenen besonderen Pflichten verletzt L. (vgl BGHZ 11, 151, 152; BGH NJW 1965, 391; BGH LM Nr 13 zu § 31 BGB, Nr 4a und 4b zu § 831 (D) BGB; BGH VersR 1955, 205; 1960, 134; Staudinger aaO § 31, Rz 21, 23; Soergel/Siebert, BGB, 9. Aufl, § 31, 16; BGB-RGRK, 11. Aufl § 831, 14).

b) Die Beklagte beruft sich auf das Urteil BGH LM Nr 4b zu § 831 (D) BGB. Der dortige Fall lag aber anders. Dort hatte ein Finanzierungsvermittler, der in einem Einzelfall mit dem Verkauf eines Kraftfahrzeugs betraut worden war, die Ausführung dieses Auftrags einem Dritten vorgespiegelt, um sich in den Besitz der Finanzierungssumme zu setzen. Damit hatte sich der Vertreter auch objektiv von dem übertragenen Aufgabenbereich gelöst. Anders wäre es, wie in dem Urteil dargelegt wird, gewesen, wenn der Täter das Fahrzeug vorsätzlich für eigene Rechnung verkauft oder den Erlös veruntreut hätte; das hätte noch in genügendem Zusammenhang mit den ihm übertragenen Verrichtungen gestanden. So aber liegt der Fall hier. Z. hat zwar falsche, aber doch Auskünfte erteilt, sich also gerade in seinem eigentlichen Aufgabenbereich betätigt. Der enge objektive Zusammenhang wird nicht dadurch aufgehoben, daß er dabei seine Vollmachten willkürlich und unerlaubt vorsätzlich überschritten hat.

3. Das Berufungsgericht stützt seine Klageabweisung weiter hilfsweise auch darauf, daß das mitwirkende Verschulden der Klägerin die etwaige Ersatzpflicht der Beklagten ganz ausschlösse. Es sieht dieses darin, daß die Klägerin es unterlassen hat, sich vor Auszahlung der Darlehen die Kraftfahrzeugbriefe der (verkauften und zu finanzierenden) Wagen aushändigen zu lassen.

Das Berufungsurteil läßt nicht klar erkennen, ob diese Ausführungen nur im Zusammenhang mit § 831 BGB gemeint sind oder ob das Berufungsgericht mit ihnen auch einen Anspruch aus § 31 BGB, der nach dem oben Gesagten hier allein in Betracht kommt, ausschließen will.

Sollte das letztere der Fall sein, so kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden. Gegenüber dem vorsätzlichen Handeln eines Verfassungsmäßigen Vertreters gemäß § 31 BGB kann eine mitwirkende Fahrlässigkeit des Geschädigten keinesfalls so schwer ins Gewicht fallen, daß der Ersatzanspruch gänzlich entfiele.

 

Fundstellen

Haufe-Index 650383

BGHZ, 19

NJW 1968, 391

MDR 1968, 228

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