Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfolgen des Kapitalersatzes. Gewährung von Finanzierungshilfen. Entziehung von Betriebsgrundstücken. Ersatzanspruch auf Nutzungsentschädigung. Anspruchsbemessung

 

Leitsatz (amtlich)

a) Der Gesellschafter unterliegt (ebenfalls) den Rechtsfolgen des Eigenkapitalersatzes, wenn ein von ihm beherrschtes Unternehmen der Gesellschaft in der Krise eine Finanzierungshilfe gewährt.

b) Wird der Gesellschaft ein von ihrem Gesellschafter angemietetes Betriebsgrundstück, das ihr nach Eigenkapitalersatzregeln zu belassen ist, durch einen Grundpfandrechtsgläubiger entzogen, so kann die Gesellschaft von dem Gesellschafter Ersatz in Höhe des Wertes des verlorenen Nutzungsrechts verlangen. Bei der Bemessung des Anspruchs kann der zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter vereinbarte Mietzins eine Richtschnur bilden.

 

Normenkette

GmbHG §§ 30-31, 32a a.F., § 32b; KO § 32a

 

Verfahrensgang

OLG Dresden (Urteil vom 06.03.2002; Aktenzeichen 11 U 2463/01)

LG Dresden

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Dresden v. 6.3.2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.2.2000 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der G. S. GmbH (nachfolgend: Gemeinschuldnerin).

Durch notariellen Vertrag v. 10.8.1995 wurde die Gemeinschuldnerin von vier Gesellschaftern mit einem Stammkapital von 50.000 DM gegründet; Mehrheitsgesellschafter war J. I., der eine Stammeinlage von 25.500 DM hielt. Zur Ausübung ihres Geschäftsbetriebs mietete die Gemeinschuldnerin durch Mietvertrag v. 22.9.1995 von ihrem Gesellschafter I. das in D. gelegene Gebäudegrundstück "N." zu einem monatlichen Mietzins von 34.088 DM über einen Zeitraum von zehn Jahren an. Mit notariellem Vertrag v. 27.12.1995 übereignete I. das Grundstück, das er im Jahre 1992 mit einer Hypothek i.H.v. 2 Mio. DM zu Gunsten der B.bank belastet hatte, an die von ihm als Mehrheitsgesellschafter beherrschte N. Verwaltungs-KG (nachfolgend: Verwaltungs-KG). Wegen ihrer fortwährend angespannten finanziellen Lage entrichtete die Gemeinschuldnerin, die spätestens seit dem 31.12.1996 durchgängig überschuldet war und im Zeitpunkt der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 1.096.907,99 DM aufwies, von Anfang bis Ende des Mietverhältnisses keine Miete an ihren Vermieter.

Mit Beschluss des AG D. v. 20.6.2000 wurde auf Antrag der B.bank die Zwangsverwaltung über das Objekt N. angeordnet. Da die vorhandene Masse eine Mietzinszahlung an den Zwangsverwalter nicht gestattete, räumte der Kläger das Anwesen zum 31.7.2000. Der Beklagte wurde vom AG W. am 27.9.2000 zum Insolvenzverwalter über den Nachlass des am 11.1.2000 verstorbenen J. I. (nachfolgend ebenfalls: Beklagter) bestellt.

Wegen des Verlusts der Möglichkeit, das Betriebsgrundstück bis zum Ablauf des Mietvertrages zu nutzen, nimmt der Kläger unter dem Gesichtspunkt einer eigenkapitalersetzenden Nutzungsüberlassung den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Mit der - von dem Senat zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger seinen im Berufungsrechtszug gestellten Antrag weiter, den Beklagten zu verurteilen, einen Betrag i.H.v. 1.072.562,90 DM zur Insolvenztabelle anzuerkennen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die mietweise Überlassung des Grundstücks durch den Beklagten an die Gemeinschuldnerin habe wegen deren Überschuldung spätestens Ende des Jahres 1997 eigenkapitalersetzenden Charakter angenommen. Da dem Kläger durch die Anordnung der Zwangsverwaltung die weitere Nutzung des Grundstücks entzogen worden sei, stehe ihm gegen den Beklagten zwar grundsätzlich ein durch die Veräußerung des Grundstücks an die Immobilien-KG nicht berührter Ersatzanspruch zu. Gehe man aber von einer hypothetischen Eigentümerstellung der Gemeinschuldnerin aus, entfalle ein Rückgriff gegen den Beklagten. Auch die Gemeinschuldnerin hätte, wenn ihr das grundpfandrechtlich belastete Grundstück anstelle der Vermietung von dem Beklagten zu Eigentum übertragen worden wäre, durch die Anordnung der Zwangsverwaltung jedes Nutzungsrecht verloren. Die "schwächere" unentgeltliche Gebrauchsüberlassung könne die Gemeinschuldnerin nicht besser als einen Eigentümer stellen.

II. Diese Beurteilung hält im entscheidenden Punkt rechtlicher Prüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat den Beklagten, der nach den tatrichterlichen Feststellungen das von der Gemeinschuldnerin genutzte Grundstück noch vor Eintritt ihrer Überschuldung an die Verwaltungs-KG übereignet hat, zu Recht den Eigenkapitalersatzregeln (§§ 30, 31, 32a, 32b GmbHG) unterworfen.

