Leitsatz (amtlich)

›Legen innerhalb der Berufungsfrist erst die Partei und dann ihr Streithelfer Berufung ein und wird die mit dem Eingang der Rechtsmittelschrift der Partei beginnende Berufungsbegründungsfrist versäumt, so ist die Berufung gleichwohl zulässig, wenn sie rechtzeitig innerhalb der mit der später eingegangenen Rechtsmittelschrift des Streithelfers beginnenden Frist begründet wird. Der Zurücknahme der Berufung der Partei bedarf es dazu nicht.‹

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn

OLG Stuttgart

 

Tatbestand

Die Klägerin erwarb im Juni 1979 ein Haus mit Schwimmbad in O., an dessen Errichtung der Beklagte als Architekt mitgewirkt hat. Sie macht den Beklagten für Schäden im Schwimmbadraum verantwortlich, die sie u.a. auf Planungsfehler zurückführt. Ihre Streithelferin war als Fachfirma am Bau des Schwimmbads beteiligt.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von 31.024 DM zuzüglich Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Gegen dieses, ihr am 14. Februar 1984 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 7. März 1984 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und gleichzeitig der Streithelferin den Streit verkündet. Mit einem am 14. März 1984 eingegangenen Schriftsatz ist die Streithelferin dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin beigetreten und hat ihrerseits Berufung eingelegt. Die Berufung hat sie mit einem am 12. April 1984 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin hat die Berufung selbst nicht begründet und der Rücknahme ihrer Berufung durch die Streithelferin widersprochen.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die gemäß § 547 ZPO zulässige Revision der Streithelferin der Klägerin, die der Beklagte zurückzuweisen bittet.

 

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die Berufung der Klägerin mangels rechtzeitiger Begründung unzulässig. Für Ablauf und Wahrung der Begründungsfrist sei allein die am 7. März 1984 von der Klägerin selbst eingelegte Berufung maßgebend, die am 14. März 1984 von der Streithelferin eingelegte Berufung habe insoweit keine Bedeutung. Die Berufungsbegründung der Streithelferin vom 12. April 1984 sei somit verspätet. Die Streithelferin habe die Berufung der Klägerin auch nicht wirksam zurücknehmen können, weil die Klägerin der von ihrer Streithelferin erklärten Rücknahme widersprochen habe.

Hiergegen wendet sich die Revision der Streithelferin der Klägerin mit Erfolg.

1. Der Streithelfer darf Prozeßhandlungen, die die Partei vornehmen könnte, mit derselben Wirkung vornehmen, wie wenn die Partei selbst gehandelt hätte (Rosenberg/Schwab, 13. Aufl., § 47 IV 2; Zöller/Vollkommer, 14. Aufl., § 67 ZPO Rdn. 3, 5). Die Berufungseinlegung durch den Streithelfer ist also grundsätzlich nicht anders zu beurteilen als die durch die Partei. Das bedeutet im vorliegenden Fall, daß für den Berufungschriftsatz der Streithelferin dasselbe gelten muß wie für einen wiederholten Rechtsmittelschriftsatz der Partei selbst, vorausgesetzt allerdings, daß dabei das Rechtsmittelverhalten des Streithelfers dem der Partei nicht widerspricht (§ 67 ZPO).

2. Ein solcher Widerspruch ist im vorliegenden Fall nicht anzunehmen. Weder hat die Partei der Durchführung der Berufung ausdrücklich widersprochen, noch ist ihr Prozeßverhalten im Sinne eines Widerspruchs auszulegen. Daß die Partei ihre Berufung nicht fristgemäß begründet hat, ist kein solcher Widerspruch, vielmehr Untätigkeit die als solche kein Hindernis für eigene Prozeßhandlungen des Streithelfers darstellt (vgl. BGHZ 49, 183, 188; Stein/Jonas/Leipold, 20. Aufl., § 67 Rdn. 13). Bloße Untätigkeit in diesem Sinne ist auch das Nichtausnützen einer Frist (Stein/Jonas/Leipold aaO m.w.N.).

