Leitsatz (amtlich)

Eine Bank, die ihren unerfahrenen Kunden dazu verleitet, in Aktien auf Kredit zu spekulieren, ist regelmäßig zum Ersatz des durch die Spekulation entstehenden Schadens verpflichtet.

 

Normenkette

BGB § 276

 

Verfahrensgang

OLG Zweibrücken (Urteil vom 08.01.1996)

LG Landau (Pfalz)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 8. Januar 1996 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gegen die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde.

Der Kläger, ein Schmuckhändler, wandte sich Anfang Juni 1985 an die Beklagte, um bei der Anlage eines Betrages von 80.000 DM beraten zu werden. Nach Einzahlung dieses Betrages auf ein neu eröffnetes Kontokorrentkonto kaufte er auf Empfehlung des Anlageberaters der Beklagten, des Zeugen L., Standard-Aktien. Nach weiteren Bareinzahlungen von insgesamt 25.000 DM und einer Reihe von Aktiengeschäften, die im wesentlichen auf Initiative des Zeugen L. durchgeführt worden waren, betrugen per 31. Dezember 1986 der Sollsaldo auf dem Kontokorrentkonto ca. 1,2 Millionen DM und der Depotwert ca. 1,307 Millionen DM. Im Januar 1987 wurde der Sollsaldo durch Verkäufe auf knapp 20.000 DM zurückgeführt, wuchs durch Neukäufe bis zum 12. Juni 1987 wieder auf ca. 675.000 DM an. An diesem Tage bot die Beklagte dem Kläger einen schon im Jahre 1985 in Aussicht gestellten Kredit in Höhe von 1 Million DM bei variablem Zins zum Zweck des Kaufs von festverzinslichen Wertpapieren und deutschen „Standardaktien” an, den der Kläger am 8. Juli 1987 akzeptierte und dessen Inanspruchnahme auf dem bisherigen Girokonto gebucht wurde. Als Sicherheit räumte der Kläger der Beklagte: an seinem Grundbesitz eine Buchgrundschuld in Höhe von 300.000 DM ein und unterwarf sich in der Bestellungsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung; außerdem verpfändete er die vorhandenen und die anzuschaffenden Wertpapiere.

Bei bis über 13 % steigenden Kreditzinsen führten nach und nach insbesondere im Jahre 1987 eintretende Kursverluste zu einer Unterdeckung des Kredits, so daß Wertpapierverkäufe notwendig wurden. Das Depot wurde schließlich 1991 ganz aufgelöst und der Erlös dem Kontokorrentkonto gutgebracht. Da der Kläger für den noch offenen Darlehensrest keine weiteren Sicherheiten beibrachte, kündigte die Beklagte das Darlehen bei einem Sollstand von 626.644,77 DM.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte hafte aus einer ihm durch den Anlageberater gemachten Garantiezusage, daß er bei den Wertpapiergeschäften keine Verluste erleiden würde; im übrigen habe sie auch ihre Pflichten aus dem Depotbetreuungsvertrag bzw. dem Beratungsvertrag verletzt. Daraus sich ergebende Schadensersatzansprüche stellt er der Forderung entgegen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt, soweit sie den Betrag von 208.881,59 DM nebst Zinsen übersteigt. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Das Berufungsgericht hat den Nachweis für den Abschluß eines Garantievertrages, aufgrund dessen die Beklagte dem Kläger für Verluste aus Wertpapiergeschäften einzustehen habe, als nicht geführt angesehen, aber angenommen, daß die Beklagte wegen Verletzung von Aufklärungs- und Beratungspflichten ersatzpflichtig sei: Die Initiative bei den Wertpapiergeschäften auf Kredit sei von dem Zeugen L. ausgegangen, „der dem Kläger zu einem größeren Engagement geraten habe, wenn dieser richtig Geld verdienen” wolle, und der die Risiken eines kreditfinanzierten Aktienerwerbs als nur theoretisch heruntergespielt habe, statt darüber realistisch aufzuklären. Der Kläger habe wegen Verletzung dieser Aufklärungspflicht einen aufgerechneten Ersatzanspruch, der unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens auf zwei Drittel des unstreitigen Gesamtschadens von 626.644,77 DM zu bemessen sei.

2. Das hält im Ergebnis einer rechtlichen Nachprüfung stand.

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beklagte nach den konkreten Umstanden des Falles den Kläger pflichtwidrig zu Wertpapiergeschäften auf Kredit geraten hat.

Grundsätzlich ist eine kreditgewährende Bank nicht verpflichtet, ihren Kunden über die Risiken der Verwendung des Kredits aufzuklären. Das gilt auch dann, wenn der Kunde den Kredit zur Wertpapierspekulation nutzen will (vgl. BGHZ 114, 177, 182 f.). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn im Einzelfall ein besonderes Aufklärungs- und Schutzbedürfnis des Darlehensnehmers besteht und nach Treu und Glauben ein Hinweis der Bank geboten ist, z.B. weil diese selbst einen zusätzlichen Gefährdungstatbestand gesetzt hat oder über einen relevanten Wissensvorsprung verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 1987 – III ZR 126/85 – WM 1987, 1546; Senatsurteil vom 24. April 1990 – XI ZR 236/89 – WM 1990, 920, 922 jeweils m.w.Nachw.).