Die Rechtsfolgen des Kapitalersatzes treffen einen Gesellschafter, der eine GmbH nach Ausbruch der Krise durch die Zufuhr von Darlehen oder anderen Finanzierungsmitteln, wozu auch eine kapitalersetzende Nutzungsüberlassung gehören kann (BGH v. 16.10.1989 - II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 = GmbHR 1990, 118 = MDR 1990, 224; v. 11.7.1994 - II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 ff. = GmbHR 1994, 612 = MDR 1994, 1098; v. 11.7.1994 - II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 ff. = GmbHR 1994, 691 = MDR 1994, 1100; Urt. v. 7.12.1998 - II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 = MDR 1999, 304 = GmbHR 1999, 175), am Leben erhält. Der Beklagte hatte allerdings das Grundstück N. bereits im Dezember 1995, also vor Eintritt der Gesellschaftskrise, an die von ihm beherrschte Verwaltungs-KG übereignet. In der Rechtsprechung des Senats ist für die Anwendung der Kapitalerhaltungs- wie auch der Kapitalersatzregeln seit langem anerkannt, dass mit einem Gesellschafter durch eine Beteiligung von mehr als 50 % verbundene und infolgedessen von ihm beherrschte Unternehmen einem Gesellschafter gleichstehen (BGH v. 21.9.1981 - II ZR 104/80, BGHZ 81, 311 [315] = AG 1982, 72 = GmbHR 1982, 133 = MDR 1982, 120; v. 28.9.1981 - II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 [368 f.] = AG 1982, 109 = GmbHR 1982, 181 = MDR 1982, 120; Urt. v. 27.11.2000 - II ZR 179/99, MDR 2001, 340 = BGHReport 2001, 170 = GmbHR 2001, 106 = NJW 2001, 1490; Urt. v. 21.6.1999 - II ZR 70/98, GmbHR 1999, 916 = MDR 1999, 1205 = NJW 1999, 2822 m.w.N.). Die zwingenden, streng zu handhabenden Kapitalerhaltungs- und Kapitalersatzregeln dürfen nicht durch Umgehungen aufgeweicht werden (BGH v. 28.9.1981 - II ZR 223/80, BGHZ 81, 365 [368] = AG 1982, 109 = GmbHR 1982, 181 = MDR 1982, 120; BGHZ 51, 157 [162]; BGHZ 31, 258 [266]). Diese Gefahr läge greifbar nahe, wenn sich der Gesellschafter den Eigenkapitalersatzregeln durch die Gewährung einer Kredithilfe über ein von ihm beherrschtes und alsbald nach deren Rückzahlung liquidiertes Unternehmen entledigen könnte (BGH, Urt. v. 16.12.1991 - II ZR 294/90, AG 1992, 123 = MDR 1992, 755 = GmbHR 1992, 165 = NJW 1992, 1167 f.). Ferner ist die Kredithilfe in Fällen der vorliegenden Art regelmäßig von dem Gesellschafter durch Einwirken auf das von ihm beherrschte Unternehmen veranlasst (Scholz/Westermann, GmbHG, 9. Aufl., § 31 Rz. 13).

2. Die mietweise Überlassung des Betriebsgrundstücks unterliegt den Regeln des Eigenkapitalersatzes, weil das Unternehmen nach Eintritt der Krise nicht liquidiert, sondern ohne den gebotenen Nachschuss von Eigenkapital unter Fortbestand des Nutzungsverhältnisses weitergeführt wurde (BGH v. 16.10.1989 - II ZR 307/88, BGHZ 109, 55 [58] = GmbHR 1990, 118 = MDR 1990, 224; v. 11.7.1994 - II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 [7] = GmbHR 1994, 612 = MDR 1994, 1098; v. 11.7.1994 - II ZR 162/92, BGHZ 127, 17 [21] = GmbHR 1994, 691 = MDR 1994, 1100). Da die Gemeinschuldnerin nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts spätestens Ende des Jahres 1997 überschuldet war, hat die Nutzungsüberlassung als funktionales Eigenkapital zu gelten (BGH v. 14.12.1992 - II ZR 298/91, BGHZ 121, 31 [35 f.] = GmbHR 1993, 87 = MDR 1993, 223; Urt. v. 7.12.1998 - II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 [149 f.] = MDR 1999, 304 = GmbHR 1999, 175). Dementsprechend war es dem Beklagten während der Dauer der Krise verwehrt, den vereinbarten Mietzins zu fordern (BGH v. 6.12.1993 - II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 [284 f.] = AG 1994, 225 = GmbHR 1994, 176 = MDR 1994, 357; Urt. v. 7.12.1998 - II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 [153] = MDR 1999, 304 = GmbHR 1999, 175). Infolgedessen war der Kläger als Insolvenzverwalter ebenfalls berechtigt, das Grundstück während der vereinbarten oder - im Falle einer im Vergleich zur Branchenübung unangemessen kurzen Vertragslaufzeit - der üblichen Nutzungsdauer unentgeltlich zu nutzen. Dabei hat er die Wahl, das Nutzungsrecht selbst wahrzunehmen oder auf einen Dritten (entgeltlich) zu übertragen (BGH v. 11.7.1994 - II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 ff. = GmbHR 1994, 612 = MDR 1994, 1098; v. 11.7.1994 - II ZR 162/92, BGHZ 127 17 ff. = GmbHR 1994, 691 = MDR 1994, 1100; Urt. v. 7.12.1998 - II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 [150] = MDR 1999, 304 = GmbHR 1999, 175).

