Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Zurückverweisung, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges nach Eingang eines nachgereichten, nicht nachgelassenen Schriftsatzes die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet.

 

Normenkette

ZPO §§ 156, 539

 

Verfahrensgang

OLG Koblenz (Aktenzeichen 8 U 1359/97)

LG Trier (Aktenzeichen 4 O 115/96)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. September 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der klagende Rechtsanwalt führte in den Jahren 1993/94 im Auftrag der Beklagten Verhandlungen mit Gläubigern, die diese dazu bewegen sollten, auf einen Teil ihrer Forderungen zum Zweck der Sanierung des Unternehmens der Beklagten zu verzichten. Die Parteien schlossen eine schriftliche Honorarvereinbarung, wonach der Kläger für seine Tätigkeit ein Pauschalhonorar von 80.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer erhalten sollte; die Urkunde weist als Ausstellungsdatum den 16. November 1993 aus. Der Kläger nimmt, nachdem er die Klage in der ersten Instanz – einseitig – teilweise für erledigt erklärt hat, die Beklagte auf Zahlung eines restlichen Anwaltshonorars von 87.839,31 DM nebst Zinsen in Anspruch. Außerdem verlangt er für steuerberatende Tätigkeit Zahlung von 4.674,98 DM nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Herausgabe der noch in seinem Besitz befindlichen Buchhaltungsunterlagen der Beklagten. Die Beklagte hat gegenüber der Anwaltshonorarforderung eingewandt, der Kläger habe ihr die Honorarvereinbarung „abgepreßt”. Er habe ihr zu einem Zeitpunkt, als ein Anwaltswechsel nicht mehr gut möglich gewesen sei – etwa im Februar 1994 –, gedroht, er werde das Mandat niederlegen, wenn sie ihm nicht die Zahlung des die gesetzlichen Gebühren übersteigenden Honorars verspreche; die unter diesem Druck geschlossene Vereinbarung sei auf den 16. November 1993 zurückdatiert worden. Auf der Grundlage dieses Sachvortrags hat die Beklagte die Vereinbarung wegen Drohung angefochten und geltend gemacht, sie verstoße gegen die guten Sitten.

Das Landgericht hat der Klage bis auf einen Teil des Zinsanspruchs stattgegeben. Das Berufungsgericht hat unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Anfechtung durch die Beklagte sei jedenfalls deswegen unwirksam, weil sie nicht innerhalb der Jahresfrist des § 124 BGB erklärt worden sei. Die Honorarvereinbarung sei auch nicht nach § 138 BGB nichtig, wenn sie tatsächlich am 16. November 1993 zustande gekommen sei. Anders sei es jedoch, wenn die Urkunde entsprechend der Behauptung der Beklagten zurückdatiert worden sei. Dann spreche vieles dafür, daß die Vereinbarung der Beklagten „abgepreßt” worden sei. Daß die Honorarvereinbarung nicht am 16. November 1993 vom geschäftsführenden Gesellschafter der Beklagten unterschrieben worden sein könne, habe die Beklagte in einem nach Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht eingereichten Schriftsatz vorgetragen und unter Beweis gestellt; danach habe sich ihr geschäftsführender Gesellschafter in der Zeit vom 13. bis zum 18. November 1993 im Ausland aufgehalten. Der vom Landgericht nach § 296a ZPO nicht berücksichtigte Schriftsatz habe es erforderlich gemacht, gemäß § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Auf die Frage, wann die Honorarvereinbarung unterschrieben worden sei, sei es auch nach Auffassung des Landgerichts angekommen; denn es habe sie in seinem Beweisbeschluß als klärungsbedürftig angesehen. Der Verstoß gegen § 156 ZPO sei ein wesentlicher Verfahrensmangel, der zur Zurückverweisung nach § 539 ZPO führe.

II.

Diese Sachbehandlung rügt die Revision zu Recht als verfahrensfehlerhaft.

1. Ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist aus der materiell-rechtlichen Sicht des Erstrichters zu beurteilen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Berufungsgericht sie teilt oder nicht (st. Rspr., vgl. BGHZ 86, 218, 221; BGH, Urt. v. 10. Dezember 1996 - VI ZR 314/95, NJW 1997, 1447 f). Das Berufungsgericht, das dies nicht verkannt hat, hat gemeint, darauf abstellen zu können, daß das Landgericht über die Frage, wann die Honorarvereinbarung zustande gekommen ist, Beweiserhebung angeordnet und, wie zu ergänzen ist, in Ausführung seines Beweisbeschlusses Zeugen vernommen hat. Diese Ansicht ist verfehlt. Ob eine unterbliebene – weitere – Beweiserhebung hätte durchgeführt werden müssen, richtet sich nach der rechtlichen Beurteilung, die das Erstgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat. Das Landgericht hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausgeführt, die Beklagte habe unabhängig vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bewiesen, daß der Kläger die Vereinbarung durch unzulässigen Druck herbeigeführt habe. Deshalb komme es auf die Frage, wann die Vertragsurkunde für die Beklagte unterzeichnet worden sei, nicht an. Von diesem Standpunkt aus war eine – weitere – Beweiserhebung nicht geboten. Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 539 ZPO waren auf dieser Grundlage nicht gegeben.

2. Das Landgericht hat freilich als zusätzliche Begründung angeführt, „das Vorbringen der Parteien in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen … (lasse) die Kammer gemäß § 296a ZPO unberücksichtigt”. Ob damit gesagt werden sollte, das in dem nachgereichten Schriftsatz der Beklagten enthaltene Vorbringen einschließlich des dazu benannten weiteren Zeugen sei doch beweiserheblich, ist unklar. Auch wenn es so gewesen sein sollte, wäre es nicht verfahrensfehlerhaft gewesen, die mündliche Verhandlung nicht wieder zu eröffnen. Das Berufungsgericht scheint der Ansicht gewesen zu sein, eine Pflicht zur Wiedereröffnung bestehe immer dann, wenn aus der Sicht des Erstgerichts das nachgeschobene tatsächliche Vorbringen entscheidungserheblich sei. Das entspricht nicht der Rechtslage. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung auf Grund neuen, nicht gemäß § 283 ZPO nachgelassenen Vorbringens ist – von dem hier nicht zu erörternden Sonderfall eines Wiederaufnahmegrundes abgesehen (vgl. dazu BGHZ 30, 60, 66; 53, 245, 262) – nur dann geboten, wenn dieses Vorbringen ergibt, daß es aufgrund eines nicht prozeßordnungsmäßigen Verhaltens des Gerichts, insbesondere einer Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 139 ZPO) oder des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht rechtzeitig in den Rechtsstreit eingeführt worden ist (BGHZ 30, 60, 65; BGH, Urt. v. 7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134; v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97, MDR 1999, 758 f). Im übrigen steht der Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung im freien Ermessen des Gerichts (BGH, Urt. v. 21. Februar 1986 - V ZR 246/84, NJW 1986, 1867, 1868).

Im vorliegenden Fall wußte die Beklagte aufgrund des nach § 358a ZPO erlassenen Beweisbeschlusses des Landgerichts, daß darüber, wann die Honorarvereinbarung zustande gekommen war, Beweis erhoben werden sollte. Dafür, daß sie ihre neue Darstellung – angebliche damalige Auslandsabwesenheit ihres geschäftsführenden Gesellschafters – einschließlich des Beweisantritts dafür erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung vortrug, war nicht das Gericht, sondern allein sie selbst verantwortlich. Solche Nachlässigkeiten auszugleichen ist nicht Sinn der Möglichkeit, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, daß das Landgericht diese Möglichkeit nicht einmal gesehen und erwogen hätte. Eine Erörterung dieses Punktes in den Entscheidungsgründen des Urteils war nicht erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 2. April 1958 - V ZR 203/56, JR 1958, 344, 345).

3. Für den mit der Klage ebenfalls geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Steuerberatervergütung in Höhe von 4.674,98 DM spielt die Frage, ob die Vereinbarung über das Anwaltshonorar wirksam war, keine Rolle. Warum das Berufungsgericht die Sache auch wegen dieses selbständigen Streitgegenstands an das Landgericht zurückverwiesen hat, läßt sich dem Berufungsurteil nicht entnehmen. Die Revision rügt zu Recht, daß das Urteil insoweit nicht mit Gründen versehen ist (§ 551 Nr. 7 ZPO).

III.

Die Sache ist unter Aufhebung des Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, das nunmehr in der Sache selbst zu entscheiden haben wird. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 8 GKG Gebrauch.

 

Unterschriften

Paulusch, Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof, Fischer

 

Veröffentlichung

Veröffentlicht am 28.10.1999 durch Preuß, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

 

Fundstellen

Haufe-Index 539327

NJW 2000, 142

EBE/BGH 1999, 378

EWiR 2000, 311

Nachschlagewerk BGH

WM 2000, 159

ZIP 1999, 2180

JA 2000, 359

MDR 2000, 103

MittRKKöln 2000, 56

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