Hier hat der Anlageberater der Beklagten den Kläger, dem es darum ging, seine Ersparnisse in Höhe von 80.000 DM in Standardwerten anzulegen, zu einer Spekulation auf Kredit verleitet, bei der die Leistungsfähigkeit des Klägers übersteigende Verluste absehbar waren und Gewinne nur unter besonders günstigen, aber unwahrscheinlichen Umständen anfallen konnten.

Der Zeuge L. hat eingeräumt, daß die Initiative zu den Aktiengeschäften überwiegend von ihm ausgegangen sei und daß er dem Kläger erklärt habe, daß man – wenn man „richtig gut Geld verdienen” wolle – nicht nur mit 80.000 DM, sondern „höher” einsteigen müsse. Diesem vom Anlageberater vorgegebenen Ziel entsprechend gewahrte die Beklagte Kredit, zunächst in Form genehmigter Kontoüberziehung, dann aufgrund Kreditvertrages vom 12. Juni/8. Juli 1987, Dabei sollte nach der vertraglichen Zweckbestimmung der Kredit nur „zum kauf von festverzinslichen Wertpapieren und deutschen Standardwerten” verwendet werden. Um die – variablen – Kreditzinsen des Millionenkredits finanzieren zu können, war es erforderlich, eine Rendite zu erzielen, die die Kreditzinsen und die anfallenden Spesen abdeckte. Die Spekulation konnte also nur bei steigenden Kursen und stabilen oder fallenden Kreditzinsen erfolgreich sein; bei steigenden Kreditzinsen und stagnierenden oder fallenden Kursen drohten erhebliche Verluste wegen des aufgrund Unterdeckung durchgeführten Notverkaufs des verpfändeten Depots. Diese Gefahr war im vorliegenden Fall besonders groß, weil einerseits der variabel zu verzinsende Kredit in einer Phase niedrigen Zinses gewährt wurde und mittelfristig eine Zinssteigerung – wie sie denn auch mit einem Ansteigen auf über 13 % zu beobachten war – in Rechnung gestellt werden mußte, und andererseits die Rendite im wesentlichen durch Aktiengeschäfte erzielt werden sollte, die schon in der Phase niedriger Zinsen und leicht steigender Aktienkurse einen solchen Gewinn kaum abwarfen, wie der Vergleich von Schuldenstand und Depotbestand per 31. Dezember 1986 ausgewiesen hatte. Die Beklagte hat über ihren Anlageberater den Kläger als Inhaber eines mit Eigenmitteln aufgebauten Depots verleitet, einen seine wirtschaftlichen Verhältnisse weit übersteigenden Kredit aufzunehmen, um die jeweils von ihrem Anlageberater vorgeschlagenen Spekulationsgeschäfte zu finanzieren. Während diese Anlagegestaltung für sie laufende Einnahmen durch Kreditzinsen und Effektenprovisionen entstehen ließ, war für den Kläger das Scheitern der Anlage durch deren Art bei steigenden Kreditzinsen oder sinkenden Aktienkursen so gut wie sicher.

Die Beklagte hätte unter diesen Umständen dem – nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in Aktiengeschäften unerfahrenen – Kläger nicht zur Aktienspekulation auf Kredit raten dürfen.

Durch Verletzung der Pflicht aus dem konkludent abgeschlossenen Beratungsvertrag (vgl. dazu BGHZ 123, 126, 128) hat die Beklagte sich nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung Schadensersatzpflicht gemacht. Der durch die Pflichtverletzung entstandene Schaden ist in Höhe von 626.644,77 DM unstreitig; dabei ist der Einsatz der verlorenen Eigenmittel zutreffend nicht berücksichtigt worden. Durch die den Ersatzanspruch ermäßigende Annahme eines klägerischen Mitverschuldens im angefochtenen Urteil ist die Beklagte nicht beschwert. Auch die von der Revision erhobenen Einwendungen gegen den Beginn der Zinszahlungspflicht greifen nicht durch: Entgegen ihrer Auffassung ist das Berufungsgericht richtig davon ausgegangen, daß es an Darlegungen der Beklagten für einen bereits vor Klageerhebung eingetretenen Verzug fehlt.

 

Unterschriften

Schimansky, Dr. Schramm, Nobbe, Dr. van Gelder, Dr. Ernemann

 

Fundstellen

Haufe-Index 1392100

NJW 1997, 1361

Nachschlagewerk BGH

ZIP 1997, 580

MDR 1997, 467

ZBB 1997, 180

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