Leitsatz (amtlich)

Zur Haftungsprivilegierung des Unternehmers nach § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII.

 

Normenkette

SGB VII § 106 Abs. 3, 3. Alt

 

Verfahrensgang

OLG Köln (Urteil vom 28.06.2001)

LG Bonn

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 28. Juni 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers hinsichtlich der Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 3) zurückgewiesen worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Arbeitsunfall geltend.

Er war als Geräteführer bei der Firma D. beschäftigt, die als Subunternehmerin für die Beklagte zu 3), eine GmbH & Co. KG, Baumaßnahmen im Bereich einer Kläranlage durchführte. Der Beklagte zu 1) war der zuständige Vorarbeiter der Beklagten zu 3), der Beklagte zu 2) deren Bauleiter.

Am 9. Dezember 1998 wies der Beklagte zu 1) dem Kläger eine Stelle zu, an der er gemeinsam mit einem Kollegen Betonfundamente zersägen und aufstemmen sollte. Im Rahmen dieser Arbeiten ging der Kläger über mehrere Gitterroste, die eine Abwassergrube abdeckten. Einige der Gitterroste waren von Mitarbeitern der Beklagten zu 3) entfernt worden, um dem Kläger die Sägearbeiten zu ermöglichen. Dieser stürzte von einem losen Gitterrost in die Abwassergrube und zog sich mehrere komplizierte Brüche am Unterschenkel und am Sprunggelenk zu. Er ist nicht mehr in der Lage, seinen bisherigen Beruf auszuüben.

Der Kläger behauptet, wegen des Entfernens einiger Gitterroste seien die verbliebenen Roste nicht mehr ausreichend befestigt gewesen. Zudem hätten sich diese wegen der durch Baggerarbeiten der Beklagten hervorgerufene Erschütterungen gelöst.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger nach Rücknahme des Rechtsmittels gegen die Beklagten zu 1) und 2) seine Ansprüche nunmehr allein gegen die Beklagte zu 3) weiter.

 

Entscheidungsgründe

I.

Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Beklagten den Unfall schuldhaft verursacht haben. Jedenfalls könnten diese sich auf eine Haftungsfreistellung nach § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII berufen.

Der Kläger und die Beklagten zu 1) und 2) seien als Angehörige verschiedener Unternehmen auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig gewesen, da der vorliegende Sachverhalt durch das bewußte betriebliche Zusammenwirken der Firma D. und der Beklagten zu 3) gekennzeichnet gewesen sei. Wie für die Beklagten zu 1) und 2) schließe § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII auch für die Beklagte zu 3) eine Haftung für die Unfallfolgen aus. Dies geböten Sinn und Zweck der §§ 104 ff. SGB VII. Das Haftungsprivileg der im Betrieb tätigen Personen werde lediglich von dem in § 104 SGB VII geregelten Haftungsprivileg des Unternehmers abgeleitet. Daher stelle die Annahme einer von dessen Haftungsprivileg völlig losgelösten Haftungsfreistellung der Betriebsangehörigen eine mit dem Gesamtkonzept nicht zu vereinbarende Systemwidrigkeit dar.

II.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

Zwar trifft die Auffassung des Berufungsgerichts zu, daß die Baustelle, auf der sich der Unfall zugetragen hat, für den Kläger und die Beklagten eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne von § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII gewesen ist (vgl. zum Verständnis dieses Begriffs Senatsurteile BGHZ 145, 331, 335 f. und vom 23. Januar 2001 – VI ZR 70/00VersR 2001, 372, 373). Das angefochtene Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit es die danach gegebene Haftungsprivilegierung für die Beklagten zu 1) und 2) auf die Beklagte zu 3) erstreckt.

Wie der erkennende Senat nach Erlaß des Berufungsurteils entschieden hat, greift die Haftungsprivilegierung grundsätzlich für die beteiligten Unternehmer nicht ein (Senatsurteile BGHZ 148, 214, 216 und vom 25. Juni 2002 – VI ZR 279/01VersR 2002, 1107). Nur ausnahmsweise kommt die Haftungsfreistellung dem versicherten Unternehmer zugute, wenn er selbst auf einer gemeinsamen Betriebsstätte eine betriebliche Tätigkeit verrichtet und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmens verletzt. Dies folgt aus dem Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift, deren Rechtfertigung sich insbesondere in dem Gesichtspunkt der sog. Gefahrengemeinschaft findet (vgl. Senatsurteile BGHZ 148, 214, 220 f.; BGHZ 148, 209, 212 und vom 25. Juni 2002 – VI ZR 279/01VersR 2002, 1107). Dies hat der erkennende Senat in den genannten Urteilen eingehend dargelegt. Er hält auch unter Berücksichtigung kritischer Stimmen in der Literatur (Imbusch, VersR 2001, 1485 ff.; Tischendorf, VersR 2002, 1188 ff.; zustimmend hingegen: Otto NZV 2002, 10 ff.; Grüneberg, BGH Report 2001, 682 f.; vgl. auch Lemcke, r+s 2001, 371) an seiner Auffassung fest und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die früheren Urteile Bezug.

Danach erfordert eine Haftungsprivilegierung des Unternehmers grundsätzlich dessen eigene Tätigkeit auf der gemeinsamen Betriebsstätte. Ob im Hinblick auf die Rechtsform der Beklagten zu 3) überhaupt die Voraussetzungen einer solchen Tätigkeit erfüllt sein können, ist zweifelhaft, weil die Beklagte als GmbH & Co. KG nicht selbst auf der Baustelle tätig sein konnte. Die Frage, ob insoweit auf ihre Organe oder die Organe ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin abzustellen wäre, bedarf indessen im Streitfall keiner abschließenden Beurteilung. Der Sachverhalt läßt nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennen, daß ein solches Organ auf der Betriebsstätte tätig gewesen sein könnte.

III.

Unter diesen Umständen wird das Berufungsgericht nunmehr zu prüfen haben, ob die Beklagte zu 3) dem Kläger zum Schadensersatz verpflichtet ist. Das Urteil des Berufungsgerichts war daher aufzuheben und zur weiteren Verhandlung und erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Müller, Wellner, Pauge, Stöhr, Zoll

 

Fundstellen

BGHR 2003, 222

BauR 2003, 388

NJW-RR 2003, 239

IBR 2003, 110

Nachschlagewerk BGH

MDR 2003, 152

NZV 2003, 30

VersR 2003, 70

IVH 2003, 11

RdW 2003, 85

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