Nichts anderes gilt für die Weigerung der Partei, ihre Berufung zurückzunehmen. Schon die tatsächlich erklärte Rücknahme bedeutet nicht ohne weiteres, daß die Partei mit der Fortführung des Rechtsmittels durch den Streithelfer nicht einverstanden ist (BGHZ 76, 299, 302 m.N.). Allerdings mag unter Umständen gerade der Zurücknahme ein Widerspruch der Partei gegen die weitere Prozeßführung durch den Streithelfer entnommen werden können (Stein/Jonas/Leipold aaO). Deshalb war hier die Zurücknahme für die Partei, vor allem wenn Sie die Weiterführung wollte, auch nicht risikolos. Unsicherheit oder Unklarheit hinsichtlich der möglichen Folgen einer Zurücknahme können deshalb durchaus eine hinreichende Erklärung für das Verhalten der Partei abgeben. Daß sie die ihrerseits eingelegte Berufung nicht zurückgenommen hat, kann deshalb im Ergebnis nur als Untätigkeit und nicht als Widerspruch zur Weiterführung des Rechtsmittels durch die Streithelferin angesehen werden. Das gilt um so mehr, als hier die Klägerin die Streithelferin ausdrücklich zur Durchführung der Berufung aufgefordert hatte.

Da Unwirksamkeit einer Prozeßhandlung des Streithelfers wegen Widerspruchs zur Partei schon im Zweifelsfall nicht anzunehmen ist (RGZ 147, 125, 127), muß im vorliegenden Fall jedenfalls davon ausgegangen werden, daß die Weiterführung der Berufung durch die Streithelferin nicht am Widerspruch der Klägerin scheitert. Wegen Widerspruchs der Klägerin unwirksam war allerdings die von der Streithelferin erklärte Zurücknahme der von der Klägerin eingereichten Berufung. Deshalb ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, daß die Einlegung der Berufung durch die Klägerin am 7. März 1984 vorerst Bestand hatte und daß zunächst eine auf diese bezogene Frist zur Berufungsbegründung lief. Diese Frist haben Klägerin und Streithelferin nicht genutzt. Ohne eine Wiederholung der Rechtsmitteleinlegung und eine daran anknüpfende neue Begründungsfrist mußte somit die Berufung der Klägerin in der Tat unzulässig sein.

3. In diesem Falle gewinnt die erneute Einreichung eines Berufungsschriftsatzes durch die Streithelferin am 14. März 1984 Bedeutung. Dieser Schriftsatz ist innerhalb der Berufungsfrist, die mit der Zustellung des Urteils der Klägerin am 14. Februar 1984 auch für die Streithelferin begonnen hat (BGH NJW 1963, 1251, 1252) und damit rechtzeitig eingegangen. Er ist, da die Partei nicht widersprochen hat, wie ein weiterer Berufungsschriftsatz der Partei zu behandeln. Die zulässigerweise durch Partei und Streithelfer eingelegte Berufung ist nämlich als einheitliches Rechtsmittel zu werten (vgl. zuletzt BGH NJW 1982, 2069 m.w.N.). Insofern besteht kein ins Gewicht fallender Unterschied zur Einreichung mehrerer Rechtsmittelschriften durch die Partei selbst.

a) Eine Partei kann aber durchaus mehrmals Gebrauch von einem Rechtsmittel machen (BGHZ 24, 179, 180; 45, 380, 383; 72, 1, 5; BGH NJW 1958, 551; 1968, 49; Beschluß vom 20. März 1978 - III ZB 18/77 = VersR 1978, 720). Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn Zweifel daran bestehen, ob eine zunächst eingelegte Berufung zulässig ist. In einem solchen Fall hängt die Bedeutung des zweiten Einlegungsaktes von der Wirksamkeit und dem Wirksambleiben des ersten Einlegungsaktes ab (BGH aaO). Die zweite Berufungseinlegung gewinnt immer dann selbständige Bedeutung, wenn und sobald die Unwirksamkeit der ersten feststeht.