3. Das dem Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gemeinschuldnerin im Verhältnis zu dem Beklagten zustehende unentgeltliche Nutzungsrecht ist allerdings durch die von der B.bank als Hypothekengläubigerin erwirkte Beschlagnahme des Betriebsgrundstücks erloschen.

Im Konflikt zwischen dem unentgeltlichen Nutzungsrecht der Gesellschaft aus Eigenkapitalersatzgesichtspunkten und dem vom Zwangsverwalter wahrgenommenen Fruchtziehungsrecht des Grundpfandrechtsgläubigers kommt Letzterem der Vorrang zu (BGH Urt. v. 7.12.1998 - II ZR 382/96, BGHZ 140, 147 = MDR 1999, 304 = GmbHR 1999, 175; Urt. v. 31.1.2000 - II ZR 309/98, GmbHR 2000, 325 = ZIP 2000, 455). Ab dem Zeitpunkt der Beschlagnahme ist der Insolvenzverwalter infolgedessen verpflichtet, entweder das vereinbarte Nutzungsentgelt an den Zwangsverwalter zu entrichten oder das Grundstück an ihn herauszugeben.

4. Dem Kläger steht nach dem Verlust des unentgeltlichen Nutzungsrechts an dem Betriebsgrundstück (BGH, Urt. v. 31.1.2005 - II ZR 240/02) ein Ersatzanspruch gegen den Beklagten zu.

a) Inhaltlich richtet sich der Ersatzanspruch danach, in welcher Weise sich der Verlust des unentgeltlichen Nutzungsrechts verwirklicht: Im Falle entgeltlicher Eigennutzung kann der Insolvenzverwalter von dem Gesellschafter Erstattung der an den Zwangsverwalter entrichteten Miete beanspruchen. Gibt er hingegen - wie der Kläger - das Betriebsgrundstück an den Zwangsverwalter heraus, so kann er von dem Gesellschafter Ersatz in Höhe des objektiven Restwerts des Nutzungsrechts verlangen (BGH v. 11.7.1994 - II ZR 146/92, BGHZ 127, 1 [15] = GmbHR 1994, 612 = MDR 1994, 1098). Mangels gegenteiligen Sachvortrags wird im Allgemeinen der zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter vereinbarte Mietzins dem üblichen Nutzungsentgelt und daher einem objektiven Maßstab entsprechen.

b) Nicht gefolgt werden kann hingegen der rechtlichen Würdigung des Berufungsgerichts, ein Ersatzanspruch des Klägers scheide aus, weil er die Beschlagnahme und damit den Verlust des Nutzungsrechts auch hätte hinnehmen müssen, wenn das mit der Hypothek belastete Betriebsgrundstück von dem Beklagten an die Gemeinschuldnerin übereignet worden wäre.

Der Gesellschafter ist an der von ihm gewählten Finanzierungshilfe und den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen festzuhalten. In Sachverhaltskonstellationen der vorliegenden Art hat der Beklagte das Betriebsgrundstück sowohl als Finanzierungshilfe für die Gemeinschuldnerin als auch als Sicherungsgut für persönlich benötigte Kredite eingesetzt. Dadurch ist der Beklagte zugleich ein Kredit- und ein Überlassungsrisiko eingegangen. Verwirklichen sich beide Risiken, muss der Beklagte folglich doppelt haften. Angesichts der mit dieser Vorgehensweise verbundenen Risikokumulierung kann es nicht angehen, dass durch die Zwangsverwaltung einerseits die Verbindlichkeiten des Beklagten reduziert werden, er aber andererseits von seiner Überlassungsverpflichtung entbunden wird.

5. Die Zurückweisung der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, Feststellungen über den im vorliegenden Fall umstrittenen Wert des Nutzungsrechts des Klägers zu treffen.

 

Fundstellen

BB 2005, 846

DB 2005, 881

DStR 2005, 705

WPg 2005, 503

NWB 2005, 2182

BGHR 2005, 980

GmbH-StB 2005, 165

DNotI-Report 2005, 79

NZG 2005, 395

StuB 2005, 651

WM 2005, 747

WuB 2005, 451

ZIP 2005, 660

ZfIR 2005, 435

DZWir 2005, 295

MDR 2005, 880

NZI 2005, 350

Rpfleger 2005, 374

ZInsO 2005, 653

GmbHR 2005, 538

NJW-Spezial 2005, 221

ZBB 2005, 194

ZNotP 2005, 269

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