Das kann aber nicht, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, allein durch Rücknahme der ersten Berufung geschehen. Die Zurücknahme ist lediglich eine der Möglichkeiten, ein zunächst eingelegtes Rechtsmittel gleichsam außer Kraft zu setzen, und wird denn auch in BGHZ 24, 179, 180 ausdrücklich nur beispielhaft angeführt. Die zuerst eingelegte Berufung kann auch auf andere Weise unzulässig und damit unwirksam werden, etwa wegen verspäteter Begründung (dazu BGH NJW 1958, 551; VersR 1978, 720, 721, jeweils mit weiteren Nachweisen) oder gerade durch (bloße) Versäumung der Begründungsfrist. Im letzteren Fall wird die erste Rechtsmitteleinlegung gegenstandslos. Es kommt dann nur noch auf die Wirksamkeit der zweiten Einlegung an (Senatsbeschluß vom 18. Mai 1978 - VII ZB 11/78 = VersR , 1978, 765).

b) Ebenso ist es, wenn Partei und Streithelfer nacheinander Berufung einlegen. Da es sich auch dann um ein einheitliches Rechtsmittel handelt, erhält die später eingereichte Rechtsmittelschrift des Streithelfer selbständige Bedeutung, sobald feststeht, daß das zunächst von der Partei eingelegte Rechtsmittel unzulässig ist. Es wäre nicht folgerichtig und durch sachliche Unterschiede nicht zu rechtfertigen, die Rechtsmittelschriften von Streithelfer und Partei zwar wie mehrere Rechtsmittelschriften der Partei als einheitliche Rechtsmitteleinlegung zu behandeln, bei den Folgen für den Fristenlauf aber danach zu unterscheiden, ob die Rechtsmittelschriften von nur einem Prozeßbeteiligten stammen. In solchen Fällen, wie das Berufungsgericht, sogar die Zurücknahme des Rechtsmittels der Partei zu fordern und erst dann die Rechtsmitteleinlegung durch den Streithelfer gelten zu lassen, würde die Zulässigkeit der Berufung an Zufälligkeiten knüpfen. Die Auffassung des Berufungsgerichts würde auch zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden unterschiedlichen Behandlung der Fälle führen, in denen die ursprünglich von der Partei eingelegte Berufung wegen Formmängeln von vornherein unzulässig und deshalb für ihre Wirksamkeit der Fristenlauf- letztlich ohne Bedeutung ist.

c) Daß der Bundesgerichtshof bei Einreichung mehrerer Rechtsmittelschriften ein einheitliches Rechtsmittel annimmt und die Begründungsfrist im Ergebnis mit der letzten zulässigen Einreichung beginnen läßt, findet seine sachliche Berechtigung darin, daß die Bedenk- und Begründungsfrist des Gesetzes zur Führung eines Rechtsmittels den Prozeßbeteiligten als Mindestfrist zur Verfügung stehen und ihnen nicht gegen ihren Willen verkürzt werden soll. Unter diesem Gesichtspunkt läßt es sich aber um so weniger rechtfertigen, Rechtsmittelschriften eines einheitlichen Rechtsmittels danach unterschiedlich zu behandeln, ob sie von denselben Prozeßbeteiligten oder von Partei und Streithelfer herrühren (noch weitergehend Wieczorek, 2. Aufl., § 67 ZPO unter B II c 2, der annimmt, daß Parteien und ihre Streithelfer ohnehin zu verschiedenen Zeiten Rechtsmittel einlegen und begründen können).

4. Da hier die Berufung aufgrund der am 14. März 1954 eingegangenen Berufungsschrift der Streithelferin der Klägerin zulässig war und am 12. April 1984 rechtzeitig begründet worden ist, durfte das Berufungsgericht sie nach alledem nicht als unzulässig verwerfen. Es hätte vielmehr in die Sachprüfung eintreten müssen, ohne der gegenstandslos gewordenen, schon am 7. März 1984 eingegangenen Berufungsschrift der Klägerin noch Beachtung zu schenken.

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2992783

NJW 1985, 2480

BauR 1985, 476

DRsp IV(416)281b

ZfBR 1985, 229

ZfBR 1987, 244

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